Wie Gott in Frankreich

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Die adverbiale Bestimmung wie Gott in Frankreich findet sich in der Redewendungleben wie Gott in Frankreich“ (auch „wie Gott in Frankreich leben“) und hat in diesem Zusammenhang die Bedeutung eines „herrlichen Lebens in Freuden“[1] oder auch „eines sorglosen Lebens im Überfluss“[2]. Umgangssprachlich und in der Literatur wird „wie Gott in Frankreich“ auch variiert und mit anderen Tätigkeiten oder anderen geografischen Namen in Verbindung gebracht.

Übereinstimmung herrscht darin, dass die Redewendung ihren Ursprung im Deutschen hat; ob sie aber im 18. oder 17. Jahrhundert oder noch früher entstand, ist nicht eindeutig geklärt.

Vermutungen über die Herkunft

Es gibt verschiedene Aussagen, die die Herkunft der Redewendung „(leben) wie Gott in Frankreich“ zu erklären versuchen. Sie widersprechen sich aber oder lassen sich durch noch frühere Belege widerlegen. Die exakte Herkunft ist daher unbekannt.

Maximilian I. (Apophthegmata von Julius Wilhelm Zincgref)

In einer frühen Edition von Georg Büchmanns Zitatensammlung Geflügelte Worte wird über Maximilian I. behauptet:

„In Zincgref-Weidners ‚Apophthegmata‘ (Leipzig 1693) heißt es: Als er (Maximilian I., gest. 1519) auf eine Zeit gar vertraulich Gespräch hielte mit etlich seiner Leuten von einem und andern Land und Königreich, fället er unter andern auch dieses Urteil: ‚Wenn es möglich wäre, daß ich Gott sein könnte und zween Söhne hätte, so müßte mir der älteste Gott nach mir und der andre König in Frankreich sein.‘ Die Redensart ‚wie Gott in Frankreich‘, die allein in Deutschland gebräuchlich ist, läßt sich nur aus dieser Anekdote erklären.“

Franz Helbing stellt dazu 1903 fest:

„Wie Gott in Frankreich leben — wird für ein Wohlleben gesagt, der Ursprung und der Grund dieser Redensart ist unbekannt. Ein Ansspruch des Kaisers Maximilian I., den Büchmann gewissermaßen zur Erklärung angeführt, kann kaum darauf [bezogen werden] …“[3]

In einer späteren Edition von Büchmanns Geflügelten Worten wird der Apophthegmata-Ursprung eindeutig widerrufen:

„Eine andere Erklärung, nach der die Redensart auf Maximilian I. zurückgehen soll (…), ist haltlos.“[1]

Französische Revolution

Kurt Krüger-Lorenzen erklärt die Redewendung aus der Zeit der Französischen Revolution von 1789, in der

„Gott abgesetzt wurde und der Kultus von der Vernunft an die Stelle des Christentums trat. Man stellte sich Gott gleichsam pensioniert vor, der nun in Frankreich so besonders sorglos und glücklich leben konnte“.[4]

Eine Erklärung dieser Art findet sich bereits 1859 in Der Erzähler: ein Unterhaltungsblatt für Jedermann.[5]

Hermann Schrader behauptet in Der Bilderschmuck der deutschen Sprache in Tausenden volkstümlicher Redensarten (1894), dass diese deutsche Redensart bereits vor 1794 bekannt war:

„Selbstredend ist das Wort nicht in Frankreich entstanden, sondern in Deutschland, und zwar noch vor dem 18. Floreal (7. Mai 1794).“[6]

In der späteren Edition von Büchmanns Geflügelten Worten wird der Ursprung zur Zeit der Französischen Revolution unbestimmt gelassen:

„… wird manchmal aus der Zeit erklärt, in der Gott durch die Französische Revolution abgesetzt, in Frankreich nichts mehr zu tun hatte.“[1]

