Robert Stewart, 2. Marquess of Londonderry

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Viscount Castlereagh, Porträt von Thomas Lawrence (um 1810)

Robert Stewart, 2. Marquess of Londonderry (* 18. Juni 1769 in Dublin; † 12. August 1822 in London), war ein britischer Staatsmann. Von 1796 bis 1821 führte er den Höflichkeitstitel Viscount Castlereagh, unter dem er allgemein bekannt geworden ist.

Herkunft & Ausbildung

Die Familie Stewart lässt sich in ihrer Abstammungslinie auf den prominenten schottischen Clan der MacGregors zurückverfolgen; sie gehörten zu den schottischen Familien, die zur Zeit von James I. ins nordirische Ulster zogen.[1] Alexander Stewart (1699–1781) wurde als zweitgeborener Sohn nach Dublin geschickt, um eine Lehrstelle bei einem Handelsunternehmen anzunehmen, was er jedoch bald verließ um ein eigenes Unternehmen zu gründen.[2] Beim Tod seines älteren Bruders erbte er mit 32 Jahren den Familienbesitz. Er zog nach London, wo er die reiche Erbin Mary Cowan heiratete, deren Vater einige Jahre Gouverneur von Bombay gewesen war. Durch diese vorteilhafte Ehe war es ihm möglich, in Dublin und im County Londonderry umfangreicheren Besitz zu erwerben. Nach dem Scheitern seiner politischen Ambitionen konzentrierte er sich auf seine Besitztümer und errichtete Mount Stewart.[3] Alexanders Sohn, Robert Stewart wurde Parlamentsabgeordneter, er heiratete Lady Sarah Frances Seymour-Conway, Tochter des 1. Marquess of Hertford, eines ehemaligen Lord Lieutenant of Ireland. Ein Jahr nach der Geburt des Sohnes Robert starb sie im Kindbett.

Sein Vater heiratete fünf Jahre später Lady Frances Pratt, Tochter von Charles Pratt, 1. Earl Camden, was eine Verbindung zu der englischen Nobilität darstellte. Sein Schwiegervater war ein bedeutender Jurist und Anhänger von William Pitt dem Jüngeren. Der sechsjährige Robert wurde nun bei den Großeltern in Mount Stewart aufgezogen.[4] Er besuchte 4 Jahre lang die Royal School in Armagh, wurde dann jedoch unter dem Einfluss seiner Stiefmutter mit 12 Jahren auf eine Privatschule in Portaferry transferiert, da er in Armagh konstanten Anfeindungen ausgesetzt war.[5] Dazu wurde er von einem Tutor (James Cleland) gebildet. Cleland, der sich als Magistrat als ein bigotter und nachtragender Mann zeigte, vermittelte seinem Schüler ebenfalls seine intoleranten Ansichten. Giles Hunt sah 2008 den Einfluss Clelands als mitverantwortlich für die spätere kompromisslose Härte an, die der junge Robert ab Mitte 1795 bei der Niederschlagung des irischen Aufstands zeigte.[6] Anschließend studierte er an der Universität Cambridge. Die Universität von Cambridge war gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Vergleich zum großen Rivalen Oxford an einem Tiefpunkt angelangt. St John’s College, auf dem er als Fellow Commoner studierte, war akademisch allerdings eine der besseren Universitäten und begann zu dieser Zeit eine ganze Serie renommierter Mathematiker auszubilden.[7] In Cambridge studierte er zunächst erfolgreich und erreichte die höchsten Bewertungen im ersten Jahr, zog sich dann jedoch wiederum eine Krankheit zu und verbrachte fast ein Jahr bei seinem Stiefgroßvater Earl of Camden in London.[8] Camden hatte sich zum Vertrauten, Ratgeber und väterlichen Freund entwickelt.[9] Danach verlor der junge Robert das Interesse am Studium und verließ Ende 1788 die Universität vorzeitig, was ihm angesichts seiner privilegierten Stellung als ältester Sohn eines einflussreichen Adeligen ohne Probleme möglich war. Anfang 1789 kehrte er ohne Abschluss nach Irland zurück.[10]

