Neville Chamberlain

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Neville Chamberlain (1923)

Arthur Neville Chamberlain [ˈɑːθə ˈnɛvɪl ˈtʃeɪmbəlɪn] (* 18. März 1869 in Birmingham; † 9. November 1940 in Heckfield, Hampshire, bei Reading, Berkshire) war ein britischer Politiker der Conservative Party, langjähriger britischer Gesundheitsminister und von 1937 bis 1940 Premierminister des Vereinigten Königreichs. Chamberlain war durch seine Appeasement-Politik gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland 1938 maßgeblich am Münchner Abkommen beteiligt.

Leben

Neville Chamberlain war Sohn des britischen Politikers Joseph Chamberlain und Halbbruder von Austen Chamberlain, dem britischen Außenminister und Friedensnobelpreisträger. Von 1890 bis 1897 war er auf den Bahamas erfolgloser Sisalplantagenmanager seines Vaters[1], ab 1897 erfolgreicher Fabrikant in Birmingham.

Erste politische Schritte

Erst 1911 begann er mit seiner politischen Aktivität als Mitglied des Stadtrats in Birmingham. Dieses Amt behielt er bis 1918. Von 1915 bis 1916 war er zudem Bürgermeister von Birmingham. Während des Ersten Weltkrieges war Chamberlain für kurze Zeit in der Regierung Lloyd George Minister für den nationalen Arbeitsdienst. In dieser Funktion scheiterte er aber am Widerstand der Gewerkschaften gegen eine allgemeine Dienstpflicht. Mit seiner Wahl ins britische Unterhaus als Mitglied der Konservativen Partei endete 1918 seine politische Tätigkeit auf lokaler Ebene.

Politisches Wirken in den 1920er Jahren

Von 1922 bis 1923 war er Postminister Großbritanniens (Postmaster General), 1923 Generalzahlmeister, von 1923 bis 1931 (mit Unterbrechungen) Gesundheitsminister. In dieser Funktion trieb er die Reform der Kommunal- und Grafschaftsverwaltung voran und setzte Sozialgesetze durch, wodurch die konservative Partei sich eine große Anhängerschaft unter den Arbeitern sicherte. Von 1923 bis 1924 war Chamberlain Schatzkanzler.

Politisches Wirken in den 1930er Jahren

Datei:Bundesarchiv Bild 183-H12478, Obersalzberg, Münchener Abkommen, Vorbereitung.jpg
Hitler heißt Chamberlain (rechts: Außenminister Joachim von Ribbentrop) im Vorfeld des Münchner Abkommens auf seinem Berghof auf dem Obersalzberg am 15. September 1938 willkommen.

Von 1931 bis 1937 setzte Chamberlain als Schatzkanzler eine Schutzzollpolitik durch und wurde zum wichtigsten Politiker in den Kabinetten dieser Zeit. Am 27. Mai 1937 wurde er zum Premierminister ernannt und versuchte mit seiner Appeasement-Politik (Beschwichtigungspolitik) einen erneuten Krieg in Europa zu verhindern. So war Chamberlain wesentlich am Münchner Abkommen (September 1938) beteiligt, das Deutschland das Recht gab, das Sudetenland zu annektieren. Erst nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Prag am 15. März 1939 (Zerschlagung der Tschechoslowakei) entschied Chamberlain im März 1939, Großbritannien aufzurüsten, und führte die allgemeine Wehrpflicht ein. Ebenfalls erst unter dem Eindruck der deutschen Kriegspolitik schloss Chamberlain Garantieverträge mit Polen, Griechenland, Rumänien und der Türkei gegen mögliche deutsche Angriffe. Mit diesen Maßnahmen konnte er aber den deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 und damit den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht verhindern.

Kriegspremier

Datei:Chamberlain-war-declaration.ogg

Am 3. September 1939, zwei Tage nach dem Überfall Deutschlands auf Polen, erklärte die Regierung Chamberlain Deutschland den Krieg. Die Kriegsregierung Chamberlain hatte jedoch nur sieben Monate Bestand, während derer Großbritannien im Sitzkrieg weitgehend passiv blieb.

