Wikiup:Archiv/WikiProjekt Selbstreflexion der Wikipedia/Diskussionsseite Kommunikation

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Herrschaftsfreier Diskurs, Konfliktlösung und Konsensbildung

"Edit-War, Verbalattacken und Wikistress", das ist Realität an vielen Stellen in der Wikipedia. Was passiert hier und warum? Gibt es Modelle eines kräfteschonenderen und kreativitätsfördernden Umgangs miteinander?

Die technische Seite der Kommunikation

NutzerInnen der Wikipedia haben eine ganze Reihe unterschiedlicher Möglichkeiten (Medien), um miteinander zu kommunizieren. Einige davon -- wie etwa die direkte kollaborative Bearbeitung von Texten -- sind eine Besonderheit von Wikis, bzw. der hinter Wikipedia liegenden MediaWiki-Engine. Technisch ist die Wikipedia eine web-basierte interaktive Hypertextanwendung, bei der sehr schnell auf vorhergegangene Kommunikationsansätze reagiert werden kann. Ein wichtiger Unterschied zu anderen "virtuellen" Kommunikationsformen ist die Explizität, mit der sämtliche Artikel mit einem Gedächtnis ausgestattet worden sind: wichtig ist nicht nur, was aktuell im Artikel steht, über die Seite "Versionen" ist es zudem möglich, auf alle früheren Versionen des Artikels zurückzugreifen.

In Wikipedia vorgesehene Kommunikationswege

  • Direkt
    • Diskussions-Seiten
      • Diskussions-Seiten zu Artikeln
      • Diskussions-Seiten zu NutzerInnen (samt des Extra-Hinweises auf "Neue Nachrichten")
      • Spezialisierte Seiten im Wikipedia-Namensraum, wie Wikipedia:Ich brauche Hilfe
    • Mail an NutzerInnen, sofern diese das nicht in den Präferenzen abschalten
    • Nutzung von Mailinglisten
  • Indirekt
    • Kommunikation über aussagekräftige Zusammenfassungen
    • Kommunikation über HTML-Kommentare im Artikel
    • Kommunikation über Textänderungen direkt im Artikel
    • Kommunikation über spezifische Namenswahlen für Artikel
    • Durch spezifische Namenswahlen, Formen des Verhaltens, ...
    • Über den Umweg von Schwesterprojekten wie meta.wikipedia.org oder www.wikimeta.org

Weitere genutzte Kommunikationswege

  • Nicht über das Wikipedia-Interface laufende direkte Kontakte über Instant-Messenger , auch eMail- oder Telefonkontakte zwischen NutzerInnen, die sich entsprechend gut kennen
  • Wikipedia-Treffen

Als Hilfsmittel für die Kontrolle dieser Kommunikationsabläufe dienen die Seiten "Neue Artikel", "Letzte Änderungen" (quasi eine chronologisch fokussierte Sicht auf alles, was sich gerade in der Wikipedia tut), und "Beobachtungsliste" (als Gegenstück dazu eine interessenfokussierte Sicht auf das Geschehen in der Wikipedia). Während die Beobachtungsliste Überraschungen nur insofern enthalten kann, als mit einem Artikel, der einem oder einer selbst schon bekannt ist, etwas neues geschieht (z.B. eine Verschiebung, eine -- unerwartete -- Bearbeitung), liefert "Letzte Änderungen" echte Neuheiten und kann in einem größeren Ausmaß Überraschungen bereit halten.

Die soziale Seite der Kommunikation

In der Wikipedia zu arbeiten, ohne zu kommunzieren -- das geht letztlich gar nicht, um Paul Watzlawick etwas falsch zu zitieren. Selbst ein anonymer Troll, der sich keinen Deut darum kümmert, wie andere auf seine Beiträge und Artikelüberarbeitungen reagieren, muss darauf gefasst sein, dass andere nicht nur lesen, was er oder sie geschrieben hat, sondern darauf eingehen: es löschen, verändern, neu schreiben (und sich dabei gleichzeitig ein Bild der AutorIn bilden). Jede aktive Beteiligung an der Wikipedia ist damit zugleich auch Kommunikationsarbeit, und mit jeder Textänderung werden möglicherweise auch ganz andere Aussagen mitkommuniziert.

