Ksar
, Plural قصور, DMG
oder in französischer Schreibung Ksour; Zentralatlas-Tamazight ⴰⵖⵔⵎ Aɣrem, Plural
) werden traditionelle, ländliche befestigte Siedlungen oder Speicherburgen der Berber im Maghreb, also in den Ländern Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Mauretanien bezeichnet.
Wortbedeutung
Das hocharabische Wort qasr bezeichnet eine Burg oder ein königliches Schloss. Aus al-qasr leitet sich der spanische Begriff Alcázar („Festung“), mit agglutiniertem arabischen Artikel al-, her. al-qasr wird aus dem lateinischen castrum abgeleitet, welches mit Burg oder Festung übersetzt wird.[1]
Der aus dem Arabischen قصبة /
stammende Begriff Kasbah bezeichnet hingegen im gesamten Maghreb ursprünglich eine ausschließlich militärischen Zwecken dienende Festung. Diese kann innerhalb oder außerhalb von Städten liegen und diente häufig der besseren Kontrolle der Bevölkerung. Die Anwendung des Begriffs Kasbah auf ganze Stadtteile, die von Militärs und Hofbeamten sowie deren Familien bewohnt waren, ist eine spätere Bedeutungsentwicklung. Aus diesem Begriff leitet sich auch die spanische Bezeichnung Alcazaba ab.
Funktion
Während der frühen islamischen Expansion (Futūḥ) bedeutete Ksar ein Militärlager. Die späteren Ksour dienten der Bevölkerung der nahegelegenen Siedlungen als Fluchtburg oder aber dem Schutz der in den zahlreichen Speicherkammern (ghorfas) deponierten Güter vor Angriffen verfeindeter Nachbardörfer oder vor räuberischen Nomadenstämmen.
Architektur
Die Ksour des Maghreb sind – in Abhängigkeit von ihrer Lage, ihrer Funktion, vom Klima und/oder von den regional verfügbaren Baumaterialien (Steine, Lehm) – sehr unterschiedlich gestaltet:
Tunesien
Ein typischer – in seiner architektonischen Gestalt manchmal an römische Amphitheater (z. B. El Djem) erinnernder – tunesischer Ksar ist meist aus kleinen Steinen und etwas Erde als Mörtel erbaut und hat in der Regel nur einen einzigen Zugang. Die Außenwände der Speicherkammern (ghorfas) bilden eine geschlossene Außenmauer, die in vielen Fällen mit Lehm (im 20. Jahrhundert manchmal auch mit Zementmörtel) verputzt wurde. Im Innern befindet sich ein großer offener – ovaler oder rechteckiger – Platz, um den herum sich die in zwei oder mehr Etagen übereinander angeordneten Speicherkammern gruppieren.
Die einheitliche geschlossene Bauweise der südtunesischen Ksour lässt die Vermutung zu, dass ihnen eine gemeinschaftliche und zukünftige Erweiterungen berücksichtigende Planung zugrunde lag, denn bei wachsender Bevölkerung und dem sich daraus ergebenden höheren Bedarf an Speicherkammern konnten bzw. mussten diese oben auf die bereits vorhandenen aufgesetzt werden. Die architektonische Grundstruktur des Ksar blieb in solchen Fällen jedoch unverändert.
Die Ksour Südtunesiens und Westlibyens liegen oft an den Karawanenstraßen durch die Sahara und dienten als Speicherburgen (vgl. Agadire), Handelsplätze und manchmal auch als religiöse Zentren. Im Regelfall waren sie unbewohnt und wurden – je nach Bedrohungslage – nur von einem oder mehreren Wächtern bewacht. Typische Beispiele für die Ksar-Architektur des Flachlandes sind die Ksour in oder bei Medenine.[2]
In den Bergregionen Südtunesiens – vor allem im Dahar-Bergland – finden sich ähnliche Bauformen (z. B. in Ksar Haddada oder im Ksar Ouled Soltane). Allerdings gibt auch mehr oder weniger befestigte, aus Stein erbaute und ehemals ganzjährig bewohnte Bergdörfer, die ebenfalls als Ksar bezeichnet werden (z. B. Guermessa, Chenini oder Douiret). In ihrer über Jahrhunderte gewachsenen und verschachtelten Architektur unterscheiden sie sich grundlegend von den Ksour des Flachlandes. Beiden so unterschiedlichen Formen gemeinsam ist lediglich ihr Verteidigungscharakter.
