Thalassokratie

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Eine Thalassokratie (von altgriechisch θάλασσα thálassa „Meer“ und -kratie) ist ein maritim-kommerziell ausgerichteter Staat oder eine Vereinigung von Staaten, die über eine auf der Seemacht beruhende Überlegenheit zur Sicherung ihres Handelsmonopols sowie über eine leistungsfähige Wirtschaft und Handelsflotte verfügt. Der operative Einsatz der Seekriegsmittel zur Erlangung der Seeherrschaft setzt die zentrale Lenkung voraus. Thalassokratien legten seltener Wert darauf, das Landesinnere zu beherrschen.

Antike

Frühestes historisches Zeugnis ist Herodots Behauptung, dass Kreta unter Minos die „Thalassokratie“ über die Ägäis und das östliche Mittelmeer ausgeübt habe.[1] Auch Thukydides beschreibt eine Thalassokratie des Minos.[2] Daraus wurde eine minoische Thalassokratie abgeleitet, die aber inzwischen von den meisten Forschern angezweifelt wird.[3]

Eusebius von Caesarea nennt in seinem Werk Chronikon verschiedene Völker des östlichen Mittelmeerraumes[4], die zu dem einen oder anderen Zeitpunkt eine solche Vorherrschaft ausgeübt hätten.[3] Sowohl Mykener (ab etwa 1450 v. Chr.) als auch Phönizier (ab etwa 900 v. Chr.) und Punier (ab etwa 600 v. Chr.), vermutlich auch Etrusker haben auf Seeherrschaft ausgerichtete Handelsimperien errichtet. Eine Thalassokratie der Antike war Athen während des 1. und 2. Attischen Seebundes ab etwa 480 v. Chr.

Völker, die von der Seefahrt Abstand nahmen oder sich ihr nur zögerlich zuwandten, werden demgegenüber zuweilen als thalassophob charakterisiert.[5][6]

Mittelalter

Der Sache nach Thalassokratien sind die Seerepubliken Amalfi, Genua, Pisa, Venedig, Ancona (Italien) und Republik Ragusa (Dalmatien) im Mittelalter, das manuelische Portugal sowie der Bund der Hansestädte. Im Falle der Wikinger fehlt eine zentralisierte staatliche Grundlage, es handelt sich eher um organisierte Piraterie.

Im südostasiatischen Raum können das buddhistisch geprägte Srivijaya (7. bis 13. Jahrhundert) und das überwiegend hinduistische Majapahit (13. bis 16. Jahrhundert) als Thalassokratien beschrieben werden. Beide beherrschten wesentliche Teile des Malaiischen Archipels und der umliegenden Seewege. Unklar ist, ob es sich bei ihnen um einheitliche Reiche oder um lockere Zusammenschlüsse kleinerer Staatswesen (vergleichbar der Hanse im Nord- und Ostseeraum) handelte.[7][8]

Neuzeit

Das Britische Weltreich wurde im 19. Jahrhundert (ab der Niederlage Napoleons) die größte Kolonialmacht der Geschichte, das wesentliche Machtmittel dazu war die Beherrschung der Seewege. Sein Niedergang begann nach dem Ersten Weltkrieg. Die USA stiegen im 20. Jahrhundert zur Weltmacht auf. 1914 verfügte die US Navy unter anderem über mehr als 30 Schlachtschiffe und war nach der britischen Royal Navy und der deutschen Kaiserlichen Marine zur drittstärksten Kriegsflotte der Welt herangewachsen.

Hauptartikel: Geschichte der United States Navy und Militärgeschichte der Vereinigten Staaten

Beim Angriff der Japaner auf Pearl Harbor zunächst schwer getroffen, hatte die US Navy im Zweiten Weltkrieg im Pazifik maßgeblichen Anteil an der Niederwerfung des japanischen Reiches, insbesondere bei den Kämpfen

  1. Schlacht im Korallenmeer,
  2. Schlacht um Midway,
  3. Island Hopping (dt. „Inselspringen“), vor allem Saipan, Chuuk und Eniwetok.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs betrug die Flottengröße der US Navy etwa das Fünffache der britischen Royal Navy (Großbritannien). Der Vorsprung hat sich seitdem kontinuierlich vergrößert.

Die US Navy war 2008 mit 330.478 aktiven Soldaten und 108.576 Reservisten die personalstärkste und kampfkräftigste Marine der Welt und umfasste 287 Schiffe sowie über 3.700 Flugzeuge und Hubschrauber.[9]

Seit Jahren rüstet die Volksrepublik China ihre Volksbefreiungsarmee auf.[10] Die Marine der Volksrepublik China ist eine Teilstreitkraft der Volksbefreiungsarmee. Es gibt zahlreiche Territorialkonflikte im Chinesischen Meer.[11]

Abweichender Wortgebrauch

Abweichend vom oben genannten Gebrauch wurde der Begriff – auch in der Schreibweise „Thalattokratie“ – auf Zeitabschnitte der Erdgeschichte angewandt, für die eine „Vorherrschaft des Meeres“ angenommen wurde, so für die Kreide, die tatsächlich durch einen weltweit sehr hohen Stand des Meeresspiegels gekennzeichnet war.[12]

