Neunzehnstufige Stimmung

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Je nach Verwendung – zum Beispiel als Cis oder als Des – unterscheiden sich die schwarzen Tasten beim Cembalo universale sowie H und Ces bzw. Eis und F um 41 Cent.

Da bei den mitteltönig gestimmten Instrumenten mit 12 Tasten pro Oktave nur eine begrenzte Anzahl von Tonarten spielbar sind, wurden in Westeuropa zwischen zirka 1450 und 1700 weitere Tasten hinzugefügt. Zu den 12 Tasten für C, Cis, D, Es, E, F, Fis, G, Gis, A, B, H kamen die Tasten Des, Dis, Ges, As und Ais, sowie Eis und His hinzu. Die Töne Cis und Des, Dis und Es, Eis und F usw. unterscheiden sich nämlich um eine kleine Diesis, also um 41 Cent, was fast einem halben Halbton entspricht. Deshalb konnten diese Töne nicht enharmonisch verwechselt werden. Bei dieser Neunzehnstufigen Stimmung sind alle Tonarten im Quintenzirkel von Ges-Dur (es-moll) bis Fis-Dur (dis-moll) spielbar.

Als Alternative zur gleichstufigen Stimmung, bei der die Oktave in 12 gleiche Intervalle geteilt wird, untersuchte man im 19. Jahrhundert auch eine Neunzehnstufige Stimmung, bei der die Oktave in 19 gleiche Intervalle geteilt wird. Hier unterscheiden sich die benachbarte Töne um 63 Cent.

Erste Ansätze im 16. Jahrhundert

Tastatur eines 19-stufigen Cembalos aus Le istituzioni harmoniche (Ausgabe 1573) von Gioseffo Zarlino

Im 16. Jahrhundert versuchten mehrere Theoretiker (mit Bezug auf die antike Musiktheorie Griechenlands, deren Tonarten sie wiederzugeben versuchten), den Kompromiss zwischen reinen Intervallen und den Verschiebungen durch zusätzliche Töne innerhalb der Oktave auszugleichen und enharmonische „Varianten“ zu den vorhandenen zwölf Tönen mit zusätzlichen Tasten (bei einer Tastatur) zu realisieren. Der Versuch, immer genauere Differenzierungen für enharmonische Tonleitern zu finden, führte zu Vorschlägen für 19-, aber auch für 24- und 36-stufige Tonleitern und Tastaturen, für die auch Instrumente gebaut wurden. 19-stufige Cembali waren im 16. Jahrhundert offenbar recht häufig. Dies ergab die Möglichkeit, mehr Intervalle relativ rein erklingen zu lassen und somit mehr Tonarten harmonisch klingend spielen zu können. Bei all dem gelang allerdings die mathematische Darstellung problemloser als die Stimmpraxis und der Bau entsprechender Instrumente.

Bereits 1558 erwähnte der italienische Komponist und Theoretiker Gioseffo Zarlino in seinem Werk Le istituzioni harmoniche eine Stimmung, die sich auf neunzehn Tonschritte innerhalb der Oktave bezog, ohne genau darauf einzugehen. Es handelt sich hierbei offenbar um die 1577 von dem Theoretiker Francisco de Salinas vorgeschlagene 13-Komma-mitteltönige Stimmung, die die damals üblichen zwölf Töne der Tonleiter – C, Cis, D, Es, E, F, Fis, G, Gis, A, B und H – um sieben weitere enharmonische Varianten – His, Des, Dis, Eis, Ges, As und Ais – ergänzt. Nach zeitgenössischem Zeugnis vermochte der blinde Salinas in dieser Temperatur sehr gewandt auf einem nach seinen Plänen konstruierten 19-stufigen Instrument zu spielen. Klaus Lang schreibt hierzu:[1]

„In dieser Stimmung sind die Quinten und großen Terzen um 1/3-(syntonisches) Komma verkleinert, während die großen Sexten rein bleiben. Zarlino meint selbst, dass diese Methode nicht so gut klinge wie die beiden anderen Methoden. Eine interessante Eigenschaft dieser Temperierungsmethode ist aber, dass sich, wenn man eines, der im 16. Jahrhundert relativ weit verbreiteten Instrumente mit 19 Stufen pro Oktave mit ihrer Hilfe einstimmt, der Quintenzirkel schließen lässt, also die Wolfsquinte beseitigt wird.“

Rekonstruktion des Cembalo universale nach Praetorius

Nach der Beschreibung in dem Syntagma musicum von Michael Praetorius verfügte das 19-tönige Cimbalo cromatico über fünf geteilte Obertasten für die enharmonischen Subsemitonien und über die zusätzlichen Töne Eis und His.[2] Bei einer Temperierung in der gewöhnlichen 14-Komma-mitteltönigen Stimmung ermöglicht das Instrument das Spiel mit 15 statt nur 8 reinen Terzen (auf Ges, Des, As, Es, B, F, C, G, D, A, E, H, Fis, Cis, Gis). Je nach Verwendung – zum Beispiel als Cis oder als Des – unterscheiden sich die Obertasten sowie His und C bzw. Eis und F um 41 Cent. Siehe dazu: Die 19-stufige mitteltönige Tastatur.

