Wikiup:Die Grenzen der Bezahlung/kurze 6 Wochen
Dies ist eine gekürzte Version des Textes: Wikipedia:Die Grenzen der Bezahlung/6 Wochen
Am 21. Januar 2013 ging das Projekt Grenzen der Bezahlung in die Wikipedia-interne-Öffentlichkeit. Gerade die ersten Wochen waren von einer sehr intensiven inhaltlichen Diskussion geprägt. Während die erste Gruppe der Wikipedianer nach einigen Tagen aus der Diskussion ausstieg, war der Zulauf derjenigen, die das Thema für sich entdeckten war den ersten Monat lang ungebrochen. Hier der Versuch einer Zusammenfassung der Diskussion.
Zusätzlich zur Diskussion existiert eine Materialsammlung im WikiProjekt Umgang mit bezahltem Schreiben. Zu dieser gehören unter anderem eine Sammlung existierender anwendbarer Regeln, eine Sammlung bisheriger Diskussionen, eine Dokumentation öffentlich bekannter Fälle und Anbieter von bezahltem Schreiben oder konkrete Vorschläge für Regelanpassungen.
Stand 2013
Rahmenbedingungen
Die Paid-Editing-Debatte verläuft nicht im luftleeren Raum. Sie geht von einer seit Jahren bestehenden Praxis in der deutschsprachigen Wikipedia aus. Wichtigster Einflussfaktor ist die Bereitschaft externer Akteure, überhaupt für Wikipedia-Inhalte Geld zu bezahlen. Das europäische und deutsche Wettbewerbsrecht schränkt bezahltes Schreiben theoretisch stark ein.
Bisherige Praxis: Willkürliche Duldung
Die bisherige Praxis in der Wikipedia lässt sich als willkürliche Duldung zusammenfassen. Die einschlägige Regel zu Interessenkonflikten verbietet bezahltes Schreiben nicht. Mehrere hundert Accounts aus einem professionellen Umfeld sind bekannt und können editieren. In den Diskussionen scheint sich das "pragmatische Nerdtum" (Egal wer editiert, wichtig ist der Inhalt) bisher als dominierende Auslegung zu halten. Das vorläufige Ergebnis der informellen-nicht-repräsentativen Umfrage, bei der sich bisher eine große Mehrheit für eine Duldung bezahlten Schreibens ausspricht, bietet ebenfalls Anhaltspunkte dafür.
Dennoch wird beispielsweise der Punkt "Werbung" in den Schnelllöschkriterien traditionell weit und umfassend ausgelegt. Die Regel zu Einzweck-Konten wird gelegentlich gegen offensichtliche bezahlte Mitarbeiter angewandt. Die Universal-Sperrbegründung "Kein Wille zur enzyklopädischen Mitarbeit" wird auch auf vermutete Werbe-Accounts angewendet. Mehrere Wikipedianer sagen von sich selbst, dass sie gezielt unfreundlich und abweisend sind, um bezahlte Mitarbeiter zu verschrecken.
Bezahlte Beiträger derzeit
Die meisten der professionellen Beitragenden sind vorübergehende Gäste. Sie wollen innerhalb der Regeln mit möglichst wenig Aufwand ihre Inhalte unterbringen, und haben keinerlei Interesse oder Zeit für das Innenleben der Wikipedia. Man kann davon ausgehen, dass jedes Unternehmen seinen Eintrag kennt und Mitarbeiter fast jedes Unternehmens auch schon kleinere Edits in Wikipedia getätigt haben.
Speziell auf Wikipedia ausgerichtete Dienstleister existieren nur vereinzelt, mehrere Kommunikationsagenturen betreuen auch Wikipedia-Artikel mit. Die Preise, die dafür verlangt und geboten werden, fangen bei 5 Dollar an und reichen bis in hohe vierstellige Beiträge. Teilweise gibt es auch ein Betreuungsmodell, bei dem man Artikel gegen eine monatliche Grundgebühr ersterstellt, und diese danach wartet.
Einzelne Wikipedianer berichten öffentlich oder (meist) mir privat gegenüber von gelegentlichen Geschäften auf Gegenseitigkeit. Für diese existiert kein fester Prozess, sie kommen zufällig zustande und sind zu selten, um eine Art Einkommen zu bilden. Dennoch erreichen die Gegenleistungen, die getauscht werden, in seltenen Fällen den Wert von mehreren Tausend Euro.
Die offizielle Mitarbeit von Mitarbeitern von Institutionen der Bildung von Museen oder von Archiven wird derzeit zwar von verschiedenen Initiativen befördert, findet faktisch bisher jedoch kaum statt.
