Ulrich Schreiber (Kulturmanager)

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Ulrich Schreiber, 2017

Ulrich Schreiber (* 1951 in Solingen) ist ein deutscher Kulturmanager. Er ist Gründer und Leiter des Internationalen Literaturfestivals Berlin, Co-Gründer und Co-Leiter des Internationalen Literaturfestivals Odessa.[1]

Leben

Schreiber studierte von 1973 bis 1981 Philosophie, Politik und Russisch an der FU Berlin und absolvierte 1984 das II. Staatsexamen in Celle.

Von 1979 bis 1981 war er Redakteur der Zeitschrift Moderne Zeiten. 1980 war er Mitbegründer der Berliner und 1983 Gründer der Hamburger Volksuniversität. 1985 leitete er das Deutsch-Italienische Kulturfestival in Hamburg. In den 1980er und 1990er Jahren arbeitete er als Kulturmanager und Architekt in Hamburg, Stuttgart und Berlin. 1989 gründete er die Internationale Peter Weiss-Gesellschaft, der er bis 1998 vorstand. 1998 organisierte er die Thomas-Bernhard-Tage in Berlin.

2001 gründete er das Internationale Literaturfestival Berlin, das von der Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik e. V veranstaltet wird.[2][3]

Schreiber ist einer der Mitinitiatoren des PEN World Voices-Festivals, des The New York Festival of International Literature und eines Literaturfestivals in Mumbai 2007. Außerdem organisiert er seit 2006 die Weltweiten Lesungen. Schreiber war bis zu seinem Austritt Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland[4] und 2022 Mitgründer des PEN Berlin.[5]

2015 gründete er mit Hans Ruprecht das Internationale Literaturfestival Odessa.[6][7]

Ulrich Schreiber lebt in Berlin.

Kontroversen

2001–2018

In den Medien werden Schreiber seit Gründung des Berliner Literaturfestivals bis in die Gegenwart verschiedene Vorwürfe gemacht. So zeichne sich das Festival durch „Undurchschaubarkeit der Strukturen“ und „Chaos der Abmachungen und internen Abläufe“ aus. Schreiber gebäre sich mit „Absolutheitsanspruch und anarchischem Gestus“. (Tagesspiegel, 2001)[8] Mitarbeiter müssten für „bescheidenes Geld“ arbeiten – und dies „so viel sie können“ (NZZ, 2002).[9] Das ilb habe eine „fehlende Mitte“ und Schreiber zeichne sich durch „Großmannssucht“ aus (Die Welt, 2003).[10] Das Festival beschäftige „schlecht bezahlte Mitarbeiter“ und „gar nicht bezahlte Praktikantinnen“, zudem zeichne es sich durch „Konzeptlosigkeit“ und „chaotische Diskussionsrunden“ aus, und Schreiber sei ein Mann, der Kritiker „unhöflich anblafft“ und auf Kritik „ungehalten“ reagiert.(Die Welt, 2003).[11] Das Festival müsse sich endlich „professionalisieren“, denn derzeit zeichne es sich durch „Selbst- und Fremdausbeutung“, „Organisationsmängel“, „beschämende“ Honorare, „unvorbereitete Moderatoren“ sowie „zuweilen enttäuschende Autoren“ (Tagesspiegel, 2004) aus.[12] Beim ilb, das von „Praktikantenheerscharen“ organisiert werde und dem seine „Aufblähung und die Ausrichtung auf prominente Autoren nicht gut bekommen“ sei, wurden Förderungen „mehrmals für andere Zwecke“ ausgegeben. Kritisiert wurde zudem die Bezahlung der Auftretenden, die 2003 „ohne Honorar“ auftraten und 2004 „für 100 Euro“, worauf Schreiber vom Hauptstadtkulturfonds aufgefordert wurde, „dass weniger Autoren eingeladen werden sollen und die übrigen dafür besser bezahlt werden müssen“. Auch anderweitig sei das Festival an Grenzen gestoßen: „an finanzielle, an die der Arbeitsbelastung im kleinen, kärglich bezahlten Organisationsteam und an Grenzen der Toleranz bei Förderern und Partnern“.[13] Die Sektionen des Festivals hätten etwas „Beliebiges, schwer Durchschaubares“ und wirken wie „notdürftig hergestellte, allein die Organisation erleichternde Strukturmaßnahmen“ (taz, 2007).[14] Schreiber wolle „Masse um jeden Preis“, lade zu seinem Festival alles ein, „was nicht bei drei auf den Bäumen“ sei und arbeite in seiner Organisation mit „vorzugsweise weiblichen Praktikantinnen“.[15] Schreiber kombiniere „Chaos und Selbstausbeutung“ (Tagesspiegel, 2007)[16], er zahle Beteiligten nur „Dumpinghonorare“ (Tagesspiegel, 2007)[17], ihm fehle ein „stringentes Konzept“ (Tagesspiegel, 2007)[18] Beim ilb habe man es mit einem bis zur „Blödsinnigkeit auf Masse setzenden Event“ zu tun, das nur „überschaubare Besucherzahlen“ aufweise.(taz, 2008)[19] Zudem sei überraschend, dass beim Festival die Entwicklung „von der Literatur weg und zur Politik“ hinführe sowie dass „das Reden über alles Mögliche zum Kerngeschäft“ und so die „Begegnung mit den Schreibenden und ihrem Schreiben an den Rand gedrängt“ werde (FAZ, 2018)[20]

