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aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Wikimedium 4/12

Ein Sommer im Berliner Stadtmuseum

Die vier Häuser und die zahlreichen Sammlungen der Stiftung Stadtmuseum Berlin bergen einen riesigen Wissensschatz. Millionen von Objekten aus 775 Jahre Stadtgeschichte, viele davon mit überregionaler Bedeutung, werden - für die Öffentlichkeit zumeist verborgen - dort aufbewahrt und erforscht. Da liegt es nahe, dieses Wissen in die Wikimedia-Projekte einzubringen, so dass alle Menschen daran teilhaben können.

Zehn Wochen lang durfte ich als sogenannter "Wikipedian in Residence" den Grundstein dafür legen. Durch die Initiative des ehemaligen Präsidiumsmitglieds Sebastian Wallroth konnte ich im Auftrag von Wikimedia Deutschland diese umfangreiche Aufgabe nahezu in Vollzeit angehen.

Die drei großen Schwerpunkte meiner Arbeit waren die hausinterne Vermittlung von Wikipedia, das Eruieren der Möglichkeiten zur Freigabe von Inhalten sowie die Etablierung von Kooperationen zwischen Stiftung und Wikimedia-Community. Beispielsweise führte ich für über 40 Mitarbeiter Autorenschulungen in kleinen Gruppen durch, vermittelte in Gesprächen mit der hauseigenen Fotothek die Lizenzregelungen von Wikimedia Commons und richtete eine Kontaktseite für die Wikimedia-Community ein.

Den vorläufigen Abschluss bildete Anfang Oktober der Besuch des Berliner Wikipedia-Stammtischs im Märkischen Museum, dem Haupthaus der Stiftung. Mehr als 20 interessierte Wikipedianer und Angehörige wurden von Dr. Martina Weinland, der Direktorin der Sammlungen, im Rahmen einer Sonderführung durch mehr als 700 Jahre Stadtgeschichte begleitet. Da die Begeisterung auf allen Seiten groß, die Zeit jedoch bei weitem nicht ausreichend war, ist für den Jahresanfang bereits der nächste Besuch geplant. Der weiteren erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Museum und Wikipedia-Community steht also auch ohne "Wikipedian in Residence" nichts im Wege.


Damit sich was dreht: Open Data bei Verkehrsdaten

Open Data-Aktivisten haben schon seit einiger Zeit einen Bereich des öffentlichen Lebens im Blick, bei dem viele Daten anfallen und bisher der Zugang noch nicht einfach möglich ist: Verkehrsdaten, also die Fahrpläne der Nah- und Fernverkehrsbetriebe, die Positionen von Haltestellen und die aktuelle Position von Zügen, Bussen, Ubahnen, Trams und S-Bahnen. Das Argument zur Freigabe ist, kurzgefasst, bestechend einfach: Diese Daten werden eh erhoben, es findet im Verhältnis zum Aufwand der Erhebung der Daten so gut wie keine wirtschaftliche Nutzung ebendieser Daten statt, viele Anwendungen zur Nutzung dieser Daten durch Dritte sind möglich, und eine Freigabe würde Programmierer und andere Interessierte in die Lage versetzen, die Daten sinnvoll zu nutzen. Sinnvoll bedeutet hier sowohl die gemeinnützige Nutzung und Entwicklung von kostenfreien Diensten zur Steigerung des Gemeinwohls, als auch die Integration und Nutzung der Daten im Rahmen gewerblicher Projekte mit dem Ziel, Wertschöpfung zu betreiben.

Berlin, das seit einem Jahr in den Medien den Titel der "Internethauptstadt Europas" trägt, könnte in der Tat die erste Stadt Deutschlands werden, in der die Verkehrsdaten unter Freier Lizenz zeitnah veröffentlicht werden. Worksshops wie "Apps and the city" im November 2012 ( http://appsandthecity.net/) haben bereits erreicht, dass der Verkehrsverbund VBB zumindest einen kompletten Satz historischer Fahrplandaten aus dem vorangegangenen Jahr veröffentlicht hat.