Da hat jemand das Wort "deutsch-deutsche Grenze" durch "innerdeutsche Grenze" ersetzt: was das jetzt eine rein stilistische Änderung, hat sie etwas mit Neutralität zu tun -- oder ging es doch darum, eine reaktionäre politische Haltung durchzusetzen? Von der Beurteilung derartiger (ungewollter) Kommunikationsakte hängt dann zum einen das Bild ab, dass über das ja oft anonyme oder doch zumindest pseudonyme Gegenüber (Identität im Netz) gebildet wird, und dann auch die möglichen Anschlusshandlungen (und innerhalb der Wikipedia damit zugleich, wenn nicht gerade die zeitweilige oder endgültige Exitoption gewählt wird, fast immer kommunikatives Handeln). Auf oben genannte Wortersetzung kann innerhalb der Kommunikationsoption unterschiedlich reagiert werden: mit einer direkten Nachfrage auf einem der verschiedenen dafür vorgesehenen (oder einem anderen) Kommunikationsweg, also etwa einem "He du, warum hast du jetzt deutsch-deutsche Grenze durch innerdeutsche Grenze ersetzt?" auf einer Artikel-Diskussionsseite. Andere Handlungsmöglichkeiten bestehen in indirekteren Formen der Kommunikation: etwa einer Verschiebung des gesamten Artikels von "Deutsch-deutsche Grenze" nach "Innerdeutsche Grenze" (was zugleich Bestätigung und Zustimmung kommuniziert), oder mit einer Textänderung, die dann wiederum vom einfachen Rückgängigmachen der Änderung (und damit oft einem Edit-War) bis hin zu weitergehenden Texteingriffen reichen kann ("deutsch-deutsche -- oder wie sie von reaktionären Kräften genannt wird, innerdeutsche -- Grenze"). Noch indirekter ist reine Information zur Unterstützung der Urteilsbildung: ich schaue mal, was das eigentlich für eine NutzerIn ist, die das gerade geändert hat, und was die oder der sonst noch so geschrieben hat.

Mit jedem derartigen Kommunikationsakt werden neue Anschlussmöglichkeiten geschaffen, wird die Wikipedia weiter voran getrieben. Zugleich ist jeder Kommunikationsakt auch ein Beitrag dazu, die eigene Identität im Netz zu konstruieren: Wofür interessiere ich mich, worauf lege ich wert, auf was achte ich? Wikipedia macht es durch seine Archivfunktione und Tools wie "Beiträge zeigen" verhältnismässig einfach, auch über vormals Unbekannte schnell Informationen einzuholen und so eine Imagination des jeweiligen Gegenübers zu erschaffen. Damit können Neulinge gewissermaßen Nachlesen, was die, die schon länger dabei sind, nach und nach mitgekriegt haben.


Entschlüsselung von Bedeutung in der Kommunikation

Interaktion zwischen Menschen besteht nicht nur aus verbaler Kommunikation, sondern umfasst ebenso non-verbale Kommunikation im Sinne von Körpersprache (Gesten, Mimik, Betonung usw.) und Handlungen, aus denen die Interaktionspartner Rückschlüsse auf Aussagen, Motive, Ziele, Emotionen und Handlungsabsichten der Beteiligten ziehen und auf die die eigenen Aktionen und Reaktionen abgestimmt werden. Kommunikation im Netz muss ohne Körpersprache und mit eingeschränkten, von der Technik vorgegebenen Handlungsmöglichkeiten auskommen. Im Unterschied zur verbalen Kommunikation über geschriebene und gedruckte Texte (Briefe, Bücher usw.) simuliert die Dichte der direkten Kommunikation im elektronischen Medium eine reale Interaktionssituation, in der alle Ebenen direkt angesprochen werden.

