Vinylsulfonsäure

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Strukturformel
Strukturformel von Vinylsulfonsäure
Allgemeines
Name Vinylsulfonsäure
Andere Namen

Ethylensulfonsäure

Summenformel C2H4O3S
Kurzbeschreibung

farblose Flüssigkeit, die sich an der Luft rasch gelb-braun färbt[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 1184-84-5
EG-Nummer 214-676-1
ECHA-InfoCard 100.013.342
PubChem 62474
ChemSpider 56254
DrugBank DB04359
Eigenschaften
Molare Masse 108,12 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig[1]

Dichte

1,392 g·cm−3[2]

Siedepunkt
  • 114–115 °C (0,6 hPa)[3]
  • 128 °C (1,29 hPa)[4]
Brechungsindex

1,4499 (20 °C)[5]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[6]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Vinylsulfonsäure ist der einfachste Vertreter ungesättigter Sulfonsäuren.[7] Die aktivierte Doppelbindung bedingt die hohe Reaktivität gegenüber nucleophilen Agentien und die ausgeprägte Polymerisationsneigung, insbesondere bei der Verwendung als Comonomer mit funktionellen Vinyl-[8] und (Meth)Acrylsäureverbindungen.[9]

Gewinnung und Darstellung

Vinylsulfonsäure kann durch Dehydratisierung von Isethionsäure mittels Phosphorpentoxid hergestellt werden:[10]

Vinylsulfonsäure via Isethionsäure

Die Sulfochlorierung von Chlorethan nach Reed, Dehydrohalogenierung zum Vinylsulfonylchlorid und anschließende Hydrolyse des Säurechlorids führt ebenfalls zu Vinylsulfonsäure.

Vinylsulfonsäure durch Reed-Sulfochlorierung

Technisch relevant ist ausschließlich die alkalische Hydrolyse von Carbylsulfat mit anschließendem Ansäuern des entstehenden Natriumvinylsulfonats:[1]

Vinylsulfonsäure aus Carbylsulfat

Die Reaktion ist mit einer Reaktionsenthalpie von 1.675 kJ/kg stark exotherm und erfordert die exakte Einhaltung von Temperatur und pH-Wert bei der Hydrolyse. Mit Calciumhydroxid als Hydrolysemedium resultiert eine Lösung von Calciumvinylsulfonat, aus der beim Ansäuern mit konz. Schwefelsäure schwerlösliches Calciumsulfat ausfällt und eine farblose Vinylsulfonat-Lösung erhalten wird.

Eigenschaften

Reine Vinylsulfonsäure ist eine farblose, viskose und wasseranziehende Flüssigkeit, die sich an der Luft rasch gelb-braun bis dunkelrot verfärbt.[11] Reinigung durch Entfärbung mit Aktivkohle und Vakuumdestillation, sowie Stabilisierung der oxidationsempfindlichen Substanz, z. B. mit MEHQ erfordern erheblichen Aufwand, sind aber zur Erzielung hoher Molgewichte bei der (Co)Polymerisation[11] oder beim Einsatz in Elektronikmaterialien[12] unerlässlich. Wässrige Vinylsulfonsäure-Lösungen reagieren stark sauer.

Verwendung

An die aktivierte Doppelbindung der Vinylsulfonsäure können leicht Nucleophile addiert werden; so entsteht mit Ammoniak Taurin und mit Methylamin N-Methyltaurin, das als Ausgangsmaterial für die Tensidklasse der Tauride dient. Vinylsulfonsäure wird als reaktionsfähiges Monomer zur Herstellung von stark sauren bzw. anionischen Homo- und Copolymeren eingesetzt, die in der Elektronikindustrie in Photoresists, als leitfähige Polymere und in Polymerelektrolymembranen (PEM) für Brennstoffzellen Verwendung finden. So bildet Polyvinylsulfonsäure transparente Membranen mit hoher Ionenaustauschkapazität und Protonenleitfähigkeit.[13] Vinylsulfonsäure kann auch auf polymere Träger, wie z. B. Polystyrol gepfropft werden, wobei stark saure Ionenaustauscher erhalten werden, die sich als Katalysatoren für Veresterungen und Friedel-Crafts-Acylierungen eignen.[14] Wo die Sulfonsäurefunktionalität nicht unbedingt erforderlich ist, wird die wesentlich anwenderfreundlichere alkalisch-wässrige Lösung des Natriumvinylsulfonats eingesetzt, das bei der alkalischen Hydrolyse des Carbylsulfats direkt anfällt.

Einzelnachweise

  1. a b c Patent US3872165: Manufacture of vinyl sulfonates and vinylsulfonic acid from carbylsulfate. Angemeldet am 30. November 1971, veröffentlicht am 18. März 1975, Anmelder: BASF, Erfinder: Roland Dahlinger, Walter Schenk, Dieter Stockburger.
  2. Eintrag zu Vinylsulfonsäure. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 26. Mai 2014.
  3. H.C. Haas, M.S. Simon: Reactivity ratios of some monomer pairs in J. Polymer Sci. 9 (1952) 309–314, doi:10.1002/pol.1952.120090403.
  4. Le Berre u. a.: Bulletin de la Societe Chimique de France 1970, 954–957.
  5. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  6. H. Distler: Zur Chemie der Vinylsulfonsäure in Angew. Chem. 77 (1965) 291–311, doi:10.1002/ange.19650770704.
  7. Patent EP0643081: Polymers of vinylsulfonic acid. Veröffentlicht am 15. März 1995, Anmelder: Hoechst AG, Erfinder: H. Hoffmann et al..
  8. Patent US2011017954: VINYL SULFONIC ACID, POLYMER THEREOF, AND PRODUCTION METHOD THEREOF. Veröffentlicht am 27. Januar 2011, Erfinder: H. Akikaze et al..
  9. Patent US2597696: Preparation of ethylenesulfonic acid. Angemeldet am 18. März 1948, veröffentlicht am 20. Mai 1952, Anmelder: American Cyanamid, Erfinder: J.A. Anthes, J.R. Dudley.
  10. a b Patent US3312735: Purification of ethylenesulfonic acid. Angemeldet am 30. September 1963, veröffentlicht am 4. April 1967, Anmelder: Dow Chemical, Erfinder: Robert C. Medford, Charles R. Pfeifer.
  11. Patent EP2128131: PROCESS FOR PRODUCING VINYLSULFONIC ACID. Veröffentlicht am 2. Dezember 2009, Anmelder: Asahi Kasei Finechem Co. Ltd., Erfinder: H. Akikaze et al..
  12. Teruyuki Okayasu, Toshiyasu Hibino, Hiroyuki Nishide: Free Radical Polymerization Kinetics of Vinylsulfonic Acid and Highly Acidic Properties of its Polymer. In: Macromolecular Chemistry and Physics. Band 212, Nr. 10, 17. Mai 2011, S. 1072–1079, doi:10.1002/macp.201000773.
  13. T. Okayasu, K. Saito, H. Nishide, M.T W. Hearn: Poly(vinylsulfonic acid)-grafted solid catalysts: new materials for acid-catalysed organic synthetic reactions. In: Green Chem. Band 12, 2010, S. 1981–1989, doi:10.1039/C0GC00241K.