Wikimedia Deutschland unterstützt diese Bemühungen, wir haben in den letzten Monaten u.a. mit der Deutschen Bahn Gespräche geführt und unsere Argumente für die Freigabe von Verkehrsdaten ausgerollt.

Ub daraus einmal Anwendungen werden, die auch im Kontext von Wikipedia eingesetzt werden können ist dabei völlig offen. Beispielsweise liegt es nahe, sich einmal die Kombination von Literaturempfehlungen in Wikipedia, Bestandsinformationen von Bibliotheken und Fahrplaninformationen anzusehen und zu schauen, ob eine Anzeige, wie viele ÖPNV-Minuten ein bestimmtes Buch in umliegenden Bibliotheken verfügbar ist, Interessenten findet.

Musik liegt in der Gruft

Mit der Verlängerung der Leistungsschutzrechte für Tonaufnahmen ist nur sehr wenigen gedient. Von Jan Engelmann

Die Bundesregierung hat sich Ende Oktober auf einen Gesetzesentwurf [1] geeinigt, mit dem der Schutz für ausübende Künstler und Tonträgerhersteller von 50 auf 70 Jahre verlängert werden soll. Damit soll die entsprechende EU-Richtlinie 2011/77/EU [2] in nationales Recht umgesetzt werden. Bedauerlich daran ist vor allem die Tatsache, dass sich eine starke Lobby einmal mehr gegenüber den Interessen der Allgemeinheit durchgesetzt hat.

Tatsächlich begünstigt die Schutzfristverlängerung in erster Linie die vier großen Player auf dem Musikmarkt (Universal, Warner, Sony und EMI), die für weitere zwanzig Jahre die Rechte für die frühesten Aufnahmen von z.B. Cliff Richard, den Beatles oder den Rolling Stones verwerten können. Es geht um einen Backkatalog, dessen Pflege weit müheloser zu Rendite führt als der Aufbau neuer Künstler oder die Investition in neue Technologien. Durch die Verhinderung des gemeinfreien Status werden Innovationen (z.B. durch Sampling) oder die Wiederveröffentlichung von “nicht-marktgängigem” Material verhindert. Auch müssen Digitalisierungsprojekte für das musikalische Erbe des 20. Jahrhunderts vorerst abgeblasen werden.

Ein solches Gratisgeschenk an ein Angebotsoligopol hat in erster Linie die Wirkung, sich vor unliebsamer Konkurrenz abzuschotten. Dass die Schutzfristverlängerung vor allem mit den Interessen der Künstler begründet wurde, spricht dieser Tatsache Hohn. Eine selbst von der EU-Kommission 2011 in Auftrag gegebene Studie geht davon aus, dass lediglich vier Prozent der ausübenden Künstler, die in einem sehr frühen Stadium ihrer Berufsbiographie an Aufnahmen beteiligt waren, von der Schutzfristverlängerung real profitieren würden.

Generell fällt auf: Die bestehenden Schutzrechte für die Musikindustrie waren bereits vor ihrer Verlängerung von 50 auf 70 Jahre außerordentlich lang, verglichen zu anderen Branchen, die weit mehr in Forschung und Entwicklung investieren müssen (z.B. medizinische und Softwarepatente). Urheberrechtsexperten diskutieren deshalb verstärkt das Instrument des Rechterückfalls (term reversion), um die Verhandlungsposition von Urhebern und ausübenden Künstlern gegenüber den Rechteverwertern zu stärken. Damit würde auch die Möglichkeit erleichtert, nach einer definierten exklusiven Verwertungsphase Werke z.B. unter eine freie Lizenz zu stellen.

Wikimedium 03/12

...denn er weiß, was er tut

Wann bist du das erste Mal mit freier Software in Kontakt gekommen?