Am 5. April 1940 erklärte Chamberlain in einer großen öffentlichen Rede ‘Hitler has missed the bus’.[2] Seine Appeasement-Haltung sowie die anfänglichen Misserfolge im Zweiten Weltkrieg, vor allem gegen die deutsche Besetzung Norwegens („Norwegendebatte“), veranlassten Chamberlain am 10. Mai 1940 (dem ersten Tag des Westfeldzuges: Einmarsch der Wehrmacht in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg) zum Rücktritt.

Sein Nachfolger wurde Winston Churchill. Chamberlain wurde Lord President of the Council und unterstützte in dieser Funktion den politischen Kurs Churchills bis zu seinem Tod wenige Monate später.

Kritik an Chamberlains Appeasement-Politik

Das Münchner Abkommen – Chamberlain, Daladier, Hitler, Mussolini, und der italienische Außenminister Graf Galeazzo Ciano (von links) während der Münchener Verhandlungen. Im Hintergrund Ribbentrop und von Weizsäcker

Die Art und Weise, wie Chamberlain die Appeasement-Politik umsetzte, wurde kritisch bewertet – in der Geschichtswissenschaft insbesondere durch den britischen Historiker Frank McDonough von der Liverpool John Moores University. Er gilt als wichtiger „post-revisionistischer“ Experte zu Neville Chamberlain und der Appeasement-Politik – zusammen mit dem bereits verstorbenen Geschichtswissenschaftler R.A.C. Parker.[3][4]

In McDonoughs Werk Neville Chamberlain, appeasement, and the British road to war von 1998 baut McDonough auf dem Buch von R.A.C. Parker Chamberlain and Appeasement von 1994 seine post-revisionistische Einschätzung auf. Frank McDonough erweitert Parkers Perspektive, indem er seine Aufmerksamkeit auch auf den Einfluss der Appeasement-Politik auf Gesellschaft, Wirtschaft, Massenmedien und die Widersacher dieser Appeasement-Politik richtet.[5][6]

McDonough teilt zwar die Sichtweise, dass es in den 1930er Jahren zur Appeasement-Politik wohl keine andere Handlungsmöglichkeit für die britische Regierung gab, doch anders als die Revisionisten ist er der Meinung, dass Chamberlain diese Politik unzureichend betrieb: Sie fand McDonough zufolge zu spät und nicht energisch genug statt, um Nazi-Deutschland und Hitler in den Griff zu bekommen.[5][6]

Laut McDonough hängt das Versagen der Appeasement-Politik insbesondere mit der Persönlichkeit Chamberlains zusammen: Gerade seine Fehleinschätzungen, sein Unwille, politische Gegner anzuhören, oder sein Widerwille, einen anderen Weg einzuschlagen, sind hier zu nennen. McDonough zufolge war Chamberlain als Staatsmann zu unflexibel. Er änderte sein Handeln erst, als äußere Ereignisse ihn hierzu zwangen. McDonough weist darauf hin, dass dies den Kriegsverlauf entscheidend beeinflusste, da laut McDonough Frankreich und Großbritannien im Jahre 1939 im Vergleich zu 1938 deutlich schwächer militärisch aufgestellt waren und Hitler beiden Ländern 1938 militärisch sogar noch unterlegen gewesen wäre. So wurde McDonough zufolge durch die Art von Chamberlains Appeasement-Politik eine wichtige Chance verpasst, Hitler rechtzeitig aufzuhalten.[5][6]

Privates

Chamberlain heiratete 1910 Anne Cole (1883–1967). Sie hatten einen Sohn und eine Tochter.