Vermischung älterer Redewendungen

Der Duden erklärt die umgangssprachliche Redewendung mit „im Überfluss, sorglos leben“ und vermutet Vermischung mit älteren Wendungen wie „leben wie ein Gott“ und „leben wie ein Herr (Geistlicher) in Frankreich“, wobei Letzteres auf das Wohlleben der französischen Geistlichkeit im Mittelalter anspiele.[2]

Frühe Verwendungen im Deutschen

Spätes 18. und frühes 19. Jahrhundert

  • 1773 – 16 Jahre vor der Französischen Revolution (1789–1799) – verwendete Moritz August von Thümmel eine Variante mit „Herrgott“ in Wilhelmine, ein prosaisch komisches Gedicht, in dem er die „wüthend abgehende Elisabeth“ sagen lässt:

„Nun bin ick vergnügt und uffgereimt zugleich.
Mich is zu Muth wie unsern Herrgott in Frankreich,
So mollich wie Milch in all mene Glieder.
Dat Weibstück kommt mich sobald nich wieder.“[7]

  • 1802 findet sich die Erwähnung

„… so ist das Sprichwort: er lebt wie Gott in Frankreich – mehr als jemals treffend“

in dem dreibändigen Reisebericht Meine Reise nach Frankreich in den Jahren 1800 und 1801[8] des Pfarrers und Autors Heinrich Christoph Steinhart. Das geflügelte Wort war demnach schon damals als Sprichwort bekannt und wird im Jahr darauf auch in Deutsch in einem ungarischen Buch erwähnt.[9]
  • 1814, während der Befreiungskriege, berichtete ein preußischer Freiwilliger, der bei Neuilly lagerte:

„Als gutes Brennholz dienen als erstes die Spaliere; Lebensmittel und Wein wurden herbeigeschafft und wir lernen die, uns bisher unverständlich gebliebene, Redensart: »wie Gott in Frankreich leben« gründlich verstehen.“

Dieser Bericht wird von Friedrich Christoph Förster 1864 zitiert.[10]

„Dort amüsiert man sich ganz süperbe, man hat alle mögliche Vergnügungen, man lebt in lauter Lust und Pläsier, so recht wie Gott in Frankreich. Man speist von Morgen bis Abend, und die Küche ist so gut…“[11]

  • 1830 findet sich eine seltenere Variante („wie ein Gott“) in einer unterhaltsamen Publikation:

„So lebt der Schmarotzer wie ein Gott in Frankreich, frisst und säuft, ist munter und froh, und dankt dem Himmel, dass es Thoren giebt, deren Schwachheiten er zu benutzen weiß.“[12]

  • 1846 wird die Redensart kommentarlos in einer Sprichwörtersammlung aufgeführt.[13]

Jiddisch – „lebn vi Got in Frankraykh“

Das Sprichwort erscheint im frühen 20. Jahrhundert im Jiddischen als „lebn vi Got in Frankraykh“[14] in der Bedeutung ‚sorglos sein‘ (jiddisch: זאָרגלאָז zorgloz) und bekam nach der Rehabilitation von Dreyfus im Jahr 1906 (und bis in die 1930er Jahre) eine besondere Bedeutung für die Juden in Frankreich.[15][16]

Es gab schon vorher im Jiddischen ähnlich lautende Redensarten mit selbiger Bedeutung: „lebn vi bay Got hintern oyvn“[14] (leben wie bei Gott / in Gottes Haus hinter dem Ofen) und das aus dem späten 19. Jahrhundert bekannte „lebn vi Got in Odes“ (leben wie Gott in Odessa).[17] Die Bewohner von Odessa hatten den Ruf, liberale Freidenker zu sein – sie wurden sogar als Häretiker bezeichnet[18] –, was sich auch in ihrer Toleranz gegenüber den dort ansässigen Juden ausdrückte.