Eigentlich weiß ich gar nicht, wann sie kein Teil meines Lebens war. Wahrscheinlich begann es in den Neunzigern. Ich begann, Linux-Distributionen zu verwenden und habe dann bald auch daran mitgearbeitet. Die Idee hinter freier Software hat mich sofort fasziniert. Später habe ich dann das GNU-Manifest gelesen und verstanden, wie Software politisiert werden kann. Die Idee, dass der Zugang zu Technologie unsere Freiheit beeinflusst, hat mich wirklich beeindruckt.

Kannst du uns ein bisschen von deiner Forschung zum kollaborativen Arbeiten erzählen?

Meine Arbeit lässt sich in zwei Kategorien unterteilen. Auf der einen Seite geht es um Communities, in denen geremixed wird. Hierbei geht es um etwas, das sich Scratch nennt. Scratch ist eine freie Anwendung, die jeder – vor allem Kinder – nutzen kann, um interaktive Spiele oder Animationen erstellen können. Alles, was hierbei entsteht, wird unter der CC-BY-SA-Lizenz veröffentlicht, genauso wie bei Wikipedia. Ich habe sehr lange untersucht, welche Dynamiken hier wirken und die Nutzer zusammenarbeiten. Andererseits habe ich auch einige Studien zum Thema Wikipedia durchgeführt. Im Hinblick auf andere kollaborative Plattformen lag die Frage auf der Hand: „Wieso werden Projekte wie Wikipedia erfolgreich, während der Großteil anderer Projekte keinen Erfolg haben?“ Ich meine, aus den meisten gehen tolle Inhalte hervor, aber sie sind nicht wirklich kollaborativ. Diese Frage treibt meine Arbeit an.

Glaubst du an die Weisheit der Masse und wie spiegelt sich das in kollaborativer Arbeit wider?

Ich glaube zumindest, dass eine Gruppe manche Sachen besser lösen kann als ein Einzelner. Peer Production beschreibt die organisierte Form der kollaborativen Arbeit. Freiwillige kommen zusammen, um gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten. Es ist wichtig zu erforschen, wie Peer Production funktioniert, wann es funktioniert und welche Ergebnisse es hervorbringt. Und es gibt gute Gründe, sich für Peer Production einzusetzen. So ist es zum Beispiel ein Ziel der Wikimedia Foundation, die Interessierten dazu zu ermutigen, nicht nur als reine Konsumenten zu agieren, sondern aktiv an der Erstellung von Wissen mitzuwirken und dieses Wissen so weit wie möglich zu verteilen.

Du sagstest einmal „Wikipedia ist nicht deshalb so faszinierend, weil Freiwillige daran arbeiten, sondern durch die Idee, die dahinter steckt.“

Für mich ist Wikipedia die Enzyklopädie, die jeder editieren kann. Es ist also keine Einbahnstraße. Die Idee von Wikipedia ist, dass das Wissen nicht von jemand anderem geschrieben wird, sondern von dir und mir. Dass all das in unserer Hand ist, ist eine wirklich demokratische Idee, wie ich finde.

Crescendo im Konzert der GLAM-Initiativen

Überblick über die verschiedenen Aktionsfelder im Bereich der konzertierten Zusammenarbeit zwischen Wikimedia Deutschland und Kultureinrichtungen im ganzen Land.

Berlin im September 2012. Munter klappern die kleinen Holzplättchen zwischen den Fingern der Weberin, wenn sie wieder ein paar Zentimeter feines Band in der Brettchentechnik webt. Gemächlich tropft das Pech in die Schale des Köhlers und zwischen den Beinen wuseln Kinder mit lustigen Hauben auf dem Haar. Willkommen im Mittelalter! Etwas am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit ist über die Jahre zwischen Zehlendorf und Kleinmachnow ein lebendiges Dorf auf den archäologischen Resten einer mittelalterlichen Siedlung gewachsen. Wohl den wenigsten ist bewusst, dass das Museumsdorf Düppel eines der führenden Zentren für experimentelle Archäologie in Europa ist. Am 9. September öffnet der Verein Museumsdorf Düppel seine Pforten für Wikipedianer zu einer exklusiven hinter den Kulissentour, Auftakt für die beginnende Kooperation der beiden Einrichtungen.

