Élysée-Vertrag

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Unterzeichnung des Vertrages im Pariser Élysée-Palast

Der als Élysée-Vertrag bezeichnete deutsch-französische Freundschaftsvertrag sollte in Frankreich und Deutschland Konsultationen in allen wichtigen Fragen der Außen-, Sicherheits-, Jugend- und Kulturpolitik sicherstellen. Er wurde am 22. Januar 1963 von Bundeskanzler Konrad Adenauer und vom französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle im Pariser Élysée-Palast unterzeichnet und trat am 2. Juli 1963 in Kraft. Dem eigentlichen Vertragstext ist eine Gemeinsame Erklärung vorangestellt.[1][2] Der deutsche Bundestag ratifizierte den Vertrag und stellte ihm eine Präambel voran. Sie bekräftigte die engen Bindungen Deutschlands an die USA, das Bemühen um eine Aufnahme Großbritanniens in die EWG und das Streben nach übernationalen Regeln.

Dieses Abkommen über die deutsch-französische Zusammenarbeit hat die beiden Nachbarn in Europa nach langer „Erbfeindschaft“ und verlustreichen Kriegen einander näher gebracht, aber zu keiner gemeinsamen Außenpolitik geführt.

Bezeichnungen

Der offizielle Titel lautet:

  • Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit[3] oder auch
  • Vertrag zwischen der Französischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland über die französisch-deutsche Zusammenarbeit[4]

In der Regel werden diese kürzeren Bezeichnungen verwendet:

  • Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit (vgl. die abgebildeten Briefmarken)
  • deutsch-französischer Freundschaftsvertrag
  • Élysée-Vertrag (vgl. die abgebildete Münze[5])
  • Deutsch-Französischer Vertrag

Vorgeschichte

Das Originaldokument des Vertrags im Élysée-Palast, letzte Seite mit den Unterschriften
Deutsche Briefmarke von 1973, Gemeinschaftsausgabe mit Frankreich:
10 Jahre Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit
Deutsche Briefmarke von 1988, Gemeinschaftsausgabe mit Frankreich:
25 Jahre Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit
Deutsche Briefmarke von 2003 (gestaltet von Tomi Ungerer), Gemeinschaftsausgabe mit Frankreich:
40 Jahre Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit
Datei:2 Euro Deutschland 2013 Élysée.png
2-Euro-Gedenkmünze von 2013, Gemeinschaftsausgabe mit Frankreich: 50 Jahre Élysée-Vertrag

Im Vertrag von Luxemburg hatten die Regierungschefs Konrad Adenauer und Guy Mollet am 27. Oktober 1956 die Rückkehr des Saargebietes nach Deutschland als zusätzliches Bundesland vereinbart, nachdem die Saarländer ein Jahr zuvor eine „Europäisierung“ abgelehnt hatten. Als Gegenleistung wurde Frankreich die Kanalisierung der Mosel zugesagt, was der Stahlindustrie Lothringens einen verbilligten Zugang zum Nordatlantik ermöglichte. Damit war das größte Problem in den Beziehungen Frankreichs und Deutschlands gelöst. 1957 wurden die Römischen Verträge abgeschlossen, mit denen die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft möglich wurde. Frankreich führte Ende 1958 eine Währungsreform durch und bereitete sich damit für den Aufbau eines Gemeinsamen Marktes vor. General Charles de Gaulle vertrat die Überzeugung, Europa müsse auf eine deutsch-französische Säule gestützt werden, die ein Gegengewicht zur amerikanischen Macht im europäischen Westen darstellen sollte. Ursprünglich war vorgesehen, im Rahmen der im Januar 1963 in Paris stattfindenden deutsch-französischen Konsultationen lediglich ein gemeinsames Protokoll zu unterzeichnen; mit der Idee zum Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags überraschte Adenauer de Gaulle erst während der Pariser Gespräche.[6]

Auf französischer Seite war François Seydoux de Clausonne, auf deutscher Seite Adenauers außenpolitischer Berater Horst Osterheld wesentlich am Zustandekommen des Vertrages beteiligt. Für zwischenzeitliche Verstimmung sorgte die Präambel, die dem Vertrag von deutscher Seite vor der Ratifizierung hinzugefügt wurde. Darin erklärten die Deutschen ihre enge Bindung an die USA und den Willen zur Aufnahme Großbritanniens in die EWG. De Gaulle hingegen verfolgte das Ziel, mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland die Position Europas gegenüber den USA zu stärken und auszubauen, also die Bedeutung der USA zu schwächen.