2022: Vorwurf des Machtmissbrauchs

Vorwürfe

Noch vor Öffentlichwerden des Vorwurfs des Machtmissbrauchs sagte Klaus Lederer am 7. September 2022 bei der Eröffnungsgala des Internationalen Literaturfestivals in Berlin, dass das ILB seine Potenziale noch "nicht ausgereizt“ habe. Er forderte für das Festival eine „Aufbruch zu neuen Ufern“, ein „neues Miteinander“ und die Bereitschaft, sich „auf die notwendigen Veränderungen einzulassen“. (YouTube-Kanal des Festivals)[21]

Am 16. September 2022 machte die taz[22] bekannt, dass Mitarbeiter des Internationalen Literaturfestivals Berlin in einer E-Mail an Kulturstaatsministerin Claudia Roth, Kultursenator Klaus Lederer und die Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik von "furchtbaren" und "unhaltbaren" Zuständen, von "Machtmissbrauch in Form von direktem Anschreien, lautem, aggressivem, drohendem Umgangston", von „Abwerten, Bloßstellen und Ignorieren von Mitarbeiter*innen“ und von einem "toxischen Arbeitsklima" unter Ulrich Schreiber berichteten. So sei dessen Führungsstil „in einem nicht akzeptablen Maß“ von „Aggressivität, Respektlosigkeit, Misstrauen und Unprofessionalität“ geprägt. "Wutausbrüche", "Kündigungsandrohungen" und ein „dauerhaft deutlich zu hohes, meist bis zum äußersten ausgereiztes Arbeitspensum in viel zu wenigen Arbeitsstunden“ seien an der Tagesordnung. Die „psychische und physische Gesundheit“ der Mitarbeiter, die unter Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Herzrhythmusstörungen und Zusammenbrüchen litten, sei „in akuter Gefahr“. Die Mitarbeiter fordern eine personelle Neuaufstellung, weil sie der Auffassung sind, dass "ein solcher Führungsstil der Vergangenheit angehören muss".

Die Berliner Zeitung schrieb am 24. September 2022[23], der "Leidensdruck der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" müsse "groß sein", wenn sie es in Kauf nähmen, die "Aufmerksamkeit von dem Ergebnis ihrer Arbeit zu den Bedingungen ihrer Arbeit" zu lenken. Im Gespräch mit ehemaligen und aktuellen Mitarbeitern des Festivals berichteten diese der Berliner Zeitung, dass Ulrich Schreiber als "Chef komplett ungeeignet" sei. Er strahle "Aggression" aus, sei "größenwahnsinnig" sowie "impulsiv, unstrukturiert, respektlos und unzuverlässig". Mitarbeiterinnen würden von ihm für "dumm gehalten" und "angeschrien". Das Festivalteam habe "Angst", bestimmte "Themen anzusprechen" und "schuftet" sich "krank" und . Es wurde von einer Mitarbeiterin berichtet, die "kurz vor Festivalbeginn mit dem Krankenwagen abgeholt wurde", sowie einer weiteren, der "ärztlich eine Belastungsdepression diagnostiziert wurde". Zudem gebe es beim ilb "dreizehn, vierzehn Stunden" lange Arbeitstage. Vorsitzende des Trägervereins der Literaturfestivals, der Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik, seien Ulrich Schreiber und dessen Frau, sodass Schreiber "sein eigener Arbeitgeber" sei. Mitglieder des Trägervereins des Literaturfestivals seien vor allem "Freunde und Bekannte" von Schreiber.