Dies ist nur eine der Initiativen, die in den letzten Monaten entstanden sind. Die Kooperation mit dem Berliner Stadtmuseum läuft Dank des emsigen Eisatzes von Kilian Kluge, Wikipedian in Residence (WiR), richtig gut. Am Deutschen Archäologischen Institut (DAI) bereitet der WiR Marcus Cyron gerade einen Workshop zum Thema Georeferencing vor. Ziel des Workshops mit Teilnehmern von seiten des DAI, Wikimedia-Experten aus Render und Wikidata sowie interessierten Wikipedianern, wird es sein, im Limes-Projekt gemeinsam die Visualisierung der Grenzen des römischen Reiches in seiner geografischen und chronologischen Ausdehnung sowie die Verknüpfung zu Wikipedia-Artikeln in den verschiedenen Sprachversionen der Wikipedia zu bewerkstelligen. Ein ambitioniertes Projekt, für das der Workshop nur die Ouvertüre sein wird.

Toll sind auch die Initiativen der ehrenamtlich wirkenden Wikipedianer. Wikipedia-Autor Peter Weis zum Beispiel wirkt in Hamburg und hat gerade den 2. Photo-Workshop für Wikipedianer am Musem für Hamburgische Geschichte durchgeführt. In Braunschweig initiiert Wikipediaautor Brunswyk ein Photoshooting in einer privaten Oldtimer-Sammlung. Und schließlich stellten Daniel Mietchen und andere auf der WikiCon die Projektseite „Lange Nacht“ vor. Hier finden Aktivisten und solche, die es werden wollen, konkrete Hinweise, wie sie die deutschlandweit mehr als 120 Veranstaltungen wie „Lange Nacht der ...“ nutzen können, um die Zusammenarbeit mit Kultur- und Gedächtnisinstitutionen und den Wikimediaprojekten zu initiieren. Deutschland hat eine einzigartige und reichhaltige Vielfalt an kulturellen Einrichtungen, gemeinsam können wir diesen Reichtum für alle durch die Wikipedia stärker zugänglich machen.

Kommentar

Das Digitale Kulturdrehkreuz DDB

Wenn Digitalisierungsprojekte abheben sollen, kommt es schon auf kleinste Details bei der Planung an. Zum Beispiel die gewählte Lizenz. Von Mathias Schindler

Wer bei dem Stichwort “Großes Verkehrsprojekt mit langer Vorlaufzeit” an Berlins Großflughafen BER denkt, liegt sicher nicht falsch. Im Windschatten der großen Baupolitik schaffen engagierte Kräfte einen weiteren Ort für Reiselustige: Die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) als Verkehrsknotenpunkt für Abstecher in den atemberaubenden Reichtum der deutschen Kulturlandschaft mit seinen legendären 30.000 Einrichtungen in öffentlicher und privater Trägerschaft.

Wem das Konzept eines gemeinsamen Einstiegs, gemeinsamer Datenbank für die Bestände der einzelnen Einrichtungen und die Idee engmaschiger Vernetzung dieser Objekte (“Menschen, die Martin Luther gesucht haben, haben auch Thomas Münzer gesucht”) vertraut vorkommt, hat vielleicht schon einmal von Europeana gehört, das dieses Konzept auf europäischer Ebene durchexerziert.

Während der BBI-Eröffnungstermin in den Wolken steht, wird es bei der DDB noch dieses Jahr eine erste einen öffentlich einsehbaren Vorgeschmack geben, was 10 Millionen Euro Förderung im Kultursektor auf die Beine stellen können.