Krankheit und Tod

Chamberlain hatte sich lange guter Gesundheit erfreut (abgesehen von gelegentlichen Gicht-Attacken). Ab Juli 1940 hatte er fast ständig Schmerzen. Er suchte ärztlichen Rat und wurde Ende Juli 1940 operiert. Die Operateure erkannten, dass er Darmkrebs im Endstadium hatte. Sie verschwiegen ihm dies aber und sagten ihm, er brauche keine weitere Operation. Chamberlain nahm Mitte August seine Arbeit wieder auf und kehrte am 9. September in sein Büro zurück. Fortgesetzte Schmerzen und nächtliche Bombenalarme (er musste sich in einen Luftschutzraum begeben) zehrten an seinen Kräften. Darum verließ er – zum letzten Mal – London am 19. September und fuhr nach Highfield Park. Am 22. September bot er Churchill seinen Rücktritt als Führer der Konservativen an (der zunächst zögerte, dieses Angebot anzunehmen). Als beiden Männern klar wurde, dass Chamberlain seine Arbeit nicht mehr würde aufnehmen können, nahm Churchill den Rücktritt an. Churchill bot ihm den Order of the Garter an, in dem auch sein Bruder Mitglied gewesen war. Chamberlain lehnte dies ab mit dem Satz, er ziehe es vor, einfach als Mr. Chamberlain zu sterben.

König George VI. und seine Frau Elizabeth besuchten ihn am 14. Oktober an seinem Sterbebett. Er starb am 9. November 1940. Die Trauerfeierlichkeiten fanden in der Westminster Abbey statt; seine Urne wurde später dort neben der von Andrew Bonar Law beigesetzt. Bonar (1858–1923) war ein politischer Weggefährte von Chamberlains Vater und Premierminister von 1922 bis 1923.

Churchill sagte drei Tage nach seinem Tod in einer Trauerrede vor dem House of Commons:

“Whatever else history may or may not say about these terrible, tremendous years, we can be sure that Neville Chamberlain acted with perfect sincerity according to his lights and strove to the utmost of his capacity and authority, which were powerful, to save the world from the awful, devastating struggle in which we are now engaged. This alone will stand him in good stead as far as what is called the verdict of history is concerned.
(Was auch immer die Geschichte über diese schrecklichen, gewaltigen Jahre sagen mag oder nicht, wir können sicher sein, dass Neville Chamberlain mit absoluter Aufrichtigkeit nach seinen Vorstellungen handelte und sich mit aller Kraft und Macht darum bemühte, die Welt zu retten vor dem schrecklichen, verheerenden Kampf, in den wir jetzt verwickelt sind. Dies allein wird ihm, soweit es das sogenannte Urteil der Geschichte betrifft, zugute kommen.)”[7]

Literatur

  • Frank McDonough: Neville Chamberlain, appeasement, and the British road to war. Manchester University Press, 1998, ISBN 0-7190-4832-X.
  • Frank McDonough: Hitler, Chamberlain and appeasement (Cambridge Perspectives in History). Cambridge University Press, 2002, ISBN 0-521-00048-3.
  • Graham Macklin: Chamberlain (20 British Prime Ministers of the 20th Century). Haus Publishing, London 2006, ISBN 978-1-904950-62-2 (englischsprachige Kurzbiografie).

Fiktionale Literatur

  • Robert Harris: München. Heyne, München 2017, ISBN 978-3-453-27143-2.

Filmische Rezeption

Weblinks

Commons: Neville Chamberlain – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Dutton, David (2001). Neville Chamberlain. Hodder Arnold. ISBN 978-0-340-70627-5, S. 9 (englisch).
  2. Speech to the Central Council of the National Union of Conservative and Unionist Associations at Central Hall, Westminster (4 April 1940), quoted in Confident of Victory. In: The Times, 5. April 1940, S. 8.
  3. Sydney Aster in der wissenschaftlichen Zeitschrift Diplomacy and Statecraft, Vol. 19, September 2008, S. 481–526.
  4. Der Einfluss von R.A.C. Parker auf McDonoughs Arbeit zur Appeasement-Politik findet sich auch in: Frank McDonough: The Conservative Party and Anglo-German Relations. 1905–1914. Palgrave Maicmillan, 2007, Vorwort, viii.
  5. a b c Frank McDonough: Neville Chamberlain, appeasement, and the British road to war. Manchester University Press, 1998, ISBN 0-7190-4832-X.
  6. a b c Frank McDonough: Hitler, Chamberlain and appeasement (Cambridge Perspectives in History). Cambridge University Press, 2002, ISBN 0-521-00048-3.
  7. Robert Self: Neville Chamberlain: A Biography. Ashgate, 2006, ISBN 978-0-7546-5615-9, S. 447.