Arthur James Balfour, 1. Earl of Balfour

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Arthur James Balfour

Arthur James Balfour, 1. Earl of Balfour (/ˈbalfə/), KG OM PC (* 25. Juli 1848 in Whittingehame, East Lothian, Großbritannien; † 19. März 1930 in Fisher’s Hill nahe Woking, Surrey, Großbritannien) war ein britischer Politiker und Premierminister.

Als Abkömmling einer bedeutenden politischen Dynastie – den Cecils – geboren, war Balfours frühe Lebensphase vorgegeben. Er durchlief die übliche Ausbildung seiner Klasse und besuchte zunächst das Eton College und danach die Universität Cambridge, wo er Humanwissenschaft studierte. 1874 wurde er ins britische Unterhaus (House of Commons) gewählt. Als Chief Secretary for Ireland übernahm er eine Schlüsselposition in der Regierung seines Onkels Lord Salisbury. Zunehmend dessen rechte Hand und Stellvertreter im Unterhaus, war ihm die Nachfolge ins Amt des Premierministers bereitet, als sein Onkel sich aus Altersgründen zurückzog. 1902 wurde er Premierminister Großbritanniens. Innenpolitisch verabschiedete seine Regierung einige Reformgesetze. Außenpolitisch leitete er mit eine Abkehr von der splendid isolation ein und schloss zunächst 1902 ein Bündnis mit Japan, 1904 dann die Entente cordiale mit Frankreich. Nach inneren Zerwürfnissen in der konservativen Partei über der Zollfrage übergab er 1905 freiwillig die Regierung an die oppositionellen Liberalen.

Aufgrund der schweren Niederlage bei den Neuwahlen 1906 begannen die Konservativen, die Gesetzgebung der regierenden Liberalen mit ihrer Mehrheit im Oberhaus zu blockieren. So entstand eine Verfassungskrise, die 1910 zweimal zu Neuwahlen führte. Beide Male verloren die Konservativen und Balfour geriet parteiintern derart in die Kritik, dass er im November 1911 als Parteiführer zurücktrat. Er blieb dennoch in der Politik und wichtiger Teil des Schattenkabinetts; in der Kriegskoalition unter Asquith ab 1915 war er Erster Lord der Admiralität. Nach Asquiths Sturz, an dem auch Balfour maßgeblich beteiligt war, wurde er Außenminister und veröffentlichte, als eine vage Zusage für eine „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“ in Palästina, 1917 die Balfour-Deklaration.

Jugend und früher Werdegang

Whittingehame House, wo Balfour aufwuchs

Geboren und aufgewachsen im Herrenhaus Whittingehame House im schottischen East Lothian, war er der älteste Sohn des Politikers James Maitland Balfour (1820–1856) aus dessen Ehe mit Lady Blanche Mary Harriet Gascoyne-Cecil († 1872). Sein Vater entstammte einer wohlhabenden Familie der schottischen Gentry. Seine Mutter entstammte der einflussreichen englischen Politikerfamilie Gascoyne-Cecil of Salisbury, die seit langem in nahezu jeder konservativen Regierung einen Minister stellten: Ihr Vater war der 2. Marquess of Salisbury. Ihr wird in Balfours Jugendphase ein bestimmender Einfluss auf ihren Sohn zugeschrieben, der deutlich den des Vaters übertraf. So hatte sie großen Einfluss auf die Erziehung ihres Sohnes und bestimmte über seinen frühen Werdegang.

Nach einiger Zeit in einer Vorbereitungsschule besuchte Balfour das renommierte Eton College. Danach studierte er am Trinity College der Universität Cambridge, wo er Humanwissenschaft als Studienfach belegte. Sein Interesse an Philosophie und religiösen Themen führte bereits hier zu seinem Image eines etwas entrückten, hochsinnigen Mannes, ein Eindruck, der ihm auch später immer anhaftete.[1]

