Andrea Ypsilanti

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Andrea Ypsilanti (2008)

Andrea Ypsilanti (geborene Dill; * 8. April 1957 in Rüsselsheim) ist eine deutsche Politikerin (SPD). Sie war von März 2003 bis Januar 2009 Vorsitzende des hessischen Landesverbandes ihrer Partei sowie von 2007 bis 2009 auch Vorsitzende der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag. Nach ihrem Rücktritt war sie bis zur Landtagswahl in Hessen 2018 weiterhin Abgeordnete.

Leben

Andrea Dill wuchs als zweite von drei Töchtern einer Hausfrau und eines Opel-Werkzeugmachermeisters[1] im hessischen Rüsselsheim auf. Nach dem Abitur arbeitete sie unter anderem sowohl als Sekretärin als auch als Flugbegleiterin bei der Lufthansa. Anfang der 1980er-Jahre heiratete sie den 1944 in Athen geborenen Manolis (Emmanuel) Ypsilantis, ein Mitglied der griechisch-phanariotischen Adelsfamilie Ypsilantis. Das Ehepaar lebte zwei Jahre in Spanien und dann in der Nähe von Oberursel (Taunus),[2] Anfang der 1990er-Jahre trennte es sich.[3] Mit ihrem jetzigen Lebensgefährten Klaus-Dieter Stork[2] und ihrem Sohn lebt sie in Frankfurt am Main.[4]

Von 1986 bis 1992 studierte Andrea Ypsilanti an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Soziologie, Politikwissenschaft und Pädagogik mit Abschluss als Diplom-Soziologin. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über das Thema „Frauen und Macht“.[5]

Partei

Im selben Jahr, in dem Ypsilanti ihr Studium begann, trat sie in die SPD ein und wurde rasch Mitglied des Juso-Bezirksvorstandes sowie des Landesvorstandes. Sie amtierte von 1991 bis 1993 als Vorsitzende der hessischen Jusos, ehe sie 1994 für Ministerpräsident Hans Eichel als Referatsleiterin in der Staatskanzlei tätig wurde. Im März 2003 wurde sie zur Vorsitzenden des hessischen SPD-Landesverbandes gewählt. Im November 2005 folgte die Wahl in den Bundesvorstand der Partei. Am 18. Januar 2009 trat sie von ihren Ämtern als Landes- und Fraktionsvorsitzende zurück. Ihr Nachfolger wurde Thorsten Schäfer-Gümbel.

Abgeordnete

1999 zog sie über die Landesliste erstmals in den hessischen Landtag ein, dem sie bis 2018 angehörte. Ypsilanti betreute den Wahlkreis Frankfurt am Main VI (Nord/Ost), in dem sie allerdings nur 2008 direkt gewählt wurde. 2013 unterlag sie hier dem CDU-Bewerber Boris Rhein, gelangte aber wie schon 2003 und 2009 über die Landesliste ins Parlament. Bei der Wahl 2018 kandidierte sie nicht mehr.[6]

Gescheiterte Regierungsbildung 2008

Andrea Ypsilanti (2008)

Ypsilanti wurde am 2. Dezember 2006 auf dem hessischen Landesparteitag im zweiten Wahlgang mit knapper Mehrheit (175 gegen 165 Stimmen, nach einem 172:172-Patt im ersten Wahlgang) gegen den im Rahmen eines (nicht bindenden) Mitgliedervotums favorisierten Jürgen Walter zur Spitzenkandidatin gewählt.[7] Am 16. Januar 2007 übernahm Ypsilanti auch den Fraktionsvorsitz.

Bei der Landtagswahl am 27. Januar 2008 verlor die CDU ihre absolute Mehrheit und die SPD wurde mit 0,1 Prozentpunkten Abstand zweitstärkste Partei nach der CDU. Ypsilanti strebte nach der Wahl eine von der SPD geführte Regierungsbildung unter einer vor der Wahl ausgeschlossenen Beteiligung der Linken an. Dies wurde ihr innerparteilich, etwa von Susanne Kastner, als strategischer Fehler ausgelegt.[8] Ebenso sprachen externe Stimmen – inklusive Claudia Roth – Ende 2008 von einem „machtpolitischen Dilettantismus“ der SPD unter Führung Ypsilantis, die es nicht vermocht habe, Roland Koch trotz großer Stimmenverluste und resultierender auch innerparteilicher Widerstände abzulösen.

