Abri

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Buntsandsteinabri (hier der Abri IX am Bettenroder Berg bei Reinhausen)
Abri von Laugerie-Basse

Ein Abri (Maskulinum, seltener auch Neutrum; französisch abri) ist ein durch Erosion entstandener, zumeist in Tälern von Buntsandstein- oder Jurakalkgebieten gelegener Felsüberhang. Solche Unterstände werden auch Halbhöhlen genannt (englisch rock shelter), je nach Gestalt auch „Felsdach“, „Felsnische“ oder „Felsvorsprung“.

Die schweizerdeutsche Entsprechung ist Balm (abgeleitet auch „Unterstand, Schutz, Obdach“).[1][2]

Nutzung

Abris boten den Menschen früherer Zeiten Schutz vor Nässe, Kälte und Wind, weshalb sie zum einen für die Archäologie bezüglich steinzeitlicher Siedlungsspuren, zum anderen für die Zoologie zum Nachweis von Nahrungsresten oder Winterruheplätzen bestimmter Tiere von hoher Relevanz sind. In geschichtlicher Zeit wurden in Frankreich und in der Schweiz Häuser unter großen Abris errichtet und noch bis ins 20. Jahrhundert bewohnt.

Entstehung

Abris entstehen durch Auswaschung und Verwitterung der unteren Partien von Felswänden, etwa aus Buntsandstein. An freistehendem Fels führt die hygroskopische Struktur des je nach Schicht und Wasserzufuhr unterschiedlich empfindlichen Materials zu Wabenverwitterung sowie zu Absandung bei Sandsteinen. Besonders in den glazialen Phasen treten Frostverwitterung und, je nach Lage, auch Korrasionseffekte (Windabtragungen) auf. Auf gleiche Weise entstehen auch Hohlkehlen und in selteneren Fällen auch Pilzfelsen.

Buntsandstein

Im Buntsandsteingebiet des südlichen Leineberglandes zwischen den Orten Nörten-Hardenberg, Heiligenstadt und Göttingen befindet sich die größte Gruppe von Abris in Mitteleuropa. Sie finden sich in den schluchtartigen Felstälern zwischen der Leine und dem Eichsfeld oft auf engstem Raum. In einem Gebiet von rund 30 km Länge und 6 bis 10 km Breite sind heute rund 1600 Abris erfasst.

[[Hilfe:Cache|Fehler beim Thumbnail-Erstellen]]:
Abri im Elbsandsteingebirge (Goldbachtal bei Sebnitz)

Kreidesandstein

Auch in den kreidezeitlichen Quarzsandsteinen Sachsens und Böhmens entstanden durch Verwitterung zahlreiche Abris.

Kalkstein

In Felswänden von Tälern der Kalkgebirge etwa im Südwesten Frankreichs (z. B. im Tal der Vezère) oder der fränkischen Alb (z. B. im Altmühltal) entstanden Felsvorsprünge durch die stärkere Erosion schwacher Gesteinsschichten oder durch Auskolkungen während der Talbildung.

Archäologie

Zwischen 1978 und 1998 hatte ein interdisziplinäres Erfassungs- und Untersuchungsprojekt der Göttinger Kreisarchäologie mit einer Reihe von Probegrabungen in Niedersachsen zur Auffindung von über 100 in vorgeschichtlicher Zeit bewohnter Abris geführt. Gute archäologische und geostratigrafische Befunde in den bis über zwei Meter mächtigen Sedimentlagen unter den Felsdächern ergaben sich dabei für die älteren Perioden des Jung- und Spätpaläolithikums und für das Mesolithikum. Funde aus Stein, Knochen und Geweih, gut erhaltene Feuerstellen, Gruben und Steinpflasterungen und verkohlte botanische Reste ermöglichten sehr differenzierte Momentaufnahmen zu den Lagerplätzen früher Jäger und Sammler. In aufeinander folgenden Kulturschichten gefundene Geräte (z. B. die Abri-Audi-Spitzen) bilden die Grundlagen altsteinzeitlicher Chronologien.

Die meisten Spuren unter aufgesuchten Felsschutzdächern stammen aus der letzten Kaltzeit (Weichsel-Kaltzeit). Sie dienten Jägern vielleicht als Basislager. Von einer regelrechten Sammeltätigkeit kann angesichts der Fauna kaum oder nur saisonal ausgegangen werden. Ein solcher Platz wurde eher saisonal aufgesucht, bis die größeren Herdentiere weiter zogen.

Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die offene Seite von Abris möglicherweise mit zeltartigen Konstruktionen aus organischem Material verschlossen wurde. Feuer- und Herdstellen deuten offenbar darauf, dass auch Nahrung zubereitet wurde.

Seit 1978 werden in Nordböhmen Abris unter der Leitung des tschechischen Prähistorikers Jiří A. Svoboda archäologisch untersucht.

Bekannte Abris in Europa

Im deutschsprachigen Raum

Deutschland
Österreich
Schweiz

Im übrigen Europa

Datei:Abri minerve.jpg
Abri in den Gorges du Briant bei Minerve, Hérault, Frankreich; die Öffnung ist mit aufgeschichteten Bruchsteinen verschlossen.
[[Hilfe:Cache|Fehler beim Thumbnail-Erstellen]]:
Modell des Abri von Roque Saint-Christophe im Tal der Vezère mit frühneuzeitlicher Nutzung
Datei:Gorgocil abrigo.jpg
Abrigo de Gorgocil, Murcia, Spanien
Frankreich
Spanien
Schottland

Amerika und Afrika

Auch die Cliff Dwellings genannten Bauten der Anasazi-Indianer im Mesa-Verde-Nationalpark im US-Bundesstaat Colorado stehen zumeist unter großen Felsvorsprüngen; gleiches gilt für viele Lehmbauten und Felsmalereien der Dogon in Mali.

Literatur

  • Claus-Joachim Kind: Das Felsställe. Eine jungpaläolithisch-frühmesolithische Abri-Station bei Ehingen-Mühlen, Alb-Donau-Kreis. Die Grabungen 1975–1980 (= Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg. Band 23). Theiss, Stuttgart 1987, ISBN 3-8062-0777-1.
  • Klaus Grote: Die Abris im südlichen Leinebergland bei Göttingen. Archäologische Befunde zum Leben unter Felsschutzdächern in urgeschichtlicher Zeit (= Veröffentlichungen der urgeschichtlichen Sammlungen des Landesmuseums zu Hannover. Band 43). 3 Bände. Isensee, Oldenburg 1994.
  • Jiří A. Svoboda (Hrsg.): Mezolit severních Čech. Komplexní výzkum skalních převisů na Českolipsku a Děčínsku, 1978–2003. In: Dolnověstonické Studie. Band 9, Archeologický ústav Av ČR, Brno 2003, ISBN 80-86023-52-4 (tschechisch; englisch: Mesolithic of northern Bohemia. Complex excavation of rockshelters in the Česká Lípa and Děčín areas, 1978–2003).

Weblinks

Wiktionary: Abri – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Schweizerisches Idiotikon, Bd. 4, Sp. 1215 f.
  2. *balmâ ‘Grotte’. In: Uwe Friedrich Schmidt: Praeromanica der Italoromania auf der Grundlage des LEI (A und B). Band 49 von Europäische Hochschulschriften, Reihe 9 Italienische Sprache und Literatur, Verlag Peter Lang, Frankfurt a. M./Berlin/Bern 2009, ISBN 978-363158770-6, S. 160–170 (ausführlicher Überblick über die Forschung; Google eBook, vollständige Ansicht).