Barbara Andrássy

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Borbála Andrássy in jungen Jahren

Barbara Andrássy (ungarisch Andrássy Borbála; * 9. Januar 1890 in Budapest, Österreich-Ungarn; † 18. August 1968 in Montreal, Kanada) war eine ungarische Gräfin und Chronistin des Ungarischen Volksaufstandes im Jahre 1956.

Leben

Borbála Maria Theodora Andrássy war die zweite Tochter des Grafen Theodor (ung. Tivadar) Andrássy (* 1857, † 1905) und dessen Ehefrau, der Gräfin Eleonore Maria Rudolphine Zichy (* 1867, † 1945). Borbála war die Enkelin des bekannten ungarischen Politikers Gyula Andrássy, der den Posten des Außenministers in Österreich-Ungarn innehatte. Innerhalb der Familie hatte sie den Kosenamen "Boj". Ihre Kindheit verbrachte sie in den Schlössern der Andrássys in Terebes, Tiszadob sowie im Budapester Palais der Eltern auf dem Margit rakpart in Budapest. Mit Hilfe ausländischer Erzieher erhielt sie eine standesgemäße Erziehung, sie wurde in Fremdsprachen (Deutsch, Englisch und Französisch) unterrichtet und erhielt eine ausgezeichnete Allgemeinbildung (Musik, Literatur, Kunst). Ganz besonders interessierte sie sich für die Malerei; sie erlernte auch das Malen und betätigte sich als eine sehr talentierte Hobbymalerin. Viele Bilder von ihr sind auch heute noch erhalten geblieben.

Nach dem frühen Tode des Vaters heiratete die Mutter ihren Schwager Gyula Andrássy Junior, der für Borbála und ihre drei Schwestern[1] die Rolle des Pflegevaters und gesetzlichen Vormunds übernahm.

Borbála wurde am 30. Januar 1911 mit dem Markgrafen György Maria Pallavicini (* 5. Dezember 1881 in Budapest, † 4. Januar 1946 ebd.) verheiratet. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor:

  • György (* 11. Juli 1912 in Tiszadob, 21. Juli (?) 1949 in ?[2])
  • Theodora (Thyra) Viktoria (* 25. Juli 1914 in Balatonberény, † 22. November 2017 in Turin, Italien) ⚭ 1. Nikolaus Graf Festetics (* 1912, † 1971); 2. Sándor Dóra (* 1905, † 1986)
  • Eduard (Ede) (* 26. Dezember 1916 in Budapest, † 23. Dezember 2005 in Vancouver, Kanada) ⚭ Ilona Maria Gerliczy de Granny (* 1921, † 2007)
  • Anton (Antal) ab 1951 "Pálinkás" (* 30. Juli 1922 in Budapest, † 10. Dezember 1957 ebd.) ⚭ 1. Judit Székely (* 1924, † 1999), 2. Ilona Dudás

Bei den Pallavicinis handelte es sich – ähnlich wie bei den Andrássys – um eine konservative und standesbewusste Adelsfamilie für welche die Politik immer eine große Rolle spielte. Barbaras Ehemann war Mitglied des Ungarischen Parlaments, als überzeugter Legitimist gehörte er der Opposition an und plädierte für die Erhaltung des Königreiches bzw. der k.u.k. Monarchie. Der älteste Sohn György, in der Familie "Kisgyuri" (der "kleine Gyuri") genannt, studierte in Belgien und war mit Otto von Habsburg eng befreundet.[3]