Chancen und Probleme
Chancen und Probleme lassen sich in zwei Aspekte unterteilen: zum einen hat professionelles Schreiben Auswirkungen auf inhaltliche Qualität der Wikipedia, zum anderen verändert es die Zusammensetzung der Community.
Der normative Grundkonflikt: Offenheit, Anonymität und Ehrenamtlichkeit
In Bezug auf professionelles Schreiben treffen zwei Grundprinzipien aufeinander, die nur schwerlich miteinander zu vereinbaren sind. Zum einen das Prinzip, dass "Jeder mitmachen kann" und die reale Existenz der Person am Account vollkommen egal ist. Dies hat seinen Niederschlag zum Beispiel in der Regel „Wikipedia:Anonymität“ gefunden. Die Hauptseite selbst schreibt "zu dem du mit deinem Wissen beitragen kannst" und nimmt keinerlei Qualifikation der Autoren vor. Wichtig ist nur der Inhalt, nicht von wem es kommt. Kommerzielle Weiternutzung und Gewinnerzielung durch Wikipedia ist durch die Wahl der Lizenzen explizit erwünscht.
Andererseits besteht ein Selbstverständnis vieler Wikipedianer als Ehrenamtliche Freiwillige, die explizit eine Oase der Freiwilligkeit schaffen. Wikipedia:Beteiligen spricht explizit von „Die Wikipedia hat keine feste, bezahlte Redaktion, sondern ist das Werk freiwilliger Autoren und Autorinnen“. Der Wikipedia-Lexikonartikel über Wikipedia spricht von "unentgeltlichem" Schreiben. Dieses Selbstbild wird durch die Öffentlichkeitsarbeit und auch die Fundraising-Kampagnen gefördert.
Inhaltliche Aspekte
Die Erfahrungen mit professionellen Autoren sind schlecht. Diese scheitern oft am Wikipedia-Regelwerk. Dort, wo sie nicht scheitern, und regelgerechte Edits einfügen, sind diese meist inhaltlich marginal und fallen nicht weiter auf. Die Einschätzungen darüber wie gravierend die jetzt dadurch entstehenden Schäden sind, sind stark unterschiedlich und reichen von einem inhaltlichen Gewinn in der Gesamtschau, über das Statement, dass die Eingangskontrolle schon jetzt überfordert ist, dem Statement wir sind gescheitert, bis hin zu wüsten Beschimpfungen der Teilnehmer.
Allerdings ist es auch möglich, dass professionelles Schreiben auf die Dauer notwendig ist, um der Verantwortung der Wikipedia in der Welt gerecht zu werden, oder um zumindest die bereits sehr hohe Qualität vieler Beiträge weiter steigern zu können. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Artikelsubjekte wird sowohl teilweise von Wikipedianern als auch von außen als verbesserungsfähig empfunden und bietet einen zusätzlichen Anreiz, per Paid Editing abzuhelfen.
Soziale Aspekte
Nicht alle Wikipedianer stimmen zu, dass soziale Aspekte überhaupt eine Rolle spielen beziehungsweise ob es überhaupt möglich ist, professionelle Benutzer als Gruppe zu identifizieren oder festzumachen.
Einige Wikipedianer erklären, nicht mit bezahlten Schreibern zusammenarbeiten zu wollen, für andere ist dies unerheblich. Die Zusammenarbeit zwischen Ehrenamtlichen und Profis findet auch außerhalb der Wikipedia in vielen Bereichen statt - beispielsweise Altenpflege oder Naturschutz. Besonders problematisch könnte es sein, wenn professionelle Benutzer versuchen, Einfluss auf die Regeln und Verfahrensweisen der Community zu gewinnen.
Andererseits können natürlich professionelle Schreiber auch die Diversität der Nutzer stärken und professionelle Höflichkeit ein Fortschritt gegenüber dem eher berüchtigten Tonfall innerhalb der Wikipedia sein.
Werkzeuge
Werkzeuge und Maßnahmen, die sich bieten, lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. Jene Maßnahmen, die speziell auf professionelle Benutzer abzielen und jene Maßnahmen, die für alle Benutzer gelten, aber in dem Themenbereich eine besondere Wirkung entfalten.
Bereits existent
Wichtigstes Hilfsmittel überhaupt ist die Abschreckung. Der Gedanke, dass Wikipedia in den Bereich Social Media fällt, und als solches "bespielt" werden könnte, ist bei den entsprechenden Akteuren kaum präsent und wird von Wikipedia auch nicht gefördert. Sowohl in der Community als auch bei den Massenmedien ist das Misstrauen hoch, und ein Eintrag kann sich schnell zum Skandal auswachsen. Die formellen und informellen Regeln sind kryptisch und widersprüchlich. Die Oberfläche ist für heutige Internetnutzer wenig intuitiv. Auch wenn Professionelles Schreiben theoretisch erlaubt ist, findet es doch praktisch in einem technisch und sozial abweisenden Umfeld statt.
