Diskussion:Oberdeutscher Präteritumschwund

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warum „die einzige“?

...ist die einzige synthetische Tempusform des Neuhochdeutschen, das Präteritum, verschwunden.

Wieso die einzige? Was ist mit dem Präsens? --Kotisch 18:43, 27. Nov 2005 (CET)

Niederdeutsch, Bairisch

zeichnet sich das niederdeutsche nicht ebenso durch eine vermeidung von einfachen präteritumformen aus?--84.188.119.49 18:14, 2. Apr. 2007 (CEST)

Vermeidung tritt häufig auf, aber die Formen existieren im Allgemeinen und werden auch gebraucht. Ein völliger Präteritumsschwund in dem Sinne hat auf keinen Fall stattgefunden. --::Slomox:: >< 20:56, 6. Dez. 2007 (CET)
Das stimmt nicht. Ein Präteritum gibt es in den bairischen Dialekten nur für die Verben "sein" (I woa, du woast, ea woa, ...) und "wollen" (I woit, du woitst, ea woit, ...). Alle anderen Präteritumformen die heute in der Region in der Umgangssprache vorkommen mögen, sind Re-Importierungen aus dem Hochdeutschen. --El bes 05:56, 17. Jul. 2008 (CEST)
Das stimmt sehr wohl, denn die IP bezog sich auf das Niederdeutsche (und so auch meine Antwort), nicht das Bairische. --::Slomox:: >< 19:36, 3. Jan. 2010 (CET)
Na, bei uns (steiermark) gibts auch die Formen "i kunnt" und "sullt" (zb. i kunnt des ned wissn)
Des is aber Konjunktiv und nicht Präteritum! "Ich würde können" und nicht "Ich konnte". --El bes 13:44, 6. Jan. 2009 (CET)
Aba ned bei "Tschuldige, des kunnt i ned wissn" --92.248.81.24 22:17, 31. Jan. 2009 (CET)
Des klingt ziemlich mittelalterlich und sagt ma im Mittelbairischen nicht aso. --El bes 22:48, 1. Feb. 2009 (CET)

..dazu muß man ergänzen dass es im Bairischen etwas gibt was sich mit dem "Backshift" im Englischen vergleichen lässt, das Konjunktiv kann im Bairischen auch durch das "Präteritum" gebildet werden und ist an dieser Stelle auch noch in Gebrauch. Zu dem Beispiel meines Vorredners, will man auf Bairisch sagen "Du tust ja gerade so als ob er ein Engel wäre" - "...ois ob ea an Engl war...". Kann ein weiterer Grund für den Schwund sein.

wa, ohne R! Das ist der analytische Konjunktiv und "warad" ist der synthetische.

Korrekt müsste der Satz auch heissen: Du duast jå gråd aso ois wia wãn a a Öngi wa. Die Formulierung "als ob" ist natürlich hochgradig piefkinesisch. --El bes 23:24, 3. Okt. 2008 (CEST)

Wann

Es wäre nützlich, eine Zeitangabe einzufügen – wann begann der Schwund, wann war er abgeschlossen? Jayen466 18:52, 25. Sep. 2007 (CEST)

Das finde ich auch, eine zeitliche Einordnung fehlt dem Artikel noch komplett. --El bes 16:40, 25. Mär. 2008 (CET)
Mit der Behebung dieses Mangels begonnen. --B.A.Enz (Diskussion) 11:36, 22. Nov. 2014 (CET)

Lemma Präteritumschwund ohne Doppel-s, also nicht Präteritumsschwund

Zumindest bei den Arbeiten von Hanna Fischer (Uni Marburg) heißt es immer Präteritumschwund mit nur einem s: https://www.uni-marburg.de/fb09/dsa/mitarbeiter/fischer/publikation

Auch bei der Google-Büchersuche überwiegen Treffer mit einem s. Aus diesem Grund müsste der Artikel nach Oberdeutscher Präteritumschwund verschoben werden, doch das ist noch nicht alles. Da dieses Phänomen inzwischen das Deutsche als Ganzes betrifft - man schaue sich nur mal deutschsprachige Filme aus den Fünfzigern und dann aus den letzten Jahren an -, ist m.E. sogar das Lemma Präteritumschwund ohne Zusatz angemessener. Buchtitel wie Der Präteritumschwund in der deutschen Literatursprache (Jean Langenberg 2008) sprechen da schon für sich. Ich bitte um Meinungen bezüglich Lemma Präteritumschwund. -- PhJ . 20:13, 22. Nov. 2014 (CET)