Die Chanson Seigneur Dieu ta pitié des französischen Komponisten Guillaume Costeley ist für eine 19-stufiges Tonsystem komponiert; denn Costeley berichtete 1570 davon, dass er diese chromatisch-enharmonische chanson spirituell „vor gut zwölf Jahren“ («il y a bien douze ans»), also etwa 1557, als Übung im Gebrauch einer 19-stufigen Tonleiter komponiert habe. Er erläuterte nebenbei auch recht detailliert, wie man 19-stufige Tasteninstrumente zu bauen habe, und dachte dabei an eine gleichstufige Teilung der Oktav.

Original-Werke für Cimbalo cromatico schrieben Giovanni Maria Trabaci, Ascanio Mayone, Gioanpietro del Buono, Adriano Banchieri,[3] und der Engländer John Bull.[4]

Gleichstufige Unterteilung der Oktave seit dem 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert begann die Forschung über Alternativen zur 12-tönigen gleichstufigen Stimmung. Um reinere Intervalle zu erzeugen, wurde neben 31-, 43-, 50- und 53-stufigen Einteilungen der Oktave aus pragmatischen Gründen die 19-stufige besonders untersucht. Der Theoretiker Wesley Woolhouse propagierte in seinem Essay on Musical Intervals, Harmonics, and the Temperament of the Musical Scale (1835) neben anderen ein gleichstufig gestimmtes Tonsystem, welches die Oktave (entgegen der herkömmlichen Strömung) in 19 (statt in 12) gleiche Intervalle teilt. Das Bemerkenswerte daran ist, dass für große und kleine Terzen und Sexten Frequenzverhältnisse entstehen, die um einiges näher am reinen Intervall sind als die in der üblichen gleichstufigen Stimmung. Alle anderen Intervalle sind allerdings weiter von ihren reinen Äquivalenten entfernt.

Für die gleichmäßige neunzehnstufige Stimmung existieren eine ganze Reihe von Kompositionen sowohl mit klassischem Anspruch als auch im Rock- und Pop-Sektor. Die Entwicklung im Bereich elektronischer Musikinstrumente bzw. computergestützter Systeme zur Soundsynthese geben Kompositionen in diesem und anderen alternativen Stimmungen erheblichen Vorschub.

Das Tonmaterial

Die mathematische Vorschrift zur Bestimmung der Frequenz eines Tons der 19-stufigen gleichschwebenden Stimmung lautet

wobei f(0) die Frequenz eines beliebigen Bezugstons, f(i) die Frequenz des Tons, der um i 19tel-Oktav-Schritte höher liegt, ist.

Der kleinste darstellbare Tonunterschied des Systems hat also das Frequenzverhältnis

Alle temperierten neunzehntönigen Stimmungen verfügen über dieselbe spezifische Enharmonik, die sich deutlich von der bei 12-tönigen Temperierungen gewohnten unterscheidet. So klingen z. B. die Töne Fis und Ges tatsächlich verschieden hoch, und bei einem 19-stufigen Quintenzirkel könnte man die Nahtstelle beispielsweise zwischen Ais und Fes legen. Hieraus resultieren von der klassischen 12-Stufigkeit differierende Modulationswege.

Wie in der zwölfstufigen gleichschwebenden Stimmung lassen sich auch für die neunzehnstufige gleichschwebende Stimmung Intervallgrößen als Vielfache des kleinsten darstellbaren Intervalls beschreiben. Man erhält folgende Werte für Schritt-Intervalle:[5]

Intervallname Beispiel rein 19-stufige Stimmung 12-stufige Stimmung
Diatonischer Ganzton C–D
D–E
204 Cent
182 Cent
3 Schritte (189 Cent) 2 Schritte (200 Cent)
Diatonischer Halbton E–F 112 Cent 2 Schritte (126 Cent) 1 Schritt (100 Cent)
Chromatischer Halbton F–Fis 92 Cent 1 Schritt (63 Cent) 1 Schritt (100 Cent)

Eigenschaften ausgewählter Intervalle

Die in der klassischen Musik als Konsonanzen aufgefassten Intervalle der reinen Stimmung werden von der 19-stufigen Stimmung teilweise besser (Terzen und Sexten), teilweise weniger gut (Quarte und Quinte) wiedergegeben. Hierzu eine tabellarische Gegenüberstellung (die Differenzen werden in Cent angegeben, die jeweils bessere Annäherung ist hervorgehoben):