Der Vertrag trat nach Unterzeichnung am 2. Juli 1963 in Kraft. Ihm folgte am 5. Juli 1963 das Gründungsabkommen für das Deutsch-Französische Jugendwerk. In der Folgezeit entstanden zahlreiche Städtepartnerschaften sowie Partnerschaften zwischen Schulen und Vereinen.

Motive

De Gaulle war vom Grundmotiv französischer Deutschlandpolitik getrieben, das er schon 1943 in einem Nachkriegsplan ausarbeitete: Es musste auf jeden Fall verhindert werden, dass sich die angelsächsische Welt mit Deutschland zulasten Frankreichs verbündet. Seine Einstellung wurde in dem Satz deutlich: „Seit Jahrhunderten haben die Engländer versucht, die Annäherung der Gallier und Germanen zu verhindern. Heute sind es die Amerikaner.“[7]

Kontroversen

Zwei Wochen nach Vertragsabschluss übermittelte die Sowjetunion der deutschen und der französischen Regierung eine Protestnote. Die Bundesregierung beantwortete sie, die Sowjetunion protestierte jedoch nochmals nach der Ratifizierung des Vertrags durch den Bundestag, wobei sie die Argumente der ersten Protestnote wiederholte.

Zwei Monate nach Unterzeichnung kam es zu Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich. De Gaulle hatte das Ziel mit dem Vertrag Westdeutschland dazu zu bewegen, von den USA abzurücken und schließlich zu trennen. Er hatte die Auffassung, Westdeutschland und andere Mitgliedsstaaten der Wirtschaftsgemeinschaft würden von den USA als Vasallenstaaten betrachtet. Es war auffällig, dass der Vertrag die USA, Großbritannien, die NATO und GATT (General Agreement on Tariffs and Trade; deutsch ‚Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen‘) unerwähnt ließen.[8]

Nachdem Präsident John F. Kennedy sein Unbehagen in dieser Angelegenheit gegenüber dem deutschen Botschafter in Washington ausgedrückt hatte, ratifizierte der Bundestag den Vertrag mit einer Präambel, die Frankreich und Westdeutschland zu enger Zusammenarbeit mit den USA, der Aufnahme Großbritanniens in die Wirtschaftsgemeinschaft, ein Freihandelsabkommen innerhalb von GATT und die Integration Westeuropas in die NATO unter Führung der USA aufrief.[9] Dies entleerte den Vertrag nach Verständnis der Gaullisten jeglicher Bedeutung und setzte De Gaulles Hoffnungen ein Ende, die Wirtschaftsgemeinschaft zu einem Gegengewicht zu den USA und der UdSSR zu machen. „Die Deutschen benehmen sich wie Schweine. Sie unterwerfen sich völlig der Herrschaft der Angelsachsen. Sie verraten den Geist des Französisch-deutschen Abkommens. Und sie betrügen Europa.“[10] 1965 äußerte er gegenüber seinem engsten Vertrauten: „Die Deutschen waren meine größte Hoffnung, sie sind nun meine größte Enttäuschung.“[11][12]

Nachgeschichte

1988 setzten Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand in Ergänzung des Vertrages Räte für die Abstimmung von Verteidigungsinteressen (Deutsch-französischer Verteidigungs- und Sicherheitsrat) und der Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik ein. Seit 2001 finden darüber hinaus infolge des „Blaesheim-Abkommens“ die Treffen zwischen beiden Regierungschefs auf 6- bis 8-wöchentlicher Basis statt.