Da die non-verbale Kommunikation in der direkten Interaktion eine große Rolle spielt und der Mensch gewohnt ist, ihre komplexen Signale zu entschlüsseln, hat sich im Netz eine Art Ersatz-Zeichensystem entwickelt, das standardisierte Reaktionen anzeigt: -), -(, Smileys, Kürzel wie g* usw. Die Standardisierung reduziert die Vielfalt von Bedeutungsmöglichkeiten und verleiht ihnen gleichzeitig eine größere Eindeutigkeit gegenüber der realen face-to-face Situation. Während in letzterer weitere Möglichkeiten zur Überprüfung der Rückschlüsse bestehen (über Mimik, Körperhaltung und Tonfall) ist in der Welt der elektronischen Kommunikation ein -) eben ein Lächeln und könnte höchstens aus dem verbalen Zusammenhang heraus als Ironie oder vorgespielte Freundlichkeit gedeutet werden. Beobachtet man den Einsatz dieses Zeichensystems z.B. in Chats so kann man feststellen, dass sich anscheinend als Ersatz für die reale non-verbale Kommunikation ein immer differenzierteres System der Zeichen und ihrer Anwendung herausbildet. In der Wikipedia aber wird dieses Zeichenssystem wenig benutzt und spielt daher nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Handlungsmöglichkeiten sind in der elektronischen Kommunikation reduziert auf verschiedene, technisch vorgegebene Aktionen. In der Wikipedia sind dies z.B. Texte erweitern, verändern, Wörtern, Sätze, Abschnitte, Artikel löschen, sowie erweiterte Möglichkeiten wie Löschanträge stellen, Artikel auf bestimmte Listen setzen (zu lange, zu kurze, exzellente Artikel, Artikel, die Neutralität brauchen oder überarbeitet werden müssen usw.), sich abmelden usw. (siehe die technische Seite der Kommunikation). Gegenüber der Interaktion im Alltag sind die Handlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Die Benutzer sind auf die Möglichkeiten angewiesen, die die Technik zur Verfügung stellt.

Auf dem Hintergrund der eingeschränkten Möglichkeiten zur Entschlüsselung des jeweils gemeinten Sinns, gewinnen die vorgegebenen Handlungsalternativen eine überdimensionierte Bedeutung für die Kommunikation von Absichten und Meinungen. So können bestimmte Handlungen, wie z.B. Löschanträge stellen, über ihre sachliche Notwendigkeit hinaus zu Symbolaktionen für die Darstellung von Machtansprüchen und die Durchsetzung eigener Interessen werden, nicht nur - und vielleicht auch sogar weniger - nach außen, sondern besonders auch innerhalb der Wikipedia-Community. Wenn das gesamte Instrumentarium des Lebens zur Darstellung der eigenen Persönlichkeit und Durchsetzungsfähigkeit (durch bestimmte Kleidung, Automarke und andere Statussymbole, Bekanntschaft mit bestimmten Personen, Übersehen von anderen Personen, Anweisungen erteilen, Unterschriften setzen, Zugehörigkeit zu bestimmten Institionen oder Berufsgruppen u.v.m. sowie alle denkbaren Konterstrategien) auf die Möglichkeiten des Umschreibens oder Löschens von Texten und verbaler Auseinandersetzung darüber beschränkt sind, so ist nachvollziehbar, wieso sich diese Aktionen in verschiedenen Fällen emotional stark aufladen und bei den Beteiligten zeitweise Reaktionen hervorrufen, die in keinem realen Verhältnis zum umkämpften Gegenstand, dem Textinhalt stehen. Thematische Inhalte erlangen über ihre manifeste Aussage hinaus emotionale Bedeutung, da sie mangels anderer Möglichkeiten mit Anteilen der Persönlichkeit identifiziert werden.

Nach dem Kommunikationsmodell von Schulz von Thun können vier Ebenen der Kommunikation unterschiedenen werden: Sach-, Beziehungs-, Selbstoffenbarungs- und Appellebene. Die Sachebene stellt wie bei einem Eisberg höchstens die Spitze und somit 1/7 der Kommunikation dar, auch wenn sie formal im Vordergrund steht und als einzige sichtbar ist. Darunter oder dahinter wird um die Definition der Beziehungen der Kommunikationspartner untereinander, um den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und die Durchsetzung von Anweisungen und Machtansprüchen (Appellen) gerungen. Auch wenn in der Wikipedia überwiegend auf der Sachebene gearbeitet wird, so zeigt sich doch sehr deutlich, wie in der Kommunikation der Autoren untereinander mit den zur Verfügung stehenden Mitteln diese anderen Ebenen eine ebenso große und manchmal in der Dichte sogar größere Rolle spielen als in einer realen Interaktion.


