Vulgata

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Als Vulgata (lat. für volkstümlich) werden allgemein verbreitete und übliche Textfassungen bezeichnet, auch populäre Bearbeitungen literarischer Stoffe wie der Alexandergeschichte. Im engeren Sinne bezeichnet der Ausdruck (Biblia) Vulgata die im Mittelalter verbreitete lateinische Fassung der Bibel, die sich gegen verschiedene ältere lateinische Bibelübersetzungen (Sammelbegriff Vetus Latina) durchgesetzt hat. Der Ausdruck Vulgata selbst ist nachmittelalterlich.[1]

Entwicklung der Biblia vulgata

Datei:Vulgata Sixtina.jpg
Vulgata Sixtina, 1590

Übersetzung des hl. Hieronymus

Im Auftrag des Papstes Damasus begann dessen Vertrauter Hieronymus nach 382 eine Revision der lateinischen Übersetzungen der Evangelien. Dabei bearbeitete er in geringerem Umfang auch die übrigen Schriften des Neuen Testaments. Nach dem Tod des Papstes 384 übersiedelte Hieronymus nach Bethlehem und wandte sich der Übersetzung des Alten Testaments zu. Anfangs übersetzte Hieronymus einige alttestamentliche Bücher aus der griechischen Septuaginta: den Septuaginta-Psalter, das Buch Hiob, die Sprichwörter, das Hohelied, das Buch Kohelet sowie das erste und zweite Buch der Chronik. Dem ließ er ab 393 eine Übersetzung des gesamten Alten Testamentes folgen, laut eigenen Angaben „nach dem Hebräischen“ (iuxta Hebraeos), vermutlich aber auch auf Basis der von Origenes aufbereiteten Hexapla-Ausgabe[2], die neben der griechischen Septuaginta-Version und anderen griechischen Übersetzungen auch den hebräischen Text in griechischer Transkription enthielt. Die neuere Forschung schätzt inzwischen die hebräische Sprachkompetenz des Hieronymus wieder höher ein.[3]

Geschichte der Vulgata im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

Der von Hieronymus revidierte Text konkurrierte noch lange mit anderen lateinischen Übersetzungen, die gleichzeitig in Gebrauch waren. Dies hatte zur Folge, dass nach 400 entstandene lateinische Bibelhandschriften einzelne Lesarten des Hieronymus übernahmen oder umgekehrt ältere Lesarten in Abschriften des Hieronymustexts hineingerieten, so dass der ursprüngliche Wortlaut seiner Fassung im Einzelnen unsicher ist. Erst etwa im 8. bis 9. Jahrhundert hatte sich die im Wesentlichen auf Hieronymus zurückgehende Textfassung durchgesetzt und war damit zur Vulgata geworden. Auf Veranlassung Karls des Großen bemühten sich die fränkischen Gelehrten Alkuin und Theodulf von Orléans um die Sicherung des Texts.

Die Vulgata erlebte durch Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts eine starke Vervielfältigung, einsetzend mit der Gutenberg-Bibel. Sie war auch Grundlage der 18 vorlutherischen deutschen Bibelübersetzungen.

Luther hingegen legte seiner Übersetzung neben dem lateinischen vor allem den erst seit kurzem im Druck verfügbaren griechischen Bibeltext in der Ausgabe des Erasmus von Rotterdam zugrunde. In Luthers Gefolge verwarf die protestantische Bewegung die Vulgata als weniger ursprünglich (der damalige griechische Text enthielt auch noch Fehler) und bevorzugte bei Bibelübersetzungen in die Volkssprachen die hebräischen und griechischen Fassungen als Ausgangstexte. Für Gelehrte veröffentlichte Martin Luther 1529 eine eigene Teil-Revision der Vulgata.

Die katholische Kirche hielt jedoch an der Vulgata fest. Sie wurde auch zur Grundlage der bewusst gegen Luthers Übersetzung herausgegebenen Eck-Bibel. Das Konzil von Trient erklärte 1546 die Vulgata für verbindlich und setzte eine Kommission ein zur Erarbeitung einer offiziellen, möglichst fehlerfreien („quam emendatissime“) Ausgabe. Papst Sixtus V. drängte auf einen raschen Abschluss der Revision. Mit dem Ergebnis unzufrieden, nahm er selbst Veränderungen vor und erklärte sie 1590 zur authentischen Vulgata (Sixtina).[4] Da sehr fehlerhaft, wurde sein Text nach seinem Tod eingezogen und 1592 durch die von Clemens VIII. veranlasste Sixto-Clementina ersetzt.[5] Auch Robert Bellarmin stellte inzwischen die höhere Autorität des hebräischen und griechischen Textes heraus: „Sie sind die Quelle, die Vulgata der Bach.“

Historisch-kritische Edition

Um die Vulgata nach historisch-philologischen Prinzipien zu edieren, begann 1889 die Herausgabe einer kritischen Ausgabe in Oxford. Auch Papst Pius X. beauftragte 1907 durch das Motu proprio Consilium a Decessore Nostro den Benediktinerorden mit einer kritischen Edition. Zu diesem Zweck wurden Mönche der Kongregation von Solesmes nach Rom entsandt.[6] Für sie wurde dort die Abtei des hl. Hieronymus als Studienzentrum gegründet.[7] Als Ergebnis ihrer Arbeiten brachten 1969 Robert Weber und Roger Gryson die Biblia Sacra Vulgata heraus, der älteste Handschriften zugrunde liegen.[8] Für die historische (liturgie- und dogmengeschichtliche) Forschung gilt diese als die maßgebliche Ausgabe.[8]

Im Zuge der Liturgiereform wurde seit Mitte der 1960er Jahre in den meisten katholischen Gemeinden die Feier der Liturgie in lateinischer Sprache unüblich. Dennoch werden die Texte der Vulgata noch heute in verschiedenen Ordensgemeinschaften (Benediktiner, Zisterzienser, Kartäuser) verwendet.

