Tendaguru

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Tendaguru
Am Tendaguru - Leben und Wirken einer deutschen Forschungsexpedition zur Ausgrabung vorweltlicher Riesensaurier in Deutsch-Ostafrika (1912) (17977534130).jpg

Skelett des Dicraeosaurus hansemanni in der Tendaguru-Formation

Lage Region Lindi, Tansania, Ostafrika
Koordinaten 9° 42′ 0″ S, 39° 12′ 0″ OKoordinaten: 9° 42′ 0″ S, 39° 12′ 0″ O
Tendaguru (Tansania)
Alter des Gesteins 157–135 Mio. Jahre
Besonderheiten Fossillagerstätte aus dem Oberjura

Der Tendaguru ist ein Hügel in der Gemeinde Mipingo, ca. 60 km nordwestlich der Stadt Lindi im Südosten des ostafrikanischen Staates Tansania und eine weltbekannte Lagerstätte für Dinosaurierfossilien aus dem Oberjura.

Geschichte der Ausgrabungen und ihrer Erforschung

Werner Janensch am Tendaguru. Seine Bildunterschrift lautet: „Ego [Ich] beim Eintragen ins Fundbuch“.[1]

In den Jahren 1909–1913 fand unter der Leitung von Werner Janensch eine deutsche Expedition und Grabung im Auftrag des Berliner Museums für Naturkunde statt.[2] Sie wird als die erfolgreichste Dinosauriergrabung der Geschichte gewertet. 250 Tonnen fossilisierte Dinosaurierknochen wurden nach Berlin transportiert.

Aus den Fossilien mehrerer Exemplare konnte der größte Teil des Skeletts eines lange als Brachiosaurus brancai,[3] heute Giraffatitan brancai[4] bekannten Sauropoden rekonstruiert werden.[5] Laut einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung handelt es sich bei dem Skelett um „ein gigantisches Puzzle aus mehreren Exemplaren“ bei denen große Teile rekonstruiert werden mussten.[6] Diese Skelettrekonstruktion wurde im Berliner Museum für Naturkunde aufgestellt,[7] dessen Prunkstück sie seitdem bildet. Für lange Zeit war es das weltweit größte montierte Skelett eines Dinosauriers, und das ist es wieder seit einer 2007 vorgenommenen Neumontage.[8]

Die Tendaguru-Funde führten bereits zu zahlreichen neuen Erkenntnissen über die Dinosaurier, und die wissenschaftliche Auswertung ist noch nicht abgeschlossen. Weitere Gattungen, von denen in der Tendaguru-Formation reichliche Funde gemacht wurden, sind der Stegosaurier Kentrosaurus,[9][10][11] der kleine Vogelbeckendinosaurier Dysalotosaurus (auch zu Dryosaurus gestellt), der ungewöhnliche, schlanke Theropode Elaphrosaurus,[12] sowie eine ganze Reihe teils recht vollständiger, teils nur partiell bekannter Sauropoden. Hierzu zählen Dicraeosaurus sattleri und Dicraeosaurus hansemanni,[13] Janenschia robusta[14] und, weniger bekannt, Tornieria africana und Australodocus bohetii.[15] Auch Knochen eines allosauriden Raubdinosauriers wurden gefunden.

Von 1924 bis 1931 setzte das British Museum (Natural History), das heutige Natural History Museum, mit einer eigenen Expedition die deutschen Grabungen am Tendaguru fort, ohne jedoch ähnlich spektakuläre Fossilfunde vorweisen zu können.

Das Berliner Naturkundemuseum führte im August und September 2000 im Rahmen des Deutsch-Tansanischen Tendaguru-Projekts erneut Fossilaufsammlungen am Tendaguru durch. Ziel war die Rekonstruktion der Paläoökosysteme, in denen die Dinosaurier lebten.[16]

Debatte um die Eigentumsrechte an den Fossilien

Der tansanische Botschafter in Berlin stellte Anfang 2020 die Rückgabe von Fossilien aus Tendaguru sowie weiterer Objekte wie menschlicher Überreste (human remains) zur Debatte. Auch Reparationszahlungen und vor allem binationale Zusammenarbeit stehen zur Debatte. Bereits 1998 war in einem tansanischen Verlag ein Jugendbuch in Swahili erschienen, in dem die Entdeckung der Fossilien von Tendaguru einheimischen Bewohnern zugeschrieben wurde, welche die Fossilien später dem deutschen Ingenieur Sattler aufgezeigt haben könnten.[17][18]

Der Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums, Johannes Vogel, hält Forderungen nach einer Rückgabe des Giraffatitan an Tansania nicht für gerechtfertigt, da das Skelett kein Natur- sondern ein Kulturgut darstellten. Dies erklärte er wie folgt: "Er wurde erst in Berlin in jahrzehntelanger wissenschaftlicher Arbeit zu einem Dinosaurier-Modell zusammengesetzt". Aus diesem Grund stehe er auch seit 2011 im Verzeichnis der national geschützten Kulturgüter.[6][19]