Balfour als Autor, Philosoph und Philanthrop

Seit seiner Studienzeit in Cambridge setzte sich Balfour intensiv mit philosophischen Themen auseinander, so sehr, dass er oft als politischer Dilettant beschrieben wurde, der eigentlich viel eher ein Intellektueller und Philosoph war. In seinem 1879 veröffentlichtem Buch Defense of Philosophic Doubt widmete Balfour sich einem damals aktuellen Thema und widersprach mit dieser Gegenschrift der Lehre des Philosophischen Naturalismus, den er als die damals vorherrschende philosophische Denkweise begriff. Darauf aufbauend führte der tiefreligiöse Balfour 1895 in seinem zweiten Buch Foundations of Belief aus, dass nur skeptische Fragen zum wahren Glauben führen könnten, der jenseits von allem wissenschaftlichem Denken sei und sich folglich jedem wissenschaftlichem Beweis entziehe.[2] 1883 veröffentlichte Balfour einen Essay über den Theologen und Philosophen Bischof Berkeley, den er idolisierte. Berkeley, der in seinem Denken oft als Bindeglied zwischen Locke und Hume angesehen wird, sei als Philosoph von geringerer Bedeutung als Locke und Hume, räumte Balfour ein, seinen besonderen Wert deutete Balfour jedoch als Zugang zu der geistigen und sozialen Welt seiner Zeit.[3]

Balfour war ein führendes Mitglied der Gruppe The Souls, einer 1885 geformten Gruppe intellektueller Gesellschaftsmitglieder, die sich frei von den damals in der Gesellschaft vorherrschenden (politischen) Diskussionsthemen wie Home Rule über soziale, gesellschaftliche und philosophische Themen austauschen wollten.[4] Die Gruppe, der neben Balfour auch George Nathaniel Curzon, Margot Tennant und die Wyndham-Schwestern angehörten, löste sich um 1900 auf. Von 1892 bis 1894 war er Präsident der Society for Psychical Research, einem Verein zur Erforschung parapsychologischer Phänomene. 1902 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. 1925 wurde er Fellow der Royal Society of Edinburgh.[5] Auch gehörte er dem renommierten Londoner Travellers Club an und war auch (um 1912) Ehrenvizepräsident der Eugenics Education Society.

Neben seinen philosophischen Studien entwickelte Balfour ein Interesse an Dialekten auf den britischen Inseln. Er spendete dem Philologen Joseph Wright Geld, um dessen Forschungsarbeit zu ermöglichen. Wright widmete Balfour im ersten Band seines The English Dialect Dictionary einige Zeilen und führte aus, dass Balfours substantielle philanthropische Unterstützung seine Arbeit erst ermöglicht habe.[6]

Erste Regierungsposten

Balfour als junger Mann

Im Februar 1874 wurde er im sicheren konservativen Wahlkreis Hertford erstmals für die Konservative Partei ins britische Unterhaus gewählt. In den Augen seiner Biografen fiel er dort in den ersten Jahren nicht auf und meldete sich nur selten zu Wort; bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er sprach, äußerte er sich lediglich zu eher obskuren ökonomischen oder religiösen Themen.[7] Sein Biograf Ewen Green sieht seine Zurückhaltung darin begründet, dass er völlig mit dem Verfassen seines philosophischen Werks Defense of Philosophic Doubt beschäftigt war. Von 1878 bis 1880 war er Privatsekretär seines Onkels Robert Gascoyne-Cecil, 3. Marquess of Salisbury, den er unter anderem 1878 zum Berliner Kongress begleitete. Durch den Kongress wurde sein Interesse an außenpolitischen Themen und der Verteidigungspolitik begründet. Im Unterhaus sprach er danach häufiger über das Verhältnis zum Osmanischen Reich und zu Afghanistan, dazu äußerte er sich wiederholt öffentlich und privat mit Besorgnis über das russische Vorrücken in Richtung Britisch-Indien.[8]

In den frühen 1880er Jahren wurde Balfour im Unterhaus als Mitglied des Kreises junger querdenkender Konservativer bekannt, der sich um Randolph Churchill innerhalb der Konservativen Partei herausbildete („Fourth Party“). Neben den eigenen Aufstiegsmöglichkeiten hatte die Gruppe vor allem die Inanspruchnahme der neuen unteren Wählerschichten im Blick, die durch Disraelis Wahlrechtsreform von 1867 ein eigenes Stimmrecht erhalten hatten.[9]

