Marcel Fratzscher
Marcel Fratzscher (* 25. Januar 1971 in Bonn) ist ein deutscher Ökonom. Er leitet seit 1. Februar 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)[1] und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.[2] Davor war er seit 2008 Leiter der Abteilung International Policy Analysis (Internationale wirtschaftspolitische Analysen) bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt.
Leben
Kindheit, Jugend und Studium
Marcel Fratzschers Vater war Agrarökonom, seine Mutter war Chemikerin.[3] In seiner Jugend reiste Fratzscher viel, spielte Geige und Tischtennis, wo er es bis in die zweite Bundesliga brachte.[4] Er studierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Ökonomie und legte hier 1992 sein Vordiplom ab. Im Anschluss führte er sein Studium an der Universität Oxford fort und erhielt dort 1994 mit seiner Arbeit Moral philosophy and political philosophy, intern’l economics den Titel B.A. in Philosophy, Politics, and Economics (PPE). Den Master of Public Policy erlangte Marcel Fratzscher 1996 an der Harvard University, John F. Kennedy School of Government, in Cambridge (USA). Am European University Institute in Florenz erhielt Marcel Fratzscher im Jahr 2002 den akademischen Grad Ph.D. im Bereich Ökonomie.
Nach seinem Studium arbeitete Marcel Fratzscher 1996 bei der Weltbank und während der Asienkrise 1997–1998 als Makroökonom beim Harvard Institute for International Development in Jakarta, Indonesien. Als Berater unterstützte Fratzscher hier gemeinsam mit Jeffrey Sachs die indonesische Regierung in Fragen der Wirtschaftspolitik während der Finanzkrise. Danach schloss sich eine Tätigkeit beim Peterson Institute for International Economics in Washington, D.C. von 2000 bis 2001 an. Zuvor war er zudem für kürzere Perioden bei Mwaniki Associates in Kenia und der Asian Development Bank auf den Philippinen tätig.
Europäische Zentralbank
Im April 2001 wechselte Fratzscher zur Europäischen Zentralbank nach Frankfurt am Main, zunächst als Senior Economist and Economist im Direktorat Volkswirtschaft und anschließend als Adviser und Senior Adviser im Direktorat International. Ab 2008 leitete er die 24-köpfige Abteilung International Policy Analysis. Die Hauptaufgabe dieser Abteilung liegt in der Formulierung von Politikpositionen der Europäischen Zentralbank über internationale Themen in den drei Bereichen globale Wirtschafts- und Finanzfragen, länderspezifische und regionale Themen in Asien und Lateinamerika sowie die globale Finanzmarktarchitektur und ihre Institutionen (u. a. Themen über den Internationalen Währungsfonds, G20, G7). Daneben unterrichtete Marcel Fratzscher „International Finance“ im Ph.D.-Programm der Goethe-Universität Frankfurt.
Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und Professur
Seit Anfang 2013 ist Marcel Fratzscher Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW und hat die „DIW S-Professur“ für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin inne.[5][6]
Die 2014 von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel eingerichtete Fratzscher-Kommission wurde von dem für seine Nähe zur SPD bekannten Fratzscher geleitet und hatte die Stärkung von Investitionen in Deutschland zum Thema.[7][8]
Privates
Fratzscher spricht Englisch und Italienisch, Spanisch sowie Indonesisch.[4] Sportlich hat er eine Vorliebe für gelegentliches Bungeespringen entwickelt.[4] Er lebt seit 2013 in Berlin.
Er ist Bruder von Daniel Fratzscher, Geschäftsführer der Euroweb Group.[9]
Forschung
Marcel Fratzschers Forschung konzentriert sich zumeist auf angewandte Fragen der internationalen Makroökonomie, monetären Ökonomie und Finanzwissenschaft. Er forscht insbesondere zu der Frage, wie Notenbanken mit Märkten und Öffentlichkeiten kommunizieren sollten, sowie über die globalen Übertragungsmechanismen der globalen Finanzkrise 2007–2010.
