United Nations War Crimes Commission

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die United Nations War Crimes Commission (UNWCC) war eine Kommission alliierter Staaten zur Beweismittelsicherung und strafrechtlichen Ahndung von Kriegsverbrechen der Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg, die am 20. Oktober 1943 in London gegründet wurde und bis Ende März 1948 bestand.

Aufgaben

Gründungsmitglieder waren diese 17 Nationen:[1] Vereinigte Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Australien, Kanada, Neuseeland, Südafrika, Tschechoslowakei, Polen, Jugoslawien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Belgien, Griechenland, Indien und China, das eine der treibenden Kräfte bei der Gründung war. Die Sowjetunion, obwohl an den Vorverhandlungen beteiligt, trat der Organisation nicht bei, da ihre Forderung nach sieben individuell stimmberechtigten Sitzen (UdSSR, Ukraine, Weißrussland, Lettland, Estland, Litauen, Moldau) nicht erfüllt wurde. Die dominierenden Nationen Großbritannien, USA und China waren nur bereit, Stimmrechte für die ersten drei „Republiken“ zuzugestehen.[2]

Die Aufgaben der Kommission umfassten:

  • Beweismittelsammlung und Dokumentation von Kriegsverbrechen
  • Entgegennahme von Anzeigen durch Mitgliedsstaaten bezüglich Kriegsverbrechen
  • Erstellung und Veröffentlichung von Kriegsverbrecherlisten
  • Erarbeitung von Verfahrensfragen und Auslieferungsabkommen
  • Berichterstattung gegenüber den alliierten Regierungen

Nach zähen Verhandlungen wurde als provisorischer Vorsitzender zunächst Sir Cecil Hurst und ab Januar 1945 Lord Wright of Durley berufen. Drei Komitees mit Unterausschüssen wurden gebildet:

  1. Tatsachen und Beweise,
  2. Durchführungsfragen und
  3. Beratendes Komitee.

Die erste Zusammenkunft erfolgte am 26. Oktober 1943. Im Februar 1944 wurden erste Beweise für deutsche Kriegsverbrechen an die UNWCC übergeben. Im Mai 1944 wurden Planungen für die Verhaftung führender Repräsentanten des Dritten Reiches vorgenommen und die Empfehlung ausgesprochen, nach Kriegsende alle Angehörigen der SS und Gestapo zur weiteren Ermittlung ab einem bestimmten Rang zu erfassen.

Bis Anfang 1945 beschränkte sich das alliierte Juristengremium aber im Wesentlichen auf Organisations- und Grundsatzaspekte. Weil Beweismittel nur zögerlich eintrafen, die eine Arbeitsgrundlage gebildet hätten, erörterten die Kommissionsmitglieder die juristische Problematik. Insbesondere zwei Fragen konnten bis Kriegsende nicht geklärt werden. Hinsichtlich der Strafbarkeit von Angriffskriegen gab es keinen Konsens, die Diskussion ging kaum über jene hinaus, die bereits nach dem Ersten Weltkrieg geführt worden war. Darin blieb die Kommission in zwei Lager gespalten und es konnte keine Resolution verabschiedet werden. Was alles unter Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verstehen sei, war die zweite Frage, die kontrovers diskutiert wurde. Dass auch Fälle von Gräueltaten vor Kriegsbeginn bestraft werden sollten, war eine Auffassung, die sich nicht durchsetzte. Amerikanische und britische Regierung sprachen sich dagegen aus.[3]

Erst nach Kriegsende setzte die Beweismittelsicherung in vollem Umfang sowie die Kooperation mit nationalen Justizbehörden ein. Insgesamt wurden 8178 Akten angelegt, die Vorwürfe gegen 36.810 Verdächtige enthielten, von denen 34.270 Deutsche waren.[4] Vorliegende Daten wurden mit denen des 1945 von der amerikanischen und britischen Armee geschaffenen Central Registry of War Criminals and Security Suspects (CROWCASS) abgeglichen.[5] Bis August 1947 bestanden bereits 60 Listen mit den Namen von Kriegsverbrechern; unter den über 24.000 verzeichneten Personen befanden sich mehr als 22.000 deutsche Staatsangehörige. Zudem setzte sich die UNWCC auch für die Errichtung eines United Nations War Crimes Court durch die Vereinten Nationen ein, vor dem die Verhandlungen gegen die Hauptkriegsverbrecher stattfinden sollte. Die anderen Kriegsverbrecherprozesse sollten vor alliierten Militärgerichten stattfinden, soweit sie nicht in nationale Zuständigkeiten fielen.[6] Der Einfluss der UNWCC auf die Verfolgung von Kriegsverbrechen war jedoch beschränkt, da sie keine exekutiven Befugnisse hatte und auch die personellen und materiellen Mittel begrenzt waren. Daher richteten die USA und auch andere alliierte Nationen zusätzlich nationale Kommissionen zur Durchführung von Kriegsverbrecherprozessen ein.[7]