Den Sprachwandel der letzten Jahrzehnte mit dem oberdeutschen Präteritumsschwund der frühen Neuzeit in den gleichen Topf zu werfen, das finde ich keine sehr gute Idee, solange nicht aus der wissenschaftlichen Literatur zu belegen ist, dass es sich tatsächlich um das gleiche Phänomen aus den gleichen Gründen handelt. Alles andere grenzt an TF. –
Im Übrigen wäre ich auch nicht glücklich mit einer Verschiebung des Lemmas, d.h. mit einer Kürzung um ein «s». Die im Artikel erwähnte Ruth Jörg (1976) verwendet «Präteritumsschwund» (mit Genitiv-s) ab dem dritten Absatz von S. 1, neben «Schwund des Präteritums» (so bereits im Titel ihrer Studie). Komposita können bekanntlich Fugenlaute aufweisen – ebenso bekannt ist, dass es in diesem Bereich ein Nord-Süd-Gefälle gibt. Weshalb ausgerechnet beim «Oberdeutschen Präteritum[s]schwund» eine eher nördliche Version zum Zuge kommen soll, will mir nicht einleuchten. – Googletreffer-Argumente für sich allein sind zudem nicht sehr aussagekräftig. Vielleicht weist dann der noch anzulegende Artikel über den «Präteritum[s]schwund im 20./21. Jahrhundert» kein Genitiv- oder Fugen-s auf, womit der Ausgleich wiederhergestellt wäre. --B.A.Enz (Diskussion) 21:57, 22. Nov. 2014 (CET)
Ob mit oder ohne Fugen-S – dem wäre noch mehr in der Fachliteratur nachzugehen (aber nicht mittels Google-Suche). Während Ruth Jörg das Fugen-S braucht, verzichtet Gertrud Frei darauf. Fakt: Es gibt beide Varianten, also gibt es auch kein richtig oder falsch. Dass hingegen Gertrud Frei: Walserdeutsch in Saley. Wortinhaltliche Untersuchungen zu Mundart und Weltsicht der altertümlichen Siedlung Salecchio/Saley (Antigoriotal), Haupt, Bern/Stuttgart 1970 (Sprache und Dichtung 18) im Artikel nicht beigezogen wird, ist unverzeihlich. Saley, das kaum je mehr als hundert Einwohner zählte, und das benachbarte Ager/Agaro, das ebenfalls nie grösser war, verfügten nämlich als einzige oberdeutsche Ortsmundarten bis ins 20. Jahrhundert über ein voll ausgebildetes Präteritum. Und S. 362 ff. stellt Frei eigene Thesen zum Präteritum(s)schwund auf, die in diesen Artikel auch zu bringen wären. Na ja, vielleicht komme ich ja einmal dazu, diesbezüglich etwas zu ergänzen. (Wobei der ganze Artikel ja sehr schmalbrüstig daherkommt.) – Was den zweiten Punkt betrifft: «Oberdeutscher Präteritum(s)schwund» ist in der Sprachwissenschaft ein fester Begriff, und wie mein Vorredner plädiere ich dafür, dieses Phänomen, das vor einem halben Jahrtausend eingetreten ist, von dem viel jüngeren Phänomen des generellen Präteritumrückgangs getrennt zu beschreiben. Was nicht heisst, dass man nicht mit einem Satz auch auf letzteres Phänomen hinweisen könnte. --Freigut (Diskussion) 23:39, 22. Nov. 2014 (CET)
Später Nachtrag: Es liegt mir fern, zwängeln zu wollen. Da aber auch die Frühneuhochdeutsche Grammatik vom «Präteritumschwund» spricht, gerät Jörg immer mehr in die Minderheit... Vielleicht wäre eine Verschiebung halt doch angebracht... Gruss, --Freigut (Diskussion) 13:54, 17. Jun. 2015 (CEST)
Da liegt es mir fern, «täubelen» (Id, 12, 84 ff.) zu wollen. Im Gegenteil: Wenn auch mit einem gewissen time lag, so habe ich doch durch die Wikip. gar etwas gelernt. Danke. --B.A.Enz (Diskussion) 14:48, 17. Jun. 2015 (CEST)
War nun so frei und habe den Artikel verschoben, ebenso die Verlinkungen angepasst. Gruss, --Freigut (Diskussion) 14:03, 22. Jun. 2015 (CEST)

Literaturergänzungen vom 22.11.2014

Hallo PhJ. Du hast heute die Literaturliste um einige Einträge ergänzt. Bist du dir sicher, dass sich alle diese Beiträge – vorwiegend zur Gegenwartssprache – mit dem gleichen Phänomen befassen? Zumindest für die schweizerdeutschen Dialekte gilt die e-Apokope als wichtiger Grund für das vollständige Verschwinden des Präteritums bereits vor einigen Jahrhunderten. --B.A.Enz (Diskussion) 22:09, 22. Nov. 2014 (CET)