Für Wikimedia Deutschland ist die DDB sowohl Gesprächs- als auch naheliegender Bündnispartner bei allen laufenden Vorhaben zum Thema Verwaiste Werke, Zugang zu Digitalisaten in öffentlichen Einrichtungen, Linked Open Data. Wir profitieren hier von der intensiven Arbeit mit Europeana, die sich in diesem Jahr für die größtmögliche Nachnutzbarkeit von bibliographischen Daten eingestellter Objekte entschieden hat - nämlich ohne Ausnahme, durch Einsatz der Lizenz Creative Commons Zero. DDB wird, so legen es die aktuellen Entwürfe der Nutzungsvereinbarung nahe, diesen Weg mitgehen (wenn auch leider etwas halbherziger als Europeana). Wir wünschen jedenfalls allen BER-Gestrandeten eine erholsame Datenreise.

http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de

Wikimedium 02/12

Wikimedium 01/12

“Als Lehrer will ich remixen”

Interview mit dem Bildungsaktivisten Damian Duchamps

Herr Duchamps, mussten Sie sich in Ihrer Lehrerausbildung irgendwann einmal mit urheberrechtlichen Themen herumschlagen?

Nein, das war zur Zeit meiner Ausbildung kein Thema. Es scheint übrigens auch gegenwärtig in der Lehrerausbildung kaum präsent.

Wie stellt sich das in der Praxis dar: Gibt es Leitlinien für Lehrer, um mögliche Rechtsverstöße zu vermeiden?

Die einzigen Leitlinien sind die des Verband Bildungsmedien und daran anknüpfende Dienstanordnungen bzw. Verwaltungsvorschriften der jeweiligen Kultusministerien. Die werden dann je nach Schule in Kopie zur Kenntnisnahme an die Kollegien weitergegeben. In der Praxis ist der Kenntnisstand bei Lehrerinnen und Lehrern eher gering, was das Urheberrecht angeht. Wo immer ich frage, begegnet mir sehr oft Unsicherheit. Im Berufsalltag spielt Urheberrecht an den meisten Schulen keine große Rolle und es wird permanent dagegen verstoßen.

Welche wesentlichen Vorteile bieten Open Educational Resources (OER) bei der Unterrichtsgestaltung?

Klassische Medien, die mit Urheber- und Leistungsschutzrechten belegt sind, sind starr und engen die Nutzung extrem ein. Der aktuelle Vorstoß deutscher Bildungsverlage, gleichsam als Reaktion auf Apples iBooks eine gemeinsame Plattform für digitale Schulbücher anzubieten, beweist dies einmal mehr. Zwar sind die Produkte herstellerunabhängig, was Betriebssysteme und Hardware angeht. Aber es handelt sich lediglich um digitale Reproduktionen bestehender Schulbücher, angereichert durch Medien und Verknüpfungen. Exportfunktionen für Textverarbeitungen und Präsentationen sind dabei nicht vorgesehen, weil ja auch analoge Bücher in keiner Form digital verarbeitet werden dürfen. Freischaltcodes und Digital Rights Management tun ihr Übriges, um die digtalen Schulbücher nicht frei nachnutzbar zu machen. OER sind dagegen dynamisch und erlauben die völlige Anpassung von Inhalten an die schulischen Gegebenheiten. Als Lehrer oder Schüler kann ich Materialien remixen, wie es mir am sinnvollsten erscheint, und ohne dabei mit dem Urheberrecht in Konflikt zu kommen. OER macht Bildungsinhalte lebendig, da sie sich weiter entwickeln können in den Händen der User.

Die OER-Definition der OECD enthält eine wichtige Restriktion, nämlich die der nicht-kommerziellen Nutzung. Insofern wären sie aber nicht "frei" im Sinne der Wikimedia-Projekte. Hätten Sie persönlich eine bestimmte Präferenz für eine standardmäßige Lizenzform?

Ich bevorzuge die CC-BY-SA-Lizenz. Bei deutschsprachigen OER findet sich leider das NC-Lizenzmodul sehr oft. Ich vermute, es entspricht der Mentalität der Menschen hier. Sie haben Angst, finanziell übervorteilt zu werden. Persönlich hätte ich kein Problem, von mir erstellte Inhalte mit CC-Lizenz in einem Schulbuch abgedruckt zu finden, solange ich als Urheber genannt werde.

Welche konkreten Initiativen in Deutschland lassen derzeit hoffen?