Intervall Prime kl. Terz gr. Terz Quarte Quinte kl. Sexte gr. Sexte Oktave
Diff. 19-stufig 0 0,15 −7,37 7,22 −7,22 7,37 −0,15 0
Diff. 12-stufig 0 −15,64 13,69 1,96 −1,96 −13,69 15,64 0

Die folgende Tabelle zeigt die Werte aller Intervalle, in gleichstufiger und reiner Stimmung sowie deren Abweichung voneinander in Cent:

Intervall Gleichstufig temperiertes Intervall Reines Intervall Differenz in Cent 2) Differenz in Cent der
zwölfstufigen gleichstufigen
Stimmung zum reinen Intervall 2)
Prime 0 Cent 0 Cent
Übermäßige Prime und verminderte Sekunde
Kleine Sekunde 14,58 Cent −11,73 Cent
Große Sekunde −14,44 Cent −3,91 Cent
Übermäßige Sekunde und verminderte Terz
Kleine Terz 0,15 Cent −15,64 Cent
Große Terz −7,37 Cent 13,69 Cent
Übermäßige Terz und verminderte Quarte
Quarte 7,22 Cent 1,96 Cent
Übermäßige Quarte 1) −21,8 Cent 9,78 Cent
Verminderte Quinte 21,8 Cent −9,78 Cent
Quinte −7,22 Cent −1,96 Cent
Übermäßige Quinte und verminderte Sexte
Kleine Sexte 7,37 Cent −13,69 Cent
Große Sexte −0,15 Cent 15,64 Cent
Übermäßige Sexte und verminderte Septime
Kleine Septime 14,44 Cent 3,91 Cent
Große Septime −14,58 Cent 11,73 Cent
Übermäßige Septime und verminderte Oktave
Oktave 0 Cent 0 Cent

Anmerkungen:
1) Übermäßige Quarte, mitunter auch als Tritonus bezeichnet, definiert als: Große Terz (5/4) plus Große Sekunde (9/8). Das ist gleichbedeutend mit: Quinte (3/2) minus diatonischer Halbton (16/15).
2) Ist die Differenz negativ, so ist das gleichtemperierte Intervall enger als das reine.

Siehe auch

Literatur

  • Edward L. Kottick: Harpsichords with more than twelve notes to the Octave. In: A History of the Harpsichord. Indiana University Press, Bloomington (Indiana) 2003, S. 88–89, 487 (Fußnoten). (engl.)
  • Klaus Lang: Auf Wohlklangswellen durch der Töne Meer. Temperaturen und Stimmungen zwischen 11. und 19. Jahrhundert (= Beiträge zur elektronischen Musik. 10, ZDB-ID 1415612-x). Institut für Elektronische Musik, Graz 1999 (PDF-Datei (Memento vom 12. März 2007 im Internet Archive)).
  • Mark Lindley: Stimmung und Temperatur. In: Frieder Zaminer (Hrsg.): Geschichte der Musiktheorie. Band 6: Hören, Messen und Rechnen in der frühen Neuzeit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1987, ISBN 3-534-01206-2, S. 109–332.
  • Christopher Stembridge: Music for the “Cimbalo cromatico” and other Split-Keyed Instruments in Seventeenth-Century Italy. In: Performance Practice Review 5, no. 1, 1992, S. 5–43.
  • Christopher Stembridge: The “Cimbalo cromatico” and other italian Keyboard Instruments with nineteen or more divisions to the Octave … In: Performance Practice Review 6, no. 1, 1993, S. 33–59.
  • Denzil Wraight, Christopher Stembridge: Italian Split-Keyed Instruments with fewer than Nineteen Divisions to the Octave. In: Performance Practice Review 7, no. 2, 1994, S. 150–181.

Weblinks

Zum 16. Jahrhundert

Zum 20. und 21. Jahrhundert

(alle Weblinks auf Englisch)

Tonbeispiele

Einzelnachweise

  1. Klaus Lang: Auf Wohlklangswellen durch der Töne Meer. 1999, S. 62.
  2. Syntagma musicum. Band 2: De Organographia, 1619 (online, abgerufen am 9. Mai 2017).
  3. Edward L. Kottick: A History of the Harpsichord. Indiana University Press, Bloomington (Indiana) 2003, S. 89.
  4. Bulls „chromatisches“ Ut Re Mi Fa Sol La; in: The Fitzwilliam Virginal Book (revised Dover Edition, 2 Bände). Hrsg. von J. A. Fuller Maitland u. W. Barclay Squire, korrigiert u. hrsg. von Blanche Winogron. Dover Publications, New York 1979/1980, Bd. 1, S. 183 (Nr. LI).
  5. In der Musikpraxis werden Intervalle mitunter nach absoluter Größe unterschieden: Alles, was kleiner oder gleich der Sekunde ist, wird Schritt genannt, größere Intervalle Sprung; diese Unterscheidung wird z. B. in den Regeln des Kontrapunkts beachtet.