1885 folgte Balfour der Aufforderung seiner Partei und wechselte in den Wahlkreis Manchester East, der vor allem suburban geprägt war, sich jedoch auch über einen substantiellen Wähleranteil aus Minenarbeitern auszeichnete.[10] 1885 erhielt er in der kurzlebigen ersten Regierung seines Onkels seinen ersten (subalternen) Posten.[11] Nachdem er sich bewährt hatte und im Konflikt zwischen Randolph Churchill und seinem Onkel unzweideutig für letzteren entschied, wurde Balfour 1887 Chief Secretary for Ireland in dessen zweitem Kabinett und kam so bereits früh in seiner Karriere mit dem drängendsten Problem der britischen Politik dieser Epoche in Kontakt: mit der irischen Forderung nach Home Rule. Balfours Zeit hier war zentral für seine politische Reputation, gleichzeitig jedoch von Kontroversen geprägt.[12] Erst 1882 war einer seiner Vorgänger, Frederick Cavendish, von irisch-republikanischen Attentätern ermordet worden. Als klassischer Unionist lehnte Balfour nun alle Forderungen des Führers der Home Rule League, Charles Stewart Parnell, zu konstitutionellen Gesprächen ab, solange die irische Seite nicht allen illegalen Aktivitäten abzuschwören bereit war. 1887 initiierte er ein Gesetz, welches dem Staat bzw. den Polizeikräften weitreichende Befugnisse gab, um künftig gegen irische Aktivisten in Irland und Großbritannien vorzugehen. Gleichzeitig bemühte er sich, diverse Sozialhilfemaßnahmen zu installieren. Er initiierte zwei Agrar-Reformgesetze, um es Pächtern zu ermöglichen, selbst kleine Landbesitze zu erwerben. Außerdem bemühte er sich um bessere Eisenbahnverbindungen, um den Export von irischen Waren anzukurbeln und einen wirtschaftlichen Aufschwung zu ermöglichen.[13] Nach einem Akt von Polizeigewalt im September 1887 in Mitchelstown wurde Balfour in der Folge als „Bloody Balfour“ bekannt. Seine Strategie, Parnell und andere irische Nationalisten wegen ihres Aufrufs zur Gewalt vor Gericht zu stellen, schlug 1888 fehl, als klar wurde, dass deren angebliche diesbezügliche Leserbriefe an die Londoner Times von einem Fälscher stammten.[14]

Seine gestiegene Reputation in der konservativen Partei führte dazu, dass er 1891 nach dem Tod von William Henry Smith zum Leader of the House of Commons avancierte.[15] Balfour fand die Aufgabe nach der schwierigen Aufgabe in Irland ermüdend, wie er seiner Freundin Lady Elcho gestand; die knappe Niederlage der Konservativen bei der Unterhauswahlen 1892 nahm er infolgedessen als Erleichterung hin.[16]

Premierminister

Balfour um 1910

Balfours politische Karriere erreichte 1902 seinen Höhepunkt, als sein Onkel am 11. Juli 1902 als Premierminister zurücktrat. Balfours Anspruch auf die Nachfolge war unbestritten. Seine Bilanz als Minister war hoch angesehen, seine verwandtschaftliche Verbindung als Exponent und Erbe des Hauses Cecil sowie das Fehlen eines möglichen parteiinternen Konkurrenten machten ihn zum natürlichen Nachfolger.[17]

Außenpolitisch ergab sich als erste Konsequenz aus dem gerade gewonnenen Burenkrieg die Abkehr von der Splendid isolation. Im Verlauf des Burenkriegs war Großbritanniens außenpolitische Isolation deutlich geworden.[18] Vormals von Balfours Onkel Salisbury als Zeichen der Stärke Großbritanniens gerühmt, wurde das Fehlen jeder Allianz nun vor dem Hintergrund des problematisch verlaufenen Burenkriegs als Bedrohung empfunden. Der führende Platz und auch die Sicherheit des Britischen Empires galt den Zeitgenossen nicht mehr länger als selbstverständlich.[19] Balfour war sich wohlbewusst über die sich ändernden Machtverhältnisse auf globaler Ebene.[20] Bereits als zweiter Mann hinter seinem Onkel war er zusammen mit dem Außenminister Lord Lansdowne der Hauptinitiator für das Bündnis mit Japan gewesen, welches die Abkehr von der splendid isolation einleitete. Die von Lansdowne geführten Verhandlungen mit Frankreich führten schließlich zur Entente cordiale. Diese räumte einerseits die bestehenden Spannungen aus, die erst 1898 beinahe zu einem Krieg geführt hatten und bildete andererseits bereits den Grundstein für eine anglo-französische Allianz.[21] Balfour schuf 1904 mit dem Committee of Imperial Defence die künftige Schaltzentrale der strategischen Verteidigungspolitik des Britischen Weltreichs. Hintergrund war für ihn die Fragestellung, ob Großbritanniens Versorgung im Fall eines größeren Krieges bedroht sei; Balfour dachte dabei bereits an eine mögliche Bedrohung durch U-Boote.[22]