1979 erschien, veranlasst vom Zweiten Vatikanischen Konzil, eine nach dem aktuellen Stand der Textkritik erarbeitete Neuedition der Vulgata auf Grundlage der hebräischen und griechischen Textzeugen, die Nova Vulgata. Um deren Gebrauch zu stärken, veröffentlichte der Vatikan 2001 die Instruktion Liturgiam authenticam. Bei der Herausgabe authentischer Bücher der römischen Liturgie soll nunmehr die Nova Vulgata mit herangezogen werden.[9] Diese dienen wiederum als Grundlage für die Übersetzungen in die Volkssprachen.

Siehe auch

Ausgaben

  • Biblia sacra. Iuxta Vulgatam versionem. Recensuit et brevi apparatu critico instruxit Robertus Weber (durchgesehen und mit einem kritischen Apparat erläutert von Robert Weber). 5., verbesserte Auflage, bearbeitet von Roger Gryson. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-438-05303-9 (maßgebliche wissenschaftliche Ausgabe).

Deutsche Übersetzung

  • Biblia Sacra Vulgata. Lateinisch und deutsch. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachkollegen herausgegeben von Andreas Beriger, Widu-Wolfgang Ehlers, Michael Fieger. Sammlung Tusculum, Walter de Gruyter, Berlin 2018, 5 Bände.
    • Bd. 1: Genesis – Exodus – Leviticus – Numeri – Deuteronomium
    • Bd. 2: Iosue – Iudices – Ruth – Samuhel – Malachim – Verba dierum – Ezras – Tobias – Iudith – Hester – Iob
    • Bd. 3: Psalmi – Proverbia – Ecclesiastes – Canticum canticorum – Sapientia – Iesus Sirach
    • Bd. 4: Isaias – Hieremias – Baruch – Ezechiel – Daniel – XII Prophetae – Maccabeorum
    • Bd. 5: Evangelia – Actus Apostolorum – Epistulae Pauli – Epistulae Catholicae – Apocalypsis – Appendix

Literatur

  • Hermann Rönsch: Itala und Vulgata. Das Sprachidiom der urchristlichen Itala und der katholischen Vulgata unter Berücksichtigung der römischen Volkssprache. Durch Beispiele erläutert. Elwert, Marburg 2. Aufl. 1875 (Reprint Hueber, München 1965).
  • Friedrich Stummer: Einführung in die lateinische Bibel. Schöningh, Paderborn 1928.
  • Bonifatius Fischer: Beiträge zur Geschichte der lateinischen Bibeltexte (= Vetus Latina / Aus der Geschichte der lateinischen Bibel, Bd. 12). Herder, Freiburg 1986, ISBN 3-451-00496-8.
  • Pierre-Maurice Bogaert: La Bible latine des origines au Moyen Age. Aperçu historique, état des questions. In: Revue théologique de Louvain, Bd. 19 (1988), S. 137–159.
  • Samuel Berger: Histoire de la Vulgate pendant les premiers siècles du Moyen Age. Paris 1893 (Digitalisat).
  • Vulgata in Dialogue. A Biblical On-Line Review (https://vulgata-dialog.ch/ojs/index.php/vidbor)

Weblinks

Wiktionary: Vulgata – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Vulgate – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Fußnoten

  1. Peter Stotz: Die Bibel auf Latein – unantastbar? Zürich 2011 (=Mediävistische Perspektiven, 3), S. 9.
  2. Pierre Nautin: Artikel Hieronymus, in: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. 15 (1986), S. 304–315, hier S. 309–310.
  3. Alfons Fürst: Aktuelle Tendenzen der Hieronymus-Forschung. In: Adamantius, Jg. 13 (2007), S. 144–151, ferner Uta Heil, Art. Hieronymus, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Januar 2009.
  4. Augustus Franzen, Remigius Bäumer: Papstgeschichte, Herder-Taschenbuch Verlag Herder KG, Freiburg, 1974, S. 304, ISBN 3-451-01924-8
  5. Klaus Ganzer in Herders Lexikon der Päpste, Herder Verlag Freiburg, 2010, S. 179, ISBN 978-3-451-06200-1
  6. Niccolò del Re: Art. Abtei des hl. Hieronymus zur Revision und Verbesserung der „Vulgata“. In: ders. (Hrsg.): Vatikanlexikon. Pattloch, Augsburg 1998, S. 1–2, hier S. 2.
  7. Camillo Schonnen: I grandi rifugi dello spirito: L'Abbazia di S. Girolamo „in Urbe“. In: Ecclesia, Jg. 6 (1947), S. 462–467.
  8. a b Vulgata
  9. Liturgiam authenticam – Der Gebrauch der Volkssprachen bei der Herausgabe der Bücher der römischen Liturgie