Übernahme in andere Sprachen

Englisch – „live like God in France“

Eine frühe Erwähnung der Redensart findet sich in einem englischen, vermutlich übersetzten Kriegsbericht aus dem Jahr 1914.[19]

Französisch – „vivre comme Dieu en France“

Die deutsche Version wird 1905 in der französischen Literatur erwähnt.[20] Die ins Französische übersetzte Redewendung findet sich erst um 1918 in einem französischen Geschichts- und Literatur-Journal, wobei festgestellt wird, dass es sich bei dem geflügelten Wort um eine gängige deutsche Redensart handelt.[21] Entsprechende französische Idiome werden angegeben.

Italienisch – „vivere come Dio in Francia“

Im Italienischen erscheint die Redensweise erst in den 1920er Jahren („vivere come Dio in Francia“, „felice come Dio in Francia“).[22]

Niederländisch – „leven als God in Frankrijk“

Auch im Niederländischen ist sie bekannt.[23] 1858 wird diese Redewendung in einem niederländischen Sprichwörterbuch auf die Französische Revolution zurückgeführt.[24]

Weitere Verwendungen

Statt „leben …“ werden auch weitere Verben in Literatur, Werbung und Reiseberichten durch „wie Gott in Frankreich“ adverbial bestimmt (in Deutsche Phraseologie kontrastiv: intra- und interlinguale Zugänge wird es an genau diesem Beispiel demonstriert[25]): „Speisen …“,[26] „tafeln …“,[27] „sich fühlen …“,[28] „trinken …“,[29] „genießen …“[30] etc.

Auch den geografischen Parameter kann man verändert vorfinden: Der Autor Daniel Goeudevert verwendet eine Variante der Redewendung als Titel für sein Buch Wie Gott in Deutschland. Eine Liebeserklärung.[31] Georg Wailand bezieht in Die Reichen und die Superreichen in Österreich die Redewendung auf Österreich: „(…), den Geladenen den Eindruck zu vermitteln, wie Gott in Österreich lebt.“[32]

