Wolfgang Schivelbusch

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Wolfgang Schivelbusch (* 26. November 1941 in Berlin) ist ein deutscher Publizist und Historiker.

Leben

Schivelbusch wuchs in Frankfurt am Main auf und absolvierte nach dem Abitur ein Volontariat beim Wiesbadener Kurier. Anschließend studierte er zunächst an der FU Berlin, dann an der Universität Frankfurt Literaturwissenschaften, Soziologie und Philosophie, unter anderem bei Theodor W. Adorno. 1967 kehrte er nach Berlin zurück, wo er bei Peter Szondi an dessen Seminar für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft studierte.[1] Er wurde bei Hans Mayer, bei dem er bereits seine Magisterarbeit geschrieben hatte, mit einer Arbeit über das Theater nach Bertolt Brecht promoviert.[2] 1976 wurde ein Antrag auf ein Habilitationsstipendium von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit der Begründung abgewiesen, Schivelbusch sei nicht für die Lehre geeignet. Schivelbusch bezeichnet sich als „Privatgelehrten“, hatte nie eine akademische Position inne und finanzierte seine kulturhistorischen Studien mit Stipendien, Projektförderungen und Unternehmensaufträgen. Seit 2014 ist er senior fellow am Berliner Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL).[3]

Von 1973 an lebte Schivelbusch in New York und Berlin-Westend, die New Yorker Wohnung gab er 2014 auf. Er ist verheiratet mit Helma von Kieseritzky, der langjährigen Leiterin der Berliner Autorenbuchhandlung.[4]

Werk

Schivelbusch ist vor allem für seine mentalitätsgeschichtlichen Werke bekannt. Für sein 1977 erschienenes Werk zur Geschichte der Eisenbahnreise[5] erhielt er 1978 den Deutschen Sachbuchpreis.[6][7] Seine beiden folgenden Bücher handelten über Genussmittel und künstliche Beleuchtung, so schuf Schivelbusch als Kulturhistoriker eine Material-Trilogie über die Arbeit der Dinge am Menschen. 2001 veröffentlichte er sein groß angelegtes Buch Kultur der Niederlage, das die Narrative und Mythen der Besiegten beleuchtete. 2005 thematisierte er mit seinem Werk Entfernte Verwandtschaft: Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal 1933–1939 den Zeitgeist der 30er Jahre, vor allem die gleichzeitige öffentliche Kriseninvestion zur Arbeitsbeschaffung. In seiner Studie Das verzehrende Leben der Dinge. Versuch über die Konsumtion nahm er 2015 die Produktion und den Gebrauch von Gütern sowie deren Verwandlung durch Verbrauch in den Blick. 2021 erschien das Gesprächsbuch Die andere Seite. Leben und Forschen zwischen New York und Berlin, das den Schuld- und Schamkomplex von USA und Deutschland umkreist.

Auszeichnungen

2003 wurde Schivelbusch von der Akademie der Künste zu Berlin mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet und 2005 mit dem Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung. 2013 erhielt er den Lessing-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg.[8]

Bücher (Auswahl)

  • Sozialistisches Drama nach Brecht: 3 Modelle, Peter Hacks, Heiner Müller, Hartmut Lange (= Sammlung Luchterhand. Bd. 139). Darmstadt/Neuwied 1974, ISBN 3-472-61139-1.
  • Geschichte der Eisenbahnreise: Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert. Hanser, München/Wien 1977, ISBN 3-446-12425-X. Taschenbuch: Fischer-TB 14828, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-596-14828-6.
  • Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft: Eine Geschichte der Genussmittel. Hanser, München/Wien 1980, ISBN 3-446-12984-7. Taschenbuch: Fischer-TB 4413, Frankfurt am Main 1990 und 1992, ISBN 3-596-24413-7.
  • Intellektuellendämmerung: Zur Lage der Frankfurter Intelligenz in den zwanziger Jahren. Insel, Frankfurt am Main 1982. Taschenbuch: Suhrkamp-TB 1121, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-518-37621-7.
  • Lichtblicke: Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert. Hanser, München/Wien 1983, ISBN 3-446-13793-9. Taschenbuch: Fischer-TB 16180, Frankfurt am Main 2004, ISBN 978-3-596-16180-5.
  • Eine wilhelminische Oper (= Die Hessen-Bibliothek). Insel, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-458-14242-8.
  • Die Bibliothek von Löwen: Eine Episode aus der Zeit der Weltkriege. Hanser, München/Wien 1988, ISBN 3-446-15162-1. Taschenbuch: Eine Ruine im Krieg der Geister. Fischer-TB 10367, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-596-10367-3.
  • Licht, Schein und Wahn: Auftritte der elektrischen Beleuchtung im 20. Jahrhundert (= Erco-Edition). Ernst, Berlin 1992, ISBN 3-433-02344-1.
  • Vor dem Vorhang. Das geistige Berlin 1945–1948. Hanser, München/Wien 1995, ISBN 3-446-18095-8. Taschenbuch: Fischer-TB 13375, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-596-13375-0.
    • In a Cold Crater. Cultural and Intellectual Life in Berlin, 1945-1948. Berkeley, University of California Press, 1998. online
  • Die Kultur der Niederlage: Der amerikanische Süden 1865, Frankreich 1871, Deutschland 1918. Fest, Berlin 2001, ISBN 3-8286-0165-0. Taschenbuch: Fischer-TB 15729, Frankfurt am Main 2003, ISBN 978-3-596-15729-7.
  • Entfernte Verwandtschaft: Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal 1933–1939. Hanser, München/Wien 2005, ISBN 978-3-446-20597-0. Taschenbuch: Fischer-TB 17152, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-596-17152-1.
  • Das verzehrende Leben der Dinge. Versuch über die Konsumtion. Carl Hanser, München 2015, ISBN 978-3-446-24781-9.
  • Rückzug. Geschichten eines Tabus. Carl Hanser, München 2019, ISBN 978-3-446-26228-7.
  • Die andere Seite. Leben und Forschen zwischen New York und Berlin. Rowohlt, Hamburg 2021, ISBN 978-3-498-09397-6.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Marc Reichwein: Wolfgang Schivelbusch zum 80: „Lust am Reaktionären“. In: DIE WELT. 26. November 2021 (welt.de [abgerufen am 29. November 2021]).
  2. Michael Mönninger: Wolfgang Schivelbusch wird 80. Abgerufen am 27. November 2021.
  3. Profil auf den Seiten des ZfL.
  4. Alexander Cammann: Auf dem Sand von Manhattan. In: Die Zeit vom 16. Dezember 2021, S. 63.
  5. Niklas Weber: Das Schweigen der Passagiere. Wolfgang Schivelbuschs „Geschichte der Eisenbahnreise“ neu gelesen. 27. Oktober 2019, abgerufen am 31. Oktober 2019.
  6. Kulturgeschichte Aroma vom Paradies, Der Spiegel 7. April 1980
  7. Martin Eichhorn: Kulturgeschichte der "Kulturgeschichten": Typologie einer Literaturgattung, Königshausen und Neumann, Würzburg 2002, Fn. 499, S. 124. ISBN 978-3-8260-2341-5 (= Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft, Band 417, zugleich Dissertation¨an der Humboldt-Universität zu Berlin 2000).
  8. Historiker Wolfgang Schivelbusch erhält den Lessing-Preis 2013, auf shz.de vom 19. Dez. 2013 (Memento vom 1. Januar 2014 im Internet Archive)