Die Rolle von Emotionen in der Kommunikation

Emotionen spielen im Miteinander der Menschen in allen Bereichen des Lebens, vor allem aber auch in der Kommunikation und in Konflikten eine große Rolle. Dem gegenüber steht eine nur geringe Kenntnis darüber, was Emotionen eigentlich sind, wie sie entstehen, gesteuert werden und wie wir mit ihnen umgehen können. Viele Menschen sind nicht einmal in der Lage, ihre Emotionen im Einzelnen zu benennen und leben in einem Universum "schlechter" oder "guter" Gefühle. In der Wissenschaft wurde den Emotionen vor allem wegen des erklärten Ideals der Neutralität und Objektivität zunächst ebenfalls wenig Beachtung geschenkt. Gefühle wurden eher etwas betrachtet, das idealerweise wegzurationalisieren sei. In der neueren Gehirnforschung liegen allerdings inzwischen Ergebnisse neurologischer Untersuchungen über bestimmte Areale im Gehirn vor, die für die Verarbeitung von Emotionen zuständig sind. Daniel Goleman fasst die Forschungsergebnisse in seinem Buch Emotionale Intelligenz zusammen.

Neurophysiologische Grundlage der Verarbeitung von Emotionen

Der Sitz des emotionalen Gehirns, das sog. limbische System, ist der älteste Teil unseres Gehirns, der sich direkt aus dem Hirnstamm gebildet hat, den wir mit allen, mit einem Nervensystem ausgestatteten Lebenwesen gemeinsam haben. Im Laufe der Evolution, in der sich Kortex und Neokortex herausbildeten und dem Menschen zum aufrechten Gang und bewussten Denkvorgängen verhalfen, bildeten sich vielfältige Verbindungen zwischen dem limbischen System und den jüngeren Gehirnteilen. Als Resultat der Evolution vollzieht sich die Verarbeitung emotional relevanter Reize überwiegend im Neokortex, der einordnet, vergleicht, abwägt und seine Schlussfolgerungen an das limbische System sendet, das emotionale Erinnerungen und zugehörige Reaktionsmuster speichert. Da ein kleiner Teil der eingehenden sensorischen Information aber direkt an das limbische System geht, führt dieses eine Art Oberaufsicht mit Vetorecht. In Fällen, die das limbische System als Ausnahmezustände und Notfälle identifiziert, tritt es unter Ausschaltng des Neokortex direkt in Aktion und veranlasst den Menschen zu den primitiven und archaischen Handlungen, die durch eine existenzielle Bedrohnung ausgelöst werden: Kampf oder Flucht und erlernte, rein auf Erhalt der eigenen Person bezogene Reaktionsmuster.
(Vgl. D.Goleman, Emotionale Intelligenz, München: DTV 1997)


Physiologie der Konflikteskalation

Mit dieser biologischen Ausstattung agieren wir heute in einer sich rasch wandelnden Welt mit ihrer Komplexität und unübersehbaren Vielfalt von Situationen. Überraschende und unverhältnismäßige Gewaltausbrüche,wie sie immer häufiger vorkommen, scheinen Folgen der biologischen Mechanismen zu sein, die durch die Wahrnehmung von existenzieller Bedrohung ausgelöst werden. Für das Ingangsetzen dieser archaischen Reaktionsmechanismen ist die jeweilige Wahrnehmung, die Ähnlichkeit eines Signals mit einer schon früher erlebten bedrohlichen Situation ausschlaggebend, und keinesfalls eine reale Gefährdung. Als bedrohliche Situationen werden vom emotionalen Gehirn nicht nur eine körperliche Gefährdung identifiziert, sondern auch die symbolische Bedrohung des Selbstwertes und der Würde. Menschen geraten in Ausnahmezustände, lassen sich zu Wutausbrüchen, gewalttätigen Aktionen und Verbalattacken hinreißen, ohne dass das denkende Gehirn die Chance hatte zu überprüfen, ob diese Handlung wirklich eine gute Idee darstellt.

