Jugendtourist

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Jugendtourist
Rechtsform VEB
Gründung 1975
Sitz Berlin, Hauptstadt der DDR, Deutsche Demokratische Republik
Branche Touristik, Freizeit

Jugendtourist war ein Reisebüro der DDR-Jugendorganisation FDJ, das 1975 gegründet wurde. Die Aufgabe der Institution bestand darin, den nationalen und internationalen Jugendtourismus für junge Leute unter 27 Jahren zu vergünstigten Preisen, mit Abstrichen im Komfort und natürlich im Rahmen der geltenden Reisebeschränkungen zu organisieren und zu fördern.

Jugendtourist war in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendherbergswerk in der Bundesrepublik unter anderem für die Buchung von Jugendherbergen in der DDR für Bürger aus dem Westen zuständig. Jugendtourist organisierte in den 1980er-Jahren auch Treffen zwischen westdeutschen Schulklassen und Jugendlichen der DDR.

Vorgeschichte

Reiseprogramm der Jugendtouristreise Sofia-Belogradtschik-Vratza-Primorsko im Jahr 1974

Seit 1960 hatte der Direktionsbereich Jugendtourist des Reisebüros der DDR Reisen ins sozialistische Ausland angeboten. Diese wurden an bestimmten vorher bekannt gegebenen Tagen von Angestellten der Abteilung Jugendtourist in den Reisebüros angeboten und verkauft. In anderen europäischen Ländern wurde 1972 das Interrail-Ticket eingeführt, das Jugendlichen preiswerte internationale Bahnreisen ermöglichte.

Auf dem vom Reisebüro herausgegebenen Anmeldeschein gab es eine Zeile „Personenbezogene Daten“ mit „Zugehörigkeit zu Partei- und Massenorganisationen,“ die der Teilnehmer auszufüllen hatte. Damit wusste der Reiseleiter bereits vor der Reise, wer SED-Mitglied war, und konnte eine Parteigruppe bilden. Tatsächlich, die Parteigruppen bei Urlaubsreisen gab es sowohl bei Reisen des Reisebüros als auch bei Jugendtourist. In einigen Urlaubsorten wie in Kawarna (1972) gab es eine Person, die die Urlauber aus der DDR zu überwachen hatte. Sie wurde Repräsentant genannt.

Geschichte

1975 wurde der VEB Jugendtourist gegründet. Die Reisebüros waren staatliche Dienstleistungsbetriebe und diese wurden auch als Volkseigene Betriebe (VEB) bezeichnet. Der VEB-Zusatz bei Jugendtourist stand nicht im Betriebsnamen und war deshalb auch nicht geläufig.

Mit der neuen Unternehmensgründung hat Jugendtourist eine Broschüre mit 50 Seiten herausgebracht, in der die Reiserouten und Aufenthaltsdauer der sechs auf der Titelseite zu sehenden Länder angegeben sind. Zu den Nachbarländern ČSSR und Polen betrug die Reisedauer 3 bis 10 Tage, die anderen vier Länder wurden mit dem Flugzeug erreicht und da betrug die Reisedauer meist 14 Tage. Weiterhin enthält die Broschüre Angaben zu den 6 Ländern und Informationen über die Reiseziele.

Jugendtourist bot für das Land Ungarn 11 Routen an, von denen 6 Reisen kombinierte Reisen (Gebirge oder Balaton und Budapest) waren. Sogar eine Radwandererreise über 14 Tage war erhältlich. Für das Land Rumänien waren 10 verschiedene Routen erhältlich, wozu auch eine Rundreise gehörte. Die begehrtesten Reiseziele lagen in Bulgarien, wo 20 Reiserouten angeboten wurden. Hier waren die kombinierten Reisen (Gebirge und Schwarzes Meer) sehr beliebt. Für die Sowjetunion bot Jugendtourist mit 41 Reisen die größte Anzahl an Routen an. Darunter waren Reisen nach Zentralasien (Mittelasien) und Sibirien. Auch Flusskreuzfahrten auf der Wolga konnte man buchen.

Bei den Jugendtouristreisen erhielten die Dienstleister im Gastgeberland keine Trinkgelder. Weder Bedienpersonal in den Gaststätten, noch der Zimmerservice und auch nicht die Reiseleiter bei den Ausflügen. Bei den Reisen in die Sowjetunion wurden an den Abenden oft Freundschaftstreffen veranstaltet, bei denen es kostenlos recht viele alkoholische Getränke gab. Es war oft peinlich, dass man keine kleinen Geschenke für die russischen Gesprächspartner mit hatte.

Neben den Freundschaftstreffen standen auch Betriebsbesichtigungen auf der Tagesordnung. Diese Arbeitsstätten waren recht interessant. Zu den Besichtigungsobjekten gehörten beispielsweise Wasserkraftwerke wie das in Bratsk oder das Kuibyschewer Wolga-Flusskraftwerk W. I. Lenin. Auch die Stadt der Wissenschaft Akademgorodok in Nowosibirsk war für die mit Jugendtourist reisenden Besucher interessant. In Bulgarien wurde unter anderem eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) besucht und das war eine Pfirsichplantage zur Erntezeit.

