Caladrius

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Caladrius. Bibliothèque Nationale de France, lat. 14429, Folio 106v; 13. Jh.[1]

Der Caladrius, auch Charadrius, Galadrius und ähnlich, ist ein großer, meist weißer Vogel der Mythologie und des Aberglaubens, der Einfluss auf den Verlauf von Erkrankungen des Menschen nimmt. Im Mittelalter tauchte er in den Bestiarien und in den Ausgaben des Physiologus auf und ist Teil der christlichen Ikonographie.

Fiktive Eigenschaften

Der Caladrius lebt in Herrscherhäusern und sagt den Verlauf einer Krankheit voraus. Wenn er einem kranken Menschen ins Gesicht schaut, bedeutet das, dass dieser gesund werden und weiterleben wird. Schaut der Vogel weg, wird der Kranke an seinen Leiden sterben.

Der Caladrius kann heilen, indem er dem Menschen die Krankheit entzieht, sie in sich selbst aufnimmt und damit davonfliegt in die Sonne, die die Krankheit verbrennt und damit zerstört.[2]

Geschichte

Datei:Caladrius-Harvey 4751.jpg
Caladrius am Krankenbett eines Königs. British Library, Harley 4751 f. 40; 13. Jh.[3]

In der Antike und im frühen indogermanischen Raum schrieb der Aberglaube dem Goldregenpfeifer, Charadrius pluvialis, und dessen goldgelb geflecktem Gefieder Heilkräfte zu. Als „unreiner“ Vogel war er ungenießbar, die Exkremente verwendete man als Arznei. Im Gegensatz zu den antiken Schriften beschreibt der spätantike Physiologus den Caladrius als rein weißen Vogel und verleiht ihm die Fabel vom weissagenden und alle Krankheiten heilenden, schwanengleichen Geschöpf, das sich vor allem den Herrschern widmet. Das christliche Mittelalter sah in seinem fleckenlosen Weiß das Symbol für Jesus Christus, der sich von den Juden ab- und den Heiden zuwendet, um ihnen ihre Sünde, ihre „Krankheit“, zu nehmen.[4]

Überlieferung

Die Überlieferung des Namens weist ebenso wie die der Erzählung zahlreiche Varianten auf, die im Wesentlichen auf Missverständnissen und Lesefehlern beruhen.

Der Name des wundersamen Vogels, charadrius, erscheint im Mittellateinischen auch in der durch Dissimilation entstandenen Form caladris, was zur Identifikation mit calandris, der Lerche,[5] führte. In der Vulgata ist das hebräische anaphah (unreiner Vogel) mit charadrios übersetzt[6] und bringt damit den Strandläufer ins Spiel, was Luther als Reiher übertrug und damit eine weitere Vogelvariante hinzufügte. Darüber hinaus sind ähnliche Namensversionen belegt.[7]

Die Antike schrieb dem Anblick des Regenpfeifer-Gefieders die Heilung von der Gelbsucht zu.[8] Von seinen Exkrementen versprach man sich eine Wirksamkeit gegen die Blindheit. Eine diesbezügliche Passage des Physiologus ([…] cuius interior fimus oculorum caliginem curet […])[9] führte zur Verwechslung von fimus (Mist) und femur (Oberschenkel), woraus sich im 13. Jahrhundert die Version ergab, dass man mit dem Knochenmark aus dem Oberschenkel des Caladrius Blinde heilen könne. In einer anderen Variante trägt der Galadrius einen Stein im Bein, der – aufs Auge gelegt – zu besserer Sehkraft führe und es damit ermögliche, durch Wegschauen den geizigen Reichen dem Tode zu weihen und durch Anblicken dem Mildtätigen nachhaltig zum Glück zu verhelfen.[10]

Literatur

Weblinks

Commons: Mittelalterliche Caladrius-Darstellungen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Angaben zum Manuskript
  2. Zoltán Kádár: Charadrius. In: Lexikon der christlichen Ikonographie 1968; Ausg. 2004, Bd. 1, Sp. 354.
  3. Quelle der British Library
  4. Liselotte Stauch: Charadrius, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte (RDK) III, Sp. 417–424 (1952) online bei RDKLabor
  5. Christa Baufeld: Kleines frühneuhochdeutsches Wörterbuch: Lexik aus Dichtung und Fachliteratur des Frühneuhochdeutschen. Walter de Gruyter, 1. Januar 1996, ISBN 978-3-11-096783-8, S. 100.
  6. Lev. XI, 19 und Deut. XIV, 18
  7. Nach Liselotte Stauch (1952): karadrius, kaladrius, kaladrus, galadrius, golodrius; sowie in der Verwechslung mit der Lerche: calandrius, kalander, galander, galiander und golander.
  8. Max Wellmann: Charadrios. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band III,2, Stuttgart 1899, Sp. 2115 (Digitalisat).
  9. dt.: sein <aus dem Innern stammender> Mist heilt der Augen Dunkelheit
  10. Liselotte Stauch: Charadrius, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte (RDK) III, Sp. 417–424 (1952) online bei RDKLabor