Innenpolitisch standen seit langem Bildungsreformen zur Diskussion, um dem vermeintlichen britischen Niedergang zu begegnen; 1894 hatte E. E. Williams das Buch Made in Germany veröffentlicht, in dem er unterstellte, zunehmende Vorteile der deutschen Industriellen und Hersteller seien in der besseren (technischen) Ausbildung begründet.[23] Mögliche Reformen blieben ein Thema während der 1890er-Jahre, jedoch standen dem konfessionelle Unterschiede zwischen der Church of England und Nonkonformisten im Weg.[24] Nachdem Salisburys dritte Regierung hierzu keine Reformen in Gang gebracht hatte, ging Balfour das Thema sofort an und brachte 1902 den Education Act ins Parlament ein, der erstmals ein nationales Bildungssystem einführte. Das Gesetz transferierte die Verantwortung weg von den Schulämtern auf die lokale Verwaltung. Alle Kinder sollten nun zudem bis zum Alter von 14 Jahren eine Schulausbildung erhalten.[25]

Seine Zeit als Premier wurde ab 1903 zunehmend durch die Schutzzollpolitik des Unionisten Joseph Chamberlain überschattet. Chamberlain propagierte die Abkehr des herrschenden Freihandelsdogmas und die Errichtung von Zollhandelschranken, von denen die Dominions aber (unter dem Schlagwort “Imperiale Präferenz”) ausgenommen sein sollten. Dahinter stand Chamberlains Vision einer weitergehenden Union zwischen Großbritannien und seinen Dominions (Kanada, Südafrika, Australien und Neuseeland), die er mit einer Zollunion begründen wollte; diese würde (in seinen Augen) irreversibel sein und letztlich auch zu einer politischen Union führen. Eine solche Union würde zudem auf lange Sicht allen Klassen große Vorteile bieten, dazu wäre Großbritanniens machtpolitischer Status auch in der Zukunft abgesichert.[26] Die Gegner von Chamberlains Plänen verwiesen auf die Nachteile der Zölle für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Eine dritte Gruppe zeigte sich aufgeschlossen für Chamberlains Pläne, wollte jedoch alle Nahrungsimporte von Zöllen ausnehmen und wurde als „Free Fooders“ bekannt. Balfour stand dem Thema zunächst skeptisch gegenüber und hielt sich unverbindlich, nahm schließlich jedoch die Mittlerposition ein und schloss sich thematisch den „Free Fooders“ an. Die folgende Spaltung der Partei über dieser Frage konnte er nicht verhindern. Nicht zuletzt diese Uneinigkeit führte bei den Unterhauswahlen Anfang 1906 zu einer schweren Wahlniederlage der Konservativen; sie nahmen im neuen Parlament lediglich 157 Sitze ein, während die Liberalen und die mit ihren verbündeten Kleinparteien 514 Sitze erzielten.[27] Balfours selbst verlor ebenfalls seinen Parlamentssitz, zog jedoch durch eine Nachwahl in einem anderen Wahlkreis (City of London), der bis 1922 sein angestammter Wahlkreis blieb, schnell wieder ins Unterhaus ein.

Oppositionsführer

Balfour und Lansdowne kontrollieren das Unterhaus. (Karikatur)