Im Dezember 2019 haben die Universität von Daresalam und das Berliner Naturkundemuseum ein Memorandum of Understanding über die Intensivierung der Zusammenarbeit mit tansanischen Wissenschaftlern unterzeichnet.[20][21]

Literatur

  • Ina Heumann, Holger Stoecker u. a.: Dinosaurierfragmente – Zur Geschichte der Tendaguru-Expedition und ihrer Objekte, 1906-2018. Wallstein, Göttingen 2018, ISBN 978-3-8353-3253-9.
  • Gerhard Maier: African Dinosaurs Unearthed: The Tendaguru Expeditions. Bloomington, Indiana: Indiana University Press, 2003, ISBN 9780253000545.
  • Holger Stoecker: Ein afrikanischer Dinosaurier in Berlin. Der Brachiosaurus brancai als deutscher und tansanischer Erinnerungsort. In: WerkstattGeschichte (2018), Heft 77, S. 65–83 (pdf).

Weblinks

Commons: Tendaguru – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Bilddokument, Tendaguru-Expedition, W. Janensch. ID: 9106. Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin. Zuletzt abgerufen am 5. Februar 2013
  2. Hennig, E. (1912) Am Tendaguru. Leben und Wirken einer deutschen Forschungs-Expedition zur Ausgrabung vorweltlicher Riesensaurier in Deutsch-Ostafrika. Stuttgart: Schweizerbart. (Zeitgenössischer Bericht, von kolonialem Gedankengut geprägt)
  3. Janensch, W. (1914). Übersicht über der Wirbeltierfauna der Tendaguru-Schichten nebst einer kurzen Charakterisierung der neu aufgeführten Arten von Sauropoden. Archiv für Biontologie, 3(1), S. 81–110 (PDF)
  4. Taylor, M.P. (2009). A re-evaluation of Brachiosaurus altithorax RIGGS 1903 (Dinosauria, Sauropoda) and its generic separation from Giraffatitan brancai (Janensch 1914). Journal of Vertebrate Paleontology 29(3):787–806.
  5. Zurück nach Afrika, Sürdddeutsche Zeitung v. 19.02.2021
  6. a b Angelika Franz: Streit um Rückgabe eines Dinosauriers. In: www.sueddeutsche.de. 19. Februar 2021, abgerufen am 4. Oktober 2021.
  7. Janensch, W. (1950). Die Skelettrekonstruktion von Brachiosaurus brancai. Palaeontographica, Supplement 7(I, 3):97–103.
  8. Museum für Naturkunde Berlin: Saurierwelt. In: www.museumfuernaturkunde.berlin. Abgerufen am 4. Oktober 2021.
  9. Hennig, E. (1915). Kentrosaurus aethiopicus, der Stegosauride des Tendaguru. Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin 1915:219–247
  10. Hennig, E. (1916). Zweite Mitteilung über den Stegosauriden vom Tendaguru. Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin 1916(6):175–182
  11. Hennig, E. (1925). Kentrurosaurus aethiopicus. Die Stegosaurier-Funde vom Tendaguru, Deutsch-Ostafrika. Palaeontographica Supplement 7:101–254
  12. Janensch, W. (1929). Ein aufgestelltes und rekonstruiertes Skelett des Elaphrosaurus bambergi. Mit einem Nachtrag zur Osteologie dieses Coelurosauriers. Palaeontographica, Supplement 7(I, 2):279–286.
  13. Janensch, W. (1935). Ein aufgestelltes Skelett von Dicraeosaurus hansemanni. Palaeontographica, Supplement 7(I, 2):301–308.
  14. Wild, R. (1991). Janenschia n. g. robusta (E. Fraas 1908) pro Tornieria robusta (E. Fraas 1908) (Reptilia, Saurischia, Sauropodomorpha). Stuttgarter Beiträge zur Naturkunde, Serie B 173:1-3.
  15. Remes, K. (2009). Taxonomy of Late Jurassic diplodocid sauropods from Tendaguru (Tanzania). Fossil Record 12(1): 23–46
  16. Heinrich, W.-D., Bussert, R., Aberhan, M., Hampe, M., Kapilima, S., Schrank, E., Schultka, S., Maier, G., Msaky, E., Sames, B. und Chami, R. (2001). The German-Tanzanian Tendaguru Expedition 2000. Fossil Record 4:223–237 (englisch)
  17. Cassian Magori, Charles Sanaane, Dinosaria wa Tendaguru, E&D Vision Publishers, Dar es Salaam, Tansania 1998, ISBN 9789987622061
  18. Maier, Gerhard. (2003) African Dinosaurs Unearthed: The Tendaguru Expeditions. Bloomington, Indiana: Indiana University Press, S. 305
  19. Kulturgutschutz - Datenbank geschützter Kulturgüter - Brachiosaurus brancai - vollständiges fossiles Skelett. Abgerufen am 4. Oktober 2021.
  20. Jörg Häntzschel: Ein Saurier und die Folgen. In: Süddeutsche Zeitung. 5. Februar 2020, abgerufen am 16. April 2020.
  21. Oliver Noffke: Der Knochenberg. rbb24, 16. Februar 20, abgerufen am 16. April 2020.