Erste politische Schritte

Sein Vater wurde zwischenzeitlich in der Peerage of Ireland 1789 zum Baron Londonderry, 1795 dann zum Viscount Castlereagh, 1796 zum Earl of Londonderry und 1816 zum Marquess of Londonderry erhoben.[11] Da sein Vater nun ins irische Oberhaus (House of Lords) einzog, musste er seinen Sitz als irisches Unterhausmitglied für das County Down aufgeben und war entschlossen, als Nachfolger seinen Sohn zu installieren. Er scheute keine Kosten, um den Wahlkampf zu finanzieren und gab 60.000 Pfund aus.[12][13] Der junge Robert trat bei seinem Wahlkampf für die Katholikenemanzipation ein; die katholische Bevölkerung sollte hierdurch zur Wahl berechtigt werden. Weiter trat er für Reformen und die Bekämpfung von Patronage ein, beides Themen, bei denen er in späteren Jahren eine Kehrtwende vollzog. 1790 zog er als Unabhängiger Abgeordneter in das irische Unterhaus ein, dass er bis zur Auflösung des irischen Parlaments durch den Act of Union 1800 innehatte. Nach dem Ende der Parlamentssession 1791 unternahm er eine kurze Reise auf den Europäischen Kontinent, immer begleitet von Edmund Burkes Schrift „Betrachtungen über die Revolution in Frankreich“, die auf ihn nachhaltigen Einfluss ausübte.[14] Er stand zeitweise der Whig-Gruppierung um Charles James Fox nahe, um 1794 schloss er sich aber – wie viele andere aufstrebende Politiker – unter dem Eindruck der französischen Revolution William Pitt dem Jüngeren an. Dieser fand schnell einen Sitz für ihn im britischen Unterhaus. Er gehörte dem britischen Unterhaus als Abgeordneter für das Borough Tregony in Cornwall (1794–1796), für das Borough Orford in Suffolk (1796–1797 und 1821–1822), für das County Down (1801–1805 und 1812–1821), für das Borough Boroughbridge in Yorkshire (1806) und für das Borough Plympton Erle in Devon (1806–1812) an. Ab 1796 führte er als Heir apparent seines Vaters den Höflichkeitstitel Viscount Castlereagh, nachdem sein Vater zum Earl of Londonderry erhoben worden war.

1793 wurde er Lieutenant-Colonel des Milizregiments des County Londonderry unter Colonel Thomas Conolly. 1794 heiratete er dessen Nichte Lady Emily Hobart, Tochter des 2. Earl of Buckinghamshire. Die Ehe blieb kinderlos. Von 1798 bis zu seinem Tod war er selbst Colonel des Milizregiments des County Londonderry.

Von 1797 bis 1801 hatte er das Amt des Keeper of the Prvy Seal of Ireland inne und von 1797 bis 1804 war er Lord des irischen Schatzamtes.

Nach der Ernennung seines Onkels, des 2. Earl of Camden (Bruder der zweiten Frau seines Vaters), zum Lord Lieutenant of Ireland diente Lord Castlereagh diesem als Berater und fungierte praktisch als Vertreter des häufig abwesenden Chief Secretary for Ireland. Er übernahm diesen Posten schließlich 1798 unter dem 1. Marquess Cornwallis und spielte eine wichtige Rolle bei der Unterdrückung der Irischen Rebellion dieses Jahres.

Im folgenden Jahr unterstützte er den Versuch des Premierministers William Pitt d. J., Irland und Großbritannien in einem Königreich zu vereinen. Lord Castlereagh, verhalf, als Abgeordneter im irischen Parlament, dem von Pitt entworfenen Act of Union im zweiten Anlauf 1800 zur nötigen Mehrheit. Nach dem Inkrafttreten des Acts of Union trat er am 1. Januar 1801 zurück, da er mit dem politischen Kurs von König Georg III. nicht zufrieden war. Der König stellte sich vehement gegen den Catholic Emancipation Act, dem Gesetz zur Katholikenemanzipation im protestantisch-anglikanischen Königreich. Pitt und Lord Castlereagh hatten den irischen Katholiken zugesagt, dass diese im zukünftigen vereinigten Parlament vertreten sein würden, um deren Zustimmung zum Act of Union zu erreichen. Sie konnten sich jedoch nicht gegen den König durchsetzen, der sich auf seinen Krönungseid berief, und traten folglich zurück.

