Clement Attlee

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Clement Attlee, um 1945

Clement Richard Attlee, 1. Earl Attlee (* 3. Januar 1883 in Putney bei London; † 8. Oktober 1967 in London) war ein britischer Politiker der Labour Party. Nachdem er verschiedene Ministerposten bekleidet hatte, war er von 1945 bis 1951 Premierminister des Vereinigten Königreichs. Unter Attlee wurden der National Health Service (NHS, Nationaler Gesundheitsdienst) und andere Wohlfahrtsstaatprojekte sowie der „Nachkriegskonsens“ begründet. In der Außenpolitik fiel in seine Amtszeit die Teilung Indiens und die Gründung der NATO. Seine Amtszeit wird von Politikforschern kontrovers bewertet.

Kindheit und Jugend

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Gruppenbild mit (von links) Clement Attlee, Harry S. Truman, Josef Stalin in Korbsesseln sitzend; stehend dahinter: William Daniel Leahy, Ernest Bevin, James F. Byrnes und Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow.

Clement Attlee wurde in Putney, London, als Sohn einer Familie der britischen Mittelklasse geboren. Seine Schulzeit verbrachte er am Haileybury and Imperial Service College und studierte ab 1901 am University College in Oxford. Er begann 1904 eine Juristenausbildung am Lincoln's Inn und wurde 1906 am Inner Temple als Barrister zugelassen.

Er wandte sich dem Sozialismus zu, nachdem er im Londoner East End mit Straßenkindern gearbeitet hatte. Ihm reichte es nicht, gute Werke für die Armen zu vollbringen. So verließ er die Fabian Society und trat 1908 der Unabhängigen Arbeiterpartei bei. Attlee wurde 1913 Dozent an der London School of Economics and Political Science. Kurz nach Kriegsbeginn meldete er sich im August 1914 als Freiwilliger zum Ersten Weltkrieg. Er war an der Mesopotamienfront und auf Gallipoli; später diente er in Frankreich in einem der wenigen – damals ganz neu aufgestellten – Panzerregimenter, wurde zweimal verwundet und hatte bei Kriegsende den Rang eines Majors.[1]

Politische Karriere bis 1945

1919 wurde er zum Bürgermeister des Londoner Stadtteils Stepney gewählt und Abgeordneter im britischen Unterhaus für die Labour-Partei im Bezirk Limehouse 1922. Er wurde zum persönlichen Referenten des ersten Labour-Premiers Ramsay MacDonald und übernahm in dessen kurzer erster Amtszeit von Januar bis November 1924 das Amt des Staatssekretärs für Auswärtige und Kriegsangelegenheiten. In der darauf folgenden Oppositionsphase unterstützte er den Generalstreik von 1926. Auch in MacDonalds zweiter Labour-Regierung (1929–1931) bekleidete Attlee hohe Ämter: Ab 1930 war er als Kanzler des Herzogtums Lancaster zunächst eine Art Minister ohne Geschäftsbereich, bevor er zum Postmaster General ernannt wurde, zum Minister für das Postwesen.

Den Posten als Kanzler des Herzogtums Lancaster erhielt Attlee 1930 als Nachfolger Oswald Mosleys, nachdem dieser seine eigene Regierung attackiert hatte, weil sie die Arbeitslosigkeit erfolglos bekämpfte. Nach der schweren Wahlniederlage von Labour im Oktober 1931 wurde Attlee stellvertretender Parteivorsitzender unter George Lansbury. 1935 wurde er selbst Chef der Labour Party und blieb es bis 1955. Er und die Partei opponierten gegen die Appeasement-Politik von Premier Chamberlain.

Nach deren Scheitern und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs musste Chamberlain zurücktreten. Es kam zur Bildung einer Koalitionsregierung unter Winston Churchill, die durch drei miteinander verbundene Gremien geführt wurde: Churchill war Chef des Kriegskabinetts (‚War Cabinet‘) und des Verteidigungskomitees und Attlee sein Stellvertreter in den Komitees und im Parlament. Zudem saß er dem Lordpräsident-Komitee vor, dem während des Krieges die Zivilverwaltung oblag. Nur er und Churchill blieben die ganze Zeit über im Kriegskabinett.

Offiziell bekleidete Attlee zunächst das Amt des Lord Privy Seal, ein Posten sinecura (1940–1942) bevor er von 1942 bis 1945 das erstmals geschaffene Amt des Vizepremiers übernahm. Darüber hinaus war er 1942–1943 Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Dominions und 1943–1945 Lord President of the Council.

Premierminister

Die Unterhauswahlen 1945 brachten die Labour-Partei 1945 zur allgemeinen Überraschung mit einer absoluten Mehrheit und einem komfortablen Vorsprung von 145 Sitzen wieder an die Macht; bei der Wahl handelt es sich um den größten Wechsel von Stimmanteilen zwischen den zwei stärksten Parteien in der britischen Geschichte. Das drückte sich nicht nur an dem Zugewinn von 239 neuen Sitzen bei minus 189 Sitzen für die Konservativen aus, sondern auch deutlich bei den in britischen Wahlen manchmal verzerrten absoluten Stimmen: Während die Konservativen 11,6 Prozentpunkte verloren, gewann Labour mit 9,7 % praktisch ähnlich viele für sich. Attlee wurde Premierminister, Ernest Bevin (1881–1951) wurde Außenminister. Attlee definierte klare Ziele; mehrere Reformen wurden durchgeführt.

