Achim Reichel
Achim Reichel (* 28. Januar 1944 in Wentorf bei Hamburg, Schleswig-Holstein) ist ein deutscher Musiker, Komponist und Musikproduzent.
Leben und Werk
Reichel gründete 1960 die Band The Rattles, die neben The Lords zu einer der erfolgreichsten deutschen Beat-Bands wurde und 1963 mit den Rolling Stones eine England-Tour absolvierte. Es folgten 30 Single-Veröffentlichungen bis 1966, anschließend eine Deutschland-Tour mit den Beatles und der Kinofilm Hurra, die Rattles kommen. Als Studiobegleitband von Johnny Hallyday nahmen die Rattles 1965 Lass’ die Leute doch reden und It’s Monkeytime auf. Reichel betrieb zeitweise die Sportart Boxen beim Hamburger Verein HBC Heros.[1]
1966 wurde Reichel zur Bundeswehr eingezogen, was für ihn einen jähen Abbruch seiner Karriere mit den Rattles bedeutete. Die Rattles hatten gerade einige sehr erfolgreiche Hits gelandet (zum Beispiel Come on and sing oder Stoppin’ in Las Vegas). In der Presse wurde Reichels Einberufung hämisch kommentiert, weil ihm die damals noch in weiten Kreisen verpönten langen Haare auf Streichholzlänge gestutzt wurden. Während seiner Zeit als Soldat wurde er bei den Rattles durch Frank Dostal ersetzt. 1966 hatte Reichel zwar mit einer Art Musikvideo, mit Uniform und einer Gitarre in der Hand Werbung für die Bundeswehr gemacht (Trag es wie ein Mann), seiner Einberufung hatte er sich dennoch gerichtlich entziehen wollen. Dostal mit seiner sonoren Bassbariton-Stimme war ein akzeptierter Nachfolger Reichels und spielte mit der Band ebenfalls einige Hits ein, die auch in den Charts erschienen (darunter It Is Love und Cauliflower). Damit war Reichels Rückkehr in die Band sehr fraglich.
Nach seiner Entlassung vom Wehrdienst pachtete Reichel zusammen mit Frank Dostal und anderen Musikern den legendären Hamburger Star-Club, musste aber schon Ende 1969 Konkurs anmelden. Mehr Erfolg hatte er mit dem von James Last produzierten Bandprojekt Wonderland, das 1968 den Hit Moscow landete, der auffällige Psychedelic-Klangeffekte aufwies. Reichel wandte sich danach als Produzent und Solokünstler zunächst verschiedenen experimentellen und sehr psychedelisch beeinflussten Projekten zu. Es begann mit dem Soloprojekt A.R. & Machines, dessen erstes Album Die grüne Reise wegen seines meditativen, Trance und Industrial vorwegnehmenden Charakters von Kritikern mit Kraftwerk und Tangerine Dream verglichen wurde. Zu seinen damaligen Produktionen zählte auch das Acidfolk-Album Jesus Makes You High von Michael Anton & Amok sowie die Alben der Gruppe Ougenweide.
1975 legte er mit Dat Shanty Alb’m erstmals ein Album mit Seemannsliedern (oft als Shantys bezeichnet) vor. Nicht nur der Stilwechsel weg von experimentellen Aufnahmen hin zu volkstümlichen Klängen war verblüffend, sondern auch die Tatsache, dass Reichel seitdem überwiegend Deutsch sang. 1976 trat er mit der Forderung an: „Volksmusik muss leben, und das kann sie nur, wenn man sie in das Klangbild der Zeit hebt.“ In seinen Liedern blieb die Seefahrt von da an ein häufiges Thema. Auch klassische deutsche und vor allem norddeutsche Lyrik wurde von Reichel vertont (Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, Der Zauberlehrling, Belsazar, Erlkönig, John Maynard, Nis Randers, Pidder Lüng, Trutz, blanke Hans), insbesondere auf der LP Regenballade (1978), die sogar in der pädagogischen Fachliteratur zur Verwendung im Deutschunterricht empfohlen wurde.