Das Neue Deutschland zitiert am 27. September 2022[24] eine mitarbeitende Person des Festivals: "Wir halten das nicht mehr aus". Berichtet wird, dass Schreiber "mehrfach Leute zum Weinen gebracht hätte" und Schreien seiner Ansicht nach "Interpretationssache" sei. Schreiber "nutzt seine Machtposition aus und demonstriert sie ständig", was "erniedrigend" fürs Team sei, so ein weiterer Vorwurf. Zudem hätte Schreiber die Konflikt-Meditation "geradezu als Legitimation genutzt, um sein unangemessenes Verhalten fortzuführen, anstatt daran etwas zu ändern", in dem er sich "sich über die Mediation vor Kolleg*innen lustig gemacht" habe.

Reaktion von Schreiber

Ulrich Schreiber sagte der taz[25] hinsichtlich der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, er sei ab und an „etwas ungehalten gewesen“ und habe „hin und wieder mal die Stimme gegenüber Mitarbeitern erhoben“. Dennoch treffe das von ihm gezeichnete Bild "nicht zu". Eine personelle Neuaufstellung des Festivals schließe er aus. Gleichzeitig versprach Schreiber "strukturelle Änderungen", indem er vor allem das Festival "verkleinert".

Auch auf Deutschlandfunk Kultur[26] sagte Schreiber, er glaube nicht, dass das Bild, das von ihm gezeichnet werde, richtig sei, sondern "völlig überzogen" und "einfach absurd". Wutausbrüche kämen bei ihm "so gut wie nicht vor". Allerdings erhob er "in einzelnen Situationen" seine Stimme. Es möge "den einen oder anderen geben, der das Anheben der Stimme [...] als Wutausbruch bezeichnet". Dies sei jedoch "mitnichten an der Tagesordnung" und es käme nur "ein paar Mal im Jahr vor". Ebenso "Kündigungsandrohungen" seien "mitnichten an der Tagesordnung". Schreiber räumt jedoch ein, 2021 zwei Mitarbeiterinnen mit der Kündigung gedroht zu haben. Ebenso bestätigt er, er habe "in einigen Situationen in der Vergangenheit nicht angemessen reagiert", was er bedaure. Die hohe Arbeitsbelastung für das Team habe er "falsch eingeschätzt". Ihm gingen die "Vorwürfe nahe". Er sei ein "Fehler" von ihm gewesen, nicht schon früher mit dem Team über "Arbeitskultur" geredet zu haben. Er bedaure seine Fehler. In seinem Führungsstil gebe es "erheblich Luft nach oben". Ein Rücktritt als Festivalleiter käme trotz der Vorwürfe für ihn jedoch "nicht in Frage".

In der Berliner Zeitung vom 24. September 2022[27] sagte Schreiber, es habe in der 22-jährigen Festivalgeschichte "verschiedene Konflikte und diverse Unzufriedenheiten" gegeben. Die Eskalation im Jahr 2022 habe ihn dennoch "überrascht". Er bekräftigte nochmals, er würde sein lautes Sprechen "nicht als Wutausbruch bezeichnen" und "an der Tagesordnung" seien "derartige Auseinandersetzungen schon mal gar nicht" Dennoch "bedauere" er sein Verhalten und müsse sich "in Zukunft zusammenreißen“. Für das kommende Festival verspricht Schreiber: "Weniger Autoren, weniger Veranstaltungen, mehr Personal".

In einem weiteren Interview mit der Berliner Zeitung vom 24. September 2022[28] sagte Schreiber, dass man die Wut, die ihm vorgeworfen werde, "so oder so definieren" könne. Zudem habe er die zu große Größe des Festivals für dessen Organisationsteam "in diesem dramatischen Ausmaß" nicht wahrgenommen.

Auch im Neuen Deutschland vom 27. September 2022[29] bestreitet Schreiber, dass "Wutausbrüche und Kündigungsandrohungen an der Tagesordnung stehen", sondern viel mehr "Unwahrheiten" seien. Gleichzeitig räumt er ein, dass er "das eine oder andere Mal seine Stimme gegenüber Angestellten erhoben" habe, wenn auch nicht täglich.