Am wichtigsten ist die alltägliche Arbeit und die Betreuung, die an verschiedenen Stellen durch die Wikipedianer in der Eingangskontrolle, dem Support-Team und dem Mentorenprogramm stattfindet. Insbesondere mit den Versuchen inhaltlicher Manipulationen ist Wikipedia seit vielen Jahren konfrontiert und hat hier umfangreiche Werkzeuge entwickelt
Eine Bedeutende Rolle im Alltag spielen insbesondere die Relevanzkriterien, die bereits einen Großteil "anfälliger Themen" im Voraus ausschließen. Der effektivste Weg einen Großteil potenzieller Auftraggeber zu verschrecken, wäre auch ein Verschärfen der Relevanzkriterien.
Auch Hilfsangebote wie das Support-Team und das Mentorenprogramm stehen allen Interessierten offen und arbeiten regelmäßig mit professionellen Autoren zusammen. Das Referentennetzwerk hingegen reagiert sehr zurückhaltend auf alle Anfragen, die einen kommerziellen Charakter haben könnten.
Das europäische Wettbewerbsrecht kann ein wichtiges Werkzeug der Community gegen Werbung und Schleichwerbung in der Wikipedia sein. Hier fehlen noch Erfahrungen und Praxis, wie dieses möglichst sinnvoll einzusetzen ist.
Die verifizierten Accounts. Diese sind Accounts, die den Namen einer Organisation oder prominenten Person tragen und im Auftrag des Namensträgers unterwegs sind. Diese können sich beim Support-Team der Wikipedia verifizieren lassen. Idee und Umsetzung hierzu stammen aus dem Support-Team. Es besteht die Gefahr, dass die verifizierten Accounts in der Außenwirkung zum Eindruck einer offiziellen Erlaubnis des Editierens führen.
Mögliche Maßnahmen
Einfachste Maßnahme wäre eine klare Unvereinbarkeitserklärung. Hier existiert auch die Idee eines "Manifestes", bei dem kein Meinungsbild notwendig wäre, sich aber Wikipedianer zusammenfinden können.
Aus der englischen Wikipedia stammt die Diskussionsseitenstrategie, auch als "bright line" bezeichnet: Bezahlte Accounts dürfen nur auf Diskussionsseiten schreiben. Edits im eigentlichen Artikelnamensraum sind tabu. In diesem Modell haben die ehrenamtlichen Wikipedianer analog zum Journalismus die Aufgaben und die Stellung einer Redaktion. Bezahlte Schreiber könnten die Redaktion mit Inhalten beliefern, dürfen selbst aber nicht im Artikel editieren.
Unabhängig vom spezifischen Inhalt würde ein Ethik-Code ähnlich dem britischen „Draft best practice guidelines for PR“ Grundregeln des Verhaltens für Werbetreibende festlegen. Sinnvollerweise sollte dieser in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Anbietern entstehen und Ihnen auf diesem Weg auch bekannt gemacht werden
Bei der Forderung nach Transparenz sind bezahlte Bearbeitungen prinzipiell erlaubt. Schwierigkeiten wirft hierbei auch das OLG-Urteil auf. Eine Kombination der Maßnahmen, bezahlte Autoren kenntlich zu machen, und ihre Edits a priori Werturteilen zu unterwerfen, ist die Idee der "Zertifizierten Accounts." Diese würden durch Wikipedia/Wikimedia zertifiziert und würden sich verpflichten, alle Regeln zu befolgen und generell gute Mitarbeiter zu sein. Wikip/media würde die Kriterien aufstellen und überwachen. Die Anbieter könnten damit werben, ein zertifizierter Account zu sein.
Schulungen für potenzielle bezahlte Schreiber könnten viele inhaltliche Probleme der bisherigen Werbeartikel beheben. Dort ist aber der Zeitaufwand für Schreiber so groß, dass bisher nur die wenigsten Auftraggeber die Arbeitszeit dafür bezahlen würden. Das bereits existierende Wikipedia-Referentennetzwerk arbeitet bisher nicht mit kommerziellen Interessenten zusammen. Eine Schulung kommerzieller Interessenten, die durch Spendengelder bezahlt oder zumindest koordiniert würde, wäre auch in der Außendarstellung schwer bis gar nicht vermittelbar.