Zahlreiche weitere LP-Veröffentlichungen folgten – um 1980 beinahe jährlich. Reichel arbeitete auch mit Lyrikern wie Jörg Fauser und Kiev Stingl zusammen und hatte seit Ende der 1970er Jahre in unregelmäßigen Abständen Hits in den deutschen Hitparaden. 1981 erschien Blues In Blond mit dem Hit Der Spieler und er ging auf Deutschland-Tournee. 1982 arbeitete er erneut mit Frank Dostal zusammen für das Projekt Weltschmertz, in dem beide, unter Pseudonymen arbeitend, ein gleichnamiges Album und zwei Singles veröffentlichten.[2][3] Weil der Erfolg ausblieb, wurde die Zusammenarbeit wieder beendet. 1986 spielte Achim Reichel im Film Va Banque von Diethard Küster zusammen mit u. a. Winfried Glatzeder, Willy DeVille, Rolf Zacher und Joschka Fischer. Im Spätherbst des Jahres 1986 bereiste Reichel als musikalischer Botschafter auf Einladung des Goethe-Instituts mit seiner Band für vier Wochen Südostasien. Gegen Ende der 1980er Jahre wurde Reichels Repertoire wieder rockiger, ab 1988 gab es Reunion-Konzerte mit den Rattles, die sich 1977 getrennt hatten, und Reichel nahm mit den alten Bandkollegen ein neues Studioalbum auf.
Reichel produzierte außerdem im Jahr 1991 seine Studio-LP Melancholie & Sturmflut mit dem Sommerhit Aloha Heja He, den der Spiegel als „Mitgröl-Shanty“ klassifizierte,[4] für die er gleichwohl eine Goldene Schallplatte bekam. Der Song Amazonen von 1993 wurde von vielen Radiosendern nicht gespielt, weil er das Wort „Männerarsch“ enthielt und als „frauenfeindlich-diskriminierend“ interpretiert wurde. Reichel wollte ihn im Gegenteil aber als Lied über starke Frauen verstanden wissen und den Text sarkastisch gemeint haben.[5] Seinen 50. Geburtstag feierte er mit einem Konzert in der Großen Freiheit 36, dessen Aufzeichnung als Livealbum veröffentlicht wurde. Auf Bitten von Greenpeace nahm Reichel 1996 einen Song über die Havarie des Öltankers Exxon Valdez und die dadurch ausgelöste Umweltkatastrophe auf.
Im Jahre 2003 feierte Achim Reichel sein 40-jähriges Bühnenjubiläum mit einer zweitägigen Party in der Fischauktionshalle Hamburg. Das Konzert wurde vom Team des WDR-Rockpalast mitgeschnitten und sowohl im Fernsehen ausgestrahlt als auch auf CD und DVD unter dem Titel 100% Leben veröffentlicht. 2005 übernahm Achim Reichel die Hauptrolle in der NDR-Reihe DAS! reist für die 3. Staffel mit 52 Folgen.[6][7] Mit dem Album Volxlieder widmete sich Reichel 2006 wiederum dem Kulturgut traditioneller deutscher Volkslieder, darunter Sah ein Knab’ ein Röslein stehn und Es waren zwei Königskinder, in einer musikalisch aktuellen Gestaltung.
Im Jahr 2005 engagierte er sich als „Bootschafter“ für die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Der jährliche wechselnde „Bootschafter“ stellt sich für seine Amtsperiode ehrenamtlich für Werbemaßnahmen der im Wesentlichen aus Spendengeldern finanzierten DGzRS zur Verfügung.[8]
Gelegentlich betätigt sich Reichel als Schauspieler und Synchronsprecher. So spielte er 2009 im Film 12 Meter ohne Kopf einen Scharfrichter, und 2010 lieh er im belgischen 3D-Animationsfilm Sammys Abenteuer – Die Suche nach der geheimen Passage dem Kraken Slim die deutsche Stimme.