Barbara Andrássy mit Ehemann György Pallavicini im Jahre 1910

Der jüngste Sohn Anton Pallavicini schlug eine militärische Laufbahn ein. 1940 inskribierte er in die Militärakademie Ludoviceum in Budapest, die er 1943 im Range eines Leutnants abschloss. Er nahm am Zweiten Weltkrieg teil und fiel in sowjetische Gefangenschaft. Als Antifaschist bewarb er sich 1948 um Aufnahme in die (kommunistische) Partei der Ungarischen Werktätigen, aus diesem Grunde legte er auch seinen geschichtsträchtigen Adelsnamen "Pallavicini" ab und nannte sich ab 1951 "Palinkás". 1954 wurde seine Aufnahme in die Partei jedoch negativ beschieden, mit dem Hinweis auf seine aristokratische Abstammung. Am 30. Oktober 1956 wurde Palinkás im Range eines Oberstleutnants zum Vorsitzenden des 'Revolutionären Militärrates' gewählt. In dieser Eigenschaft hatte er maßgebenden Anteil auf der Befreiung des damaligen Fürstprimas von Ungarn József Kardinal Mindszenty. Nach Niederschlagung des Aufstandes wurde Palinkás wegen Teilnahme an der "Konterrevolution" bereits am 25. Dezember 1956 festgenommen. 1957 wurde er vor ein Militärgericht gestellt und zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 10. Dezember 1957 vollstreckt. Seine sterblichen Überreste wurden auf der berüchtigten Parzelle 301[4] des Neuen Friedhofes von Rákoskeresztúr verscharrt. Nach der Wende wurde Palinkás rehabilitiert und er wird heute als Märtyrer und Nationalheld in Ungarn betrachtet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Errichtung der "Volksdemokratie", die nicht nur in Ungarn, sondern in allen Staaten des ehemaligen Ostblocks etabliert wurde, steigerte sich der Hass der neuen Machthaber gegen den ehemaligen Adel in Ungarn ins grenzenlose. Im Jahre 1951 wurde auch Borbála zur "Feindin" des (inzwischen kommunistischen) Staates erklärt. Matyás Rákosi und seine Genossen errichteten eine Terrorherrschaft in Ungarn. In dieser Zeit der kommunistischen Diktatur fanden auch zahlreiche Schauprozesse in Ungarn statt. Barbara Andrássy wurde um ihr ganzes Hab und Gut beraubt. Ihre Wertsachen sowie das kostbare Familienmobiliar wurde "verstaatlicht". Sie erhielt einen Aussiedlungsbefehl (datiert für den 22. Mai 1951), der nach Fokorupuszta[5] in der Nähe der Ortschaft Besenyszög[6] lautete. Aus Sicherheitsgründen vernichtete sie vor der Zwangsaussiedlung nicht nur ihr eigenes bis dahin geführtes Tagebuch, sondern auch einen Großteil der Familiendokumente, da sie befürchtete, dass diese Dokumente in die Hände der berüchtigten Geheimpolizei AVÓ geraten könnten. In der Verbannung lebte sie in einer nicht beheizbaren Hütte, die voll mit Mäusen und Ungeziefer gewesen ist. Aus dieser Zeit berichtet sie in ihrem minuziös geführten Tagebuch, das später in Buchform erschien und als "Das Aussiedlungs- und 1956 Tagebuch"[7] bekannt wurde. Auch heute ist dieses Tagebuch eine wichtige Informationsquelle für Historiker. Nach Stalins Tod im März 1953 zwang die neue sowjetische Führung Matyás Rákosi das Amt des Ministerpräsidenten an Imre Nagy abzugeben. Dadurch trat eine gewisse Liberalisierung in Ungarn ein. Die Zwangsevakuierungen wurden in Ungarn aufgehoben und so kam auch Barbara Andrássy im Oktober 1953 wieder frei. Sie fand vorerst Zuflucht bei ihrer Schwester Ilona, der es gelang sie in Dénesfa[8] notdürftig unterzubringen.

