Alkoholvergiftung
Klassifikation nach ICD-10 | |
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F10.0 | Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Akute Intoxikation [akuter Rausch] |
T51 | Toxische Wirkung von Alkohol |
T51.0 | Ethanol |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Die Alkoholvergiftung (auch Alkoholintoxikation oder Ethanolvergiftung, im Klinikjargon wegen der chemischen Struktur des Ethanols auch C2-Intox) ist eine Vergiftung des menschlichen Körpers durch Ethanol („Äthylalkohol“), welche die Funktionsfähigkeit des Gehirns zeitweilig beeinträchtigt. Ethanol zählt zu den Lebergiften (obligat hepatotoxisch), beeinträchtigt die Blutbildung (Erythropoese-hemmend), schädigt den Embryo (Embryotoxizität) und gehört zu den Nervengiften (Neurotoxizität). Eine schwere Alkoholvergiftung kann daher zum Tod durch Atemstillstand und/oder Kreislaufversagen führen. Die akute Alkoholvergiftung durch (einmalige) übermäßige Aufnahme von Ethanol (Trinken von alkoholhaltigen Getränken) ist von der chronischen Alkoholvergiftung oder auch Alkoholkrankheit abzugrenzen, die durch fortgesetzten bzw. wiederholten Alkoholkonsum entsteht und dauerhafte organische Veränderungen nach sich zieht.
Neben Ethanol werden auch Vergiftungen mit anderen Alkoholen wie Methanol, Ethylenglycol, Isopropanol, Diethylenglycol oder Propylenglycol zu den Alkoholintoxikationen gezählt. Diese Substanzen befinden sich in industriellen (bspw. Autolacke) und medizinischen Produkten, aber auch in Produkten für Endkunden wie Frostschutzmittel. Vergiftungen kommen insbesondere bei suizidaler Absicht oder unabsichtlicher Einnahme vor.
Stadien
Bei der akuten Alkoholvergiftung unterscheidet man vier verschiedene Stadien, die abhängig von der Blutalkoholkonzentration sind. (Aufgrund der individuellen Unterschiede in der Reaktion auf Alkohol sind die angegebenen Grenzen nur grobe Anhaltspunkte.)
Erstes Stadium
Exzitation (Blutalkoholkonzentration zwischen 0,2 und 2,0 Promille):
- Enthemmungserscheinungen (ab 0,2 Promille)
- Redseligkeit, Flapsigkeit (ab 0,2 Promille)
- verlängerte Reaktionszeit (ab 0,3 Promille)
- verminderte Schmerzwahrnehmung (ab 0,5 Promille)
- gestörtes Gleichgewicht (ab 0,8 Promille)
- gerötete Augen
- leicht undeutliche Sprache
Zweites Stadium
Hypnose (Blutalkoholkonzentration zwischen 2,0 und 2,5 Promille):
- evtl. Aggressivität
- Sprach- und Artikulationsstörungen
- Koordinationsstörungen
- Sehstörungen
- Schlaffheit (Muskeln)
- verengte Pupillen
- Amnesie
- Erbrechen
Drittes Stadium
Narkose (Blutalkoholkonzentration zwischen 2,5 und 4,0 Promille):
- Bewusstlosigkeit
- Schockzustand
- erweiterte Pupillen
Viertes Stadium
Asphyxie (Blutalkoholkonzentration über 4,0 Promille):
- Koma
- weite und reaktionslose Pupillen
- Schockzustand → Kreislaufversagen → Tod
- Unregelmäßige Spontanatmung → Atemstillstand → Tod
- Hypothermie → Tod
Die letale Ethanoldosis schwankt von Person zu Person und hängt neben Faktoren wie Körpergewicht und genetischer Disposition auch von der Alkoholgewöhnung des Konsumenten ab. So tritt bei einigen Menschen bei 3 Promille der Tod ein, während andere 6 Promille überlebten. Extremfälle können allenfalls bei rascher intensivmedizinischer Betreuung (Dialyse, Infusionen zum Verdünnen der Alkoholkonzentration im Blut, Glukoseinfusionen) überleben.
Ein chronischer Alkoholabusus führt (als chronische Alkoholvergiftung) zu Gastroenteritis sowie Leberparenchymschäden und kann auch Polyneuritis und neurologisch-psychotische Zustandsbilder des Korsakow-Syndroms und des Delirium tremens hervorrufen.[1]
Therapiemaßnahmen
Die Therapiemaßnahmen sind grundsätzlich abhängig von dem jeweiligen Alkohol. Im Falle von Ethanol gilt es in erster Linie die Vitalfunktionen (Atmung, Kreislauf) zu erhalten. Daher ist eine Unterbringung auf einer Intensivstation nötig. Da ab einer Blutalkoholkonzentration von ca. 2 Promille akute Schockgefahr besteht, nimmt die Schockbekämpfung einen zentralen Platz in der Therapie ein. Als Infusionszusatz wird bei drohender Hypoglykämie eine Glukoselösung verabreicht. Wegen der Neurotoxizität des Ethanols kommt es häufig zum Erbrechen (Schutzreflex gegen Vergiftung) und damit zur Aspirationsgefahr, was eine ständige Absaugbereitschaft erfordert. Bei Verlust des Bewusstseins ist eine kombinierte stabile Seiten- und Schocklage nötig.
Vergiftungen mit weiteren Alkoholen wie Methanol oder Ethylenglycol können von medizinischem Personal durch Hinweise aus der Anamnese und Laborparameter wie die osmotische Lücke und die Anionenlücke erkannt werden. Eine labortechnische Bestätigung von bestimmten Substanzen ist in der Regel nur zeitverzögert möglich und deshalb klinisch nicht relevant. Therapeutisch kann entweder das wesentlich weniger toxische Ethanol oder das Medikament Fomepizol verwendet werden. Beide blockieren die Alkoholdehydrogenase, ein Enzym, das für den Abbau der Alkohole zu den toxischen Metaboliten verantwortlich ist. In schweren Fällen kann über Dialyseverfahren die Substanz selbst entfernt werden.[2]
Siehe auch
Literatur
- Jeffrey A. Kraut, Ira Kurtz: Toxic Alcohol Ingestions: Clinical Features, Diagnosis, and Management. In: Clin J Am Soc Nephrol. Nr. 3, 2008, S. 208–225 (Artikel Abstract).
- Jeffrey A. Kraut, Michael E. Mullins: Toxic Alcohols. In: New England Journal of Medicine. Band 378, Nr. 3, S. 270–280, doi:10.1056/NEJMra1615295
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Helmut Schubothe: Vergiftungen. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1195–1217, hier: S. 1200 f. (Alkoholvergiftung).
- ↑ Jeffrey A. Kraut, Michael E. Mullins: Toxic Alcohols. In: New England Journal of Medicine. Band 378, Nr. 3, S. 270–280, doi:10.1056/NEJMra1615295.