Ab 1801 bis zu seinem Tod 1822 war Lord Castlereagh Mitglied des Unterhauses im nunmehrigen Parlament des Vereinigten Königreichs. 1802 trat er als Präsident des Board of Control in die Regierung Addington ein. Nach der Rückkehr Pitts an die Regierung übernahm er 1805 zusätzlich für ein knappes Jahr das Amt des Kriegs- und Kolonialministers (Secretary of State for War and the Colonies). An der nach Pitts Tod Anfang 1806 gebildeten Regierung aller Talente beteiligte er sich nicht. Unter dem Herzog von Portland amtierte er von 1807 bis 1809 erneut als Kriegs- und Kolonialminister und war so maßgeblich an der Planung der britischen Feldzüge gegen Kaiser Napoleon Bonaparte beteiligt. Nach einem durch den desaströsen Verlauf der Walcheren-Expedition ausgelösten Duell Lord Castlereaghs mit Außenminister George Canning 1809 mussten beide aus ihren Ministerämtern ausscheiden.

Außenminister

Nach dem Rücktritt des Marquess Wellesley im Februar 1812 übernahm Lord Castlereagh dessen Amt als Außenminister in der Regierung Spencer Percevals. Als dieser wenig später ermordet wurde, wurde Lord Castlereagh auch Fraktionsführer der Tories im Unterhaus (Leader of the House of Commons). Beide Ämter behielt er unter der Regierung von Lord Liverpool bis zu seinem Tod 1822 und übernahm somit eine führende Rolle in der britischen Politik während der entscheidenden Phase der Koalitionskriege und bei der Gestaltung der Nachkriegsordnung.

Als Außenminister war es ihm zu verdanken, dass er die Allianz während der entscheidenden Phase des Krieges 1813 und 1814 zusammenhielt. Auf dem Wiener Kongress vertrat er ebenfalls sein Land, wurde aber im Februar 1815 nach England zurückgerufen und durch Arthur Wellesley, 1. Duke of Wellington als Hauptbevollmächtigter abgelöst. Dennoch erreichte er, dass das Mächtegleichgewicht und die Pentarchie in Europa wiederhergestellt wurde. Auf dem Aachener Kongress von 1818 zeigte Lord Castlereagh zum letzten Male sein enormes politisches Geschick, als er es verstand, den Versuchen des russischen Zaren Alexander I. zu widerstehen, Großbritannien in die Heilige Allianz einzubinden. 1814 wurde Castlereagh als Knight Companion des Hosenbandordens und 1816 als Knight Grand Cross des Guelphen-Ordens ausgezeichnet.

Der Tod Castlereaghs von George Cruikshank

Trotz seiner diplomatischen Erfolge beim Volk unbeliebt, sank Lord Castlereaghs politischer Einfluss schließlich. Als Sprecher des Unterhauses war es seine Aufgabe, unpopuläre Maßnahmen der Regierung zu verteidigen. Während einer Audienz bei Georg IV. am 9. August 1822 überraschte er den König mit der Aussage, man beschuldige ihn „des gleichen Verbrechens wie den Bischof von Clogher“ – dieser war in einem Pub mit einem jungen Mann und heruntergelassener Hose erwischt worden. Am 12. August 1822 schnitt er sich mit einem Brieföffner die Kehle durch.

Lord Castlereagh hatte beim Tod seines Vaters 1821 dessen Titel als 2. Marquess of Londonderry geerbt, war aber nicht wie dieser als irischer Representative Peer ins House of Lords gewählt worden. Der Titel ging bei seinem Tod an seinen jüngeren Halbbruder Charles Vane über, der von 1807 bis 1809 unter ihm als Unterstaatssekretär gedient hatte und später britischer Botschafter in Wien wurde.

