Kurt Gerron

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Das Komikerduo Siegfried Arno und Kurt Gerron 1931 bei einer Kochkunstausstellung

Kurt Gerron (eigentl. Kurt Gerson) (geboren am 11. Mai 1897 in Berlin; gestorben am 30. Oktober[1] 1944 im Konzentrationslager Auschwitz) war ein deutscher Schauspieler, Sänger und Regisseur. Er wurde als Jude von den Nationalsozialisten verfolgt, interniert und ermordet.

Leben

Jugend und Teilnahme am Ersten Weltkrieg

Gerron war das einzige Kind des wohlhabenden jüdischen Kaufmannes Max Gerson und dessen Ehefrau Toni geb. Riese. Geboren wurde er in der elterlichen Wohnung in der Cuxhavener Straße 4 im Berliner Hansaviertel.[2] Nachdem er mit 17 Jahren das Abitur abgelegt hatte, wollte er Medizin studieren, musste jedoch stattdessen zunächst als Frontsoldat in den Ersten Weltkrieg ziehen. Durch eine schwere Verletzung wurde er kampfuntauglich und konnte nun sein Studium beginnen, das aber verkürzt wurde, damit man ihn wiederum in den Krieg schicken konnte, diesmal als Lazarettarzt.

Die Anfänge: Theater, Stummfilm, Kabarett

Kurt Gerron als Brown in Dreigroschenoper
Stolperstein am Haus, Paulsborner Straße 77, in Berlin-Halensee

Nachdem er während seiner Militärzeit im Ersten Weltkrieg mehrfach verwundet worden war und später seine Arbeit als Arzt aufgegeben hatte, wandte er sich 1920 der Schauspielerei zu. Ohne einen speziellen Unterricht genossen zu haben, debütierte er in dem kleinen Kabarett, wo ihn Trude Hesterberg entdeckte. Zur Eröffnung der Wilden Bühne stand Gerron neben Bertolt Brecht, Joachim Ringelnatz und Walter Mehring auf dem Programm. Von 1920 bis 1925 war er unter anderem an den Berliner Reinhardt-Bühnen engagiert. Daneben trat er in Revuen und Kabaretts auf. Der Kritiker Pem charakterisierte den Kabarettisten 1926 wie folgt:

„Er schießt Sätze. Die Worte peitschen. Der Rhythmus reißt mit, läßt keinen Widerstand zu. Ihm sitzt die Hetze, das Tempo im Nacken. Unbarmherzig fallen die Verse, geißeln die Zeit. Ihre Schwäche, ihre Halbheiten, ihre Gleichgültigkeit. Gar nicht sentimental. Messerscharf und eiskalt zeigt er den Menschen in seiner Kleinheit und Brutalität. Man kommt nicht zur Besinnung. Unterliegt glatt der Verve der Attacke.“[3]

Seit den frühen 1920er-Jahren war Gerron auch in Nebenrollen im Stummfilm zu sehen. Durch seine Kriegsverletzung, die eine physiologische Erkrankung nach sich zog, litt er an zunehmendem Übergewicht. Seine dadurch massige und äußerlich grotesk wirkende körperliche Erscheinung trug maßgeblich dazu bei, dass er zu seinem Leidwesen nur für undurchsichtige oder fragwürdige Charaktere besetzt wurde.

Ab 1926 führte Gerron zusätzlich Regie und setzte sich ab 1931 auch im Tonfilm durch. Berühmtheit erlangte er durch seine Darstellungen und Gesangsvorträge in der 1928 sensationell erfolgreich uraufgeführten Dreigroschenoper von Bert Brecht und Kurt Weill. Er spielte darin den Schausteller, der Die Moritat von Mackie Messer vortrug, sowie die Rolle des Londoner Polizeichefs „Tiger Brown“.