Die seinem Buch über die Ungleichheit (Verteilungskampf: Warum Deutschland immer ungleicher wird) zugrundeliegende OECD-Studie wurde vom arbeitgebernahen Kölner Institut der deutschen Wirtschaft angezweifelt.[10]
Kontroversen
Dem Versuch einer Studie von Fratzscher, die gestiegenen Geflüchtetenzahlen in 2015 wirtschaftlich positiv darzustellen, widersprach der Ökonom Daniel Stelter. Stelter wies darauf hin, dass die Annahmen der Studie an verschiedenen Stellen unrichtig seien. Es fehle eine ökonomisch belastbare Datengrundlage und die Kosten sowie die Dauer für Bildung und Ausbildung würden unterschätzt. Von Geflüchteten werde im Gegensatz zu Einwanderern auch kein Deckungsbeitrag erwartet. Auch aus rein ökonomischer Sicht sei die Studie eine reine Simulationsrechnung mit nicht belastbaren Annahmen zum zukünftigen Investitionsbedarf sowie zu den zukünftigen Kosten und Erträgen.[11]
Der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank unterstellte Marcel Fratzscher im Sommer 2017, dass er sich zu einem „lautstarken Claqueur der Sozialdemokraten gemausert“ habe und kritisierte im Weiteren die hohe mediale Präsenz von Fratzscher.[12]
Die Trennung des DIW von Georg von Weizsäcker im November 2019 führte zu Protesten durch einen Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der HU Berlin, Daniel Klapper.[13]
Auszeichnungen
Beim Handelsblatt-Ökonomen-Ranking 2011, das die Forschungsleistung von ca. 1500 Ökonomen an der Qualität ihrer Publikationen seit 2007 misst, wurde Fratzscher auf dem vierten Platz geführt.[14] Zudem erhielt er den Kiel Institute Excellence Award in Global Economic Affairs in 2007[15] für seine Forschung über globale Finanzmarktverbindungen und Geldpolitik, und den CEPR 2007 Prize for the Best Central Bank Research Paper für seine Arbeit über Finanzmarktblasen und globale Ungleichgewichte.
2016 wurde er in der FAZ-Rangliste der einflussreichsten Ökonomen in Deutschland in den Top 10 geführt.[16]
Veröffentlichungen
- Macroprudential policy and central bank communication (mit B. Born und M. Ehrmann), Juli 2010.
- Contagion and the global equity market collapse of the 2007-09 financial crisis (mit G. Bekaert, M. Ehrmann und A. Mehl), Juni 2010.
- Asset Prices, News Shocks and the Current Account (mit R. Straub), Juni 2010.
- IMF Surveillance and Financial Markets – A Political Economy Analysis (mit J. Reynaud), mimeo, September 2009.
- The Global Transmission of the 2007-09 Financial Crisis in a GVAR model (mit A. Chudik), European Economic Review.
- Monetary policy in the media (mit H. Berger and M. Ehrmann), Journal of Money, Credit and Banking.
- Politics and Monetary Policy (mit M. Ehrmann), Review of Economics and Statistics.
- How successful is the G7 in managing exchange rates? Journal of International Economics 79(1): 78–88, September 2009.
- Convergence and anchoring of yield curves in the euro area (mit M. Ehrmann, R. Gürkaynak und E. Swanson), Review of Economics and Statistics.
- What Explains Global Exchange Rate Movements During the Financial Crisis? Journal of International Money and Finance 28: 1390–1407, Dezember 2009.
- Risk sharing, finance and institutions in international portfolios (mit J. Imbs), Journal of Financial Economics 94: 428–447, Dezember 2009.
- Stocks, bonds, money markets and exchange rates: Measuring international financial transmission (mit Ehrmann & R. Rigobon), Journal of Applied Econometrics.
- Do China and oil exporters influence major currency configurations? (mit A. Mehl), Journal of Comparative Economics 37, 335–358, September 2009.
- Central bank communication and monetary policy: A survey of the evidence (mit Alan Blinder, M. Ehrmann, J. de Haan, D.-J. Jansen), Journal of Economic Literature XLVI(4), 910-45, Dezember 2008.
- The political economy under monetary union: Has the euro made a difference? (mit L. Stracca), Economic Policy 58 307–348, April 2009.
- Marcel Fratzscher: Es liegt nicht am Euro! Viele Deutsche machen den Euro für die Krise verantwortlich, eine neue Partei will ihn gleich abschaffen. Sie alle irren. In: Die Zeit. 9. April 2013 (zeit.de).
- Die Deutschland-Illusion: Warum wir unsere Wirtschaft überschätzen und Europa brauchen. Hanser, München 2014, ISBN 978-3-446-44034-0.
- Verteilungskampf. Warum Deutschland immer ungleicher wird. Hanser, München 2016, ISBN 978-3-446-44465-2.
- Geld oder Leben. Wie unser irrationales Verhältnis zum Geld die Gesellschaft spaltet, Berlin Verlag, Berlin, 2022 ISBN 978-3-8270-1456-6
Weblinks
- Liste ausgewählter Publikationen auf diw.de (PDF; 121 kB)
- Marcel Fratzscher im Katalog der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (ZBW)
- CV von Marcel Fratzscher. In: fratzscher.eu. Abgerufen am 7. Februar 2019.