Die avisierte Rot-Grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung durch die Partei Die Linke (nach Magdeburger Modell)[9] stand im Gegensatz zu Aussagen Ypsilantis vor der Wahl, mit denen sie wiederholt jedwede Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen hatte.[10]

Ypsilanti wurde in dem Zusammenhang Wortbruch vorgeworfen. Sie gestand dies zwar ein, verwies aber darauf, auch[11] bei anderen, insbesondere inhaltlichen Festlegungen, so in der Sozial- und Bildungspolitik im Wort[11] zu sein und diese nach Maßgabe des Wahlergebnisses einhalten zu wollen. Ypsilanti sowie andere führende hessische Sozialdemokraten erklärten nach der Wahl, wichtig sei es, das Programm der SPD aus dem Landtagswahlkampf umzusetzen.[12]

Nach der Ankündigung der Landtagsabgeordneten Dagmar Metzger (SPD), der geplanten Konstellation aus Gewissensgründen ihre Stimme zu verweigern[13], sah sich Ypsilanti gezwungen, ihren Plan zurückzustellen, sich im Hessischen Landtag zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Die drei Parteien SPD, Grüne und Linke vereinbarten stattdessen einen Zeitplan zur Erörterung einer gemeinsamen Politik und Bildung einer Minderheitsregierung.[14][15] Auf einem Sonderparteitag unterstützte die SPD Hessen mit knapp 96 Prozent der Stimmen Ypsilantis Kurs.[16]

Am 3. November 2008 kündigten vier Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion – Jürgen Walter, Dagmar Metzger, Carmen Everts und Silke Tesch – an, bei der für den 4. November geplanten Wahl zur Ministerpräsidentin nicht für Ypsilanti zu stimmen. Damit war die Absicht, eine Minderheitsregierung von SPD und Grünen unter Tolerierung durch die Linken zu bilden, im Hessischen Landtag gescheitert, die beabsichtigte Abstimmung wurde abgesagt.[17]

Am 8. November 2008 verzichtete Ypsilanti darauf, bei der nun von allen Parteien avisierten Neuwahl im Januar 2009 erneut als SPD-Spitzenkandidatin anzutreten, und schlug den Landtagsabgeordneten Thorsten Schäfer-Gümbel für diese Aufgabe vor.[18] Sie übernahm die politische Verantwortung für die deutlichen Stimmverluste der hessischen SPD am Wahlabend der Landtagswahl am 18. Januar 2009 und trat als Landes- und Fraktionsvorsitzende zurück[19], blieb aber aufgrund ihrer Position auf Platz 2 der SPD-Landesliste Landtagsabgeordnete. Auch ihren Sitz im Präsidium der Bundes-SPD behielt sie bei. Am 22. Oktober 2009 erklärte sie, nicht mehr zur Wiederwahl des SPD-Bundesvorstandes anzutreten.[20]

Politische Positionen

Andrea Ypsilanti wird dem linken Spektrum der SPD zugeordnet. Angesichts der Hartz-Reformen 2003 „warnte [sie] vor einem Abbau des Sozialstaats“[21] und stellte sich damit gegen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Auf dem SPD-Bundesparteitag stimmte sie der Agenda 2010 jedoch zu. Im Wahlkampf zur Hessischen Landtagswahl 2008 forderte Ypsilanti eine Stärkung von Ganztagsschulen, eine Rücknahme der Verkürzung der Gymnasialschulzeit und Abschaffung von Studiengebühren. Zudem trat sie für die Einführung von Mindestlöhnen sowie ein Präventionsprogramm gegen Kindesvernachlässigung ein.[22]

Ypsilanti plädierte zudem für einen verstärkten Einstieg in erneuerbare Energien und band Hermann Scheer als Ministerkandidaten in ihren Wahlkampf ein.[23][24] Die energie- und industriepolitischen Ansichten wie die Einbeziehung Scheers waren auch parteiintern umstritten und führten zu Konflikten u. a. mit Jürgen Walter und Wolfgang Clement. Clement hatte aus diesem Grund eine Woche vor der Landtagswahl in einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag von der Wahl Ypsilantis bzw. der hessischen SPD indirekt abgeraten.[25] Ypsilanti ist Mitbegründerin des Institutes Solidarische Moderne e. V.[26] und in dessen Vorstand eine von fünf Sprechern.

Trivia

Andrea Ypsilanti ist Anhängerin des 1. FC Nürnberg.[27]

Bücher

  • „Im Aufbruch in die soziale Moderne.“ Politische Reden und Beiträge 2006–2008. Mit einem Geleitwort von Franz Alt und einem Vorwort von Jörg Jordan. Ponte-Press, 2008.[28]
  • „Und morgen regieren wir uns selbst“ Eine Streitschrift. Westend, 2017.[24][29]

