Alois Rothenberg

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Alois Rothenberg (* 15. Dezember 1889[1]) war ein promovierter jüdischer Mineralölhändler und der Leiter des Palästina-Amts in Wien während der NS-Zeit.

Der wenige Tage nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich in Wien eingetroffene SS-Obersturmführer Adolf Eichmann ließ gegen Ende des Monats sechs führende und noch in Freiheit befindliche Vertreter der jüdischen Gemeinde einbestellen – der Präsident und der Vizepräsident der bereits am 18. März von den Nationalsozialisten geschlossenen Israelitische Kultusgemeinde Wien, Desider Friedmann und Robert Stricker, und Jakob Ehrlich, vormals Vizepräsident der Kultusgemeinde und Präsident der “Zionistischen Organisation”, waren verhaftet und in das KZ Dachau eingeliefert worden[2] – um von ihnen unbedingten Gehorsam und kompromisslose Kooperation gemäß seinen Anweisungen zu fordern. Er bestand darauf, dass sofort einer der sechs diesbezüglich als Verantwortlicher zu benennen sei und schlug Adolf Böhm (1873–1941) vor, Fabrikbesitzer, Historiograph der zionistischen Bewegung und Präsident des Jüdischen Nationalfonds in Wien. Da Böhms Gesundheit auf Grund von Eichmanns permanenten Drangsalien bereits sehr angegriffen war,[3] nominierten die sechs statt seiner den jüngsten unter ihnen, Alois Rothenberg vom Wiener Palästina-Amt.[4] Anfang Mai wurden das Palästina-Amt, die Jugendorganisation Hechalutz und die nunmehr als Jüdische Gemeinde Wien bezeichnete Kultusgemeinde wieder eröffnet. Rothenberg wurde von Eichmann zum Leiter des Palästina-Amts bestimmt, und der kurz zuvor aus der Haft entlassene hauptamtliche Direktor der Jüdischen Gemeinde Wien, Joseph Löwenherz, wurde von Eichmann wieder eingesetzt.[5]

Rothenberg und Löwenherz waren nun die beiden einzigen offiziell anerkannten Kontaktpersonen der jüdischen Bevölkerung zu Eichmann und zur Gestapo. Eichmanns despotisches Auftreten, seine unverhohlenen erpresserischen Drohungen und die von ihm praktizierte Kollektivhaftung[6] ließen wenig Handlungsspielraum und degradierten die jüdischen Repräsentanten im Laufe der Zeit de facto zu Erfüllungsgehilfen.[7] Alle bestehenden jüdischen Organisationen waren in einer Einheitsorganisation zusammenzufassen, wobei jegliche Einmischung jüdischer Organisationen aus dem Altreich oder gar organisatorische Verschmelzung mit diesen untersagt war. Andererseits befahl Eichmann die Aufnahme von Kontakten mit ausländischen jüdischen Hilfsorganisationen, um diese zur Mitfinanzierung der jüdischen Auswanderung zu bewegen, und Rothenberg und Löwenherz reisten deshalb mehrfach ins Ausland. Der Erfolg einer Bittstellerreise der beiden nach London und Paris vom 4. Juni bis 16. Juni 1938 war die Zusage einer zukünftigen monatlichen Unterstützung von 100.000 Dollar durch das Joint Distribution Committee und den Central British Fund für die Jüdische Gemeinde Wien.[8]

Unter dem Druck Eichmanns war ab sofort die Hauptaufgabe des Palästina-Amts und des Zionistischen Landesverbands, der nun von Eduard Pachtmann geleitet wurde, die Vorbereitung und Organisation der jüdischen “Auswanderung”. Am 20. August 1938 wurde – vermutlich auf Vorschlag von Löwenherz und Rothenberg – die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien eingerichtet.[9] Während aber Löwenherz und Rothenberg den Zweck dieses Amts in der Vereinfachung der Verwaltungsvorgänge für Auswanderungswillige gesehen hatten, wurde sie von Eichmann dazu benutzt, jeden Antragsteller weitestgehend seines Eigentums zu berauben.[10] „Unbedenklichkeitsbescheinigungen“ wurden erteilt, wenn keine “Rückstände” aus Mieten, Gebühren, Steuern oder Judenvermögensabgabe zu verzeichnen waren und „Passumlage“ und Reichsfluchtsteuer bezahlt waren.