Anfang Oktober 1956 erhielt sie die Erlaubnis zu ihrer in Italien lebenden Tochter Thyra auszuwandern. Aber die Ereignisse des Ungarischen Volksaufstandes verzögerten ihre Ausreise. Barbara Andrássy verließ erst nach Niederschlagung des Aufstandes im November 1956 Ungarn und reiste zu ihrer Tochter Thyra nach Italien. Einige Zeit später zog sie nach Kanada zu ihrem inzwischen dort lebenden Sohn Eduard. In den letzten Jahren ihres Lebens lebte sie ausgesprochen zurückgezogen, sie beschäftigte sich viel mit Malerei, schrieb Erinnerungsnotizen oder ordnete Dokumente in dem 'verbliebenen' Familienarchiv. Die Todesnachrichten ihrer beiden Söhne György und Antal erfuhr sie auch erst in Kanada. Unter diesen Verlusten litt sie bis an ihr Lebensende schwer. Sie starb am 18. August 1968 in Montreal in Kanada, hier wurde sie auch bestattet.

Literatur

  • Emese Hulej: A Andrássy lányok története ("Die Geschichte der Andrássy Töchter") In: nők lapja. Jg. 70, Nr. 9, 27. Februar 2019, S. 62ff. ISSN 1419-5488. (ungarisch)
  • Pallavicini - Andrássy Borbála: A lelkünkhöz nem nyúlhatnak (Kitelepítési és 1956-os napló), Európa Könyvkiadó Budapest, 2018, ISBN 978 963 405 550 1 (Tagebuch; ungarisch)

Weblinks

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Barbara hatte drei Schwestern: Ilona (* 1886, † 1967), Katinka (* 1892, † 1985) und Klára (* 1898, † 1941)
  2. György starb in einem Gefangenenlager (Gulag Tejsed) in Sibirien im Juli 1949, der genaue Todesort konnte nicht festgestellt werden.
  3. György Pallavicini war ein überzeugter Gegner der Nationalsozialisten, weshalb er mit den Behörden in Konflikt geriet. 1944 wurde er verhaftet und kam in das Konzentrationslager Dachau. Im Jahre 1946 traf er sich in Belgien erneut mit Otto von Habsburg. Bereits dort wurde ihm empfohlen nicht nach Ungarn zurück zu kehren, da er in Ungarn unter Beobachtung steht. 'Kisgyuri' ignorierte diese Empfehlung und wurde gleich nach seiner Rückkehr in Ungarn festgenommen, verhört und eingekerkert. 1947 wurde er nach Sibirien verschickt. Erst Jahre später (1957) erfuhr die Familie, dass er in die Sowjetunion verschleppt wurde und in einem Gulag-Lager etwa um das Jahr 1949 in Sibirien starb.
  4. Auf dieser berüchtigten Parzelle wurden nahezu alle von den Kommunisten Hingerichteten des Ungarischen Aufstandes verscharrt. Heute wurde dieser Teil des Friedhofes zur nationalen Gedenkstätte erhoben.
  5. Fokorupuszta ist ein Aussiedlerhof (ung. Tanya) etwa 7 km von dem Dorf Besenyszög entfernt.
  6. Besenyszög ist ein Dorf im Komitat Jász-Nagykun-Szolnok mit 3279 Einwohnern (2017).
  7. DasTagebuch erschien erstmals nach der politischen Wende im Jahre 1990 auf Veranlassung ihres Sohnes Eduard Pallavicini. Eine Zweitausgabe erschien 2016 unter dem Namen der Autorin Pallavicini-Andrássy Borbála und dem Titel: A lelkünkhöz nem nyúlhatnak (dt. "Unsere Seelen können sie nicht berühren/ergreifen"). Das Tagebuch besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil enthält das sog. "Deportations-/Aussiedlungstagebuch" und der zweite Teil behandelt die Zeit des Ungarischen Volksaufstandes im Jahre 1956, den Barbara Andrássy kurz vor Ihrer Auswanderung (November 1956) zu ihrer in Italien lebenden Tochter Thyra, als Beobachterin miterlebte. (Európa Kiadó, Budapest 2018, ISBN 978-963-405-550-1, ungarisch)
  8. Dénesfa ist eine kleine Ortschaft in der Nähe von Kapuvár im heutigen Komitat Győr-Sopron-Moson, mit 362 Einwohnern (2015)