Häufiger als die sofortige Entgleisung der Emotionen ist die mehr oder weniger rasche Eskalation von Wut und Ärger z.B. in Konflikten zu beobachten. Auch dieser Vorgang ist physiologisch zu erklären. Durch feindselige oder wütende Reaktion auf ein Ereignis wird das limbische System durch Ausschüttung bestimmter Stoffe in einen Erregungszustand versetzt, der noch Stunden nach Beendigung des Ereignisses anhält. In dieser Zeit ist die Toleranzschwelle für eine erneute wütende Reaktion herabgesetzt. Jeder kennt diesen Zustand der gereizten Stimmung nach einem Tag mit Ärger z.B. im Beruf, in dem man sich über "die Fliege an der Wand" ärgern kann. Kommt es zu weiteren akuten Ärgerreaktionen werden weitere Stresshormone freigesetzt und steigern das Erregungsniveau des limbischen Systems. Da diese Reaktionen zeitlich andauern, überlagern sich die Wirkungen und können so ein Dauerstressniveau etablieren oder in ungünstigen Umgebungen mit neuen Wutauslösern wegen der sinkenden Toleranzschwelle in immer schnellerer Abfolge eine Wut- bzw. Konflikteskalation bewirken, bis schließlich der Punkt erreicht ist, an dem das emotionale Gehirn den Notstand ausruft. (vgl. D.Goleman, Emotionale Intelligenz, München: DTV 1997)

Demokratie ohne Wahlen? Konsensverfahren als Alternative

Vgl. auch Wikipedia:Archiv/WikiProjekt Selbstreflexion der Wikipedia/Anarchie-Konformismus

Möglicherweise ist Wikipedia keine Demokratie. Ob sie eine sein soll, ist vor allem eine normative Frage -- dahinter verbirgt sich aber auch eine ganz praktische Frage: In welcher Organisationsform können die mit der Wikipedia verbundenen Ziele -- also die Erstellung einer freien Enzyklopädie unter Beteiligung möglichst vieler -- am besten erreicht werden? Wenn unter Demokratie klassischerweise eine Wahl weniger, die dann entscheiden, verstanden wird, taugt Demokratie sicherlich nicht als Verfahrensweise für die Wikipedia. Näher kommt möglicherweise schon die Vorstellung Direkter Demokratie, also der direkten Abstimmung aller über Sachfragen. Aber auch damit sind Schwierigkeiten verbunden: über Verfahrensweisen kann sicherlich per Abstimmung entschieden werden. Aber auch über Sachfragen? Einige setzen dem mehr oder weniger klar konzipierte Modelle einer benevolenten Diktatur entgegen. Diese Modelle variieren insofern, als eine unterschiedliche Zahl an Personen (-> Oligarchie) an Entscheidungen beteiligt sein soll, und die Eingreifschwelle für die DiktatorInnen unterschiedlich hoch gehängt wird. Zum Teil soll nur im äußersten Notfall eingegriffen werden -- dann gleichen derartige Modelle eher einer libertären Anarchie.

