Volksabstimmung in Österreich über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf
Am 5. November 1978 fand eine Volksabstimmung in Österreich über die Inbetriebnahme des bereits fertiggestellten Kernkraftwerkes Zwentendorf statt. Bei einer Wahlbeteiligung von 64,1 % stimmten 50,5 % der Abstimmenden gegen die Inbetriebnahme. Es handelte sich um die erste bundesweite Volksabstimmung der Zweiten Republik.
Vorgeschichte
Nachdem der Bau eines Kernkraftwerkes in Zwentendorf an der Donau im Jahr 1969 von der damaligen ÖVP-Alleinregierung Klaus II beschlossen, und 1972 unter der SPÖ-Alleinregierung Kreisky II begonnen wurde, bildete sich ab 1975 in Österreich eine breite Anti-Atomkraft-Bewegung. Ende 1977 positionierte sich auch die ÖVP, die die Nutzung der Kernenergie grundsätzlich befürwortete, gegen das Kraftwerk Zwentendorf. In dieser Situation entschied der SPÖ-Parteivorstand, dass diese Frage einer Volksabstimmung unterzogen werden sollte, was Atomkraftgegner schon länger gefordert hatten. Am 28. Juni 1978 wurde im Nationalrat in namentlicher Abstimmung mit dem Stimmen der SPÖ, und gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ, ein Gesetz über die friedliche Nutzung der Atomenergie angenommen[1], und anschließend einstimmig die Abhaltung einer Volksabstimmung beschlossen.[2] Gegen diesen Gesetzesbeschluss erhob der Bundesrat am 6. Juli mit den Stimmen der ÖVP Einspruch[3], der am 7. Juli vom Nationalrat durch einen Beharrungsbeschluss aufgehoben wurde.[4] Die Volksabstimmung wurde von Bundespräsident Kirchschläger am 13. September angeordnet, als Tag der Abstimmung legte die Bundesregierung den 5. November 1978 fest.[5] Im Wahlkampf vor der Abstimmung sprachen sich die SPÖ und die Sozialpartner für die Inbetriebnahme aus, während Anti-Atomkraft-Gruppen Werbung für ein „Nein“ bei der Abstimmung machten und vor den Risiken der Atomkraft warnten. Die ÖVP warb ebenfalls für ein „Nein“ zu Zwentendorf, stand der Atomkraft an sich jedoch positiv gegenüber. Die FPÖ, die in den 60ern noch für den Bau von Kernkraftwerken eingetreten war, sprach sich gänzlich gegen die Nutzung der Kernenergie aus. Bundeskanzler Kreisky kündigte an, im Falle eines „Nein“ zurücktreten zu wollen.
Abstimmung und Ergebnis
Die Abstimmungsfrage, die mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten war, lautete wie folgt:
- „Soll der Gesetzesbeschluß des Nationalrates vom 7. Juli 1978 über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich (Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf) Gesetzeskraft erlangen?“
Die Abstimmung fand am 5. November 1978 statt. Mit einer Mehrheit von 1.606.777 zu 1.576.709 der 3.183.486 gültigen Stimmen wurde der Gesetzesbeschluss abgelehnt. Der Anteil „Nein“-Stimmen betrug 50,47 %. Die Zahl der ungültigen Stimmen lag bei 75.996, was 2,3 % der abgegebenen Stimmen entsprach. Die Wahlbeteiligung von 64,1 % war im Vergleich zu vorherigen Nationalratswahlen sehr niedrig. Stimmberechtigt waren alle österreichischen Staatsbürger, die am 1. Jänner 1978 das 19. Lebensjahr vollendet hatten. Das Ergebnis wurde am 28. Dezember vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich kundgemacht.[6]
Ergebnisse in den Bundesländern
In den Bundesländern Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Steiermark und Wien hatte „Ja“ die Mehrheit, am höchsten war der „Ja“-Anteil im Burgenland mit 59,8 %. In den Bundesländern Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg stimmten die Wähler mehrheitlich mit „Nein“, wobei der „Nein“-Anteil in Vorarlberg mit 84,4 % am höchsten war. Die hohe Ablehnung in Vorarlberg erklärt sich durch den Widerstand gegen das geplante grenznahe Kernkraftwerk Rüthi in der Schweiz, weshalb in Vorarlberg auch die Landes-SPÖ, im Gegensatz zur Bundespartei, zum „Nein“ zu Zwentendorf aufrief.