Seine von Publikum und Presse gefeierte Tournee SOLO MIT EUCH, mein Leben meine Musik-gesungen und erzählt führte Reichel in fünf Jahren durch mehr als 60 deutsche Städte. Die Tour begann am 21. November 2009 mit einem Konzert in Hamburg und hat am 4. Oktober 2013 mit dem 100. Konzert in der Hamburger Laeiszhalle ihr Ende gefunden. Im Jahre 2009 wurde das Storyteller-Konzert „Solo mit Euch“ unter der Regie von Rudi Dolezal (DoRo) auf Kampnagel in Hamburg mitgeschnitten. DVD und CD wurden im Herbst 2010 veröffentlicht. Reichel wurde jeweils von zwei Musikern auf der Tournee begleitet, ab 2009 von Peter David „Pete“ Sage (Geige, Mandoline, Percussion, Gitarre) und Berry Sarluis (Akkordeon, Keyboard). Ab 2012 übernahm Larry Mathews (Geige, Mandoline, Bodhrán, Gitarre) den Part von Pete Sage, der sich seither ganz der Band Santiano widmet.
Am 15. September 2020 veröffentlichte Achim Reichel seine Autobiografie mit dem Titel „Ich hab das Paradies gesehen: Mein Leben“ beim Rowohlt Buchverlag.
Privates
Achim Reichel ist verheiratet und hat zwei Töchter aus zwei Ehen.[9] Er wohnt in Hamburg-Hummelsbüttel.[10]
Diskografie
Alben
Solo
- 1971: Die grüne Reise – (A. R. & Machines)
- 1972: Let Us Live Together – (Propeller)[11]
- 1972: Echo – (A. R. & Machines)
- 1973: AR3 – (A. R. & Machines)
- 1973: A.R.IV – (A. R. & Machines)
- 1974: AR5 Autovision – (A. R. & Machines)
- 1975: Erholung – (A. R. & Machines live 1973)
- 1976: Dat Shanty Alb’m (englisch/plattdeutsch)
- 1977: Klabautermann
- 1978: Regenballade
- 1979: Heiße Scheibe
- 1980: Ungeschminkt
- 1981: Blues in blond
- 1983: Nachtexpress
- 1986: Eine Ewigkeit unterwegs
- 1988: Fledermaus
- 1989: Was Echtes
Jahr | Titel | Höchstplatzierung, Gesamtwochen, AuszeichnungChartsChartplatzierungen[12][13] (Jahr, Titel, Platzierungen, Wochen, Auszeichnungen, Anmerkungen) |
Anmerkungen |
---|---|---|---|
DE | |||
1991 | Melancholie und Sturmflut | DE12 Gold (32 Wo.)DE |
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1993 | Wahre Liebe | DE66 (6 Wo.)DE |
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1994 | Große Freiheit | DE44 (10 Wo.)DE |
|
1996 | Oh ha! | DE85 (5 Wo.)DE |
|
1997 | Herz ist Trumpf – Das Beste von Achim Reichel | DE43 (9 Wo.)DE |
|
1999 | Entspann dich | DE62 (2 Wo.)DE |
|
2002 | Wilder Wassermann – Balladen & Mythen | DE61 (2 Wo.)DE |
|
2004 | 100 Prozent Leben | DE31 (9 Wo.)DE |
|
2006 | Volxlieder | DE39 (8 Wo.)DE |
|
2008 | Michels Gold | DE61 (2 Wo.)DE |
|
2010 | Solo mit euch – mein Leben, meine Musik, gesungen und erzählt | DE56 (2 Wo.)DE |
|
2015 | Raureif | DE27 (2 Wo.)DE |
|
2019 | Das Beste | DE17 (4 Wo.)DE |
Mit den Rattles
- 1963: Twist im Star-Club
- 1964: Twist-Time im Star-Club Hamburg
- 1964: Live im Star-Club Hamburg
- 1964: The Searchers meet the Rattles
- 1966: Star Club Show 1
- 1966: Liverpool Beat
- 1966: Hurra, die Rattles kommen (Soundtrack zum gleichnamigen Kinofilm)
- 1988: Hot Wheels
- 1990: Painted Warrior
Mit Wonderland
- 1971: Band Nr. 1
Sampler (Auswahl)
- Der Spieler (1996)
- Echos aus Zeiten der grünen Reise (1998)
Singles
Jahr | Titel Album |