Nach Auflösung der UNWCC am 31. März 1948 wurden noch bis 1949 in 15 Bänden 89 Kriegsverbrecherverfahren in den Law Reports of Trials of War Criminals veröffentlicht.[8]

Hintergrund

Angesichts der deutschen Kriegsverbrechen in den besetzten Ländern kamen bereits im Januar 1942 Vertreter von neun in London ansässigen Exilregierungen zusammen und bildeten die inter-alliierte Kommission zur Bestrafung von Kriegsverbrechen (Inter-Allied Commission for the Punishment of War Crimes) zur strafrechtlichen Ahndung der begangenen Kriegsverbrechen. In der Erklärung von St. James wurde die strafrechtliche Verfolgung und Aburteilung von Kriegsverbrechern von den Exilregierungen der besetzten Staaten angekündigt. Im März 1942 wurden schließlich auf der „Internationalen Versammlung in London“ (London International Assembly) die „juristischen und theoretischen Grundlagen für die Tätigkeit der UNWCC und die geplanten Internationalen Prozesse in Nürnberg“[9] entwickelt. Großbritannien und die USA beschlossen am 7. Oktober 1942, auch auf Druck der in London ansässigen Exilregierungen, eine Untersuchungskommission zur Ahndung der Kriegsverbrechen einzusetzen. Diese United Nations Commission for the Investigation of War Crimes nahm erst über ein Jahr später nach der UNWCC ihre Tätigkeit auf.[10] Zudem wurde Mitte Dezember 1943 die European Advisory Commission (EAC) begründet, um auch die Koordination zwischen den Alliierten bezüglich der Verfolgung von Kriegsverbrechen zu gewährleisten. Dieses beratende Gremium der Alliierten setzte sich unter anderem mit Rechtsfragen und Problemen potentieller Kriegsverbrecherprozesse sowie den Modalitäten zur Identifikation und Festnahme von Kriegsverbrechern auseinander.[11] Die Absicht, nach einem Sieg über die Achsenmächte Kriegsverbrechen juristisch zu ahnden, wurde mit der Moskauer Deklaration am 1. November 1943, auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 sowie mit dem Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 bekräftigt. Am 8. August 1945 wurden auf der Londoner Konferenz mit dem „Abkommen zwischen der Regierung des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland, der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, der Provisorischen Regierung der Französischen Republik und der Regierung der Sozialistischen Sowjet-Republiken über die Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der Europäischen Achse“ die Weichen für das fast inhaltsgleiche Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 zur strafrechtlichen Ahndung der Kriegsverbrechen gestellt.[12]

Far Eastern Commission

Besonders auf Antrag Chinas wurde für den asiatischen Raum eine Sub-commission Pacific Affairs zur Verfolgung von japanischen Kriegsverbrechern gegründet. Deren Aufgaben wurde nach Gründung des Far Eastern Advisory Committee (FEAC) und seiner Umformung 1946 in die Far Eastern Commission (FEC) vom Arbeitsausschuß Committee No. 5: War Criminals übernommen. Die elf Mitgliedsländer des FEC entsandten Richter und Staatsanwälte an den Internationalen Militärgerichtshof für den Fernen Osten und führten bis 1951 Kriegsverbrecherprozesse in eigener Regie durch.