Und genau diese e-Apokope wird in einem Teil dieser Arbeiten als Ursache für den Präteritumschwund des 16. Jahrhunderts in Frage gestellt. Ob diese Arbeiten zum Wikipedia-Artikel passen? Es kommt darauf an, ob nun zwei Artikel für dieses Phänomen entstehen sollen oder nicht. Ich halte es für sinnvoller, es bei einem Artikel zu belassen, der allerdings das Lemma Präteritumschwund erhält und innerhalb dessen der Oberdeutsche Präteritumschwund einen Abschnitt ausmacht. Es spricht vieles dafür, dass der Präteritumschwund ein seit der mittelhochdeutschen Zeit andauernder Prozess ist, der im Schweizer Raum Ende des 16. Jahrhunderts weitgehend abgeschlossen war, weiter nördlich aber später einsetzte und im ehemals niederdeutschen Gebiet erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts stattfindet - zu belegen u.a. anhand der neu hinzugefügten Arbeiten. Warum soll man für die Beschreibung eines Phänomens zwei Artikel brauchen und vieles doppelt formulieren? -- PhJ . 00:32, 23. Nov. 2014 (CET)
So weit ich mich an meine germanistischen Studien erinnern kann, wird in der Forschung und Lehre heute viel mehr davon ausgegangen, dass in den oberdeutschen Dialekten der Konjunktiv lautlich einfach zu nahe am Präteritum war, was zu Verwechslungen/Verständigungsschwierigkeiten führte und somit nicht sprachökonomisch war. Man behalf sich, durch systematischen Gebrauch des Perfekts, weil man den Konjunktiv als oft gebrauchte Form keinesfalls aufgeben wollte. Heute wo das Präteritum durch Einfluss des Standarddeutsch und nördlicher Sprachvarietäten wieder stärker wird, gibt es deshalb auch verstärkende Konjunktivformen, also Suffixe, die den Konjunktiv noch einmal extra (quasi doppelt) markieren. Bsp.: Zwengam zoin warads. Es gang / es gangad. Er hätt ... / er hättad. Er dad / er dadad. --El bes (Diskussion) 04:12, 24. Nov. 2014 (CET)
Der Konjunktivs dürfte zum Präteritumsschwund beigetragen haben, doch ist dies zu belegen. Das Präteritum wird in Deutschland nicht stärker, sondern schwächer, und dies gerade wegen der Massenmedien. Im Bairischen und Alemannischen, wo es kein Präteritum mehr gab, ist die Lage freilich anders, da kehren gewiss auch mal einzelne Standardformen in die Mundart zurück. Insgesamt auf Deutschland bezogen wird aber das Präteritum immer seltener gebraucht, was durch die Literaturergänzungen vom 22.11.2014 deutlich belegt ist. -- PhJ . 16:06, 24. Nov. 2014 (CET)
Ich bezog mich nur auf die südlichen, oberdeutschen Regionen, weil um die geht's ja in dem Artikel. --El bes (Diskussion) 21:44, 24. Nov. 2014 (CET)
P.S.: die zweite Theorie ist übrigens die germanisch-romanische Kreolisierungstheorie, auch Alpensprachbund genannt. Diese Regionen, wo germanische Dialekte an die romanischen im Süden Grenzen (oder auch ans Slowenische im Südosten) waren Sprachkontaktzonen. Viele Menschen waren notgedrungen zu mindest teilweise zweisprachig. Romanen verstanden auch etwas Germanisch und Germanen verstanden und sprachen auch etwas Romanisch, beide allerdings mit vereinfachter Syntax und Grammatik. Und die starken Formen des Präteritums sind eben für Fremdsprachler besonders schwer zu lernen, in beide Richtungen. So verschwand diese schwierige Form vollkommen. Ähnliches kann man übrigens in Nordspanien beobachten, als auch im Rumänischen innerhalb der Karpaten. Südspanisch, Süditalienisch, Südrumänisch haben hingegen die starken Konjunktionen bewahrt, ebenso die germanischen Dialekte weiter im Norden. --El bes (Diskussion) 21:50, 24. Nov. 2014 (CET) -- die starken Konjunktionen - meintest du die starken Konjugationen? -- PhJ . 10:40, 25. Nov. 2014 (CET)
@El bes: Das ist ja eine interessante Hypothese und würde die Verteilung der Präteritumschwundzonen sowohl im Germanischen als auch im Romanischen mit dem Schwerpunkt im Zentrum Europas tatsächlich schön erklären. (Mal abgesehen, daß „Kreolisierung“ hier m. E. ein unpassender und übertriebener Begriff ist. Es handelt sich um eine Erscheinung, die bei intensivem Sprachkontakt wohl häufiger auftritt, gerade bei sich in der Ausbreitung befindlichen Sprachen oder Verkehrssprachen, wie das für das Oberdeutsche in der fraglichen Zeit angenommen werden darf.) Diese Hypothese müßte sich aber doch erhärten lassen. Kann der Präteritumschwund im Romanischen denn ebenfalls nachvollzogen und datiert werden? Die Region mit der ausgeprägtesten Zweisprachigkeit befand sich im 13.–16. Jh. wohl in den Zentralalpen, in Tirol und der Ostschweiz, vielleicht auch im Wallis und im Westen der Schweiz, und im Elsaß gab es vielleicht auch zweisprachige Gegenden. Wenn gezeigt werden kann, daß in romanischen Texten der Zeit das Präteritum ebenfalls im Schwinden begriffen ist, so vor allem im Bündnerromanischen und Ladinischen, aber auch im Französischen und Frankoprovenzalischen, würde das die genannte Hypothese tatsächlich stützen. (Gab es im Bereich des Oberitalienischen eigentlich signifikante Zweisprachigkeit zu der Zeit? Ansonsten ist das Oberitalienische nicht direkt relevant und könnte in dieser Hinsicht eher vom Französischen beeinflußt sein.) Die Vorgänge in Spanien und im Rumänischen (hierbei sind auch noch die Belege des Aromunischen, Meglenitischen und Istrorumänischen zu berücksichtigen) sind vermutlich nicht direkt abhängig von den Vorgängen im Alpenraum, könnten aber gerade deshalb (als unabhängige Parallelprozesse) die Hypothese zusätzlich unterstützen, wenn die vorhandene textliche Evidenz dazu paßt. Auch das früheste Auftreten des Präteritumschwundes im Oberdeutschen ist zu untersuchen – wenn er tatsächlich besonders früh oder besonders signifikant in der Schweiz und in Tirol nachzuweisen ist, würde das sehr deutlich für die Hypothese sprechen. --Florian Blaschke (Diskussion) 23:50, 18. Jan. 2017 (CET)
Interessanterweise zitiert Rowley Sütterlin mit der Aussage, daß Anfang des 20. Jh. gerade im Zillertal das Präteritum noch (mindestens teilweise) erhalten war. Nun liegt das Zillertal einerseits nahe an der ehemaligen germanisch-romanischen Kontaktzone (gehört allerdings m. W. nicht selbst zu den Regionen, in denen das Romanische bis ins Spätmittelalter überlebt hat), andererseits meine ich mich zu erinnern, daß es zu den Randgebieten im Süden gehört, wo die Apokope und Synkope nicht stattgefunden hat. Das wiederum wäre ein Punkt für die Apokopehypothese ... --Florian Blaschke (Diskussion) 00:06, 19. Jan. 2017 (CET)
@Florian Blaschke: Hm – die Phase intensiver Zweisprachigkeit war doch einiges früher – im Wallis klar vor 1200, die damals ausgewanderten Walser haben fast alle typischen walliserdeutschen Merkmale, die William G. Moulton wegen der auffälligen Gemeinsamkeiten von walliserdeutschen und Unterwalliser frankoprovenzalischen Erscheinungen auf eine intensive Zweisprachigkeit Alemannisch/Frankoprovenzalisch zurückführt, schon mitgenommen. Auch die Germanisierung des Berner Oberlands war um 1200 schon abgeschlossen (noch nicht aber beispielsweise diejenige des Murtenbiets, die erst im Gefolge der Reformation geschah). Die Germanisierung der Urschweiz fand noch früher statt, nämlich im Frühmittelalter. Die Zweisprachigkeit in der Ostschweiz, die du nennst, war um 1100 ebenfalls schon ganz auf das südliche Rheintal (und das südliche Vorarlberg) beschränkt, siehe die entsprechende Karte im Artikel Bündnerromanisch. Laut Ruth Jörg verschwand das Präteritum in der Deutschschweiz aber erst im 16. Jahrhundert (es fällt tatsächlich auf, dass die Präterita bis in diese Zeit absolut «fehlerfrei» geschrieben werden und erst nachher «wilde» Formen auftauchen. Länger überlebt hat einerseits was ‘war’, nämlich im Berner Oberland und im Wallis bis ins 19. Jahrhundert – und anderseits haben die beiden abgelegenen, klitzekleinen walserischen Sprachinseln Agaro und Salecchio im Antigoriotal das Präteritum erstaunlicherweise bis ins 20. Jahrhundert uneingeschränkt bewahrt). Damit wackelt die These, der Präteritumschwund habe mit Zweisprachigkeit zu tun, schon ziemlich. LG, --Freigut (Diskussion) 00:41, 19. Jan. 2017 (CET)
