Autograph

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Bachs Wohltemperiertes Clavier, Titelblatt
Erste Seite von Mozarts Ave verum
Anfang von Beethovens später E-Dur-Sonate (op. 109)

Das Autograph, auch Autograf, ist die eigenhändige Niederschrift einer bekannten Persönlichkeit, z. B. eines Komponisten, Schriftstellers oder Politikers. Als öffentliches und privates Sammelobjekt werden Autographen besonders geschätzt, wenn sie eine eigenhändige Unterschrift sowie inhaltlich bedeutende Ausführungen einer prominenten Persönlichkeit tragen. Autographen können von jeder beliebigen Gattung sein, amtliche Schriftstücke oder Visitenkarten mit Unterschriften oder handschriftliche Notizen.

Sprachliches

Das Wort Autograph geht etymologisch über spätlateinisch

autographum

und klassisch lateinisch

autographus

zurück auf altgriechisch αὐτόγραφος autógraphos „selbst geschrieben“.[1] Der Genitiv lautet des Autographs. In der Mehrzahl schwankt die Beugung: die Autographe oder die Autographen.

Im Gegensatz zum Autograph kann ein Manuskript von einem unbedeutenden Verfasser stammen. Wenn zwar der Verfasser des Textes eine bekannte Persönlichkeit ist, das Manuskript aber von einem Kopisten oder einer anderen Schreibkraft niedergeschrieben wurde, handelt es sich ebenfalls nicht um ein Autograph.

Die bloße eigenhändige Unterschrift nennt man Autogramm.

Erfassung, Erschließung und Datensicherung

Nicht nur bei mittelalterlichen Verfassern ist die Existenz der eigenhändigen Niederschrift von großer textkritischer Bedeutung für die Edition. Anhand der Autographen kann man Änderungen durch den Herausgeber erkennen und den ursprünglichen Inhalt eines Werks zweifelsfrei erschließen.

Seit dem 16. Jahrhundert hat man Autographe berühmter Persönlichkeiten gesammelt, wobei man sich teilweise nicht scheute, Unterschriften oder andere eigenhändige Schriftzüge aus ihrem ursprünglichen Verwendungszusammenhang zu entfernen, indem man sie etwa aus den Schriftstücken ausschnitt oder indem man Stammbuch-Blätter herauslöste. Ein Beispiel ist die Dresdner Reformatorenbibel.

Zu den großen Autographensammlern zählen unter anderem Johann Wolfgang von Goethe[2] und Stefan Zweig[3] sowie Karl August Varnhagen von Ense, Eduard Mörike, Johannes Brahms und Elise von Koenig-Warthausen (1835–1921). Auch Karl von Holtei[4] sammelte Autographen.[5] Ein spezielles Sammelgebiet sind die seit dem 16. Jahrhundert in Mode gekommenen Stammbücher (Album amicorum), aber auch Widmungsexemplare (Dedikationsexemplare), d. h. Bücher mit eigenhändigen Widmungen des Autors oder Photographien mit eigenhändiger Unterschrift und/oder Widmung.

Archive und Bibliotheken unterscheiden sich traditionell in der Behandlung von Autographen. Während eigenhändige Schriftstücke wie Briefe von Herrschern in Archiven im Aktenzusammenhang verbleiben und meist auch nicht gesondert erschlossen werden, werden in Bibliotheken die Autographe etwa in Nachlassbeständen einzeln erfasst. Seit 1966 werden Autographe an die „Zentrale Kartei der Autographen“ (ZKA) gemeldet. In neuerer Zeit besteht die Möglichkeit, Autographe und Nachlässe direkt mittels eines Clients in der zentralen Datenbank des Kalliope-Verbunds zu erfassen. Stammbücher bzw. Stammbucheinträge werden seit 1998 auch durch das Erlanger Nachweisprojekt Repertorium Alborum Amicorum (RAA)[6] erfasst.

Verschiedentlich werden seit einigen Jahren Autographensammlungen ganz oder teilweise digitalisiert und im Internet bereitgestellt.

In Brüssel und Paris bestand von 2004 bis 2015 das Musée des lettres et manuscrits.[7]

Zitat

Stefan Zweig, der auch Autographensammler war, beschrieb 1923, worin die Faszination der Autographen bestehen kann:

„Die Welt der Autographen ist keine unmittelbar sichtbare und sinnliche Welt: sie ist fühlbar einzig durch Phantasie, erkenntlich erst durch Bildung und gastlich nur jenen, die ihr Verständniswillen und die nicht allzu häufige Begabung zur Ehrfurcht entgegenbringen. […]

