Videorasterstereographie

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Die Videorasterstereographie (kurz VRS; lateinisch videre = „sehen“ / altgriechisch στερεος stereos = „Raum/räumlich, fest“ /

γράφειν

= „zeichnen“, „schreiben, beschreiben“) ist ein computergestütztes lichtoptisches Verfahren, das in der medizinischen Diagnostik zur Vermessung und dreidimensionalen Oberflächen-Darstellung der Wirbelsäule eingesetzt wird, um ihren Verlauf und die Stellung des Beckens zu erfassen und zu dokumentieren.

Die VRS wird gelegentlich als strahlenfreie Ergänzung zum Röntgen während Verlaufskontrollen angeboten. Nach Analyse des IQWiG liegt jedoch keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz für ihren Einsatz vor und die ermittelten Werte stimmen nur unzureichend mit denen von Röntgenaufnahmen überein, so dass sie keine Alternative zum Röntgen ist und möglicherweise zu falschen Behandlungen führen kann.[1]

Anwendung

Funktionsweise

technische Funktionsweise der Videorasterstereographie (VRS)

Die VRS basiert physikalisch auf dem Prinzip der Triangulation.

Das Messsystem besteht aus einem Licht-Projektor, der ein Linienraster auf den Rücken des Patienten projiziert, das von einer Kameraeinheit aufgezeichnet wird. Eine Software analysiert die Linienkrümmungen und generiert daraus durch Photogrammetrie ein dreidimensionales Abbild der Oberfläche, gleichsam einen virtuellen Gipsabdruck. Anhand der Oberflächenkrümmung und durch die automatische Detektion anatomischer Fixpunkte lassen sich der räumliche Verlauf der Wirbelsäule und die Stellung des Beckens rekonstruieren.[2] Im Unterschied zur Röntgenuntersuchung liefert die VRS in nur einem Messvorgang Informationen über die gesamte Körperstatik und Haltung, wie Wirbelsäulenkrümmung (lateral und frontal), Wirbelkörperrotation oder Beckenstellung. Sogar muskuläre Dysbalancen lassen sich aus dem Krümmungsbild der Rückenoberfläche ablesen.

Messvorgang

Zur dreidimensionalen Wirbelsäulenvermessung steht der Patient mit entkleidetem Rücken in einem Abstand von ca. 2 Metern von der Stereobasis mit der Projektions- und Aufnahmevorrichtung entfernt. Der Patient nimmt seine natürliche Haltung ein, die Kniegelenke sollten locker gestreckt sein. Mittels einer zusätzlichen Simulationsplattform ist es möglich, eventuell vorliegende Beckenasymmetrien oder Beinlängendifferenzen unmittelbar auszugleichen. Für die Aufnahme ist der Raum leicht abzudunkeln, damit die Linienprojektion auf dem Rücken des Patienten gut sichtbar und störungsfrei abgebildet wird. Die Vermessung selbst dauert nur wenige Sekunden und ist einfach durchzuführen. Anhand der gewonnenen Daten erfolgt eine dreidimensionale Oberflächen-Analyse der Wirbelsäulenform und der Beckenposition.

schematische Darstellung einer Patientin bei einer videorasterstereographischen Untersuchung

Klinische Anwendung

Die Videorasterstereographie wird gelegentlich und ohne ausreichende wissenschaftliche Evidenz eingesetzt bei:

Alternativen

Das Prinzip der Optrimetrie basiert wie auch die VRS auf einer Darstellung des Patientenrückens mittels Videoaufnahme, die allerdings manuell nach der Oberflächenrotation ausgewertet wird. Dazu werden an mehreren verschiedenen, aus klinischer Sicht interessanten Stellen, die Streifen der Diaprojektion auf der einen Seite des Patientenrückens markiert und entlang der Rückenoberfläche verfolgt. Aus dem Startpunkt auf der einen Seite des Patientenrückens und ihrem Endpunkt auf der anderen Seite lässt sich eine Gerade darstellen, deren Winkel zur Horizontalen eine Aussage über die Rotation des Körpers an dieser Stelle zulässt. Zur Beurteilung des Verlaufs der Dornfortsätze müssen bei dem Patienten diese manuell mit Markern abgeklebt werden, was bei der VRS dagegen durch automatische Detektion geschieht. Darüber hinaus ist mit dem Optrimetrie-Verfahren im Unterschied zur VRS keine Analyse von Wirbelkörperrotationen und der Beckenstellung (Verwringung) oder die Darstellung einer mit dem Röntgenbild vergleichbaren Wirbelkörpermittellinie möglich. Auch eine 3D-Rekonstruktion der Wirbelsäule selbst ist mit diesem Verfahren nicht möglich.

Geschichte

Die Grundlagen für die Videorasterstereographie wurden in den 1980er Jahren an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster von der Abteilung für experimentelle Biomechanik unter der Leitung von Eberhard Hierholzer und Burkhard Drerup entwickelt.[2] Hintergrund war die Suche nach strahlungsfreien Methoden zur Verlaufsbeobachtung bei Patienten mit Skoliose.

Zunächst ging es um ein berührungsloses und strahlenfreies Vermessen und Anfang der 1990er Jahre kam mit dem DIERS formetric das erste medizinisch zertifizierte VRS-Messgerät auf den Markt.

Einzelnachweise

  1. a b Arne Hillienhof: Videorasterstereografie: Keine Alternative zum Röntgen bei Skoliose. In: Deutsches Ärzteblatt, 2019, Jahrgang 116, Ausgabe 49, 6. Dezember 2019, S. A2278, aerzteblatt.de abgerufen am 15. Dezember 2019
  2. a b W. Frobin, E. Hierholzer: Rasterstereography: A photogrammetric method for measurement of body surfaces. In: Photogrammetric Engineering & Remote Sensing Nr. 47, 1981, S. 1717–1724 PMC 6853417 (freier Volltext)
  3. W. Schupp, I. Säckler: Überprüfung der Okklusion bei einer kraniomandibulären Dysfunktion mit manual-medizinischer Diagnostik und der Formetric-Vermessung. In: Manuelle Medizin Nr. 43, 2005, S. 331–341. doi:10.1007/s00337-005-0381-5
  4. Marcel Betsch, Michael Wild, Pascal Jungbluth, Simon Thelen, Mohssen Hakimi: The rasterstereographic–dynamic analysis of posture in adolescents using a modified Matthiass test. In: European Spine Journal. Band 19, Nr. 10, 1. Oktober 2010, ISSN 0940-6719, S. 1735–1739, doi:10.1007/s00586-010-1450-6.
  5. J. Schröder et al.: Unmittelbare Effekte einer sensomotorischen Einlage auf die Wirbelsäulenform und die Aktivität posturaler Muskulatur beim Spreizfuß. In: Orthopädische Praxis Nr. 19, 2010, S. 1735–1739
  6. L. Hackenberg et al.: Rasterstereographic back shape analysis in idiopathic scoliosis after posterior correction and fusion. In: Clinical Biomechanics, Nr. 18, 2003, S. 883–889. PMC 14580831 (freier Volltext)