@Freigut: Zumindest in Tirol ist zu der fraglichen Zeit aber noch mit Zweisprachigkeit zu rechnen, wenigstens im äußersten Westen, auch im Vinschgau, sowie eben im südlichen Vorarlberg und im südlichen Rheintal. Aber es stimmt schon, das sind Rückzugsgebiete. Elsaß oder vielleicht auch Oberitalien (wo das Deutsche damals aber m. W. nur in wenigen marginalen Sprachinseln verbreitet war, abgesehen von Südtirol, und vielleicht dem Trentino, die dann doch wieder beachtenswert sind) wären doch wahrscheinlichere Kontaktzonen. Auffällig bleibt die Verteilung des Präteritumschwundes in Europa jedenfalls, insofern ist die These nicht ganz abwegig.
Ich habe jetzt bei Rowley weitergelesen. Laut Schatz beschränken sich die Präteritalformen im Oberzillertal auf war und hatte. Immerhin ist das Oberzillertal ein konservatives, isoliertes Rückzugsgebiet, das eben auch von der Apokope allenfalls in geringem Ausmaße erreicht worden ist. (Auch hier muß ich mich wieder korrigieren: von spätmittelalterlichen Rückzugsgebieten des Romanischen, geschweige denn dem Ladinischen, Bündnerromanischen und Oberitalienischen, ist das Zillertal weit entfernt und geographisch abgetrennt.) Wie gesagt, das paßt zur Apokopethese. Aber die Kontaktthese ist mit dem Festgestellten noch nicht widerlegt, jedenfalls für das Bairische. Und auch in der Schweiz sind Romanisch und Germanisch ja auch im 16. Jh. immer noch nebeneinander existent gewesen, auch wenn ich nicht weiß, wie die Kontaktsituation damals aussah. Wie gesagt, da müßte man sich die zeitnahe romanische Evidenz zusätzlich zur germanischen einmal genau ansehen. --Florian Blaschke (Diskussion) 01:39, 19. Jan. 2017 (CET)
Klar, ich finde auch, man sollte jede Erklärungsmöglichkeit genau durchdenken. Die virulenten Kontaktzonen Romanisch-Germanisch beschränkten sich in der Schweiz im 16. Jahrhundert allerdings auf den Kanton Graubünden und eine schmale Zone im Westen (am Murten- und am Bielersee) – für den Präteritumschwund spielten die sicher keine Rolle. Ich gehe aber ohnehin von verschiedenen, sich gegenseitig bestärkenden Faktoren aus. Einer dürfte sein, dass mit der «Verzeitlichung» des Perfekts die Funktion des Präteritums geschwächt wurde. Das Perfekt war ja ursprünglich mehr aspektuell denn temporal (interessant in diesem Zusammenhang, dass Gertrud Frei für Saley/Salecchio, wo das Präteritum vollständig erhalten geblieben ist, «die grosse Bedeutung zeitlicher Aspekte in Hilfsverben und in der Verbflexion» hervorhebt). Damit ist aber nicht erklärt, warum das Perfekt im oberdeutschen Raum dem Präteritum vorgezogen wurde – da kommt dann vielleicht die Apokopethese ins Spiel. Muss aber auch nicht sein, denn die Apokope ist mutmasslich schon Jahrhunderte vor dem Präteritumschwund eingetreten, und in Saley/Salecchio war das Nebeneinander von är wärchùt ‘er arbeitet (werkt)’ und ‘er arbeitete (werkte)’ offenbar kein Problem – wobei der exzessive Ausbau des Rückumlauts in dieser Ortsmundart eben vielleicht doch auf ein Problem hinweist... Na ja, schwierig... :-) --Freigut (Diskussion) 09:57, 19. Jan. 2017 (CET)
Guter Punkt – ganz vergessen: laut dtv-Atlas der deutschen Sprache haben Apokope und Synkope – zumindest im Bairischen – bereits im 12. Jh. begonnen (aber, wie gesagt, den äußersten Süden erst spät oder nur teilweise erreicht, die Sprachinseldialekte sowieso nicht, auch nicht das Gottscheerische, das sich im 14. Jh. abgespalten hat); wie es im Alemannischen aussieht, weiß ich nicht genau, aber so viel später wird es doch wohl nicht gewesen sein (laut Lindgren offenbar im 14. und frühen 15. Jh., als sich die Apokope im Bairischen bereits weitgehend durchgesetzt hatte). Wenn das so ist, ist es doch einigermaßen überraschend, daß erst im 16. Jh. sehr plötzlich diese Unsicherheit im Gebrauch der Präteritumformen entstand, daß sie in kurzer Zeit praktisch ganz verschwunden sind. Nun ja, vielleicht ist es da auch erst zu einem „kritischen Punkt“ gekommen, wo die nichtapokopierten Formen völlig aus dem lautsprachlichen Bewußtsein verschwunden waren (mindestens durch den Gebrauch älterer Generationen sind sie wohl noch ein paar Jahrzehnte passiv im Bewußtsein von Schreibern jüngeren und mittleren Alters verblieben) und das -e somit praktisch nur noch als Verzierung wahrgenommen wurde, da es keiner lautlichen Distinktion mehr entsprach (es sei denn, eine Längung in ehemals offener Silbe „verriet“ noch die ehemalige Anwesenheit eines auslautenden Schwas). Wie Du sagst, schwierig. --Florian Blaschke (Diskussion) 20:54, 2. Feb. 2017 (CET)
Nur ein kleiner Hinweis zur Längung in (ursprünglich) offener Silbe: Auch wenn das in allen Handbüchern steht – es ist lange nicht überall im deutschen Sprachraum der Fall, dass in offener Silbe gelängt wurde. Im Hochalemannisch etwa (abgesehen von niederalemannisch beeinflussten Regionen) blieben offene Silben kurz, gelängt wurden hingegen die geschlossenen Silben, vergleiche etwa bern-, luzern- und zürichdeutsch Singular Baad /ba:d/ – Plural Beder /beder/ – Verb bade /bade/. Auch im Bairischen und Mitteldeutschen gibt es verbreitet Dehnung im Einsilber, Kürze im Mehrsilber. Vergleiche hierzu Guido Seiler: Sound change or analogy? Monosyllabic lengthening in German and some of its consequences. In: Journal of Comparative German Linguistics 12 (2009), 229–272, DOI 10.1007/s10828-009-9031-y, ferner auch L. E. Naidisch, Jurij K. Kusmenko: Kurzsilbigkeit und ihre Beseitigung. Eine skandinavisch-oberdeutsche Parallele. In: L. Popova (Hrsg.): Sowjetische Skandinavistik. Frankfurt/M. 1992 (Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik 30), S. 279–287. --Freigut (Diskussion) 11:39, 3. Feb. 2017 (CET)
Danke für die Literaturhinweise – dieser Umstand war mir allerdings bereits bekannt; es gibt im dtv-Atlas auch dazu eine Karte und die Einsilblerdehnung im Bairischen (und oft fehlende Dehnung in Mehrsilblern, vgl. beten /pɛtn̩/, Vater /fɒtta/ neben /fɒːda/) ist mir als sprachwissenschaftlich gebildetem Muttersprachler selbstredend vertraut. --Florian Blaschke (Diskussion) 21:46, 4. Feb. 2017 (CET)
Die Verdrängung des Präteritums durch das Perfekt mit der Schwierigkeit der starken Verbformen zu erklären, ist problematisch. Starke Verbformen tauchen als Partizip ja auch im Perfekt auf, es kommt aber noch die Schwierigkeit des richtigen Hilfsverbs hinzu. Aus eigener Erfahrung (Deutsch als Fremdsprache unterrichten) weiß ich, wie schwer es viele haben, Perfekt mit "sein" und "haben" auseinanderzuhalten, da fällt vielen das Präteritum leichter - nur, dass dieses in modernen Lehrwerken viel weniger behandelt wird als Perfekt. Was m.E. nicht viel mit dem Präteritumschwund zu tun hat, ist die Verdrängung starker Verbformen durch schwache Verbformen: Also er buk -> er backte und er hat gebacken -> er hat gebackt. Interessanterweise halten sich aber bisweilen (wie in diesem Beispiel) starke Formen ausgerechnet im Perfekt länger. -- PhJ . 10:40, 25. Nov. 2014 (CET)
Ja, hab Konjugationen gemeint. Wie gesagt, zweiteres ist nur eine Theorie. Es ist jedoch schon bemerkenswert, dass gerade die Dialekte in der Sprachkontaktzone diesen Präteritumsschwund aufweisen. Die norditalienischen Dialekte bevorzugen auch das Passato Prossimo. Das Passato Remoto wird dort praktisch nie gesprochen und nur in der geschriebenen Sprache verwendet, eigentlich genau wie in den oberdeutschen Sprachregionen. --El bes (Diskussion) 16:09, 25. Nov. 2014 (CET)