Mitten in der Konferenz von Potsdam im Sommer 1945 löste er Winston Churchill als britischen Verhandlungsführer ab. Churchill war der Auffassung gewesen, dass Deutschland nicht zu viele Ostgebiete verlieren dürfe, insbesondere Schlesien: „Wenn drei oder vier Millionen Polen von östlich der Curzon-Linie umgesiedelt werden, so hätte man drei oder vier Millionen Deutsche im Westen umsiedeln können, damit sie den Polen Platz machen. Eine Umsiedlung von jetzt bereits acht Millionen Menschen ist eine Sache, die ich nicht unterstützen kann.“ Doch Attlees Unerfahrenheit hatte zur Folge, dass Stalin sich in allen Punkten durchsetzte, da Attlee ungewollt die Positionen des US-Präsidenten Harry S. Truman untergrub.[2]

Einige Industriezweige wurden verstaatlicht und der moderne Sozialstaat wurde gebildet. Indien wurde 1947 unabhängig (Näheres Geschichte Indiens) und das Völkerbundsmandat für Palästina endete.

Mit dem Children Act von 1948 richtete seine Regierung einen umfassenden Kinder- und Jugenddienst in Königreich ein, der sich fortan um die Betreuung benachteiligter und verwaister Kinder kümmerte.[3]

Attlees Gesundheitsminister Nye Bevan baute den bis heute bestehenden Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) auf.

Die Umwälzungen brachten der Regierung Attlee kurzzeitig hohe Sympathiewerte in der Bevölkerung. Die Unterhauswahlen am 23. Februar 1950 brachten Labour mit 317 von 625 eine hauchdünne Mehrheit von fünf Sitzen. Der Sitzzuwachs der Tories resultierte unter anderem aus deren Wahlbündnis mit der National Liberal Party.

Bei den Unterhauswahlen im Oktober 1951 sollte die geringe Mehrheit der Labourparty ausgebaut werden. Die finanziellen Aufwendungen im Koreakrieg über die Verhältnisse wurden jedoch von den Wählern negativ quotiert. Obwohl Labour Stimmen dazu gewann und einen Wähleranteil erreichte, der denjenigen der Konservativen um 4,5 % übertraf, gewannen letztere aufgrund des Mehrheitswahlrechts mehr Sitze und übernahmen die Regierung. Winston Churchill wurde erneut Premierminister. Clement Attlee führte die Labourpartei in der Opposition bis 1955.

Nach dem Rücktritt Attlees als Führer der Labourpartei 1955 wurde er am 16. Dezember 1955 als Earl Attlee und Viscount Prestwood zum erblichen Peer erhoben und wurde dadurch Mitglied des House of Lords.

Ehe und Nachkommen

Aus seiner 1922 geschlossenen Ehe mit Violet Helen Millar (1895–1964) hatte er vier Kinder:

  • Lady Janet Helen Attlee (1923–2019), ⚭ 1947 Harold William Shipton;
  • Lady Felicity Ann Attlee (1925–2007), ⚭ 1955 John Keith Harwood;
  • Martin Richard Attlee, 2. Earl Attlee (1927–1991), ⚭ (1) 1955–1988 Anne Barbara Henderson, ⚭ (2) 1988 Margaret Deane Gouriet;
  • Lady Alison Elizabeth Attlee (1930–2016), ⚭ 1952 Richard Lionel Lance Davis.

Nachleben

Attlee starb 1967. Seine Asche wurde in der Westminster Abbey in London beigesetzt. Seine Adelstitel gingen zunächst an seinen Sohn Martin Richard (1927–1991) über, dann 1991 an dessen Sohn John Richard, der aktueller Träger ist. Dieser konnte 1999 als Mitglied der Konservativen Partei seinen Sitz im Oberhaus bewahren.

Ehrung

Der Attlee-Gletscher in der Antarktis ist nach Clement Attlee benannt.

Literatur

  • R. C. Whiting: Attlee, Clement Richard, first Earl Attlee (1883–1967). In: Henry Colin Gray Matthew, Brian Harrison (Hrsg.): Oxford Dictionary of National Biography, from the earliest times to the year 2000 (ODNB). Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 0-19-861411-X (oxforddnb.com Lizenz erforderlich), Stand: Format invalid
  • John Bew: Clement Attlee. Oxford University Press, New York 2017, ISBN 978-0-19-020340-5.
  • Nicklaus Thomas-Symonds: Attlee. A Life in Politics. I.B. Tauris, London 2010, ISBN 978-1845117795. (hier nicht verwendet)

Weblinks

Commons: Clement Attlee – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wenn Attlee noch lebte. In: Der Spiegel. Nr. 9, 1950, S. 16–19 (online).
  2. Thomas Urban: Der Verlust: Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2005, S. 109
  3. History of Clement Attlee - GOV.UK. Abgerufen am 16. April 2020 (englisch).
VorgängerAmtNachfolger
Titel neu geschaffenEarl Attlee
1955–1967
Martin Attlee