Ulla Johansen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Ulla C. Johansen (* 17. Juni 1927 in Tallinn/Estland; † 14. Februar 2021 in Köln[1]) war eine deutschsprachige Ethnologin.

Leben

Ulla Johansen Mutter war deutsch-estnischer und der Vater, der Historiker Paul Johansen, dänischer Abstammung. Aufgrund der sowjetischen Besetzung des Baltikums infolge des Hitler-Stalin-Paktes musste die Familie 1939 Estland verlassen und zog in das Deutsche Reich. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Ulla Johansen im Jahr 1947 ein Studium der Geschichte in Hamburg auf. Ihr Vater fand in Hamburg eine Stelle als Professor und empfahl ihr, als Nebenfach Völkerkunde zu studieren; später wählte sie Völkerkunde als Hauptfach. Als zweites Nebenfach belegte sie zunächst Volkskunde. Johansen studierte bei Walter Hävernick Volkskunde, bei Hermann Aubin Geschichte und bei Franz Termer Völkerkunde sowie bei Annemarie von Gabain Turkologie.

Johansen promovierte nach einer Empfehlung von Kunz Dittmer, dem Leiter der Afrika-Abteilung des Museums für Völkerkunde Hamburg, zum Thema „Ornamentik der Jakuten“.

Nach der Promotion arbeitete Johansen zunächst als Übersetzerin für das Deutsche Rote Kreuz, bis sie 1954 bis 1955 eine Stelle als „wissenschaftliche Hilfsarbeiterin“ (heute: Assistentin) im Hamburgischen Museum für Völkerkunde annahm. Dort hatte sie die Möglichkeit, durch die Bearbeitung der Sojoten-Sammlung erste Vorbereitungen für ihre einjährige Feldforschung in der Türkei 1956 zu treffen, bei der sie mit einer Nomaden-Familie zusammenlebte. Weitere Forschungsaufenthalte in der Türkei folgten 1964, 1983 und 1989, sowie eine Gastprofessur 1970 in Istanbul.

1958 wurde sie Stipendiatin am Hamburger Museum. In den Jahren 1962 bis 1965 leitete sie die Abteilung Süd- und Ostasien im Hamburgischen Museum für Völkerkunde. Eine Assistenzstelle von 1966 bis 1968 am Südasien-Institut in Heidelberg ermöglichte es ihr, ihre Habilitationsschrift „Die Schamanentracht bei den Tuvanern. Vorschläge zu Methodik der Schamanismusforschung“ zu beenden und 1968 an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg zu habilitieren, um kurz darauf Dozentin am Südasien-Institut in Heidelberg bis 1972 zu werden.

1973 wurde Johansen als Professorin für Völkerkunde nach Köln berufen, wo sie auch bis 1990 Direktorin des Instituts für Ethnologie der Universität war. Zwischen 1976 und 1980 war sie Vorsitzende des Fachausschusses Völkerkunde der DFG und zwischen 1981 und 2001 Kommissionsmitglied des Auswahlausschusses der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Zudem war sie von 1980 bis 1995 Projektleiterin Ethnologie im Sonderforschungsbereich der DFG „Tübinger Atlas des Vorderen Orients“ und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (1985–89).

Nach der Emeritierung 1990 arbeitete sie u. a. als Gastprofessorin an den Universitäten Leipzig und Tartu und an der Hochschule „Humanitär-Institut“ in Tallinn und führte Feldforschungen mit Studierenden in Estland durch. 1998 bis 2007 war sie Präsidentin der Societas Uralo-Altaica.

Johansen erhielt verschiedene Auszeichnungen, z. B. die Werner-Heisenberg-Medaille für „besondere Verdienste in der Förderung der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit“ (1990), die Medaille der „International Society for Shamanistic Research“ für Arbeiten zum Schamanismus (2001) und die Medaille und Ehrenurkunde des Parlaments der Republik Sacha (Jakutien) für „Beitrag zur sozialen Entwicklung der Republik“ (Geschichte) (2008). Im April 2018 wurde Johansen vom russischen Präsidenten Wladimir Putin die goldene Medaille der russischen Geographischen Gesellschaft überreicht.

Wissenschaftliche Schwerpunkte

Ihre thematischen Interessen lagen vorwiegend in der Ethnohistorie, der materiellen Kultur, der Sozialorganisationen, kognitiven Strukturen und Religion (insbes. dem Schamanismus). Ihre regionalen Schwerpunkte lagen im Vorderen Orient und Mittelasien, sowie Sibirien und Nordost-Europa. Während ihrer Laufbahn im Museum wirkte sie in mehreren Ausstellungen mit oder veranstaltete eigene Ausstellungen im Hamburgischen Museum für Völkerkunde (z. B. „Im Zeltlager eines kleinasiatischen Hirtenstammes“ oder über die „Textilkunst der Maya-Indianer in Guatemala“).

Werke

  • mit D. R. White: Network Analysis and Ethnographic Problems. Process Models of a Turkish Nomad Clan. 2. Auflage. Lexington Books, Lanham / Boulder / New York / Toronto / Oxford 2004/2006, XXXVII
  • Türkiye’de yörüklerin yayla hayatı – elli yil önce (Das Leben der Nomaden auf Sommerweiden der Türkei – vor fünfzig Jahren). Kültür ve Turizm Bakanlığı Yayınları, Ankara 2005
  • mit S. Knödel: Tibetische Religionen und der Schamanismus. Symbolik der Religionen, Bd. 23, Stuttgart 2000
  • Der eurasiatische Schamanismus. Neanderthal-Museum: Zur Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Mettmann 2000
  • Mit T. Franke und C. Sabel: Beruf und Ethik. Kriterien sozialer Schichtung bei Kleinstädtern in Estland. Kölner Ethnologische Arbeitspapiere, Bd. 7, Bonn 1994
  • Uued teooriad ja meetodid etnoloogias (Neue Theorien und Methoden in der Ethnologie). Loengukonspekt. Eesti ajaloo kateeder. Tartu 1991 Lehrbuch für den Gebrauch der Studenten.
  • Die Ornamentik der Jakuten, Hamburg 1954, OCLC 720338943, DNB 480494983 (Dissertation Universität Hamburg, Philosophische Fakultät, 28. Mai 1954, 183 Seiten).

Literatur

  • Bettina Beer: Frauen in der deutschsprachigen Ethnologie. Ein Handbuch. Böhlau, Köln / Weimar / Wien 2007, ISBN 978-3-412-11206-6.

Weblinks

Einzelbelege