In der Opposition musste sich Balfour die Führungsrolle mit dem Lord Lansdowne, dem Führer der Konservativen im Oberhaus, teilen. Dort verfügten die Konservativen über eine große Mehrheit. Balfour und Lansdowne kamen zunächst überein, die Gesetzgebung der Liberalen im Unterhaus hart zu bekämpfen und im Oberhaus wichtige Gesetze der Liberalen Regierung mit schwerwiegenden Änderungen zu versehen oder zu blockieren.[28] Die konservative Mehrheit im Oberhaus (House of Lords) blockierte die meisten Gesetze, die die Liberalen im Unterhaus durchbrachten. Das Oberhaus wurde vom Liberalen David Lloyd George deshalb als „Balfours Pudel“ verspottet. Durch die Blockade im Oberhaus kam es zu einer Verfassungskrise, was 1910 (zweimal) zu Neuwahlen führte. Beide verloren Balfours Konservative; obwohl sie einige Parlamentssitze hinzugewinnen konnten, reichte es nicht zu einer Regierungsbildung, da die Liberalen durch die Labour Party und die irischen Nationalisten unterstützt wurden. Nach drei Wahlniederlagen in Folge sah sich Balfour heftigen Angriffen ausgesetzt.[29] Eine Gruppe um Lord Halsbury opponierte gegen Balfours Führung; auch namhafte Tories wie F. E. Smith und Edward Carson zählten zu Balfours Gegnern. Zudem schlossen sich mit Lord Hugh Cecil und Lord Robert Cecil zwei Angehörige von Balfours eigener Familie dieser Gruppe an.[30] Durch die andauernde parteiinterne Kritik angeschlagen, gab Balfour am 8. November 1911 schließlich bei einem Auftritt in seinem Wahlkreis, der Londoner City, seinen Rücktritt bekannt.[31] Beim wenige Tage später anberaumten Carlton-Club-Treffen wurde Andrew Bonar Law als sein Nachfolger gewählt.

Arthur Balfour um 1920. Porträtstudie von James Guthrie für Statesmen of World War I.

Kabinettsmitglied in den Koalitionsregierungen

In der während des Ersten Weltkriegs gebildeten Koalitionsregierung von Herbert Henry Asquith bekleidete Balfour von 1915 bis 1916 als Nachfolger Winston Churchills das Amt des Ersten Lords der Admiralität (Marineminister). Nach dem Rücktritt Asquiths erklärte sich Balfour bereit, in einer neuen Koalitionsregierung unter David Lloyd George zu dienen, was mit ein entscheidender Faktor für das Zustandekommen der neuen Regierung war.[32]

Nach der Regierungsübernahme durch Lloyd George bildete dieser das Kabinett um und Balfour wurde Außenminister.[33] In dieser Funktion ging er mit seiner Balfour-Deklaration (2. November 1917) in die Geschichte ein. Darin sicherte er Walter Rothschild, 2. Baron Rothschild zu, die britische Regierung werde die Zionisten bei der Errichtung einer „nationalen Heimstätte für das jüdische Volk“ in Palästina unterstützen. Damit wurde er zum Wegbereiter des UN-Teilungsplans von 1947, auf welchen 1948 die Staatsgründung Israels folgte. Balfour war selber vom christlichen Zionismus geprägt.[34]

Von 1919 bis 1922 und noch einmal von 1925 bis 1929 saß Balfour als Lord President of the Council im Kabinett. In dieser Eigenschaft veröffentlichte er am 1. August 1922 die Balfour-Note zum Zusammenhang zwischen Reparationen und Interalliierten Kriegsschulden: Bei der Fundierung beider Schuldenarten gelte es im Interesse einer raschen Stabilisierung der Weltwirtschaft größtmögliche Mäßigung walten zu lassen. Die britische Regierung verzichte auf alle politischen Schuldenzahlungen, sowohl was deutsche Reparationen als auch, was Kriegsschulden betraf, die über die von den USA geforderten Schuldendienste hinausgingen.[35][36] Am 5. Mai 1922 wurde er als Earl of Balfour und Viscount Traprain zum erblichen Peer erhoben,[37] wodurch er Mitglied des House of Lords wurde. Da Balfour unverheiratet und kinderlos war, erfolgte die Verleihung mit dem besonderen Zusatz, dass die Titel in Ermangelung eigener männlicher Nachkommen auch an seine Brüder und deren männliche Nachkommen vererbbar sei.