Tönt plausibel. Allerdings haben ausgerechnet zwei höchstalemannische Dörfer, die je beide kaum je mehr als hundert Einwohner zählten und in ganz lombardischer Umgebung gesprochen wurden, dass Präteritum bis ins 20. Jh. vollumfänglich bewahrt: Saley (Salecchio) und Ager (Agaro) im Eschental (Valle Antigorio). Der drohende Zusammenfall mit dem Präsens bei den schwachen Verben wurde durch einen starken Ausbau des Rückumlauts verhindert (auch das bemerkenswert, zumal sonst fast alle oberdeutschen Dialekte, im Gegensatz zu den mitteldeutschen, den Rückumlaut radikal beseitigt haben). Schon Kaj Lindgren (Über den deutschen Präteritumschwund, 1959) glaubte nicht an die (unmittelbare) Verursachung des Prät.Schwunds durch die Apokope. Gertrud Frei, welche die eine dieser beiden Minimundarten untersucht hat (Walserdeutsch in Saley, 1969 oder 1970), glaubte auch nicht an die Apokope-Theorie. Sie sieht die Ursache im «dauernden Aspektverlust im Verbbereich zugunsten einer wachsenden zeitlichen Systematik», dh. Perfekt und Präteritum verloren ihre aspektuelle Funktion, womit es zu einem funktionellen Zusammenfall kam. Dieser Funktionszusammenfall habe in Saley deshalb nicht stattgefunden, weil hier die Flexion des Partizips II in prädikativer Stellung erhalten blieb (wie in der romanischen Nachbarsprache), genauer: es wird flektiert, wenn es durativen und präsentischen Gehalt, aber nicht flektiert, wenn es perfektiven oder temporalen Charakter hat. Zudem habe hier die grundsätzliche Erhaltung des Rückumlauts das Prät. gestützt, und wie erwähnt, dessen Ausbau den formalen Zusammenfall mit dem Präsens verhindert. In Saley hätten sich getrennte Funktionen der beiden Vergangenheitstempora entwickelt: «Das Perfekt ist die Zeitform der ichbezogenen und gegenwartsbezogenen Rede […], das Praeteritum hat objektiveren, distanzierteren, sachlicheren Charakter.» Auch ganz interessant. --Freigut (Diskussion) 19:04, 25. Nov. 2014 (CET)