Große Erfolge: Der Tonfilm

Gerrons heute wohl bekannteste Rolle ist die des Zauberkünstlers Kiepert in Josef von Sternbergs Der blaue Engel zusammen mit Marlene Dietrich (1930). Außerdem wirkte er neben Willy Fritsch in der Filmoperette Die Drei von der Tankstelle (1930) mit, die für den noch unbekannten Heinz Rühmann den Durchbruch im Filmgeschäft bedeutete, und übernahm anschließend die Rolle des Kommissars in dem Film Einbrecher (1930). Letzteres erneut neben Rühmann sowie Fritsch, mit dem er zwei Jahre später, wiederum als Regisseur, auch die Filmkomödie Ein toller Einfall (1932) umsetzte. Gute Kritiken erhielt Gerron auch als Regisseur beliebter Filme wie Es wird schon wieder besser mit Heinz Rühmann oder Der weiße Dämon mit Hans Albers. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren, wurde Gerron gezwungen, seine Regiearbeit an dem UFA-Film Kind, ich freu' mich auf Dein Kommen (1933) aufzugeben. Die Hauptdarstellerin des Films erinnerte sich noch Jahrzehnte später daran, wie Kurt Gerron während der Dreharbeiten als sogenannter Nichtarier des Studios verwiesen wurde:

„Ich habe nur zum Gerron geschaut, und der hat die Augen so runtergelassen. Und dann hat er ein paarmal geschluckt, und dann ist er aufgestanden und ist grad weggegangen. Ich sah nur noch seinen Rücken. Und der zitterte so, das werde ich nie vergessen.“

Magda Schneider: Interview[4]

Bis 1933 hatte Kurt Gerron in 60 Filmen mitgewirkt.

Flucht und Exil

Mit seiner Frau Olga geb. Meyer und seinen Eltern Max und Mally Gerron floh er 1933 nach der nationalsozialistischen Machtergreifung nach Paris, von da über Österreich und Italien nach Amsterdam. Nach der Besetzung der Niederlande spielte Gerron noch eine Weile an der Hollandsche Schouwburg, die nun „Joodsche Schouwburg“ hieß, bis das gesamte Ensemble in das KZ Theresienstadt deportiert wurde.

1943 wurden Gerron und seine Familie in das niederländische Durchgangslager Westerbork deportiert, Ende Februar 1944 dann ebenfalls nach Theresienstadt.

Gerrons Freunde Peter Lorre und Marlene Dietrich hatten noch versucht, ihn rechtzeitig nach Hollywood zu holen. Doch Gerron lehnte ab, wohl, weil ihm die deutsche Sprache zum Arbeiten notwendiges Handwerkzeug war. Möglicherweise hoffte er auch auf einen Umschwung in Deutschland, wie viele der Juden, die nicht weiter als in die benachbarten Niederlande emigrierten.

Theresienstadt und Auschwitz

In Theresienstadt erkannte ein SS-Mann Gerron, der in dem NS-Propagandafilm Der ewige Jude als Beispiel für einen „minderwertigen Juden“ vorgeführt worden war, und schlug den ihm arglos Entgegentretenden brutal zusammen. Später agierte Gerron auf der Bühne des von ihm gegründeten Ghetto-Kabaretts „Karussell“.[5]

Im August 1944 wurde Gerron von der SS gezwungen, den vorgeblich dokumentarischen Film „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ unter Aufsicht des Lagerkommandanten Karl Rahm zu inszenieren. Dieser Film wurde auch unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ bekannt.

Einige Überlebende kreideten Gerron seine Mitwirkung an diesem Propagandafilm an, andere, vor allem diejenigen, die er durch Besetzung für den Film vor der Deportation nach Auschwitz zu retten suchte, zeigten Verständnis für seine Pseudo-Kollaboration. Gerron selbst scheint geglaubt zu haben, dass ihn einzig seine Theater- und Filmkompetenz und seine bereitwillige Mitwirkung an diesem Film davor bewahren könnte, von den Nazis ermordet zu werden. Nach Abschluss der Filmarbeiten wurden Kurt Gerron und viele prominente Mitwirkenden am 28. Oktober 1944[1] nach Auschwitz transportiert und nach ihrer Ankunft in der Gaskammer ermordet, auch fast alle Kinder, die in diesem Film vorkommen.[6]

Am 17. Juni 2022 wurde vor seinem ehemaligen Wohnort, Berlin-Halensee, Paulsborner Straße 77, ein Stolperstein verlegt.