Weblinks

 Wikinews: Andrea Ypsilanti – in den Nachrichten
Commons: Andrea Ypsilanti – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Constantin Magnis: „Fräulein Dill aus Königstädten“ Cicero, Oktober 2008.
  2. a b Constantin Magnis: Prinzessin Ypsilanti. In: Der Stern. 2. Mai 2008.
  3. Heike Haarhoff: Die Spitzenkandidatin der SPD: Andrea Ypsilanti will es schaffen. In: taz.de. 29. Januar 2008, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  4. Biographie andrea-ypsilanti.de
  5. F.A.Z.: Die Willensstarke. In: FAZ.net. 26. Januar 2008, archiviert vom Original am 5. März 2016; abgerufen am 20. Dezember 2014.
  6. Ypsilanti kandidiert nicht mehr für hessischen Landtag. spiegel.de, 18. Oktober 2017, abgerufen am 20. Oktober 2017.
  7. vorwärtsHESSEN. Informationen des SPD-Landesverbandes und der SPD-Fraktion Hessen. Dezember 2006 / Januar 2007 (PDF (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive); 516 kB)
  8. SPD-Politiker attackieren Andrea Ypsilanti, Artikel vom 9. März 2008 auf deutschlandradio.de
  9. DPA/Reuters/msg/spi: Hessen: Ypsilanti will Minderheitsregierung. In: stern.de. 4. März 2008, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  10. Helmut Markwort: Tagebuch: Schauspielerin Ypsilanti. In: Focus Online. 5. März 2008, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  11. a b Zitat: Einerseits habe sie versprochen: „Nie mit der Linken.“ Anderseits habe sie ihren Wählern zugesagt, eine gerechtere Bildungspolitik zu beginnen, Studiengebühren abzuschaffen und mehr fürs Soziale zu tun, wenn sie die Gelegenheit dazu habe. „Man muss irgendwo an irgendeiner Stelle sagen: Dieses Versprechen kann ich nicht einhalten“, stellte Ypsilanti fest. PITT VON BEBENBURG: Doch mit der Linken: Ypsilanti bekennt sich zum Wortbruch. In: fr-online.de. 5. März 2008, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  12. SPD auf Bündnissuche: Scheer: Kein Wortbruch bei Kooperation mit Linken. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 27. Februar 2008, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 26. Mai 2016]).
  13. Annett Meiritz: Dagmar Metzger: Die Frau, die Ypsilanti in die Krise stürzt. In: Spiegel Online. 6. März 2008, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  14. Hessen: Ypsilanti gibt Links-Experiment auf - Verzicht auf Wahl zur Ministerpräsidentin. In: Spiegel Online. 7. März 2008, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  15. Christoph Hickmann: Hessen – Neuer Zeitplan für Ypsilanti-Wahl. In: sueddeutsche.de. 17. Mai 2010, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  16. Ypsilantis Koalitionspläne: Hessens SPD macht Weg frei für Rot-Rot-Grün. In: Spiegel Online. 4. Oktober 2008, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  17. Vier Abweichler lassen Ypsilanti scheitern (Memento vom 6. November 2008 im Internet Archive) In: sueddeutsche.de
  18. Schäfer-Gümbel wird SPD-Spitzenkandidat (Memento vom 3. Dezember 2008 im Webarchiv archive.today). Auf: hr-online.de, 8. November 2008.
  19. Hessens SPD-Chefin: Schäfer-Gümbel soll Ypsilanti ersetzen. In: Spiegel Online. 18. Januar 2009, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  20. Rückzug: Ypsilanti verlässt SPD-Bundesvorstand. In: Focus Online. 22. Oktober 2009, abgerufen am 22. Oktober 2009.
  21. Daniel Friedrich Sturm: Parteien: Schröders Agenda 2010 spaltet die SPD bis heute. In: DIE WELT. 21. Januar 2009 (welt.de [abgerufen am 9. August 2018]).
  22. Ypsilanti will Studiengebühren abschaffen. In: tagesspiegel.de. 4. Januar 2008, abgerufen am 28. November 2017.
  23. Christoph Schmidt Lunau: Hessens SPD-Spitzenfrau will Scheer als Minister. In: tagesspiegel.de. 3. Juni 2007, abgerufen am 28. November 2017.
  24. a b Peter Unfried: Ausgeschert. Sie personifiziert das unmöglich Scheinende – eine modernisierte Sozialdemokratie. Eine Begegnung mit Andrea Ypsilanti. www.taz.de, 27. Januar 2018, abgerufen am 28. Januar 2018.
  25. Clement warnt vor Wahl von Andrea Ypsilanti. In: welt.de. 19. Januar 2008, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  26. Ypsilanti meldet sich mit linker „Denkfabrik“ zurück. In: handelsblatt.com. 1. Februar 2010, abgerufen am 20. Dezember 2014.
  27. Was macht eigentlich Andrea Ypsilanti? auf augsburger-allgemeine.de, vom 24. Oktober 2018, abgerufen am 30. Mai 2020
  28. Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
  29. Eintrag im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek