Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen

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Das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (englisch General Agreement on Trade in Services; GATS) ist ein internationales, multilaterales Handelsabkommen der Welthandelsorganisation (WTO), das den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen regelt und dessen fortschreitende Liberalisierung zum Ziel hat.

„b) [GATS schließt] jede Art von Dienstleistungen in jedem Sektor mit Ausnahme solcher Dienstleistungen ein, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden.
c) […] der Begriff „in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbrachte Dienstleistung“ [bedeutet] jede Art von Dienstleistung, die weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht wird.“

GATS Art. 1 Abs. 3

Das GATS gilt für die folgenden vier Arten des grenzüberschreitenden Handels mit Dienstleistungen (Modes):

Mode 1: Grenzüberschreitende Lieferungen

Die Dienstleistung wird vom Heimatland des Anbieters zum Konsumenten ins Ausland transferiert (z. B. E-Banking, wenn die Dienstleistung per Internet oder Telefon zu einem ausländischen Kunden übermittelt wird, E-Learning).

Mode 2: Ausländischer Konsum im Inland

Die Dienstleistung wird im Heimatland des Anbieters für einen ausländischen Konsumenten erbracht (z. B. (Auslands-)Tourismus, Aufsuchen eines Zahnarztes im Ausland, Studenten aus dem Ausland).

Mode 3: Handelsniederlassungen im Ausland

Die Dienstleistung wird im Heimatland des Konsumenten durch die Niederlassung eines ausländischen Anbieters erbracht (z. B. Direktinvestitionen oder Joint-Ventures im Ausland, Sprachschule eines ausländischen Anbieters).

Mode 4: Natürliche Personen im Ausland

Die Dienstleistung wird im Heimatland des Konsumenten durch eine ausländische, natürliche Person erbracht (z. B. Persönliche Beratung durch einen ausländischen Rechtsanwalt (in seinem Heimatrecht) im Inland; Erntehelfer aus dem Ausland, muttersprachliches Lehrpersonal an einer Sprachschule).

Anmerkung: Nur bei Mode 1 und 2 befindet sich der Anbieter der Dienstleistung nicht im Heimatland des Konsumenten.

Geschichte

Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand zwischen den Industriestaaten ein Konsens darüber, dass ein friedliches Zusammenleben der Nationen durch wirtschaftliche Verflechtungen gefördert werden soll. Dazu wurde zunächst eine Internationale Handelsorganisation (ITO) entworfen und die Charta von Havanna, die u. a. Wohlstand, Frieden, Beschäftigung und faire Sozialstandards forderte, beschlossen, deren Inkrafttreten jedoch am US-amerikanischen Kongress scheiterte. An ihrer Stelle wurde das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) gegründet.

Das GATT übernahm zunehmend die Funktion eines multilateralen Rahmens für den internationalen Handel. Bis 1994 fanden acht Runden des GATT statt, in deren Verlauf die Mitgliedsstaaten ihre Zölle massiv gesenkt und nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut haben.

Die letzte Runde, die Uruguay-Runde, die von 1986 bis 1994 stattfand, bezog auch Dienstleistungen und geistige Eigentumsrechte (Patente und Urheberrechte) in das Abkommen mit ein. Ergebnisse der Uruguay-Runde sind die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO), das

, „TRIPs“ und das GATS.

Das GATS-Abkommen wurde am Ende der Uruguay-Runde unterzeichnet und trat am 1. Januar 1995 in Kraft (GATS 1995). Zugleich wurde damals beschlossen, den Vertrag nach fünf Jahren zu überarbeiten.

So wird das GATS seit Beginn 2000 neu verhandelt (GATS 2000). Die Verhandlungen sollten bis zum Ende der „Neuen Runde“ (der in Doha unter gewissen Konditionen vereinbarten neuen Verhandlungsrunde) 2005 abgeschlossen sein (siehe Doha-Runde). Zu einem Verhandlungsabschluss kam es aber aufgrund unterschiedlicher Ansichten der WTO-Mitglieder bisher nicht.

Zuletzt wurde, angesichts der weltweiten Finanzkrise, vom Weltfinanzgipfel im November 2008 in Washington die beschleunigte Wiederaufnahme der Welthandelsgespräche beschlossen.

Meistbegünstigung und Inländerbehandlung

Zu den wesentlichen Prinzipien des GATS gehören die Meistbegünstigung und die Inländerbehandlung.

Das Prinzip der Meistbegünstigung bedeutet, dass es nicht möglich ist, Handelsvergünstigungen nur einzelnen Staaten zu gewähren, sondern dass sie stets allen WTO-Staaten zugestanden werden müssen. Einige allgemeine Ausnahmen von der Meistbegünstigung gibt es für regionale Integrationsabkommen, so dass beispielsweise die EU Handelsvorteile ihres Binnenmarkts nicht auch Drittstaaten gewähren muss.

Das Prinzip der Inländerbehandlung verpflichtet die Mitgliedsstaaten, ausländische Anbieter inländischen gleichzustellen. Staatliche Aufwendungen müssen auch privaten Anbietern aus dem Ausland zur Verfügung stehen.

Länderlisten und GATS-Verhandlungen

Grundsätzlich können die WTO-Mitgliedsstaaten selbst bestimmen, welche Dienstleistungsbereiche sie für den Markt öffnen. In den so genannten Länderlisten verpflichten sich die einzelnen Staaten, welche Dienstleistungen sie freigeben, bzw. legen fest, welche Einschränkungen es in Bezug auf Marktzutritt und Inländerbehandlung gibt.

Die Öffnung der einzelnen Dienstleistungssektoren geschieht schrittweise in mehreren Runden und erfolgt etwa nach dem Muster: „Gibst du mir die Dienstleistung Bildung, gebe ich dir die Dienstleistung Verkehr“. Die Liberalisierung der Dienstleistung wird in sehr vielen Einzelpunkten – 12 Sektoren bzw. 155 Subsektoren „mal“ den jeweils vier verschiedenen Dienstleistungserbringungsarten (Modes) – verhandelt. Derzeit führt die WTO Verhandlungen mit dem Ziel, die Beschränkungen in den Länderlisten bis 2005 zu liberalisieren. Die Liberalisierung soll, in jeder Runde zunehmend, verstärkt betrieben werden. Der Artikel XIX des GATS spricht ausdrücklich von einer fortschreitenden Liberalisierung. Die Rücknahme von einmal eingegangenen Liberalisierungsverpflichtungen ist nur möglich, wenn die dadurch geschädigten Handelspartner Kompensationen, z. B. in Form von und für Liberalisierung anderer Bereiche, erhalten.

Die GATS-Diskussion

Der zentrale Diskussionspunkt ist, ob öffentliche Dienstleistungen (Gesundheitsdienstleistungen, Bildungsdienstleistungen, …) durch Artikel I:3 ausgenommen sind, oder doch unter das GATS fallen.[1]

So argumentiert etwa das österreichische Wirtschaftsministerium, dass das System der österreichischen Sozial- und Pensionsversicherung aus dem GATS ausgenommen sei, da es sich um Dienstleistungen handelt, die gemäß Artikel I:3 lit. b des GATS-Abkommens in staatlicher Zuständigkeit erbracht werden.

Was laut den Kritikern das Wirtschaftsministerium regelmäßig verschweige, ist Punkt c dieses Artikels. In dieser Bestimmung heißt es, dass Dienstleistungen die

„in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht [werden, nur dann vom GATS ausgenommen sind, wenn diese Dienstleistungen] weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht [werden.]“

Es besteht weder unter WTO-Mitgliedern noch im WTO-Sekretariat Einigkeit über die Bedeutung des Begriffs „erbracht in Ausübung staatlicher Gewalt“. Besonders das Sekretariat der WTO scheint, je nach Umstand, unterschiedliche Ansätze zu verfolgen.

In einem Hintergrundpapier zu Gesundheitsdienstleistungen und soziale Dienste (S/C/W/50) argumentiert das Sekretariat, dass es in Fällen, in denen private, kommerziell orientierte und öffentlich-gemeinnützige Krankenhäuser parallel existieren, unrealistisch sei, zu behaupten, dass keine Wettbewerbssituation herrsche. Folglich sind öffentliche Krankenhäuser, obwohl sie ein öffentlicher Dienst sind, nicht vom GATS ausgenommen.

Um die Bedeutung von Artikel I:3 für die EU zu verstehen, sind die Ausnahmeregelungen im Zuge der „horizontalen Verpflichtungen“ heranzuziehen. Die EU hat in die Länderlisten des GATS eintragen lassen, dass „Dienstleistungen, die auf nationaler oder örtlicher Ebene als öffentliche Aufgaben betrachtet werden, staatlichen Monopolen oder ausschließlichen Rechten privater Betreiber unterliegen“ können (vgl. WTO 1994: Liste der spezifischen Verpflichtungen – deutsche Übersetzung der Europäischen Gemeinschaften und ihrer Mitgliedstaaten. GATS/SC/31, 15. April, Genf. In: Bundesgesetzblatt. Teil II, S. 1678–1683). Dies stellt demnach die Grundlage für die Beschränkungen des Marktzuganges im Bereich öffentlicher Aufgaben dar.

Diskutiert wird weiters der Artikel VI:4, wo unter anderem ein sog. Notwendigkeitstest beschrieben wird. Dieser soll prüfen, ob staatliche Umwelt- oder sonstige Auflagen handelsneutral sind und ob es andere Auflagen geben könnte, die einen größeren Anreiz für ausländische Investoren bieten. Dieser bedrohe den demokratischen Gestaltungsspielraum, da der Nationalstaat beweisen muss, dass seine Auflagen die geringstmöglichen sind.

Die OECD schlägt vor, Dienstleistungen, die im Rahmen staatlicher Zuständigkeit erbracht werden, als gemeinnützig aufzufassen.

GATS und EU

Unerwünschterweise sind die Forderungen[2] der EU wie auch die Angebote[3] an die EU an die Öffentlichkeit gekommen und haben für Unmut gesorgt, da u. a. von den USA gefordert wird, im Bildungssektor zu privatisieren. Von den 109 Ländern, an deren Adresse die EU ihre Liberalisierungsforderungen (so genannte Requests) richtete, sind die große Mehrheit (94) Entwicklungs- oder Schwellenländer.

In Europa gibt es das „European Services Forum“ (ESF), das von Sir Leon Brittan (Handelskommissar vor Pascal Lamy) geschaffen wurde, um die europäischen Dienstleistungskonzerne in die GATS-Verhandlungen einzubinden.

GATS und Österreich

Österreich trat 1994 durch einen 4 Parteien-Beschluss im Nationalrat dem GATS bei (siehe Bundesgesetzblatt 1/95).

In Österreich hat sich eine besonders starke Gruppierung gegen GATS gebildet – beteiligt sind: der Gemeindebund, der Städtebund, die Caritas, Attac und Ex-ÖVP-Vizekanzler Josef Riegler.

Auch der Gewerkschaftsbund ist beteiligt; so hat der ÖGB zum ersten Mal mit anderen Trägerorganisationen zusammengearbeitet. Der frühere Gegner Greenpeace, etwa beim Kraftwerksbau Hainburg, wurde einer von 80 Bündnispartnern. Die EU eröffnete zu den Offers aufgrund der Bürgerproteste einen so genannten Konsultationsprozess: eine Umfrage von NGO und Sektorverbänden wurde begonnen; von tausenden Anfragen kamen über 60 % aus Österreich. Um diesen Bedenken zu begegnen, hat die EU nun ein Dokument veröffentlicht, in dem über die an sie gerichteten Forderungen Auskunft gegeben wird.[4]

Der Nahverkehr, Gesundheit, Bildung und die audiovisuellen Medien seien nach offiziösen Meldungen für Österreich aus den GATS ausgenommen, eine Nachprüfbarkeit ist aufgrund der Geheimverhandlungen nicht möglich. Auch wie lange diese Ausnahmen für die Dauer der Verhandlungen erhalten bleiben, ist fraglich, da ja genau darüber verhandelt wird.

Auch die Länder und Gemeinden in Österreich melden Kritik an: So meint Sepp Rieder, Vize-Bürgermeister von Wien, dass zwar zuerst versichert worden sei, dass die Sozialpartner mit eingebunden werden würden, es aber keine konkreten Verhandlungen oder Informationen gebe. Er schlug vor, dass

  • die GATS-Regeln der Notwendigkeitsprüfung und der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich der Daseinsvorsorge nicht gelten sollten
  • Länder und Gemeinden mitverhandeln sollten, in der Bundesverfassung wäre dafür ein Spielraum vorhanden
  • Garantien abgegeben werden, dass die zu Anfang der Verhandlungen versprochenen Bereiche auch wirklich fortwährend aus den Verhandlungen ausgenommen blieben.