Filmografie

Als Darsteller

Stummfilme

Tonfilme

Als Regisseur

Dokumentarfilm

Fortwirken

Viktor Rotthaler bezeichnet Gerron (neben Fritz Grünbaum) als einen jüdischen Künstler, dem Dani Levy in Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler ein Denkmal gesetzt hat: Er bekommt in Levys Phantasie noch eine kleine Gnadenfrist. Den Trainingsanzug, den Gerron in Theresienstadt getragen hat, trägt nun Hitler höchstpersönlich. Es wird Gerron sein, der Grünbaum … bestätigen wird, dass das Lager Sachsenhausen, wie von Grünbaum gewünscht, aufgelöst wurde. Mit vorgehaltener Pistole wird man ihn zu dieser letzten großen Lüge seines Lebens zwingen.

Am 4. September 2014 wurde Gerron mit einem Stern auf dem Boulevard der Stars in Berlin geehrt.

Literatur

  • Hans-Michael Bock: Kurt Gerron – Schauspieler, Regisseur. In: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, Lieferung 2, 1984.
  • Barbara Felsmann, Karl Prümm: Kurt Gerron – Gefeiert und gejagt. 1897–1944. Das Schicksal eines deutschen Unterhaltungskünstlers. Berlin, Amsterdam, Theresienstadt, Auschwitz (= Beiträge zu Theater, Film und Fernsehen aus dem Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Bd. 7 = Reihe deutsche Vergangenheit. Nr. 63). Edition Hentrich, Berlin 1992, ISBN 3-89468-027-X.
  • Ulrich Liebe: Verehrt, Verfolgt, Vergessen. Schauspieler als Naziopfer. Beltz Quadriga, Weinheim u. a. 1992, ISBN 3-88679-197-1.
  • Roy Kift: Camp Comedy. A play featuring original cabaret songs from Gerron’s Karussell cabaret, and dealing with Gerron’s moral dilemma in making the propaganda film for Goebbels. In: Robert Skloot (Hrsg.): The theatre of the Holocaust. Band 2: Six plays. University of Wisconsin Press, Madison WI u. a. 1999, ISBN 0-299-16274-5, German translation available from the author (weitere Information: Online verfügbar).
  • Katja B. Zaich: „Ein Emigrant erschiene uns sehr unerwünscht.“ K. G. als Filmregisseur, Schauspieler und Cabaretier in den Niederlanden. In: Claus-Dieter Krohn, Lutz Winckler, Irmtrud Wojak, Wulf Koepke (Hrsg.): Film und Fotografie (= Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch. Bd. 21). Edition Text und Kritik, München 2003, ISBN 3-88377-746-3, S. 112–128.
  • Charles Lewinsky: Gerron. Roman. Nagel & Kimche, Zürich 2011, ISBN 978-3-312-00478-2.
  • Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Band 3: F – H. John Barry Fitzgerald – Ernst Hofbauer. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 236 ff.
  • Kay Weniger: „Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben …“. Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht. ACABUS-Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86282-049-8, S. 185–188.

Weblinks

Commons: Kurt Gerron – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. a b Kurt Gerson in der Zentralen Datenbank der Holocaustopfer von Yad Vashem
  2. Geburtsurkunde StA Berlin XIIa Nr. 1173/1897.
  3. Paul Marcus (d. i. Pem): Die vom Brettl. In: Der Junggeselle, Nr. 23, 2. Juniheft 1926, S. 6.
  4. Hartmut Goege: Vor 125 Jahren geboren. Kurt Gerron – vom kolossalen zum tragischen UFA-Star. In: Kalenderblatt (Rundfunksendung auf DLF). 11. Mai 2022, abgerufen am 11. Mai 2022.
  5. ghetto-theresienstadt.de
  6. Erwin Leiser: „Deutschland, erwache!“ Propaganda im Film des Dritten Reiches. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1968, ISBN 3-499-10783-X, S. 76 f.
  7. Kurt Gerrons Karussell. In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 1. April 2016.