Bundesland | Wahl- berechtigte |
Gültige Stimmen |
Ja-Stimmen | Ja-Stimmen in % |
Nein-Stimmen | Nein-Stimmen in % |
---|---|---|---|---|---|---|
Burgenland | 187.879 | 124.384 | 74.377 | 59,8 | 50.007 | 40,2 |
Kärnten | 355.219 | 217.911 | 117.481 | 54,1 | 100.070 | 45,9 |
Niederösterreich | 964.048 | 672.154 | 341.831 | 50,8 | 330.323 | 49,2 |
Oberösterreich | 809.904 | 537.965 | 254.337 | 47,3 | 282.628 | 52,3 |
Salzburg | 277.141 | 165.523 | 71.576 | 43,2 | 93.947 | 56,8 |
Steiermark | 793.746 | 452.423 | 238.851 | 52,8 | 213.572 | 47,2 |
Tirol | 355.164 | 156.160 | 53.357 | 34,2 | 102.803 | 65,8 |
Vorarlberg | 169.065 | 126.779 | 19.731 | 15,6 | 107.048 | 84,4 |
Wien | 1.171.613 | 730.187 | 404.808 | 55,4 | 325.379 | 44,6 |
Gesamt | 5.083.779 | 3.183.486 | 1.576.709 | 49,5 | 1.606.777 | 50,5 |
Folgen
Am 15. Dezember 1978 beschloss der Nationalrat einstimmig[7] das Atomsperrgesetz, durch welches der Bau von Kernkraftwerken und die Inbetriebnahme von bereits bestehenden Anlagen in Österreich verboten wurden.[8] 1985 strebte der SPÖ-Bundeskanzler Sinowatz die Inbetriebnahme des Kraftwerks Zwentendorf an. Dazu sollte eine weitere Volksabstimmung abgehalten werden, bei deren positiven Ausgang das Atomsperrgesetz gefallen wäre. Der Koalitionspartner FPÖ unterstützte dieses Vorhaben nicht, weshalb Sinowatz versuchte, die ÖVP zur Zustimmung zu bewegen. Am 21. März stimmte der Nationalrat über einen SPÖ-Initiativantrag, der ein Bundesverfassungsgesetz über eine erneute Volksabstimmung zum Inhalt hatte, ab. In namentlicher Abstimmung erreichte der Antrag mit 91 „Ja“- zu 90 „Nein“-Stimmen nicht die für Verfassungsgesetze nötige Zwei-Drittel-Mehrheit.[9] Die Regierungsparteien SPÖ und FPÖ verlangten von ihren Abgeordneten keinen Klubzwang. Nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 entwickelte sich die Ablehnung der Atomkraft in Österreich zum politischen Konsens. 1999 wurde das Atomsperrgesetz vom Nationalrat einstimmig[10] als Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich in den Verfassungsrang gehoben.[11]
Bundeskanzler Kreisky trat nach der Volksabstimmung nicht zurück, seine SPÖ erreichte bei der Nationalratswahl 1979 ein weiteres Mal die absolute Mehrheit. Er blieb Bundeskanzler bis zum Verlust der absoluten Mehrheit bei der Wahl 1983.
Zusammen mit der Besetzung der Hainburger Au 1984 gilt die Zwentendorf-Abstimmung als Geburtsstunde der Grün-Bewegung in Österreich und als Wendepunkt des österreichischen Demokratiebewusstseins. Diese Ereignisse trugen auch maßgeblich zur Etablierung des Umweltschutzgedankens in der österreichischen Gesellschaft und Politik bei.
Weblinks
- Volksabstimmung am 5. November 1978 Broschüre des Bundesministeriums für Inneres auf bmi.gv.at
- 1978: Volksabstimmung Zwentendorf. In: Wendepunkte und Kontinuitäten. Zäsuren der demokratischen Entwicklung in der österreichischen Geschichte. Forum Politische Bildung (Hrsg.), Innsbruck/Wien 1998 (PDF; 701 kB)
- Das Atomkraftwerk Zwentendorf: Bau, Proteste, Volksabstimmung auf demokratiezentrum.org
Einzelnachweise
- ↑ Stenographisches Protokoll: 97. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, XIV. Gesetzgebungsperiode; Mittwoch, 28. und Donnerstag, 29. Juni 1978; Wien; S. 9559 ff. (PDF; 14,3 MB)
- ↑ Stenographisches Protokoll: 97. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, XIV. Gesetzgebungsperiode; Mittwoch, 28. und Donnerstag, 29. Juni 1978; Wien; S. 9561 (PDF; 14,3 MB)
- ↑ Stenographisches Protokoll: 378. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich; Donnerstag, 6. Juli und Freitag, 7. Juli 1978; Wien; S. 12964 (PDF; 10,3 MB)
- ↑ Stenographisches Protokoll: 101. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, XIV. Gesetzgebungsperiode; Freitag, 7. Juli 1978; Wien; S. 9952 (PDF; 5,57 MB)
- ↑ BGBl. Nr. 493/1978
- ↑ BGBl. Nr. 628/1978
- ↑ Stenographisches Protokoll: 116. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, XIV. Gesetzgebungsperiode; Freitag, 15. und Samstag, 16. Dezember 1978; Wien; S. 11735 (PDF; 7,15 MB)
- ↑ BGBl. Nr. 676/1978
- ↑ Stenographisches Protokoll: 85. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, XVI. Gesetzgebungsperiode; Donnerstag, 21. März 1985; Wien; S. 7652 (PDF; 11,9 MB)
- ↑ Stenographisches Protokoll: 176. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, XX. Gesetzgebungsperiode; Dienstag, 13., und Mittwoch, 14. Juli 1999; Wien; S. 57 (PDF; 1,76 MB)
- ↑ BGBl. I Nr. 149/1999