GATS-Kritik

Folgendes sind die Hauptkritikpunkte:

  • Elementare Dienste werden über Öffentlich-private Partnerschaft zumindest teilweise privatisiert (Wasser als Handelsware, Erdgas­versorgung, Gesundheitswesen, Bildung, Krankenhäuser, Pflegeheime). Der Privatisierung folgten oft Lohnkürzungen in den vormals staatlichen Betrieben.
  • Speziell die Ökonomisierung der Bildung (unter anderem über Studiengebühren) wird von Studierenden (Studentenprotest), aber auch vom UN-Bildungsbeauftragten Vernor Muñoz kritisiert.
  • Im Gegensatz zu industriellen Lobbygruppen wie dem ESF ist weder das jeweilige nationale Parlament direkt in die Verhandlungen eingebunden und informiert, noch ist die Zivilgesellschaft eingebunden. Die Verhandlungen sind geheim und ihre Ergebnisse werden in Abkommen festgeschrieben. Es ist mit irreversiblen Verträgen zu rechnen, die keinem politischen Meinungsbildungsprozess unterworfen waren.
  • Die beachteten und kritisierten Maßnahmen sind nicht mehr Zollpolitik, sondern innerstaatliche Regelungen. Damit werden Gebiete staatlicher Hoheitspolitik berührt und möglicherweise durch das GATS-Vertragswerk außer Kraft gesetzt. Dazu meint etwa Rufus H. Yerxa (WTO-Generaldirektor): Die Entscheidungen werden von den Mitgliedstaaten getragen, das WTO-Büro führe nur aus. Ein freier Handel sei für ein friedvolles Zusammenleben notwendig.
  • Kritiker sehen durch GATS Versorgungssicherheit und -stabilität im Sinne einer Daseinsvorsorge nicht zweifelsfrei garantiert.
  • Im Rahmen des so genannten „mode 4“ könnte es zu einer Ablösung regulärer Einwanderung, an deren Ende bisher nicht selten die Rechtsgleichheit mit Inländern gestanden habe, durch prekäre Entsendearbeit kommen, bei der die Lasten und Risiken vor allem von den stets nur befristet zugelassenen Entsendekräften selbst, den möglicherweise durch diese ersetzten Inlandskräften sowie den Gesellschaften der Herkunftsländer zu tragen seien. Diese Risiken bestünden vor allem in der Talentabwanderung, in der vollen Tragung des Alters-, Krankheits- und Invaliditätsrisikos und in den Kosten für Erst- und Fortbildung sowie in der Versorgung von Familienangehörigen der entsandten Kräfte. Reichen Gesellschaften gelänge es so, ansonsten notwendige Einwanderung und eine nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Arbeitskraftressourcen zu vermeiden und die Kosten der Bereitstellung qualifizierter Arbeitskräfte zu externalisieren. Ausländischen Arbeitskräften könnten im Rahmen von Entsendearbeit durch häufigen Austausch der Personen die gleichen Rechte mit den Inländern auf Dauer verweigert werden. Es entstehe so eine neue Apartheid oder eine neue Heloten­klasse.
  • Neben Banken und Versicherungen zählten große Wasserversorger (Veolia, Suez Environnement, RWE), Energie-, Bildungs- und Gesundheitskonzerne, wie private Krankenhauskonzerne, zu den vermutlichen Gewinnern des GATS.

GATS und MAI

Das GATS (besonders der Mode 3) lehnt sich an das beim WTO-Gipfel (1999) in Seattle gescheiterte Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) an. Das MAI beabsichtigt in diesem Zuge, Schadenersatzansprüche für Konzerne gegenüber Regierungen zu ermöglichen, in deren Land gestreikt wird oder in dem höhere Arbeitnehmer- oder Umweltschutzgesetze in Kraft treten. Der Schadenersatz für den Konzern soll sich nach der Gewinnschmälerung richten, die dem Konzern durch die Maßnahmen entstanden ist.

Siehe auch

Literatur

  • Werner Welf: Das WTO-Finanzdienstleistungsabkommen. Oldenbourg, München 1999.
  • Norbert Wimmer, Thomas Müller: Wirtschaftsrecht. International – Europäisch – National. 1. Auflage. Springer, Wien/New York 2007, ISBN 978-3-211-34037-0.
  • Rolf Adlung: Turning hills into mountains? Current commitments under the GATS and prospects for change. WTO staff working papers ERSD-2005-01, WTO, Genf 2005. (zum Herunterladen: WTO | Research and Analysis – working paper – Turning hills into mountains?)
  • Ralf Kronberger, Yvonne Wolfmayr: Liberalisierung des Dienstleistungshandels im Rahmen des GATS. In: Wifo Monatsberichte. Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, Wien 6/2005, S. 443–463.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die WTO (Memento vom 16. Dezember 2004 im Internet Archive; ppt)
  2. GATS requests and offers. auf: gatswatch.org
  3. EU-draftoffer (Memento vom 5. November 2004 im Internet Archive; PDF)
  4. Trade in services: EU launches public consultation on requests for access to the EU market. (Memento vom 6. Juni 2013 im Internet Archive; PDF; 24 kB) IP/02/1652. Brüssel, 12. November 2002.