Eine in verschiedenen politischen Gruppen praktizierte Alternative zu diesen Modellen ist ein stärker an Deliberation und Kommunikation orientiertes vorgehen, namentlich ein Konsensverfahren. Mit Konsens ist hier nicht die Mehrheit gemeint, sondern tatsächlich allgemeine Zustimmung, im Idealfall: Einhelligkeit. In der Praxis kann ein derartiges Verfahren so aussehen, dass über Streitfälle und Regeln so lange diskutiert wird, bis niemand mehr Einspruch einlegt. Ein Verzicht auf das Einlegen eines Einspruchs kann bedeuten, dass alle sich inhaltlich auf einen Kompromiss geeinigt haben oder dass eine Seite im Konflikt überzeugt wurde, so dass das Ergebnis von allen inhaltlich mitgetragen werden kann. Ein Verzicht auf einen Einspruch kann aber auch bedeuten, dass jemand nicht einverstanden ist, aber die strittige Position nicht für wichtig genug erachtet, um seinen Widerspruch zu äußern. Meiner Meinung nach funktioniert Wikipedia in der Praxis an vielen Stellen so; und auch das en:rough consensus-Verfahren, nach dem Regulation im Internet lange funktioniert hat, ähnelt diesem Vorgehen. Im Idealmodell: Es wird solange etwas getan, bis jemand "Stopp!" ruft, dann wird diskutiert und versucht, sich zu einigen. Mehrheitsdemokratische Modelle wie Wahlen, Abstimmungen oder die Delegation an Entscheidungsträger kommen erst dann zum Zuge, wenn auf diesem Wege keine Einigung erzielt werden kann. Zugleich kann ein konsensorientiertes Verfahren damit verbunden sein, dass Regeln nicht um ihrer selbst angewandt werden, sondern als Argumente in einen Einigungsprozess eingebracht werden können, dort aber auch außer Kraft gesetzt werden können, wenn es gute Gründe dafür gibt und die beteiligten Parteien sich darauf einigen.

Vorteilhaft für Arbeit nach einem Konsensverfahren ist die Existenz neutraler, moderierender Instanzen, die ihre Arbeit allerdings nicht als Arbeit eines Schiedsgerichtes begreifen sollten -- also höchstinstanzliche Schiedsprüche sprechen und Entscheidungen treffen --, sondern als im Wortsinn Moderationsarbeit (oder sogar als Mediation), also ein Vermitteln und Abmildern eines Konfliktes, auch dadurch, dass den Beteiligten die Sichtweise der jeweils anderen Seite näher gebracht wird.

Andere sehen dagegen nur in der kontrollierten Feststellung von Mehrheiten Möglichkeiten für ein demokratisches Vorgehen:

Ich möchte um Komentare und Verbesserungen zu diesem Wikipedia:Verbesserungsvorschläge#Wikiwahlsystem bitten! Idee ist es die Möglichkeit zu bieten kontrollierte Stimmen (Einzigartige Login, IP und cookies) für Benutzerdefinierbare Fragen oder Wahlkategorien eingeben zu können. Eingesetzt könnte das dann auch in einem System wie in Wikipedia:Verbesserungsvorschläge#Initiative zum Ersetzen von Administratoren durch Demokratischen Prozess werden.
Ich halte es für wichtig das Kontrollieren von Beiträgen als Ein- und Ausblenden (statt Löschung, siehe auch Wikipedia:Verbesserungsvorschläge#Geheimarchive Öffnen) durch demokratische Wahl in Wikipedia zu erleichtern und das Spektrum der Informationen die Wikipedia darstellen kann zu erweitern. Z.B. wenn gewisse Benutzer der Meinung sind das andere Benutzer nur Ihre Meinung darstellen und was Wissenschaft is und was nicht usw. Togo 07:34, 20. Aug 2004 (CEST)

Benutzeridentitäten und Kommunikation in der Wikipedia

Angemeldete Benutzer geben sich einen Namen, in der Regel ein Pseudonym, und haben damit zugleich eine Identität, bleiben aber anonym. Manchmal versuchen die Benutzer über das Pseudonym, etwas über sich oder ihre Interessen auszusagen, dies ist aber im Einzelfall schwer einzuschätzen. Vermutlich ist aber in den meisten Fällen zumindest die geschlechtliche Identität des Benutzers am Namen erkennbar. (Ist das richtig?)

Gleichzeitig kann die Anonymität der Pseudonyme dazu dienen, die gesellschaftliche Konstruktion von Identität zu sprengen. Identität – schon der Begriff, der Gedanke an das "Eins-Sein" – läßt mich erschaudern. Ich bin nicht eins! Die ständigen Zuschreibungen geschehen auch hier immer wieder nach dem Motto "Du stehst der Kultur nahe ..." "Du hast den Artikel geschrieben, deshalb mußt Du ..." oder letzens: "Du hast den Namen, also hast Du die "geschlechtliche Identität!" Dagegen hilft nur beständige Dekonstruktion – nicht eins sein, sondern so viele mensch will! Frau - Mann - Bone oder sonstwie! Deshalb sollte es heißen: ignoriert alle Regeln! Alles für alle und zwar sofort (wenigstens hier)!!