- Research & Policy papers, Forschung & Methode - Marcel Fratzscher – internationale Finanzen, Entwicklung, Finanzkrise. In: fratzscher.eu. Abgerufen am 7. Februar 2019 (Vollständige Publikationsliste).
- Olaf Storbeck: Marcel Fratzscher – krisenerprobter Notenbank-Ökonom. In: handelsblatt.com. 2. März 2009, abgerufen am 7. Februar 2019.
- Ralph Bollmann: Politikberater Fratzscher Gabriels Geheimwaffe. Marcel Fratzscher ist zum neuen Chefökonomen der Bundesregierung aufgestiegen. Mit Fleiß und einem untrüglichen Gespür für Macht. Seine Ökonomen-Kollegen wird er bald ins Aus gedrängt haben. In: FAZ. 17. September 2014 (faz.net).
- Rainer Hank: Claqueur der SPD. In: FAZ. 25. Juni 2017, S. 21 (faz.net).
- zimmermann@stlouisfed.org: Marcel Fratzscher – IDEAS/RePEc. In: ideas.repec.org. Abgerufen am 7. Februar 2019.
- Michael Sauga: Debatte über EZB-Anleihenkäufe: „Wir Deutsche haben ein falsches Bild von der Krise“. In: Spiegel Online. 21. Januar 2015, abgerufen am 7. Februar 2019.
- Europäische Zentralbank (EZB) Research & Publications, Papers by authors: Papers by Marcel Fratzscher
- Research & Publications, Papers by Marcel Fratzscher. In: ecb.europa.eu. European Central Bank, abgerufen am 7. Februar 2019 (englisch).
Einzelnachweise
- ↑ Diw Berlin: DIW Berlin: Marcel Fratzscher neuer Präsident des DIW Berlin. In: diw.de. 31. Januar 2013, abgerufen am 7. Februar 2019 (Pressemitteilung).
- ↑ http://www.fratzscher.eu/
- ↑ Marcel Fratzscher im Munzinger-Archiv, abgerufen am 25. Februar 2018 (Artikelanfang frei abrufbar)
- ↑ a b c Eins zu Eins. Der Talk. Gast: Marcel Fratzscher, Ökonom. In: BR2. 16. Januar 2018, abgerufen am 7. Februar 2019.
- ↑ Professuren Volkswirtschaftslehre. In: wiwi.hu-berlin.de. Abgerufen am 7. Februar 2019.
- ↑ Prof. Ph.D. Marcel Fratzscher. In: wiwi.hu-berlin.de. Abgerufen am 7. Februar 2019.
- ↑ Debatte über Staatsschulden: Ökonomen fordern "Schluck aus der Pulle". In: tagesschau.de. 12. Oktober 2021, abgerufen am 20. November 2021.
- ↑ Mobilisierung privaten Kapitals. In: Wirtschaft und Recht – Die Deutsche Bauindustrie. 30. Dezember 2020, abgerufen am 20. November 2021.
- ↑ Euroweb: Brüderliche Protektion von Marcel Fratzscher, Präsident des DIW? In: Jörg Reinholz. 14. April 2013, abgerufen am 11. Juni 2021.
- ↑ Dietrich Creutzburg: Einkommensunterschiede schaden nicht. In: FAZ.net. 22. März 2016, abgerufen am 7. Februar 2019.
- ↑ Daniel Stelter, manager magazin: Ökonomische Folgen der Flüchtlingspolitik - Der DIW-Faktencheck. Abgerufen am 7. Februar 2022.
- ↑ Claqueur der SPD - DIW-Chef Marcel Fratzscher hat sich ganz der SPD verschrieben. In: faz.net. Abgerufen am 7. Februar 2022.
- ↑ Aufruhr im DIW – Kritik an Präsident Marcel Fratzscher wächst. In: handelsblatt.com. Abgerufen am 7. Februar 2022.
- ↑ Handelsblatt-Ranking VWL 2011: Top-100 aktuelle Forschungsleistung (seit 2007). In: handelsblatt.com. Abgerufen am 7. Februar 2019.
- ↑ Excellence Awards in Global Economic Affairs. Excellence Award 2007. (Nicht mehr online verfügbar.) In: ifw-kiel.de. Kiel Institute for the World Economy, archiviert vom Original am 17. Oktober 2010; abgerufen am 7. Februar 2019.
- ↑ F.A.Z.-Ökonomenranking – Deutschlands einflussreichste Ökonomen. Abgerufen am 7. Februar 2019.
Personendaten | |
---|---|
NAME | Fratzscher, Marcel |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Ökonom |
GEBURTSDATUM | 25. Januar 1971 |
GEBURTSORT | Bonn |