Als Bonar Law sein Amt im Mai 1923 wegen einer Krebserkrankung niederlegte, spielte Balfour bei der Nachfolgeregelung eine zentrale Rolle im Hintergrund. Dei Nachfolge entschied sich zwischen Stanley Baldwin und Curzon. Der scheidende Premier Bonar Law vermied es, König Georg V. einen Nachfolger durch einen formellen Rat vorzuschlagen, da er fürchtete, dass die unvermeidliche Wahl Curzon sein würde, den er allerdings nicht als seinen Nachfolger sehen wollte. Lord Stamfordham in seiner Rolle als Privatsekretär Georgs befragte deshalb andere Personen, wie Balfour, der inzwischen als elder statesman angesehen wurde. Dieser riet dem König, nach Baldwin zu senden, da sich die konstitutionellen Gewichte seit dem Parliament Act 1911 deutlich zugunsten des Unterhauses verschoben hätten, im Kabinett bereits zu viele Peers säßen, die führende Oppositionspartei (die Labour Party) dagegen im Oberhaus bislang überhaupt nicht repräsentiert sei. Am Ende entschied sich Georg, Baldwin einzuladen um eine Regierung zu bilden. Die Entscheidung gegen Curzon und für Baldwin gilt gemeinhin als eine Wegscheide für das politische System Großbritanniens, in dem Mitglieder des Oberhauses seitdem effektiv kaum noch Chancen auf den Posten des Premiers hatten.[38]

Als Baldwin 1923 überraschend Neuwahlen ausrief, verloren die Konservativen ihre Mehrheit. Statt der avisierten Mehrheit von 80 Sitzen verloren die Konservativen bei der Wahl am 6. Dezember 1923 86 ihrer 344 Sitze, während sowohl Labour als auch die Liberalen Unterhaussitze hinzu gewannen. Im Ergebnis fehlten den Konservativen 92 Sitze zu einer Mehrheit und es kam zu einem Hung parliament, bei dem keine der drei großen Parteien eine absolute Mehrheit auf sich vereinigen konnte.[39] Innerhalb des Kabinetts kam es kurzzeitig zu Kabalen, um Baldwin als Parteiführer nun abzulösen; nachdem sich jedoch Balfrour als ehemaliger Parteiführer offen gegen diese Pläne positioniert hatte, blieb Baldwins Position stabil.[40]

Eine wichtige Rolle spielte er auch beim Transformationsprozess des Britischen Empires zum Commonwealth of Nations. Seinen Namen trägt der 1926 unter seinem Vorsitz erarbeitete Balfour-Bericht, dessen Kern die Formulierung der vollständigen Souveränität der Dominions vom britischen Mutterland bildet.

Balfour im Urteil der Zeitgenossen

Winston Churchill bemerkte nach dem Zweiten Weltkrieg zu seinem Leibarzt, Lord Moran, dass Balfour zu den fünf Personen gehören würde, von denen er sich gewünscht hätte, dass sie seinen späten Lebenstriumph als Führer der britischen Nation im Krieg noch miterlebt hätten.

John Singer Sargent: Arthur James Balfour, 1908, Öl auf Leinwand, 260 × 150 cm, National Portrait Gallery, London; Schwedisches Nationalmuseum, Stockholm

Darstellung Balfours in der Kunst

Im Jahr 1893 erschienen Science-Fiction-Roman The Angel of the Revolution wird Balfour als Premierminister in einer nahen imaginierten Zukunft (1903–1905) dargestellt. In zwei Parodien auf Alice im WunderlandClara in Blunderland von 1902 und Lost in Blunderland von 1903 – die von Harold Begbie, J. Stafford Ransome, und Michael Henry Temple unter dem Pseudonym “Caroline Lewis” verfasst wurden, wird Balfour als Clara (die als Äquivalent zu Alice fungiert) parodiert. Die Bücher setzen sich kritisch mit dem Zweiten Burenkrieg und der weiteren britischen Politik auseinander.[41]

John Buchan veröffentlichte 1906 mit A Lodge in the Wilderness einen halbfiktionalen Roman, in dem mehrere fiktionalisierte Personen über den Imperialismus und das britische Empire diskutieren.[42] 1911 veröffentlichte H. G. Wells mit The New Machiavelli seinen Roman über zeitgenössische Politik, in dem er eine fiktionalisierte Version Balfours als einen der Protagonisten ansiedelte.[43] 1923 porträtierte Wells eine fiktionalisierte Version Balfours erneut in seinem Roman Men Like Gods. Saki verewigte Balfour als den ewig entschlusslosen “Halfan Halfour” in seiner satirischen Kurzgeschichte Ministers of Grace.