Weitere Reaktionen

Auf Twitter kritisierte Robin Detje am 16. September 2022[30], Schreiber habe ihm vor vielen Jahren "von seinen neuen jungen Mitarbeiterinnen" vorgeschwärmt, und dies "auf anzüglichste Weise". Er frage sich, wie viele Freunde man haben müsse, "um trotzdem so lange im Amt zu bleiben". Am 18. September forderte Friederike Busch auf Twitter Klaus Lederer dazu auf, "konsequent und umfassend" für einen "echten Neuanfang" zu sorgen.[31] Die Koalition der Freien Szene Berlins forderte am 21. September 2022 eine "transparente Aufarbeitung der Vorwürfe" und - sollten sich diese als begründet herausstellen – eine "personelle wie strukturelle Konsequenzen und eine Neuaufstellung".[32] "Die Arbeit des Internationalen Literaturfestivals" baue "zweifelsfrei" auf "unentgeltliche Arbeit (Ehrenamt), Belastung über geregelte Arbeitszeiten hinaus sowie prekäre Bezahlung" auf, was "von der Politik ernst genommen und konsequent angegangen werden" müsse.

Schriften

als Autor
als Herausgeber
  • Weißbuch für Kulturpolitik in Hamburg. Hamburg 1986
  • Die Bilderwelt des Peter Weiss. Hamburg / Berlin 1995
  • Anthologien und Kataloge des ilb 2001–2017

Auszeichnungen

  • 2015 wurde Schreiber für seinen „Beitrag zur Ausstrahlung der Künste und der Literatur in Frankreich und in der Welt“ zum „Chevalier“ des Ordre des Arts et des Lettres ernannt.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Literaturfestival in Odessa - Ein Schritt in die Weltkultur. Deutschlandfunk, 4. Oktober 2015, abgerufen am 11. Januar 2022.
  2. Lohnender Wahnsinn. Spiegel Online, 21. September 2002
  3. Mit 80 Autoren um die Welt. Berliner Zeitung, 12. Juni 2001
  4. Mitglieder. In: PEN-Zentrum Deutschland. Abgerufen am 17. Juli 2022.
  5. Mitgründer:innen. Abgerufen am 17. Juli 2022.
  6. Internationales Literaturfestival Odessa (ILO), 1.-4. Oktober 2015, auf den Seiten des Internationalen Literaturfestivals Berlin. Abgerufen am 26. November 2015
  7. Seite des Literaturfestivals Odessa
  8. Literaturfestival Berlin: Der Fluch der Unruhe. Abgerufen am 7. September 2022.
  9. Fest der Enthusiasten. Abgerufen am 7. September 2022.
  10. "2. Internationales Literaturfestival" geht in Berlin zu Ende. Abgerufen am 7. September 2022.
  11. Auf einer anderen Baustelle. Abgerufen am 7. September 2022.
  12. Kleiner Bruder. Abgerufen am 10. September 2022.
  13. Wer zahlt, schafft an. Abgerufen am 10. September 2022.
  14. Mehr Welt denn je. Abgerufen am 7. September 2022.
  15. https://taz.de/Literaturfestival-Berlin/!5194896/. Abgerufen am 7. September 2022.
  16. Enthusiasmus siegt. Abgerufen am 7. September 2022.
  17. Enthusiasmus siegt. Abgerufen am 7. September 2022.
  18. Enthusiasmus siegt. Abgerufen am 7. September 2022.
  19. Leise Auftritte. Abgerufen am 7. September 2022.
  20. Zwei Kerle für Ronja. Abgerufen am 7. September 2022.
  21. Eröffnung 22. ilb – David Van Reybrouck: Die Kolonisierung der Zukunft (Deutsch). Abgerufen am 7. September 2022.
  22. Ausbeutung zwischen den Zeilen. Abgerufen am 20. September 2022.
  23. Wann wird ein genialer Chef untragbar? Abgerufen am 24. September 2022.
  24. Kultur der Erniedrigung. Abgerufen am 27. September 2022.
  25. Ausbeutung zwischen den Zeilen. Abgerufen am 20. September 2022.
  26. „Überzogene Vorwürfe“ – ilb-Leiter Schreiber wird Machtmissbrauch vorgeworfen. Abgerufen am 24. September 2022.
  27. Wann wird ein genialer Chef untragbar? Abgerufen am 24. September 2022.
  28. Ulrich Schreiber: „Wutausbrüche sind mitnichten an der Tagesordnung“. Abgerufen am 24. September 2022.
  29. Kultur der Erniedrigung. Abgerufen am 27. September 2022.
  30. Bei unserer einzigen Begegnung. Abgerufen am 24. September 2022.
  31. “So sollen die Missstände bei Angestellten. Abgerufen am 24. September 2022.
  32. Koalition der Freien Szene Berlin fordert umfassende Aufklärung der Vorwürfe gegen Ulrich Schreiber und Konsequenzen beim Literaturfestival Berlin. Abgerufen am 24. September 2022.