Libyen
Im Westen Libyens existieren nur noch einige wenige – meist auf hohen Felsvorsprüngen erbaute – Ksour (z. B. Qasr Bou Neran, Qasr el-Hadj, Kabaw/Cabao), die in ihren Funktionen und ihrer architektonischen Gestalt denen im Süden Tunesiens vergleichbar sind. Der Ksar von Nalut unterscheidet sich insofern von den übrigen, als in seinem Innern nachträglich ein weiterer ovaler Ring mit Speicherkammern eingebaut wurde, so dass – wie bei den Agadiren Marokkos – nur ein schmaler Gang mit Ghorfas auf beiden Seiten freibleibt.
Algerien
Die meisten Speicherburgen Algeriens sind verschwunden. Ein erhaltenes Beispiel ist der wohl erst im 16. oder 17. Jahrhundert aus Bruchsteinen erbaute und mit einer dünnen Lehmschicht beworfene Ksar Draa nördlich der Oasenstadt Timimoun.
Marokko
In Marokko bezeichnet der Begriff Ksar ein wehrhaftes, dauerhaft bewohntes Dorf, das aus mehreren – teilweise ineinander verschachtelten – Wohnburgen (Tighremts) bestehen kann (z. B. Ait Benhaddou, Hoher Atlas) oder aber – in einigen wenigen Fällen – von einem geschlossenen Mauerring umgeben ist (z. B. Tizourgane oder Aït Kine, Antiatlas).
Eine einheitliche Planung der marokkanischen Ksour ist nur bei den von den Alawiden erbauten Ksour in der Umgebung von Rissani (Ksar Abouam, Ksar Abbar u. a.) festzustellen. Bei den ländlichen Ksour Marokkos entstand lediglich der – allerdings nur selten vorhandene bzw. erhaltene – Mauerring in gemeinschaftlicher Arbeit. Unbewehrte Dörfer werden in Marokko meist als douar bezeichnet (z. B. Amtoudi).
Zahlreiche mehr oder weniger gut erhaltene bzw. restaurierte Ksour säumen die Straße von Agdz nach Zagora (z. B. Ksar Tamezmoute, Ksar Tansikht oder Ksar Oulad Othmane).
Mauretanien
Die mauretanischen Ksour sind eher – aus Stein erbaute – Siedlungen (Handelsplätze), die sich im Lauf von Jahrhunderten zu kleinen Städten entwickelt haben. Die UNESCO hat die mauretanischen Ksour von Ouadane, Chinguetti, Tichitt und Oualata zum Weltkulturerbe erklärt.
Heutiger Zustand
Aufgrund der Modernisierung der Lebensumstände und der Befriedung der Berberstämme sind alle Ksour des Maghreb funktionslos geworden. Hinzu kommen ausbleibende Regenfälle und eine stete Abwanderung der Bevölkerung in die Städte. Deshalb sind nahezu alle noch existierenden Ksour in argem Verfall begriffen. Ein Überleben dieser für die – nirgends schriftlich fixierte – Kulturgeschichte der Berber so charakteristischen Architektur wird wohl nur als Touristenattraktion oder als Filmkulisse möglich sein. So wurden etliche Szenen des Films Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung in den Ksour Südtunesiens (Ksar Haddada und Chenini) gedreht.
Siehe auch
Literatur
- Herbert Popp, Abdelfettah Kassah: Les ksour du Sud tunisien. Naturwissenschaftliche Gesellschaft, Bayreuth 2010, ISBN 978-3-939146-04-9. (franz.)
- Joachim Willeitner: Libyen.Tripolitanien, Syrtebogen, Fezzan und die Kyrenaika. DuMont, Ostfildern 2001, ISBN 3-7701-4876-2, S. 136f.
- Arnold Betten: Marokko. Antike, Berbertraditionen und Islam – Geschichte, Kunst und Kultur im Maghreb. DuMont, Ostfildern 2012, ISBN 978-3-7701-3935-4.