Leider noch sehr wenige, zum Beispiel das, was in Baden-Württemberg passiert. Ausgehend von der Stuttgarter Erklärung des Bildungsbündnisses Open Content (unterzeichnet u.a. vom SWR, dem VHS-Verband Baden-Württemberg und der Landeszentrale für politische Bildung) hat man dort immerhin den Bildungsserver entsprechend ausgerichtet und es gibt Partner, welche OER beisteuern. Wie offensiv man in Baden-Württemberg das Thema pusht, kann ich allerdings nicht beurteilen. Eine ähnliche Richtung schlägt man in Sachsen-Anhalt ein. Auch dort sind Inhalte auf dem Bildungsserver unter CC Lizenzen gestellt. Ich würde mir wünschen, dass man in den anderen Bundesländern nachzieht. In NRW will man sich bei Learn:line OER nicht verschließen, hat momentan jedoch andere Prioritäten.

Eine Initative, von der ich auf Ausstrahlung auf Regierungsbehörden und NGOs hoffe, ist das Bundesumweltministerium, welches unter umwelt-im-unterricht.de/ Teile seiner Wissensbestände als OER zur Verfügung stellt. Nachahmenswert finde ich auch die Initiative des Museum Naumburg, wo unter mv-naumburg.de gezeigt wird, dass auch Museen einen wertvollen Beitrag zu OER leisten können. Eine besonders beachtenswerte Initative sehe ich in dem Projekt des Historischen Instituts der Universität Köln http://www.segu-geschichte.de/. Die Plattform setzt komplett auf OER und ich wünsche mir, dass andere Universitäten sich hier ein Beispiel nehmen.

Könnten Ihrer Meinung nach Plattformen wie Wikiversity oder Wikibooks zu Anlaufstellen für freie Bildungsinhalte werden?

Sie könnten definitiv zu Anlaufstellen werden, unter mehreren. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass es kaum möglich ist, alle OER-Bemühungen in einem Land oder Sprachraum zentral zu bündeln, außer diese Regionen sind in ihrer Bildungsinfrastruktur noch recht schwach entwickelt. Immer finden sich mehrere Initiativen, die parallel nebeneinander her laufen. OER speisen sich zudem aus höchst verschiedenen Quellen. Das reicht von Inhalten, welche einzelne Nutzer bereitstellen, bis zu denen von Institutionen. Zudem können OER verschiedenste Formen bzw. Formate haben. Wikibooks tragen in ihrem Namen nicht umsonst auf das Medium Buch. Damit haften sie jedoch einem alten Paradigma an, das im Umbruch begriffen ist. Werden Wikibooks diesen Wandel abbilden können? Wikiversity ist in seiner Anlage anders angelegt und von daher deutlich flexibler. Viel wird dort von der Akzeptanz durch Institutionen wie Schulen und Universitäten abhängen.

Was spricht überhaupt für zentrale Plattformen?

Ich bin mir sicher, dass OER zentrale Anlaufstellen braucht, durchsuchbare Verzeichnisse wie OER Commons wie auch Repositorien und Publikationsplattformen wie Wikibooks. Das hat nicht nur für die Systematisierung und Auffindbarkeit von Inhalten Vorteile, sondern wird auch die nächste Stufe in der OER-Entwicklung erleichtern, die Qualitätssicherung. Ein OER-Ansatz, der auf völlige Dezentralität setzt, wird dem Anliegen von OER eher schaden als nutzen, da viele potentielle Nutzer mit der Publikation der von ihnen erstellten Inhalte auf eigenen Webseiten komplett überfordert wären. Außerdem setzt eine derartige Dezantralität universelle Standards von auf Bildung abgestimmten Metatags voraus, die von jedermann beherrschbar sein müssen, um den Crawlern von OER-Verzeichnissen bzw. Suchmaschinen überhaupt eine Chance zu geben, möglichst alle OER-Publikationen aufzufinden. Bei werbefinanzierten Suchmaschinen wie Google wird dann jedoch auch Content-Spam ein großes Problem sein. (je)