Da Großbritannien wegen der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Juden nur wenige Immigrationsgenehmigungen („Zertifikate“) für Juden in das britische Mandatsgebiet Palästina ausgab, konnten trotz „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ nur wenige österreichische Juden dorthin ausreisen. Angesichts des Ansturms Ausreisewilliger verlangte Rothenberg von der Jewish Agency tausende weiterer Zertifikate für 1938, bekam aber nur ein paar Dutzend. Für das gesamte Jahr 1938 wurden 1964 Zertifikate an Österreich vergeben – zwar erheblich mehr als die 214 im Jahr 1937, aber – etwa 1 % der damaligen jüdischen Einwohnerzahl Wiens entsprechend – in keiner Weise dem Ansturm der Verzweifelten angemessen.[11]

Nach der Reichspogromnacht befanden sich Anfang Dezember 1938 noch 1319 Wiener Juden, die im Besitz von Einreisebewilligungen in verschiedene Aufnahmeländer waren, als „Schutzhäftlinge“ in Konzentrationslagern. Die Jüdische Gemeinde Wien und das Palästina-Amt sahen sich „einem großen Ansturm verzweifelter und ratloser“ Personen gegenüber, der die „normale Tätigkeit“ ihrer Auswanderungsabteilungen beeinträchtigte. Löwenherz und Rothenberg erwirkten bei Eichmann, dass für Auflagen zum Verlassen des Reichsgebietes die Fristsetzung auf acht Wochen verlängert wurde.[12]

Als Leiter des Palästina-Amts arbeitete Rothenberg mit der Hechaluz zusammen, der führenden zionistischen Organisation, sowie mit der Kinder- und Jugend-Alijah und den jungen religiösen zionistischen Pionieren. Rothenberg wollte die begrenzte Zahl von Einwanderungsgenehmigungen nach Palästina unter allen österreichischen Zionisten verteilen und geriet damit in einen Konflikt mit Ze'ev Willy Ritter vom Hechaluz, der alle Genehmigungen für seinen Verband beanspruchte.[13]

Rothenberg wurde von Georg Landauer[14] als guten Willens und arbeitsam, aber schwach, krank und wegen seines permanenten Verkehrs mit der Gestapo erschöpft und übervorsichtig beschrieben, jemand, der alles zu vermeiden suchte, was Verdacht oder Beanstandung hervorrufen könnte, und seiner Aufgabe nicht gewachsen.[15]

Alois Rothenberg emigrierte 1940, offiziell nach Triest,[16] von dort aus per Schiff in ein anderes Land. Ob dies das britische Mandatsgebiet Palästina oder ein anderes Land war, ist (bisher) unbekannt.

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. Ob es sich bei dem hier aufgeführten Alois Rothenberg um die gleiche Person handelt, ist jedoch nicht gesichert.
  2. Friedmann und Stricker wurden später freigelassen, bis September 1942 in Wien unter Hausarrest gestellt, dann ins KZ Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. Ehrlich verstarb noch im Mai 1938 in Dachau an den Folgen seiner schweren Misshandlungen.
  3. Böhm erlitt bald danach einen Nervenzusammenbruch und wurde im März 1941 im Rahmen der NS-Euthanasiemorde („Aktion T4“) in der Tötungsanstalt Hartheim ermordet.
  4. The Nizkor Project: The Trial of Adolf Eichmann. Session 16
  5. Erika Weinzierl, Otto Dov Kulka (Hrsg.): Vertreibung und Neubeginn: Israelische Bürger österreichischer Herkunft. Böhlau, Wien/ Köln/ Weimar 1992, ISBN 3-205-05561-6, S. 201–203.
  6. Susanne Heim (Bearb.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945 (Quellensammlung) Band 2: Deutsches Reich 1938 – August 1939, München 2009, ISBN 978-3-486-58523-0, S. 40.
  7. Doron Rabinovici: Von der Kultusgemeinde zum Ältestenrat, 1938 bis 1945. (Memento vom 5. März 2016 im Internet Archive)
  8. Traude Bollauf: Dienstmädchen-Emigration. 2., überarbeitete Auflage. Lit Verlag, Wien 2011, ISBN 978-3-643-50196-7, S. 113 und 114. (Google Book - Digitalisat)
  9. Wulff Bickenbach: Gerechtigkeit für Paul Grüninger. Böhlau Verlag, Köln 2009, ISBN 978-3-412-20334-4, S. 92. (Google Book - Digitalisat auszugsweise)
  10. Hana Weiner, Dalia Ofer: Dead-end Journey: The Tragic Story of the Kladovo-Šabac Group. University Press of America, Lanham, Md./ London 1996, ISBN 0-7618-0199-5, S. 3.
  11. Hana Weiner, Dalia Ofer: Dead-end Journey: The Tragic Story of the Kladovo-Šabac Group. University press of America, Lanham, Md./ London 1996, ISBN 0-7618-0199-5, S. 3.
  12. VEJ 2/197, S. 554.
  13. Israel Gutman u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust. München/ Zürich 1995, ISBN 3-492-22700-7, Bd. 2, S. 1077.
  14. Seit 1934 Leiter des Zentralbüros für die Ansiedlung der deutschen Juden, der sogenannten „Deutschen Abteilung“ der Jewish Agency for Israel in Jerusalem.
  15. Erika Weinzierl, Otto Dov Kulka (Hrsg.): Vertreibung und Neubeginn: Israelische Bürger österreichischer Herkunft. Böhlau, Wien/ Köln/ Weimar 1992, ISBN 3-205-05561-6, S. 315.
  16. VEJ 2/56, S. 207.