Etwas wunderbar Substanzloses, etwas unbegreiflich Nichthandgreifliches, etwas durchaus Seelisches macht also die Schönheit, die Eigenart der Autographen aus. Denn ihr Wesen ist nicht durch ihr Gegenständliches erschöpft, weder durch die Aussage in den geschriebenen Worten, also den Inhalt eines solchen Blattes, noch durch das graphische Bild, also ihre Außenform: ihr Wesen schwebt geheimnisvoll unter und über diesen Zeichen, die nur sinnliche Materialisation höherer geistiger Gegenwart sind. […]

Und Lebensspuren, deutlicher als alle anderen bedeuten darum diese Urschriften, diese Blätter von großer Hand, denn in jedes ist irgendeine Sekunde oder Stunde ihrer sinnlichen und geistigen Existenz eingezeichnet und gleichsam durchsichtig gefangen wie eine Fliege im Bernstein.“[8]

Siehe auch

Literatur

  • Étienne Charavey, Lettres autographes composant la collection de M. Alfred Bovet, 2 Bde., Librairie Frères Charavey, Paris 1887.
  • Günther Mecklenburg: Vom Autographensammeln. Versuch einer Darstellung seines Wesens und seiner Geschichte im deutschen Sprachgebiet. Marburg 1963. - Grundlegendes Werk über den Autographenhandel und seine Geschichte.
  • Jochen Meyer (Hrsg.), Dichterhandschriften. Von Martin Luther bis Sarah Kirsch, 2. durchgesehene Aufl., Verlag Philipp Reclam. jun., Stuttgart 2003 ISBN 3-15-010517-X
  • Gilles Cantagrel: Musikhandschriften  −  Musikhandschriften aus 10 Jahrhunderten  −  von Guido von Arezzo bis Karlheinz Stockhausen, aus dem Französischen von Egbert Baqué, Knesebeck, München 2005, ISBN 978-3-89660-268-8. – Farbbildband mit über 300 Bildern, davon 100 reproduzierte Autographen (Notenblätter und Partituren von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Richard Wagner, Giuseppe Verdi, Karlheinz Stockhausen u. a.).
  • Pedro Corrêa do Lago: Schriftstücke  −  Autographen aus sieben Jahrhunderten, Vorwort: Carlo Ginzburg, Gerstenberg, Hildesheim 2005, ISBN 978-3-8067-2939-9. – Farbbildband mit 350 reproduzierten Autographen, von dem Sammler Pedro Corrêa do Lago (* 1958, Leiter der brasilianischen Nationalbibliothek) ausführlich kommentiert und in ihren historisch-biographischen Zusammenhang gestellt. Alle Dokumente sind im Anhang transkribiert und übersetzt.
  • Martin Bircher (Hrsg.): Stefan Zweigs Welt der Autographen, Offizin/Strauhof Zürich, Zürich 1996, ISBN 3-907495-70-5
  • Ralf Stremmel (Hrsg.): Humboldt dankt, Adenauer dementiert. Briefe aus dem Historischen Archiv Krupp. Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2017, ISBN 978-3-8053-5071-6.
  • Christine Nelson, Zauber der Schrift. Sammlung Pedro Correa do Lago & The Morgan Library & Museum, Taschen Verlag, Köln 2019.

Weblinks

Wikisource: Musiker-Autographe – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Vergleiche Wilhelm Gemoll: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. München/Wien 1965.
  2. Goethes Autographensammlung. Katalog. Bearbeitet von Hans-Joachim Schreckenbach. Arion Verlag, Weimar 1961.
  3. Ich kenne den Zauber der Schrift. Katalog und Geschichte der Autographensammlung Stefan Zweig. Bearbeitet von Oliver Matuschek. Inlibris, Wien 2005, ISBN 3-9501809-1-5.
  4. Michael Sachs: ‘Fürstbischof und Vagabund’. Geschichte einer Freundschaft zwischen dem Fürstbischof von Breslau Heinrich Förster (1799–1881) und dem Schriftsteller und Schauspieler Karl von Holtei (1798–1880). Nach dem Originalmanuskript Holteis textkritisch herausgegeben. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 35, 2016 (2018), S. 223–291, hier: S. 283 f.
  5. Christian Andree: Karl von Holtei als Autographensammler. Mit einem Nachdruck des Katalogs der Holteiischen Autographensammlung. In: Christian Andree, Jürgen Hein (Hrsg.): Karl von Holtei (1798–1880). Ein schlesischer Dichter zwischen Biedermeier und Realismus. Würzburg 2005, S. 349–397.
  6. Website RAA.
  7. Museum of letters and manuscripts of Brussels. Anthology. Éditions Racine, Buxelles 2011, ISBN 978-2-87386-765-2.
  8. Stefan Zweig: Die Welt der Autographen (1923). In: Martin Bircher (Hrsg.): Stefan Zweigs Welt der Autographen. Zürich 1996, ISBN 3-907495-70-5, S. 22 f.