Andererseits sind wagemutige Überlegungen zu den Auswirkungen fluider Identitäten, wie sie in Bezug auf Computer und computervermittelte Kommunikation etwa schon bei Sherry Turkle zu finden sind, nach einigen Jahrzehnten der Etablierung des Computers im Alltag und nach mindestens einem Jahrzehnt massenhafter Internetnutzung bisher kaum sichtbar geworden. Dekonstruiert die Dekonstruktion, alle Macht den RealistInnen! ;-)

Ist das Löschen von kritischen Diskussionsbeiträgen mit dem Geist einer freien Wikipedia vereinbar?

@Stechlin: Du hast eine kritische Frage zum Thema herrschaftsfreie Kommunikation gelöscht, weil du an der dort zum Ausdruck gebrachten Meinung eine Inhaltskritik gerechtfertigt sahst. Ich nehme zur Kenntnis, dass du die Fragestellung und Perspektive des von dir inkriminierten Textautors mißbilligst. Diese Meinung ist sicher beachtenswert, und es scheint mir durchaus angemessen, wenn du in einem offenen Disput deine Gegenmeinung artikulierst. Keineswegs aber ist es deine Aufgabe als Benutzer oder Administrator, die Diskussionsbeiträge anderer Benutzer im Rahmen eines Projekts "Selbstreflexion - herrschaftsfreie Kommunikation" zu löschen, weil dir die Ansichten und dort gestellten Fragen nicht zusagen. Du störst damit die Kommunikation innerhalb des Projekts und unterminierst die freie Rede zu dem dort behandelten Thema. Auch hast du dich nicht dadurch ausgezeichnet, an dem dortigen Projekt konstruktiv mitgearbeitet zu haben. Deine nichtkommunikative Intervention erscheint darum unangemessen. Eine von dir behauptete Beleidigung aber hast du uns (den am Projekt Interessierten) nicht plausibel machen können. Darum möchte ich dich bitten, deine Störmanöver künftig zu unterlassen. Weder das kritische Stellen von Fragen zu einem Wikipedia-Problem, noch das Zitieren tatsächlicher Äußerungen Dritter erfüllt den Tatbestand der Beleidigung.
Im übrigen möchte ich dich darauf aufmerksam machen, dass auch IPs gleichwertige Mitarbeiter am Projekt Wikipedia sind, ihre Teilnahme ist ausdrücklich erwünscht. Deine Herabsetzung von IPs erscheint in diesem Lichte einer Fehlhaltung zu unterliegen. Die willkürliche Löschung eines Diskussionsbeitrags bedarf der Gesamtheit der Benutzer gegenüber, somit auch Ips gegenüber, einer Rechtfertigung. Es ist nämlich nicht deine Aufgabe Inhaltszensur zu üben. Das Infragestellen eines zweifelhaften Verhaltens von Administratoren beinhaltet nämlich noch lange nicht den Tatbestand der Majestätsbeleidigung wie zu Kaisers Zeiten. -- 217.184.19.11 00:10, 18. Okt 2004 (CEST)

Wenn wir uns der Titelfrage oben zuwenden, kommen wir nicht umhin, davon auszugehen, dass, solange es die Menschheit gibt, diejenigen, die meinten, sich über andere erheben zu können, auf Widerspruch gestoßen sind. In der Geschichte der Menschheit war das so, und solange es nicht gelungen ist, den Menschen im Kern zu ändern (wartet's nur ab), wird dies auch weiterhin so sein. Das wissen auch diejenigen, die sich über ihre Mitmenschen stellen, um ihnen Vorschriften zu machen; darum machen es einige von ihnen gewissermaßen zu ihrem Beruf, ihre Kritiker zu unterdrücken. -- Quellnymphe 18:44, 19. Okt 2004 (CEST)