Danke, Freigut, für die erhellenden Ausführungen, die mein sprachliches Selbstverständnis tatsächlich etwas zu erschüttern vermögen. Da kann ich nur hoffen, dass der Artikel möglichst bald aus berufener Feder ergänzt bzw. umgearbeitet wird. – Nicht geklärt sind für mich aber die folgenden beiden Fragen: 1. Sollte der Artikel «Oberdeutscher Präteritumsschwund» nun tatsächlich in einen allgemeinen Artikel «Präteritumschwund» umgemodelt werden? (Das fände ich, hmm, eher suboptimal.) – 2. Passen wirklich alle Literaturergänzungen vom 22.11.14 zum bestehenden Artikel? Da bin ich immer noch skeptisch (vgl. Langenberg 2012). Ohne Einarbeitung in den Artikel bringen die Literaturangaben wenig, ja sie widersprechen sogar der Aussage im Hauptteil. --B.A.Enz (Diskussion) 20:29, 25. Nov. 2014 (CET)
Gern geschehen, B.A.Enz :) «Oberdeutscher Präteritum(s)schwund» ist ein Terminus technicus, der an und für sich schon artikel- und lemmawürdig ist. Ich meine, man sollte den Artikel hier lassen, aber ausbauen, Lindgren und Frei dürfen nicht unerwähnt bleiben, weitere Arbeiten zum Thema findet man sicher via Ebert/Reichmann/Solms, Frühneuhochdeutsche Grammatik. Und das Vorkommen im Mitteldeutschen wäre zu präzisieren, so generell, wie es jetzt genannt wird, stimmt das gar nicht. Im Übrigen kann man hier ja erwähnen, dass der Präteritumschwund heute den ganzen Sprachraum erreicht hat. Aber Grundsätzlich gehört diese das gegenwärtige Gemeindeutsch betreffende Thematik in den Artikel Präteritum#Funktion (also dort ergänzen und von hier aus einen Verweis machen). Aber wer soll denn das machen, Dialektologen und Sprachgeschichtler arbeiten in der Wikipedia bekanntlich nur ganz wenige mit... Und wann... Übrigens: Das mit dem Nord-Süd-Gefälle in Sachen Fugen-S würde ich nicht tel-quel unterschreiben; immerhin sagen wir im Süden (anders als im Norden) Zugverkehr oder Bahnhofhalle... Gruss, --Freigut (Diskussion) 10:09, 26. Nov. 2014 (CET)
Der Präteritumschwund ist inzwischen ein gesamtdeutsches Phänomen, so dass er ja auch in der hier ergänzten Literatur entsprechend gewürdigt wird und deshalb eines Wikipedia-Artikels wert sind. Frage ist m.E. nur, ob der Oberdeutsche Präteritumschwund einen eigenen eigenen Artikel behält und ein eigener Artikel Präteritumschwund neu geschrieben wird oder ob es ein gemeinsamer Artikel wird. Die Mechanismen sind im Detail wirklich anders. Mit Schrecken (ja, ja, da bin ich konservativ und kein "nüchterner Beobachter") stelle ich fest, wie mir ein Neffe, der das Gymnasium besucht, beispielsweise sagt, mein Satz "Wenn ich stürbe ..." sei falsches Deutsch, da es ja "Wenn ich sterben würde ..." heißen müsse, andererseits aber kein Präteritum für Verben wie "spinnen" oder "fechten" bilden kann - sehr wohl aber "gesponnen" und "gefochten". Es sind also sowohl Präteritum als auch Konjunktiv II betroffen! Nach meinem Empfinden ist das Perfekt stark aspektual, nach dem Empfinden der meisten Schüler / Jugendlichen (nur eine Generation jünger) selbst im Norden Deutschlands offensichtlich nicht. Da ist in den letzten Jahrzehnten einiges geschehen, was allerdings weder mit Apokope, ähnlich lautendem Konjunktiv II noch mit starken und schwachen Verben etwas zu tun hat. Auch in einzelnen englischsprachigen Artikeln ist inzwischen von the Präteritumschwund die Rede. Eigener, neuer Artikel?
Ob Sprachkontakt mit dem Französischen, Polnischen oder gar Russischen den Präteritumschwund beeinflusste? Gewagte These, die ich allerdings auch schon mehrmals gehört habe. Der hauptsächliche Sprachkontakt geht heutzutage in einer andere Richtung: Heute hören und lesen die Deutschen vor allem Englisch, wo es nicht einmal ansatzweise einen Präteritumschwund gibt.
Zu guter Letzt: Zugverkehr heißt es auch in Deutschland, *Zugsverkehr gibt es nicht. -- PhJ . 15:41, 26. Nov. 2014 (CET)
Interessant, danke. Und ja, da muss ich mich löffeln: Die Zugs- sind hauptsächlich österreichisch... :) --Freigut (Diskussion) 16:06, 26. Nov. 2014 (CET)
@El bes: Deine Vermutung («Im Bairischen und Alemannischen, wo es kein Präteritum mehr gab, ist die Lage freilich anders, da kehren gewiss auch mal einzelne Standardformen in die Mundart zurück.») lässt sich fürs Schweizerdeutsche (noch) nicht bestätigen... «Schwund» i.S.v. «verschwinden» ≠ «Schwund» i.S.v. «verschwunden sein».
@PhJ: Mir sind zwei Artikel − wie schon von Freigut ausgeführt − lieber als ein einziger, in dem Phänomene dargestellt werden, die unter einem sehr langfristigen Blickwinkel möglicherweise zusammenhängen.
@Freigut: Ist es denkbar, dass nicht nur eine Ursache hinter dem (Oberdeutschen) Präteritumsschwund steckt, sondern dass ein Bündel von Ursachen auszumachen ist? --B.A.Enz (Diskussion) 18:25, 26. Nov. 2014 (CET)
@B.A.Enz: Gut möglich; Frei meint jedenfalls ausdrücklich, dass die Apokope nicht «unmittelbar» zum Präteritumschwund geführt hat. Gerät eine «Stütze» der synthetischen Vergangenheit ins Wanken, dann dürfte das Auswirkungen auf andere haben, wenn diese wie beispielsweise durch die Apokope auch schon geschwächt sind. --Freigut (Diskussion) 18:39, 26. Nov. 2014 (CET)
@B.A.Enz: im Neuwienerischen ist das Imperfekt jedenfalls schon total zurückgekehrt, aber da stellt sich die Frage ob das überhaupt noch Bairisch ist, oder lediglich eine Standardvarietät mit bairischem Substrat. --El bes (Diskussion) 18:58, 26. Nov. 2014 (CET)