In klarer Anlehnung an Philippe de Champaignes Porträt von Kardinal Richelieu schuf der amerikanische Porträtmaler John Singer Sargent 1908 ein Porträt Balfours.[44] Im Rahmen der Statesmen of World War I fertigte der schottische Maler James Guthrie eine Porträtstudie Balfours an. Beide Gemälde befinden sich in der Londoner National Portrait Gallery.

In der ab 1971 ausgestrahlten TV-Serie Das Haus am Eaton Place (Originaltitel: Upstairs, Downstairs) wird Balfour, der nie im Bild zu sehen ist, als wiederkehrende Figur erwähnt, der den Protagonisten Richard Bellamy politisch fördert. 1975 wurde Balfour von Lyndon Brook in der TV-Produktion Edward the Seventh dargestellt.

Forschungsgeschichte

1939 erschien eine zweibändige Biographie Balfours von seiner Nichte, Blanche Dugdale, eine nützliche Quelle für die Forschung, allerdings auch von der Familienloyalität geprägt. Sidney Zebel brachte 1973 mit Arthur James Balfour: a political biography eine Vorstellung Balfours heraus. Alan Sykes veröffentlichte 1979 das Buch Tariff Reform in British Politics, 1903–1913, welches das Thema der Zollreformen abhandelte, während Ruddock Mackay mit Balfour, Intellectual Statesman im Jahr 1985 eine Analyse von Balfours außenpolitischen Zügen vorlegte.[45]

Ewen Green veröffentlichte im Jahr 1995 mit The Crisis of Conservatism: The Politics, Economics and Ideology of the Conservative Party 1880–1914 seine Studie über die Konservative Partei in Balfour politischer Hochphase. Im Rahmen der Serie 20 British Prime Ministers of the 20th Century erschien 2006 zudem seine Kurzbiographie Balfour.

Generell ist Balfours Bedeutung umstritten; teils wird er als bloßer Epilog zur langen Regierungszeit seines Onkels angesehen, teils wird zunächst auf seine Bedeutung als langjährige rechte Hand seines Onkels verwiesen; dazu werden seine Gesetzgebungswerke als Premierminister hervorgehoben.

In einer Umfrage der BBC unter Historikern, Politikern und politischen Kommentatoren, bei der die Abstimmenden den besten Premierminister des 20. Jahrhunderts wählen sollten, belegte Balfour Rang 16.[46]

Veröffentlichungen

  • Defense of Philosophic Doubt: Being an Essay on the Foundations of Belief, Macmillan, London 1879.
  • Essays and Adresses. David Douglas, Edinburgh, 1893.
  • The Foundations of Belief., Longmans, London 1895.
  • Theism and Humanism. London 1915.

Literatur

Biographien

  • R. J. Q. Adams: Balfour: The Last Grandee. Thistle Publishing, 2013, ISBN 978-1-909609-96-9, (englischsprachige Biografie).
  • Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, ISBN 978-1-904950-55-4, (englischsprachige Kurzbiografie).
  • Sidney H. Zebel: Balfour: A Political Biography. Cambridge University Press, Cambridge 1973. ISBN 0-521-08536-5.

Sonstige Literatur

  • Andrew Adonis: Making Aristocracy Work: The Peerage and the Political System in Britain, 1884–1914. Oxford University Press 1993, ISBN 978-0-19-820389-6.
  • Robert Blake: The Conservative Party from Peel to Major. Faber and Faber, London 1997, ISBN 978-0-571-28760-4.
  • Nancy Ellenberger: Balfour's World: Aristocracy and Political Culture at the Fin de Siècle. Boydell Press, Woodbridge 2015. ISBN 978-1-78327-037-8.
  • Ewen Green: The Crisis of Conservatism: the politics, economics and ideology of the British Conservative Party, 1880–1914. Routledge, London 1995.
  • Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, ISBN 978-1-4482-0320-8 (Erstveröffentlichung 1954).
  • Kenneth Rose: Superior Person; a portrait of Curzon and his circle in late Victorian England. Weidenfeld & Nicolson, London 1969.