Am 22. Januar 2003, zur 40-Jahr-Feier der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags, fand das erste Treffen des Deutsch-Französischen Ministerrates statt. Es gab eine gemeinsame Sitzung der Assemblée nationale und des Deutschen Bundestags in Versailles und ein Beauftragter für die deutsch-französische Zusammenarbeit in beiden Ländern wurde erstmals ernannt. 2003 wurde von Deutschland und Frankreich auch der gemeinsam finanzierte Deutsch-Französischer Fonds für Kulturprogramme in Drittländern, der so genannte Élysée-Fonds, geschaffen. Dieser Fonds fördert jährlich deutsch-französische Kulturprojekte mit maximal 25.000 Euro. 2011 standen ihm 460.000 Euro zur Verfügung. Im Rahmen der Feierlichkeiten kam es dann zu einer Gemeinsamen Erklärung des französischen Präsidenten und des deutschen Bundeskanzlers, die aber nur als Absichtserklärung zu verstehen ist und als Ziele u. a. die Ermöglichung einer doppelten Staatsbürgerschaft für Deutsche und Franzosen, die dies wünschen, sowie die Harmonisierung des Familien- und Zivilrechtes enthält.[13] Aufgrund der Gemeinsamen Erklärung wurde der 22. Januar als Deutsch-Französischer Tag eingerichtet.[14]

Um den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags zu feiern, riefen Frankreich und Deutschland ein Deutsch-Französisches Jahr aus. In dessen Rahmen fanden von September 2012 bis Juli 2013 zahlreiche Veranstaltungen auf offizieller und zivilgesellschaftlicher Ebene statt.

Am 50. Jahrestag der Vertragsunterzeichnung, also am 22. Januar 2013, kamen die französische Regierung, der Staatspräsident (François Hollande) und der Senat zu Feierlichkeiten nach Berlin. Auch die Abgeordneten beider Parlamente (Deutscher Bundestag und Nationalversammlung) erinnerten gemeinsam an das historische Ereignis; alle 577 Abgeordneten der Nationalversammlung waren nach Berlin eingeladen.[9] Am 31. Januar 2013 veranstaltete der Stab des Eurokorps in Straßburg einen Festakt aus Anlass des 50. Jahrestages des Élysée-Vertrags und am 14. Juli, dem Nationalfeiertag Frankreichs nahm die Luftwaffe erstmals am „Flypass“ über Paris teil.

Folgevertrag

56 Jahre nach Unterzeichnung des Élysée-Vertrages wurde durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron am 22. Januar 2019 im Krönungssaal des Aachener Rathauses ein neuer deutsch-französischer Freundschaftsvertrag unterschrieben.

Das als „Vertrag von Aachen“ bezeichnete Dokument vereinbart vor allem eine stärkere Zusammenarbeit in der Europapolitik und in der Außen- und Sicherheitspolitik.[15]