Literatur

  • Robert Sigel: Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945–48. Campus, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-593-34641-9.
  • Holger Lessing: Der erste Dachauer Prozess (1945/46). Nomos, Baden-Baden 1993, ISBN 3-7890-2933-5.
  • Wolfgang Form: Justizpolitische Aspekte west-alliierter Kriegsverbrecherprozesse 1942–1950. In: Ludwig Eiber, Robert Sigl (Hrsg.): Dachauer Prozesse – NS-Verbrechen vor amerikanischen Militärgerichten in Dachau 1945–1948. Wallstein, Göttingen 2007, ISBN 978-3-8353-0167-2.
  • Lothar Kettenacker: Die Behandlung der Kriegsverbrecher als anglo-amerikanisches Rechtsproblem. In: Gerd R. Ueberschär: Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952. Fischer, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-596-13589-3.
  • Alen Folnovic: Aspekte der Entwicklung der Rechtsfigur des Handelns auf Befehl im deutschen und internationalen Recht. Dissertation. Berlin 2007.
  • Boris Krivec: Von Versailles nach Rom – Der lange Weg von Nullum crimen, nulla poena sine lege – Bedeutung und Entwicklung des strafrechtlichen Gesetzesvorbehalts im völkerrechtlichen Strafrecht. Dissertation. Hamburg 2004.
  • Daniel Marc Segesser: Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Die Ahndung von Kriegsverbrechen in der internationalen wissenschaftlichen Debatte 1872–1945. Schöningh, Paderborn 2010 (Habil. Bern 2006), insbesondere S. 350–361.

Englisch:

  • UNWCC: Law Reports of Trials of War Criminals. 15 Bände. London 1947–1949. Als PDF verfügbar: [1]
  • Arieh Kochaveh: Britain and the Establishment of the UNWCC. In: English Historical Review. Vol. 107, 1992, № 423, S. 323 Kochaveh, 349.
  • M. E. Bathurst: The United Nations War Crimes Commission. In: Am Jnl Intl Law. Vol 39, 1945.
  • Robert Wright: The History of the United Nations War Crimes Commission and the Development of the Laws of War. London 1948.

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Form: Justizpolitische Aspekte west-alliierter Kriegsverbrecherprozesse 1942–1950. In: Ludwig Eiber, Robert Sigl (Hrsg.): Dachauer Prozesse – NS-Verbrechen vor amerikanischen Militärgerichten in Dachau 1945–1948. Göttingen 2007, S. 47 f.
  2. Philip Piccigallo: The Japanese on Trial. University of Texas Press, Austin 1979, ISBN 0-292-78033-8, S. 144.
  3. Telford Taylor: Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht, München 1994, ISBN 3-453-08021-1, S. 42 ff.
  4. Arieh Kochaveh: Britain and the Establishment of the UNWCC. In: English Historical Review. Vol. 107, Nr. 423, 1992, S. 323.
  5. War Crimes Trials Under the Royal Warrants 1945–1949; Intl and Comparative Law Quarterly 1990, S. 785, Fn. 35.
  6. Gerhard E. Gründler: International Military Tribunal (IMT), Nürnberg 1945 – 1946 (Memento vom 14. März 2009 im Internet Archive)
  7. Wolfgang Form: Justizpolitische Aspekte west-alliierter Kriegsverbrecherprozesse 1942–1950. In: Ludwig Eiber, Robert Sigl (Hrsg.): Dachauer Prozesse – NS-Verbrechen vor amerikanischen Militärgerichten in Dachau 1945–1948. Göttingen 2007, S. 47 ff.
  8. Holger Lessing: Der erste Dachauer Prozess (1945/46). Baden-Baden 1993, S. 49.
  9. Boris Krivec: Von Versailles nach Rom – Der lange Weg von Nullum crimen, nulla poena sine lege – Bedeutung und Entwicklung des strafrechtlichen Gesetzesvorbehalts im völkerrechtlichen Strafrecht. Hamburg 2004, S. 47.
  10. Lothar Kettenacker: Die Behandlung der Kriegsverbrecher als anglo-amerikanisches Rechtsproblem. In: Gerd R. Ueberschär: Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952. Frankfurt am Main 1999, S. 19 f.
  11. vgl. Holger Lessing: Der erste Dachauer Prozess (1945/46). Baden-Baden 1993, S. 50 f.
  12. Wolfgang Form, Helia-Verena Daubach: Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (OGH-BZ)