Enzyklopädieartikel

Weblinks

Commons: Arthur Balfour, 1st Earl of Balfour – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 10.
  2. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 11.
    Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 31.
  3. Nancy Ellenberger: Balfour's World: Aristocracy and Political Culture at the Fin de Siècle. Boydell Press, Woodbridge 2015, S. 5 f.
  4. Kenneth Rose: Superior Person; a portrait of Curzon and his circle in late Victorian England. Weidenfeld & Nicolson, London 1969, S. 179 f.
  5. Biographical Index: Former RSE Fellows 1783–2002. (PDF) Royal Society of Edinburgh, abgerufen am 7. Oktober 2019.
  6. Joseph Wright: The English Dialect Dictionary Vol I, A–C. Henry Frowde, London 1898, Vorwort.
  7. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 10 f.
  8. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 33.
  9. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 11 f.
  10. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 18.
  11. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 19.
  12. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 23 f.
  13. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 24 f.
  14. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 25.
  15. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 25.
  16. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 25.
  17. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 37.
    Robert Blake: The Conservative Party from Peel to Major. Faber and Faber, London 1997, S. 167.
  18. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 37 f.
  19. Literarischer Ausdruck für die in jener Zeit wachsenden Zweifel an der “Bestimmung” der Britischen Welt findet sich auch in den Werken von Rudyard Kipling, etwa Recessional (1897) oder The White Man’s Burden (1899).
  20. Robert Blake: The Conservative Party from Peel to Major. Faber and Faber, London 1997, S. 169.
  21. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 39.
  22. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 87.
  23. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 35.
  24. Beide unterhielten selbst Bildungsstätten.
  25. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 39 f.
  26. Robert Blake: The Conservative Party from Peel to Major. Faber and Faber, London 1997, S. 176 ff.
  27. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 9.
  28. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 29 ff.
  29. R. J. Q. Adams: Bonar Law. Stanford University Press, 1999, S. 54.
  30. Robert Blake: The Unknown Prime Minister: The Life and Times of Andrew Bonar Law, 1858–1923. Eyre and Spottiswoode, London 1955. S. 71 f.
  31. E. T. Raymond: A Life of Arthur James Balfour. Little, Brown and Company, London 1920. S. 197.
  32. Robert Blake: The Unknown Prime Minister: The Life and Times of Andrew Bonar Law, 1858–1923. Eyre and Spottiswoode, London 1955. S. 339 f.
  33. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 96.
  34. Marina Klimchuk: Evangelikale Christen werben für Israel: Armageddon für Trump, taz.de, 26. Oktober 2020.
  35. The Balfour Note Of August 1, 1922 (Memento vom 25. Oktober 2014 im Webarchiv archive.today)
  36. Denise Artaud: La question des dettes interalliées et la reconstruction de l’Europe (1917–1929). 2 Bde., Champion honore, Paris 1978, S. 408 ff. und 438 ff.
  37. London Gazette. Nr. 32691, HMSO, London, 5. Mai 1922, S. 3512 (PDF, englisch).
  38. D. R. Thorpe: The Uncrowned Prime Ministers. Darkhorse Publishing, London 1980, S. 142–151.
    Robert Blake: The Conservative Party from Peel to Major. Faber and Faber, London 1997, S. 211 ff.
  39. Robert Blake: The Conservative Party from Peel to Major. Faber and Faber, London 1997, S. 219 f.
  40. Roy Jenkins: Baldwin. Collins, London 1987, S. 58.
  41. Robert Douglas-Fairhurst: The Story of Alice: Lewis Carroll and the Secret History of Wonderland. Harvard University Press, 2015, S. 228.
  42. Nancy Ellenberger: Balfour's World: Aristocracy and Political Culture at the Fin de Siècle. Boydell Press, Woodbridge 2015, S. 303.
  43. Nancy Ellenberger: Balfour's World: Aristocracy and Political Culture at the Fin de Siècle. Boydell Press, Woodbridge 2015, S. 7.
  44. Nancy Ellenberger: Balfour's World: Aristocracy and Political Culture at the Fin de Siècle. Boydell Press, Woodbridge 2015, S. 7.
  45. Ewen Green: Balfour. In: 20 British Prime Ministers of the 20th Century. Haus Publishing, London 2006, S. 149.
  46. Churchill 'greatest PM of 20th Century'. In: BBC. 4. Januar 2000, abgerufen am 26. September 2019.
VorgängerAmtNachfolger
Winston ChurchillErster Lord der Admiralität
1915–1916
Edward Carson
Titel neu geschaffenEarl of Balfour
1922–1930
Gerald Balfour