Siehe auch

Literatur

  • Ansbert Baumann: Begegnung der Völker? Der Élysée-Vertrag und die Bundesrepublik Deutschland. Deutsch-französische Kulturpolitik von 1963 bis 1969 (= Moderne Geschichte und Politik 18). Peter Lang, Frankfurt 2003, ISBN 3-631-50539-6 (zugleich: Diss., Universität Tübingen, 2001).
  • Ansbert Baumann: Die organisierte Zusammenarbeit. Die deutsch-französischen Beziehungen am Vorabend des Élysée-Vertrags (1958–1962). DFI compact, 1 ISSN 1619-8441. Deutsch-Französisches Institut, Ludwigsburg 2002.
  • Nicole Colin, Corine Defrance, Ulrich Pfeil, Joachim Umlauf (Hrsg.): Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945, Tübingen 2013, ISBN 978-3-8233-6693-5.
  • Corine Defrance, Ulrich Pfeil (Hrsg.): Der Élysée-Vertrag und die deutsch-französischen Beziehungen 1945–1963–2003 (= Pariser historische Studien 71). Oldenbourg, München 2005, ISBN 3-486-57678-X, Online perspectivia.net.
  • Corine Defrance, Ulrich Pfeil: Deutsch-Französische Geschichte. Band 10: Eine Nachkriegsgeschichte in Europa: 1945 bis 1963. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2011, ISBN 978-3-534-14708-3.
  • Corine Defrance, Ulrich Pfeil (Hrsg.): La France, l’Allemagne et le traité de l’Élysée, 1963–2013, Paris 2012, ISBN 978-2-271-07488-1.
  • Corine Defrance, Ulrich Pfeil: 50 Jahre Deutsch-Französisches Jugendwerk / L’Office franco-allemand pour la jeunesse a 50 ans, hrsg. vom DFJW, Berlin, Paris 2013, ISBN 978-2-36924-000-6.
  • Dokumente-Documents. Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog - Revue du dialogue franco-allemand. Schwerpunkthefte: 50 Jahre Élysée-Vertrag. Bilingual (Hauptartikel in einer der beiden Sprachen, ein Resümée in der je anderen). Hrsg. Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit GÜZ. Verlag Dokumente, Bonn 2012, H. 2 bis 4 ISSN 0012-5172
  • Ulrich Lappenküper: Deutsch-französische Wechselwirkungen. Entente élémentaire. Die Geschichte des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags vom 22. Januar 1963. Vortrag anlässlich des 40. Jahrestages der Unterzeichnung des E.V. am 22. Januar 2003. DVA-Stiftung, Stuttgart 2003 (nicht im Handel).
  • Ulrich Lappenküper: Die deutsch-französischen Beziehungen 1949–1963. Von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“ (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 49). 2 Bände. Oldenbourg, München 2001, ISBN 3-486-56522-2 (Zugleich: Bonn, Univ., Habil.-Schr., 1998).
  • Ulrich Pfeil: Die DDR und der Élysée-Vertrag vom 22. Januar 1963, in: Heiner Timmermann (Hrsg.): Die DDR in Deutschland. Ein Rückblick auf 50 Jahre (= Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen 93), Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-10418-8, S. 91–106.
  • Ulrich Pfeil: Die „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949–1990 (= Zeithistorische Studien des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam. Bd. 26), Böhlau, Köln u. a. 2004, ISBN 3-412-04403-2.
  • Gilbert Ziebura: Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten. Überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe. Neske Stuttgart 1997, ISBN 3-7885-0511-7.

Weblinks

Commons: Élysée-Vertrag – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Élysée-Vertrag – Quellen und Volltexte

Videos zu den Jubiläen

Einzelnachweise

  1. Wortlaut des Vertrags konrad-adenauer.de (ohne die vorgeschaltete Gemeinsame Erklärung)
  2. Faksimile des Vertrags in der Bayerischen Staatsbibliothek (mit der Gemeinsamen Erklärung)
  3. Beispiel: Faksimile des Vertrags (Beginn des Vertragstextes)
  4. Beispiel: Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung
  5. 2€-Münze bei Muenzen.eu
  6. Ansbert Baumann: Die organisierte Zusammenarbeit, S. 50–57.
  7. Gero von Randow: 50 Jahre Élysée-Vertrag: Ein Druckmittel gegen die Amerikaner. In: Die Zeit. 24. Januar 2013, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 22. Januar 2019]).
  8. Michael Marek: Elysee - A treaty for friendship, Deutsche Welle. 22. Januar 2013. Abgerufen am 9. April 2018. 
  9. a b 50 Jahre Elysée-Vertrag, Spiegel Online. 15. Januar 2013. 
  10. Alain Peyrefitte: C'était de Gaulle - Tome II, S. 270
  11. Alain Peyrefitte: C'était de Gaulle - Tome II, S. 303–305
  12. Gero von Randow: 50 Jahre Élysée-Vertrag: "Wie die Schweine!" In: Die Zeit. 24. Januar 2013, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 22. Januar 2019]).
  13. Gemeinsame Erklärung zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags france-allemagne.fr
  14. Deutsch-Französischer Tag france-allemagne.fr
  15. „Vertrag von Aachen“: Merkel und Macron besiegeln neuen Freundschaftsvertrag. 21. Januar 2019, abgerufen am 22. Januar 2019.