Literatur

  • A. Bernard Knapp: Thalassocracies in Bronze Age Eastern Mediterranean trade. Making and breaking a myth. In: World Archaeology. 24, 1993, H. 3, ISSN 0043-8243, S. 332–346.
  • N. H. Gale (Hrsg.): Bronze Age Trade in the Mediterranean. Papers presented at the Conference held at Rewley House, Oxford, in December 1989, Paul Åströms Forlag, Göteborg 1991, ISBN 91-7081-003-6, (Studies in Mediterranean Archaeology 90).
  • Imanuel Geiss: Geschichte griffbereit. Unter Mitarbeit von Gabriele Intermann, Michael Sommer. 6 Bände. 3. Auflage. Wissen.de, Gütersloh u. a. 2002, ISBN 3-577-14610-9.
  • Robin Hägg, Nanno Marinatos (Hrsg.): The Minoan Thalassocracy. Myth and Reality. Proceedings of the Third international Symposium at the Swedish Institute in Athens, 31 May – 5 June, 1982. Svenska Institutet i Athen, Stockholm 1984, ISBN 91-85086-78-9. (Skrifter utgivna av Svenska Institutet i Athen Ser. in 4°: 32)
  • Hans Kopp: Thalassokratie. Zur historischen Semantik und Wirkungsgeschichte eines Hilfsbegriffs. In: Ernst Baltrusch, Hans Kopp, Christian Wendt (Hrsg.): Seemacht, Seeherrschaft und die Antike (= Historia Einzelschriften. Band 244). Franz Steiner, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-515-11431-8, S. 27–45.
  • Halford Mackinder: Democratic Ideals and Reality. Norton, New York NY 1962, OCLC 394543.
  • Alfred Thayer Mahan: Der Einfluß der Seemacht auf die Geschichte 1660–1812. Herausgegeben von Gustav A. Wolter. Koehler, Herford 1967, DNB 457486376.
  • Elmar B. Potter, Chester W. Nimitz: Seemacht. Eine Seekriegsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Bernard & Graefe, München 1974, ISBN 3-7637-5112-2.
  • P. W. Waider: Zu den ägyptisch-agäischen Handelsbeziehungen zwischen c. 1370 und 1200 v. Chr. Handelsgüter und Handelswege. In: Münstersche Beiträge zur antiken Handelsgeschichte. 8, 1989, ISSN 0722-4532, S. 1–28.
  • M. Weiner: The Isles of Crete? The Minoan thalassocracy revisited. In: D. A. Hardy, C. Doumas, J. A. Sakellarakis, P. M. Warren (Hrsg.): Thera and the Aegean World III. Proceedings of the Third International Congress of Thera and the Aegean World on Santorini, Greece, 3. – 9. September 1989. Band 1: Archaeology. Thera Foundation, London 1990, ISBN 0-9506133-4-7, S. 128–161.

Einzelnachweise

  1. vgl. Herodot, Historien 1,171; Herodot 3,122
  2. vgl. Thukydides 1,4,1
  3. a b A. Bernard Knapp: Thalassocracies in Bronze Age Eastern Mediterranean Trade. Making and breaking a myth. In: World Archaeology. 24/3, 1993, S. 332.
  4. laut August Strobel: Der spätbronzezeitliche Seevölkersturm. Berlin, New York 1976, S. 117 um 1250 v. Chr. Minos; nach dem Fall Trojas etwa 1182 v. Chr.; Lyder 1175 v. Chr., Pelasger 1057 v. Chr. (967 v. Chr.; 963 v. Chr.), Thraker 1006 v. Chr., Rhodier 916 v. Chr. usw.
  5. Karl Polanyi: Suggested subjects for our interdisciplinary project, Memo 1, 1954. In: Karl Polanyi, Conrad M. Arensberg (Dir.): Selected memoranda on economic aspects of institutional growth, 1957, Band IV, S. 5–7. Columbia University Interdisciplinary Project, 1953–1958. Ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt, aber online auf der Website der University of California San Diego.
  6. Raimund Schulz: Die Antike und das Meer. Primus Verlag, 2005, ISBN 9783896782618, S. 66.
  7. Donald B. Freeman: Straits of Malacca. Gateway or Gauntlet? McGill-Queen's University Press, 2003, S. 82–83.
  8. Hermann Kulke: Srivijaja – Ein Großreich oder die Hanse des Ostens? In: Stephan Conermann (Hrsg.): Der Indische Ozean in historischer Perspektive. EB-Verlag, Hamburg 1998 (= Asien und Afrika 1), S. 57–89, ISBN 3-930826-44-5.
  9. Quelle: Status of the Navy bei der Internetseite der US Navy. Stand: 3. September 2008, eingesehen am 2. Oktober 2008.
  10. Nele Noesselt: Alternative Weltordnungsmodelle? VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-17328-3. (online auf: springer.com)
  11. siehe auch: Stronger Chinese Navy Worries Neighbors and US. auf: spiegel.de, 14. September 2012.
  12. Hans Murawski, Wilhelm Meyer: Geologisches Wörterbuch. 11. Auflage. Elsevier/Spektrum, Heidelberg 2004, ISBN 3-8274-1445-8, S. 223.