Literatur

Biografien

  • Christopher John Bartlett: Castlereagh. Macmillan, London 1966.
  • John Bew: Castlereagh. A Life. Oxford University Press, Oxford 2012, ISBN 978-0-19-993159-0.
  • Wendy Hinde: Castlereagh. Collins, London 1981. ISBN 978-0-002-16308-8.
  • Douglas Hurd: Choose your Weapons. The British Foreign Secretary. Weidenfeld & Nicolson, London 2010, ISBN 978-0-297-85334-3, (Kapitel Castlereagh and Canning, S. 1–68).

Sonstige Literatur

  • John Campbell: Pistols at Dawn: Two Hundred Years of Political Rivalry from Pitt and Fox to Blair and Brown. Vintage Books, London 2009, ISBN 978-1-84595-091-0, (Kapitel Viscount Castlereagh and George Canning, S. 57–89).
  • Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, ISBN 978-1-84511-593-7.
  • H. Montgomery Hyde: The Rise of Castlereagh. Macmillan, London 1933.
  • Henry Kissinger: Großmacht Diplomatie. Von der Staatskunst Castlereaghs und Metternichs. Econ, Düsseldorf 1962.
  • Bradford Perkins: Castlereagh and Adams: England and the United States, 1812–1823. University of California Press Berkeley, 1964.

Enzyklopädieartikel

  • Roland Thorne: Stewart, Robert, Viscount Castlereagh and second marquess of Londonderry (1769–1822). In: Henry Colin Gray Matthew, Brian Harrison (Hrsg.): Oxford Dictionary of National Biography, from the earliest times to the year 2000 (ODNB). Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 0-19-861411-X (oxforddnb.com Lizenz erforderlich), Stand: Mai 2009
  • John Andrew Hamilton: Stewart, Robert (1769–1822). In: Sidney Lee (Hrsg.): Dictionary of National Biography. Band 54: Stanhope – Stovin. MacMillan & Co, Smith, Elder & Co., New York City / London 1898, S. 346–358 (englisch, Volltext [Wikisource]).
  • Londonderry, Robert Stewart, 2nd Marquess of. In: Encyclopædia Britannica. 11. Auflage. Band 16: L – Lord Advocate. London 1911, S. 969 (englisch, Volltext [Wikisource]).
  • R. G. Thorne: STEWART, Hon. Robert (1769–1822), of Mount Stewart, co. Down. In: R. G. Thorne (Hrsg.): The History of Parliament. The House of Commons 1790–1820. Secker & Warburg, London 1986, ISBN 0-436-52101-6 (Online).
  • David R. Fisher: STEWART, Robert, Visct. Castlereagh (1769–1822), of Mount Stewart, co. Down; North Cray Farm, nr. Bexley, Kent and 9 St. James’s Square, Mdx. In: David R. Fisher (Hrsg.): The History of Parliament. The House of Commons 1820–1832. Cambridge University Press, Cambridge 2009, ISBN 0-521-19314-1 (Online).

Weblinks

Commons: Robert Stewart, Viscount Castlereagh – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. John Bew: Castlereagh. A Life. Oxford University Press, Oxford 2012, S. 6.
  2. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 1.
  3. John Bew: Castlereagh. A Life. Oxford University Press, Oxford 2012, S. 7.
  4. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 4.
  5. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 9.
  6. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 10.
  7. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 12.
  8. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 13.
  9. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 13.
  10. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 13 f.
  11. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 29.
  12. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 30.
  13. Das Äquivalent von mindestens 3 Millionen Pfund nach heutiger Rechnung.
  14. Giles Hunt: The Duel: Castlereagh, Canning and Deadly Cabinet Rivalry. I.B. Tauris, London 2008, S. 31 f.
VorgängerAmtNachfolger
Robert StewartMarquess of Londonderry
1821–1822
Charles Stewart