Radfenster
Ein Radfenster ist ein Rundfenster, bei dem die Fensteröffnung durch „Speichen“ aus Holz oder Stein unterteilt ist. Radfenster sind Vorstufen der gotischen Fensterrosen, die jedoch oft noch die Form eines Radfensters aufnehmen und variieren.
Geschichte
Radfenster sind typische Fensterformen in der Architektur der Hoch- und Spätromanik. Ihre Ursprünge – und damit auch ihr erstmaliges Auftreten – sind nicht erforscht. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass die frühesten Radfenster im 11. Jahrhundert in Italien entstanden sind. Möglicherweise haben bei der Entstehung sechsspeichiger Räder auch Erinnerungen an das Christusmonogramm eine Rolle gespielt. Einige Überlegungen der Architekturhistoriker gehen dahin, dass die größer werdenden Rundfenster (Oculi) an den West- oder Querhausfassaden vieler Kirchen zunächst durch hölzerne Räder geschlossen wurden, um einen dekorativen Effekt zu erzielen. Diese Räder wurden später verglast um Regenwasser, Vögel oder anderes Getier fernzuhalten. Sehr bald schon – jedoch lange vor dem Aufkommen des gotischen Maßwerks (um 1215) – wurden diese hölzernen Konstruktionen, von denen sich nichts erhalten hat, in Stein nachgeahmt, wobei die Speichen regelmäßig als kleine Säulchen ausgebildet sind; die mittlere Radachse blieb jedoch erhalten.
Konstruktion
Regelfälle
In Abhängigkeit von der Größe des Fensters verändert sich auch die Anzahl der stets gleich großen Felder: Ursprünglich waren es meist acht, aber schnell wird die symbolträchtige Zwölfzahl sehr beliebt; es existieren jedoch auch spätere Radfenster mit 24 Speichen bzw. Feldern (Kathedrale von Modena) und mehr. In Mitteleuropa werden die Radfenster von den gotischen Fensterrosen abgelöst, die jedoch noch lange Zeit an den Konstruktionsprinzipien der Radfenster festhalten (Straßburger Münster), aber üblicherweise keine Speichen in Säulenform mehr kennen.
Sonderfall
Im nördlichen Querhaus der Abteikirche von Saint-Remi in Reims findet sich ein gotisches Radfenster, das sich – aufgrund der wechselweise kleineren oder größeren Felder bzw. der kürzeren und längeren Speichen – optisch zu drehen scheint.
Verbreitung
Radfenster kommen in der sakralen Architektur weiter Teile Süd- und Mitteleuropas vor, jedoch überwiegend in Italien – seltener auch in Spanien, Frankreich, England und Deutschland. Sie finden sich fast ausnahmslos im oberen Teil von West- und/oder Querhausfassaden, wo sie manchmal auch in das Giebelfeld hineinragen können.
Symbolik
Radfenster werden manchmal – in Anlehnung an das Marterwerkzeug der Hl. Katharina – auch als „Katharinenfenster“ bezeichnet. In einigen wenigen Fällen (Basler Münster; Saint-Étienne in Beauvais) sind sie eindeutig auch als mahnendes Glücksrad bzw. Fortunarad zu verstehen, da die Figuren in der Fensterrahmung mal aufsteigen oder mal abwärtsfallen. Generell können sie – wie auch die Fensterrosen – als ‚Spender Himmlischen Lichts‘ aufgefasst werden – wohl auch deshalb spielt die oft auftretende Zwölfzahl der Speichen eine so dominierende Rolle.
Ornament
Im Gegensatz zum reichen und äußerst experimentierfreudigen Blendmaßwerk kommen Räder als Ornamentform bei Wandauflagen oder bei Chorgestühlen etc. so gut wie nicht vor.
Bilder
Verona, San Zeno Maggiore – Westfassade
Tuscania, San Pietro – Westfassade
Troia, Kathedrale – Radfenster mit maurischen Füllungen
Beauvais, St-Étienne – Radfenster mit Glücksrad
Literatur
- Wiltrud Mersmann: Die Bedeutung des Rundfensters im Mittelalter. Ungedruckte Dissertation Wien 1944.
- Wiltrud Mersmann: Rosenfenster und Himmelskreise. Mäander, Mittenwald 1982, ISBN 3-88219-195-3.
- Painton Cowen: Die Rosenfenster der gotischen Kathedralen. Herder, Freiburg 1984, ISBN 3-451-18629-2.