Höchstplatzierung, Gesamtwochen, AuszeichnungChartsChartplatzierungen[12] (Jahr, Titel, Album, Platzierungen, Wochen, Auszeichnungen, Anmerkungen) |
Anmerkungen |
---|---|---|---|
DE DE | |||
1983 | Der Spieler | DE27 (13 Wo.)DE |
|
1989 | Fliegende Pferde | DE55 (12 Wo.)DE |
|
1990 | Kreuzworträtsel | DE53 (10 Wo.)DE |
|
1991 | Aloha heja he | DE5 (28 Wo.)DE |
Platz 1 in chinesischen Shazam-Charts im Dezember 2021[14]
|
1992 | Kuddel Daddel Du | DE48 (9 Wo.)DE |
|
Auf der Rolltreppe | DE70 (7 Wo.)DE |
||
1993 | Amazonen | DE94 (1 Wo.)DE |
|
Wahre Liebe | DE81 (3 Wo.)DE |
Weitere Singles
- Trag es wie ein Mann (1967)
- Ich hab von dir geträumt (1982)
- Boxer Kutte (1983)
- Nachtexpress (1984)
- Für immer und immer wieder (1988)
- Fledermaus (1988)
- Ein Freund bleibt immer ein Freund (1992) mit Joachim Witt und Ulrich Tukur
Videoalben
Solo
- Va Banque (1986)[15][16]
- 100 % Leben: Das Jubiläumskonzert (2004)
- Solo mit euch – mein Leben – meine Musik, gesungen und erzählt (2010)
A. R. & Machines
- Die grüne Reise (2007)
Mit den Rattles
- Hurra, die Rattles kommen (Kinofilm) (1966)
Auszeichnungen
- 1992: RSH-Gold
- 2007: RUTH – Der deutsche Weltmusikpreis
Varia
2012 erschien das Album Ich bin von Heinz Rudolf Kunze mit einem Duett-Titel mit Achim Reichel.[17]
Bibliografie
- Achim Reichel: Ich hab das Paradies gesehen. Mein Leben. Rowohlt, Hamburg 2020, ISBN 978-3-498-00178-0 (Originalausgabe seiner Autobiografie).
Weblinks
- Werke von und über Achim Reichel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Offizielle Webpräsenz
- Achim Reichel bei laut.de
- Biografischer Überblick bei germanrock.de
- A.R. & Machines auf den Babyblauen Seiten
- Audio: WDR 4 Legenden – Achim Reichel erzählt vom 1. November 2017
Quellen
- ↑ Romantik im Ring? (PDF, 2 MB) In: Hamburger Abendblatt. 31. Januar 1984, abgerufen am 15. November 2021.
- ↑ Ich will Spass: "Weltschmertz" (Neue Deutsche Welle). In: IchWillSpass.de. Abgerufen am 25. Februar 2022.
- ↑ Weltschmertz bei Discogs
- ↑ Krautrock als Partyspaß. In: Der Spiegel. Nr. 34, 1998, S. 167 (online).
- ↑ Joachim H. Knoll: Jugend, Jugendgefährdung, Jugendmedienschutz. Lit Verlag, Münster 1999, S. 63–64.
- ↑ Biografie - Achim Reichel - Musiker & Storyteller. Abgerufen am 31. Oktober 2019.
- ↑ Das Team – DiamantStern.TV GmbH. Abgerufen am 31. Oktober 2019 (deutsch).
- ↑ web.archive.org
- ↑ bz-berlin.de
- ↑ hamburgerallgemeinerundschau: Hamburger Allgemeine Rundschau. In: Hamburger Allgemeine Rundschau. 12. März 2021, abgerufen am 9. Juni 2022 (deutsch).
- ↑ discogs.com
- ↑ a b Chartquelle: Deutschland (Details)
- ↑ Auszeichnungen: DE
- ↑ „Aloha Heja He“: 30 Jahre alter Schlagersong wird plötzlich zum Hit in China. Abgerufen am 15. Dezember 2021 (deutsch).
- ↑ Va Banque in der Online-Filmdatenbank
- ↑ Filmgalerie 451 / Filminfo. Filmgalerie-berlin.de. Abgerufen am 5. Juli 2010.
- ↑ werkzeug.heinzrudolfkunze.de
Personendaten | |
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NAME | Reichel, Achim |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Musiker, Komponist und Produzent |
GEBURTSDATUM | 28. Januar 1944 |
GEBURTSORT | Wentorf bei Hamburg |