@Freigut: im (Ost-)Jiddischen gibt es ebenso wie in den oberdeutschen Dialekten kein Impferfekt, ebenso im Siebenbürgersächsischen, was gar nicht oberdeutsch ist. Beide Dialekte haben sich im Hoch-, bzw. Spätmittelalter vom geschlossenen deutschen Sprachraum geographisch verabschiedet und haben als Sprachinseln im Osten weiterexistiert. Der Schwund muss also schon damals vorhanden gewesen sein, bzw. vielleicht ist Schwund sogar das falsche Wort. Vielleicht war das Imperfekt in der gesprochenen Sprache gar nie so verbreitet, wie man meinen mag. Die mittelhochdeutschen Texte, die uns zum Vergleich vorliegen, sind ja meist künstliche Literatursprache von gebildeten Schreibern, die meist mehrsprachig waren und Deutsch sowie Latein in Wort und Schrift beherrschten. Vielleicht ist die Imperfektverwendung im MHD gar nur eine Kontamination aus dem klassischen Latein, weil man meinte, es wäre gebildeter und nobler so zu schreiben und die lateinische Consecution Temporis einzuhalten. --El bes (Diskussion) 19:06, 26. Nov. 2014 (CET)
Das Siebenbürgisch-Sächsische kennt das Präteritum durchaus – zumindest jedenfalls in einem Teil seiner Mundarten. Und ja, Ostjiddisch hat kein Präteritum. Aber das kann sich genauso gut auch erst im Osten so entwickelt haben. Wir dürfen nicht alle Eigenheiten des Jiddischen auf das Deutsche projizieren. Nicht uninteressant übrigens, dass das Jiddische die Apokope ebenfalls kennt. Was die Theorie, dass diese den Präteritumsschwund (mit-)verursacht hat, stützen dürfte... --Freigut (Diskussion) 19:22, 26. Nov. 2014 (CET)
@El bes: Sagt man in österreichischen Schulen immer noch Imperfekt? (Ich dachte immer, das heißt bei euch "Mitvergangenheit".) Ich lernte schon in meinen Grundschuljahren, dass dies eine veraltete Bezeichnung sei. In meiner Zeit galten schulisch die Bezeichnungen "Gegenwart=Präsens", "Vergangenheit=Präteritum", "Vollendete Gegenwart=Perfekt". -- PhJ . 19:18, 26. Nov. 2014 (CET)
Präteritum und Imperfekt sind Synonyme, zumindest im Deutschen. Das kann man verwenden wie man will. In den romanischen Sprachen gibt es hingegen noch eine dritte Vergangenheitsform, so wie im Italienischen: passato prossimo, passato remoto, imperfetto; oder im Spanischen mit pasado compuesto, pasado indefinido und imperfecto. Wir haben nur zwei und manche Dialekte überhaupt eben nur eine. Wörtlich bedeutet Präteritum ja einfach Vergangenheit, das Vorübergegangene. Fachlich korrekt müsste man eigentlich Präteritum perfect (eingedeutscht: Vergangenheit) und Präteritum imperfekt (eingedeutschts: Mitvergangenheit) sagen. --El bes (Diskussion) 19:32, 26. Nov. 2014 (CET)
Du sagst es treffend in deinem letzten Satz. Darum ist „Imperfekt“, das „Unvollendete“, als Bezeichnung für das deutsche Präteritum problematisch. Aber es stimmt natürlich auch, dass diese Bezeichnung immer noch bisweilen verwendet wird. Das perfecto compuesto entspricht am meisten dem deutschen Perfekt im schriftsprachlichen Sinne einer vollendeten Gegenwart. Das indefinido und das imperfecto müssen beide im Deutschen in der Regel mit Präteritum (und nur in den oberdeutschen Dialekten mit dem Perfekt) übersetzt werden. Die Spanier, Franzosen und Italiener haben in der Vergangenheit halt noch den Verbalaspekt, die Deutschen aber nicht. Wenn ich sage: Die Sonne schien und die Vöglein sangen, da traf ich ein junges Mädchen. ist nur „schien“ und „sangen“ Imperfekt, „traf“ ist dagegen „Indefinido“ bzw. „Perfekt“ (im lateinischen Sinne, nicht im deutschen). -- PhJ . 20:19, 26. Nov. 2014 (CET)
@El bes: Habe zum Jiddischen eben gerade Beatrice Lincoff: A Study in Inflectional Morphologic Development: Old and Middle Yiddish, phil. Diss. New York, 1963; Max Weinreich: Geschichte fun der jidischer schprach, New York 1973; und Dov-Ber Kerler: The Origins of Modern Literary Yiddish, Oxford 1999/2002 konsultiert – ja, es geht nichts über eine gut sortierte Privatbibliothek :) . Bei Lincoff heisst es, die Präteritumformen seien im Übergang vom Mid Middle Yiddish (16. Jh.) zum Late Middle Yiddish (17. Jh.) aus der Literatur verschwunden. Kerler fand das Präteritum bei wenigen Verben noch im späten 18. Jh., sagt aber ebenfalls, es habe nicht mehr der gesprochenen Sprache angehört. Und nach Weinreich ist wor, worn (war, waren) als literarischer Archaismus selbst in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. noch anzutreffen. Zusammengefasst: Im (West-)Jiddischen ist das Prät. wohl um 1600 herum aus der gesprochenen Sprache verschwunden, also in einer ähnlichen Zeit wie im Oberdeutschen, in der geschriebenen (nun ostjiddischen) hat es sich vereinzelt noch bis ins 19. Jh. gehalten. Das einfach noch zur Information :) --Freigut (Diskussion) 22:36, 26. Nov. 2014 (CET)
Die Verben sein, wollen und sollen haben ja auch im Oberdeutschen nach wie vor einen Imperfekt: I woa, I woit, I soit. Ganz kleine Reste sind also noch vorhanden. Für alle anderen Verben gibts zu mindest im gesprochenen Bairischen nur das Perfekt. --El bes (Diskussion) 02:04, 27. Nov. 2014 (CET)
Aber nicht im Alemannischen. Hier sind die Präterita restlos weg (die oben zitierten Dorfmundarten von Ager und Saley ausgenommen). --Freigut (Diskussion) 10:07, 27. Nov. 2014 (CET)