Die Broschüre enthält auch den Hinweis, wie ein Interessent die Reise erhalten kann. Zuständig ist die FDJ-Leitung des Betriebes oder der Schule, wo man arbeitet oder lernt. Man konnte den Antrag auch direkt an die zuständige Kreiskommission für Jugendauslandstouristik stellen.

Bezahlquittung einer Jugendtouristreise von 1977

Somit übernahm ab 1975 die Freie Deutsche Jugend (FDJ) den Vertrieb in eigener Regie. Am Anfang des Jahres konnte man sich bei dem dafür zuständigen FDJ-Funktionär für ein Reiseziel vormerken lassen und dieser hat die Wünsche und Angebote von Jugendtouristreisen einigermaßen in Einklang gebracht.

Die Anzahl Mädchen und Jungen waren in den Reisegruppen annähernd gleich groß. So fanden einige Jugendliche während dieser Reisen ihren Partner für die spätere Ehe.

Die Preise von Jugendtouristreisen für 14 Tage lagen zum großen Teil zwischen 700 und 800 Mark. Bei sehr weiten Reisen und bei gehobenen Hotelunterkünften betrugen diese auch über 1000 M. Eine Sibirienreise mit den Städten Moskau, Nowosibirsk, Irkutsk und Bratsk kostete 1085 M.

In dem auf der Abbildung stehenden Preis von 763 M waren die Flugreise von Berlin bis Burgas in Bulgarien, die Unterkunft in Kamtschija in einem 2-Personen-Bungalow, eine Vollverpflegung (Vollpension), ein Tagesausflug zum Sonnenstrand und nach Nessebar sowie Taschengeld in bulgarischer Währung enthalten.

Ab den 1980er Jahren bot Jugendtourist auch Reisen in Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet (NSW) an. Die Reiseziele lagen zum Beispiel in Österreich, Finnland und in Nordafrika. Die Anzahl an Reisen war aber recht beschränkt.

Als in den 1980er-Jahren die Zahl der Klassenreisen westdeutscher Schulklassen in die DDR zunahm, organisierte Jugendtourist hierfür Treffen mit DDR-Jugendlichen. Die Reisen wurden durch Informelle Mitarbeiter überwacht.[1]

1989 beim VEB Jugendtourist gibt es einige Neuerungen und man bietet neuen direkten Telefondienst an.[2]

Nachwendezeit

1990 Umbenennung von VEB Jugendtourist in Reisedienst und Touristenservice GmbH

1991 Übernahme des ostdeutschen Reiseveranstalters Reisedienst und Touristenservice GmbH mit seinen 35 Vertriebsstellen durch die ITS Länderreisedienste GmbH (damals die Touristiksparte der Kaufhof AG) für rund 1,3 Millionen DEM.[3]

1995 Übernahme von ITS Reisen durch Atlasreisen. Atlasreisen ist eine Tochtergesellschaft der Unternehmensgruppe DER Deutsches Reisebüro, die zu den führenden deutschen Touristikunternehmen zählt und weitere Töchter mit den DER Reisebüros, und den Derpart Franchise-Filialen sowie mit der RSG Reisebüro Service unterhält. Das DER Deutsches Reisebüro gehört wiederum dem Handelsgiganten Rewe, der sich in den zurückliegenden Jahren mit dem Tourismusgeschäft ein zweites Standbein aufgebaut hat.[4]

Fotogalerie

In die Fotogalerie sollen vorwiegend solche Fotografien eingestellt werden, die Bildinhalte haben, die es so nicht mehr gibt. Damit sind Gebäude, Transportmittel, Bekleidung der Reisenden usw. gemeint. So soll der damalige Entwicklungsstand des Tourismus dokumentiert werden.

Quellen

  • BI-Universallexikon A–Z, Bibliographischen Institut Leipzig (Hg.), 1. Aufl. Leipzig 1988, ISBN 3-323-00199-0, Stichwort „Jugendtourist“, S. 355

Einzelnachweise

  1. Interview mit Willi Eisele: Klassenfahrten in die DDR. In: zeitzeugenbuero.de. Abgerufen am 23. April 2021.
  2. Jugendtourist mit neuem Telefonservice. In: Neues Deutschland. 27. Oktober 1989.
  3. Die Übernahme basierte auf einem Vertrag vom 24. September 1991. Heike Bähre: Privatisation during Market Economy Transformation. In: Peter M. Burns, Marina Novelli (Hrsg.): Tourism and politics. Global Frameworks and Local Realities. Elsevier Science & Technology, 2006, ISBN 978-0-08-045075-9, S. 33–58 (hier: S. 42).
  4. Wer-zu-Wem.de, DER Deutsches Reisebüro.