+++ Zur Person +++

Damian Duchamps (Pseudonym) ist als Teilzeitlehrer an einer mittelgroßen ländlichen Hauptschule in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Auf seinem Blog (http://damianduchamps.wordpress.com/) schreibt er vor allem über den Einsatz neuer Medien im Schulunterricht, wobei er die Politik der Schulbuchverlage und die Restriktionen bei der digitalen Unterrichtsgestaltung ausgesprochen kritisch sieht. Mit der Website “CC Your Edu” und dem gleichnamigen Twitter-Account gibt er regelmäßig Hinweise auf Bildungsinhalte unter Creative-Commons-Lizenz, quer durch alle Fachbereiche. Wir befragten ihn nach dem aktuellen Stand der Debatte zu “Open Educational Resources”, die nach der Aufregung um den sogenannten Schultrojaner wieder Auftrieb erhalten hat.

Kommentar: ARD ad ACTA?

Die Tagesschau findet ein internationales Abkommen plötzlich interessant. Die Indentantin fordert schnellen Vollzug. Und Wikimedia Deutschland spielt dazu die Sockenpuppe. Eine Lektion über Medien im Zeitalter der Copyright Wars.

Wie Medien ticken, wissen wir mittlerweile nur zu gut. Themen müssen sich möglichst durch Irritationsmomente für die große Bühne der Öffentlichkeit qualifizieren und ihre Aufführung kann niemals ohne Köpfe, sogenannte “talking heads” auskommen. Selbiges war auch nach den bundesweiten Acta-Großdemonstrationen am 11. Februar zu beobachten. Da die meisten Zeitungsredaktionen und Rundfunkanstalten offensichtlich versäumt hatten, rechtzeitig Expertise zu dem komplizierten Thema aufzubauen, war guter Rat teuer. Als schließlich auch Wikimedia Deutschland von tagesschau.de gebeten wurde, für ein Pro & Contra zu Acta in die Manege zu steigen, wurden schnell gewisse Hürden für die mediale Aufbereitung deutlich: Gewünscht wurde ein leicht verdauliches Texthäppchen und keine erklärungsbedürftigen Begriffe wie “Abmahnindustrie” oder “Hyperlinks" bitte, Sie wissen schon.

Wie überrascht waren wir, als nur Tage später - der extrem flauschige Kommentar harrte noch seiner Genehmigung durch diverse ARD-Gremien in Berlin und Hamburg - dieselbe Sendeanstalt ihr eigenes ACTA-Outing vollzog: Zusammen mit den üblichen Verdächtigen der ominösen Content-Allianz forderte ARD-Intendantin Monika Piel die rasche Unterzeichnung des Abkommens. Diese eigene Involviertheit in den Meinungsbildungsprozess als starker Player auf Content-Seite hätte man doch gerne früher erfahren.

Indes: Als die Content-Allianz antrat, hatte sich der politische Wind schon längst gedreht: Zahlreiche Bundestagsabgeordnete wurden in ihren Wahlkreisen mit Fragen zu ACTA bombardiert, der interne Meinungsbildungsprozess insbesondere bei den Regierungsparteien war empfindlich gestört. Ein schönes Beispiel dafür, wie verordnete Intransparenz letztlich zum Bumerang werden kann. Seitdem ist es komplett unvorstellbar, keine Meinung zu Acta zu haben. Wildfremde Menschen philosophieren an Deutschlands Kiosken und in Muckibuden über etwas, das durchaus als Symptom für den Vertrauensverlust in die politischen Institutionen zu verstehen ist.

Vor dem Hintergrund der öffentlich-rechtlichen Sprachverwirrung bei Acta ist man nachgerade dankbar für unabhängige Analysen, wie sie beispielsweise die amerikanische Nichtregierungsinstiution “Knowledge Ecology International” vorbrachte: Das Abkommen sei “Teil einer umfassenderen Strategie seitens der Rechteinhaber, sich von der Normsetzung und technischen Umsetzung hin zu verschwiegenen, geschlossenen und gekaperten Institutionen zu bewegen.” Prägnanter könnten es selbst ARD-Kommentatoren nicht sagen. (je)