Beispiel "er lebt(e)"

Wenn schon das Thema Indikativ vs. Konjunktiv am Beispiel "er lebt(e)" hervorgenommen wird, sollte auch die Konjunktivform im Schweizerdeutschen nicht unerwähnt bleiben; die wäre dann "är läbti" (i.S.v. er hätte gelebt, das Suffix-i macht hier den Unterschied). --ProloSozz (Diskussion) 07:38, 5. Jun. 2017 (CEST)

Jiddisch

Di grine kuzine#Inhalt des Liedtextes hat mich soeben darauf gestoßen, daß im (nur Ost-?)Jiddischen das Präteritum ebenfalls nicht üblich ist. Dies könnte nebenbei die Hypothese stützen, daß die dialektale Grundlage des (nur Ost-?)Jiddischen zumindest nicht ausschließlich mitteldeutsch ist. --Florian Blaschke (Diskussion) 11:28, 10. Nov. 2019 (CET)

Ja, Ost- und Westjiddisch kennen kein Präteritum. Und Jiddisch ist nicht nur mitteldeutsch basiert, sondern auch Ostoberdeutsch. Gruss, --Freigut (Diskussion) 19:21, 12. Nov. 2019 (CET)
Also ist das anerkannt in der Jiddistik? Gilt das also auch fürs Westjiddische?
Zumindest das Ostjiddische scheint mir recht vergleichbar mit schon seit dem Mittelalter bestehenden Sprachinseldialekten zu sein, gerade denjenigen, die von slawischen Sprachen umgeben sind oder waren (Jiddisch wird im Artikel auch aufgezählt). Solche Sprachinseldialekte sind teils wohl auch Dialektmischungen. Es scheint mir so, daß die Grundlage des Jiddischen primär ostmitteldeutsch ist, es aber auch ostoberdeutsche Einflüsse gibt – dies könnte insbesondere zum (west-?)böhmischen Raum passen und darauf deuten, daß es dort entstanden ist. Es gibt allerdings nur wenige eindeutig mittel- oder oberdeutsche Merkmale.
Die Tabelle hier hilft mir auch nicht so recht weiter. Eigentlich sollte man beispielsweise im Ostmitteldeutschen schon spätalthochdeutsch den Monophthong ē (anfangs wohl offenes [ɛː]; z. B. bēn statt klass.-ahd. bein) und im Bairischen ai ([ɑɪ]?) > oi (wohl [ɔɪ]) (> oa [ɔɐ]) als Reflex von urgermanisch *ai und klass.-ahd. ei erwarten. Im „Urjiddischen“ scheint allerdings noch die klass.-ahd. Stufe vorzuliegen. Daß für klass.-ahd. ū ein Diphthong ou ([ɔʊ]?) vorliegt, ist demgegenüber überraschend, da die Diphthongierung zu ou im Bairischen erst spätahd. begonnen zu haben scheint, wohl im 10. Jh., und für das Ostmitteldeutsche Ähnliches anzunehmen ist (da klass.-ahd. uo im Mitteldeutschen spätestens ab dem 11. Jh. monophthongiert wurde und als ū auftaucht, muß das alte ū schon diphthongiert gewesen sein, da es in den allermeisten Dialekten davon unterschieden bleibt). Möglicherweise beurteile ich die ostmitteldeutsche Monophthongierung von klass.-ahd. ei auch falsch; dann wäre das „Urjiddische“ vielleicht doch voll mit dem Ostmitteldeutschen der spätahd. – und wohl auch mhd. – Zeit kompatibel.
Aber das ist jetzt komplett vom Thema weg ... Jedenfalls sieht es ganz so aus, als ob das Jiddische trotz vorwiegend ostmitteldeutscher Grundlage am Präteritumschwund teilgenommen hat und dies tatsächlich als (ost-)oberdeutscher Einfluß beurteilt werden kann. --Florian Blaschke (Diskussion) 15:35, 24. Nov. 2019 (CET)