Vielpass
Als Vielpass werden in der Architektur vielfach gezackte runde oder halbrunde Zierformen bezeichnet, die vor allem beim Maßwerk auftreten, aber bisweilen auch in der Rahmung von Fenstern sowie in Bögen. Der Fünfpass und der Sechspass sind die einfachsten Formen des Vielpasses, wohingegen Dreipass und Vierpass nicht zu den Vielpässen gezählt werden.
Geschichte
Vielpässe sind in der antiken Architektur und Ornamentik unbekannt; wahrscheinlich sind es Schöpfungen der islamischen Architektur. Von den mittelalterlichen Architekten und Steinmetzen Mitteleuropas wurden derartige Formen – anders als Drei- oder Vierpässe – nur selten eingesetzt; sie blieben hauptsächlich repräsentativen Sakralbauten vorbehalten.
Vielpassfenster und Vielpassrahmung
Größere Vielpassfenster oder -blendfenster sind oft als Radfenster ausgebildet; kleinere sind ausgesprochen selten. Auch die Rahmung eines Fensters kann als Vielpass geformt sein.
Fenster in Chirbat al-Mafdschar, um 740
Fünfpassfenster an der Stiftskirche von Ossiach, Kärnten
Sechspassfenster am Stift Heiligenkreuz, Niederösterreich
Vielpassrahmung eines Rundfensters in Puebla de Sanabria, Kastilien-León
Vielpassbögen
Durch Halbierung eines Vielpasses ergeben sich nach unten offene Vielpassbögen; man spricht auch von „Zacken-“ oder „Fächerbögen“. In der islamisch-maurischen Kunst Andalusiens treten sie bereits sehr früh und häufig in Erscheinung (z. B. in der Moschee von Córdoba); später erleben sie eine wahre Blütezeit in den Palästen von Al-Andalus (z. B. Aljafería-Palast von Saragossa, Alhambra von Granada oder Alcázar von Sevilla). Bereits im 13. Jahrhundert sind sie auch in der islamischen Kunst Indiens anzutreffen (z. B. Mihrab-Nische im Mausoleum von Iltutmish, Delhi); später werden sie sowohl in Moscheen als auch in Palastbauten zu einem charakteristischen Architekturelement der Mogul-Architektur. Im europäischen Mittelalter sind sie in einigen Regionen Süd- und Mitteleuropas – vor allem in der Stilepoche der Romanik – häufiger anzutreffen (z. B. im Norden der Iberischen Halbinsel oder in der Südhälfte Frankreichs). Selbst in der normannischen Architektur Englands sind sie vereinzelt zu finden: z. B. im Portal der Kathedrale von Lichfield.
Moschee von Córdoba
(8. Jh.)Romanisches Portal der Kirche von Duratón
(12. Jh.)Romanisches Portal der Kirche von Ainay-le-Château (12. Jh.)
Literatur
- Günther Binding: Maßwerk. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1989, ISBN 3-534-01582-7
- Leonhard Helten: Mittelalterliches Maßwerk. Entstehung – Syntax – Topologie. Reimer, Berlin 2006, ISBN 3-496-01342-7.
- Lottlisa Behling: Gestalt und Geschichte des Maßwerks (= Die Gestalt. H. 16, ZDB-ID 532755-6). Niemeyer, Halle (Saale) 1944, (2., erweiterte Auflage. Böhlau, Köln u. a. 1978, ISBN 3-412-03077-5).