Es gibt viele weitere Beispiele dieser Art, besonders in der kulinarischen Literatur spezieller Regionen.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c Büchmann – Geflügelte Worte, Droemer Knauer, München / Zürich 1979, ISBN 3-426-24434-9, S. 250.
  2. a b Duden: leben wie Gott in Frankreich
  3. Franz Helbing: Apophthegmata: deutscher citatenschatz. O. Hendel, 1903, S. 66.
  4. Kurt Krüger-Lorenzen: Deutsche Redensarten und was dahinter steckt. Wilhelm Heyne Verlag, München (4. Ausgabe, 1986), S. 114.
  5. Der Erzähler: ein Unterhaltungsblatt für Jedermann. Beck, 1859, S. 72.
  6. Hermann Schrader: Der Bilderschmuck der deutschen Sprache in Tausenden volkstümlicher Redensarten: Nach Ursprung u. Bedeutung erklärt. Felber (Weimar), 1894, S. 345-346.
  7. Moritz August von Thümmel: Wilhelmine, ein prosaisch komisches Gedicht. M.G. Weidmanns Erben und Reich, 1773, S. 29.
  8. Heinrich Christoph Steinhart: Meine Reise nach Frankreich in den Jahren 1800 und 1801. Maurer, 1802, S. 197.
  9. József Zoltán, György Gaal: Népi szórakozások a reformkori Pest-Budán. Fővárosi Szabó Ervin Könyvtár, 1803, S. 89.
  10. Friedrich Christoph Förster: Neuere und neueste preußische Geschichte: (Seit dem Tode Friedrich’s II. bis auf unsere Tage.); Mit Benutzung vieler bisher ungedruckter Quellen und mündlicher Aufschlüsse bedeutender Zeitgenossen. Geschichte der Befreiungs-Kriege 1813. 1814. 1815 : Dargestellt nach theilweise ungedruckten Quellen und mündlichen Aufschlüssen bedeutender Zeitgenossen, sowie vielen Beiträgen von Mitkämpfern, unter Mittheilung eigner Erlebnisse ; 2. Bd. Hempel, 1864, S. 1067.
  11. Heinrich Heine: Sämtliche Werke von Heinrich Heine. e-artnow, 4. Dezember 2013, ISBN 978-80-268-0035-4, S. 1189.
  12. Das schwarze Gespenst: 1830, Jan. – März 1830, S. 285: Eduard Oettinger: Stundenplan eines Schmarotzers.
  13. Die deutschen Volksbücher gesammelt und in ihrer ursprünglichen Echtheit wieder hergestellt von Carl Simrock. Mit Holzschnitten, Band 5. Brömer, 1846, S. 184.
  14. a b Ignaz Bernstein, B. W. Segel: Jüdische Sprichwörter und Redensarten. In Kommission bei J. Kauffmann in Frankfurt a. M., 1908.
  15. Esther Benbassa: The Jews of France: A History from Antiquity to the Present. Princeton University Press, 2. Juli 2001, ISBN 1-4008-2314-5, S. 135.
  16. Pascal Ory: Dictionnaire des étrangers qui ont fait la France. Robert Laffont/bouquins/segher, 2013, ISBN 978-2-221-14016-1, S. 735.
  17. Steven J. Zipperstein: The Jews of Odessa: A Cultural History, 1794–1881. Stanford University Press, 1985, ISBN 0-8047-1251-4, S. 1.
  18. Peter Kosta, Holt Meyer, Natascha Drubek-Meyer: Juden und Judentum in Literatur und Film des slavischen Sprachraums: die geniale Epoche. Otto Harrassowitz Verlag, 1999, ISBN 3-447-04170-6, S. 184.
  19. The National Review. W.H. Allen, 1915, S. 614.
  20. Société d'économie politique et d’économie sociale de Lyon: Compte rendu analytique des séances 1905, S. 197.
  21. Revue critique d’histoire et de littérature, recueil mensuel 1918, S. 277.
  22. Rivista d’Italia. Società editrice dante alighieri, 1927, S. 671.
  23. Franck Resplandy: L’étonnant voyage des mots français dans les langues étrangères. Bartillat, 2006, ISBN 2-84100-371-X, S. 130.
  24. Pieter Jacob Harrebomée: Spreekwoordenboek der nederlandsche taal: of Verzameling van nederlandsche spreekwoorden en spreekwoordelijke uit drukkingen von vroegeren en lateren tijd. Kemink en zoon, 1858, S. 195.
  25. Csaba Földes: Deutsche Phraseologie kontrastiv: intra- und interlinguale Zugänge. Julius Groos Verlag, 1996, ISBN 3-87276-759-3, S. 163–164.
  26. Speisen wie Gott in Frankreich: seit 100 Jahren profitiert Deutschlands bekanntester Kurort Bad Kissingen von seinem „Verein Kissinger Köche“. Bayerischer Rundfunk, Studio Franken, 2004.
  27. Merian. Hoffmann und Campe, Juli 1997, S. 8.
  28. Sebastian Dickhaut, Cornelia Schinharl: French Basics: Alles, was man braucht, um sich wie Gott in Frankreich zu fühlen…. GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH, 6. August 2012, ISBN 978-3-8338-3030-3.
  29. Trinken wie Gott in Frankreich: Wissenswertes über franz. Wein. Sopexa, 1980.
  30. Thomas Platt: Genussbarometer Deutschland: wie wir zu leben verstehen. Ch. Links Verlag, 2004, ISBN 3-86153-336-7, S. 96.
  31. Daniel Goeudevert: Wie Gott in Deutschland. Eine Liebeserklärung, Econ, München 2003, ISBN 3-430-13262-2 (TB 2004 ISBN 3-499-60938-X).
  32. Georg Wailand: Die Reichen und die Superreichen in Österreich. Hoffmann und Campe, 1981, ISBN 3-455-08763-9, S. 153.