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wiki.de (Thermosphäre)

Geschichtliches

In der Zeit bevor der Weltraumforschung kam die einzige indirekte Information über den Höhenbereich oberhalb 70 km von der Ionosphärenforschung und dem Erdmagnetfeld. Elektromagnetische Wellen unterhalb des VHF-Bereiches (VHF = very high frequencies; 30 - 300 MHz), die an den unterschiedlichen Ionosphärenschichten reflektiert und gedämpft werden, können an der Erdoberfläche beobachtet werden, abhängig von der Frequenz, der Tages- und Jahreszeit und der solaren Aktivität [1]. Die an der Erdoberfläche gemessenen Schwankungen des Erdmagnetfeldes werden elektrischen Strömen in Ionosphäre und Magnetosphäre zugeordnet (ionosphärische Dynamoschicht) [2].

Mit den Start des russischen Satelliten Sputnik war es zum ersten Male möglich, aus den Dopplereffekt-Messungen des Satellitensignals die Abbremsung der Umlaufzeit systematisch zu bestimmen und daraus die Luftdichte im Bereich der Hochatmosphäre sowie ihre zeitlichen und örtlichen Variationen abzuleiten. Hauptsächlich beteiligt an diesen ersten Messungen waren L.G. Jacchia und J.W. Slowey (USA), D.G. King-Hele (England) und W. Priester und H.K. Pätzold (Deutschland). Heute mißt eine ganze Armee von Satelliten direkt die unterschiedlichsten Komponenten des Atmosphärengases in diesem Höhenbereich [3].

Es ist üblich, die Atmosphäre in die drei Regionen: untere Atmosphäre (Troposphäre), mittlere Atmosphäre (Stratosphäre und Mesosphäre) und Hochatmosphäre (Thermosphäre) zu unterteilen. Die Grenzen dieser Regionen bestimmen die zwei Temperaturminima in etwa 12 km Höhe (Tropopause) und in etwa 85 km (Mesopause) (Abb. 1) .

Die Dichte des Atmosphärengases nimmt nahezu exponentiell mit der Höhe ab. Die Gesamtmasse der Atmosphäre beträgt M = ρA H  ≃ 10 kg/m2 innerhalb einer vertikalen Säule von einem Quadratmeter Querschnitt oberhalb der Erdoberfläche (mit ρA = 1.29 kg/m3 der Atmosphärendichte am Erdboden in z = 0 m Höhe und H ≃ 8 km der mittleren Skalenhöhe der Atmosphäre). 80% dieser Masse befindet sich bereits innerhalb der Troposphäre, während der Anteil der Thermosphäre nur etwa 0.002 % der Gesamtmasse ausmacht. Es wird deshalb kein meßbarer Einfluß der Thermosphäre auf die unteren Atmosphäreschichten erwartet.

Konstituenten des Neutralgases

Turbulenz ist dafür verantwortlich, daß das Neutralgas im Gebiet unterhalb der Turbopause in etwa 110 km eine Gasmischung mit konstantem Molekulargewicht von M ≈ 29 g/mol mit den beiden Hauptkonstituenten molekularer Sauerstoff (O2) und molekularer Stickstoff (N2) ist. Oberhalb der Turbopause beginnt sich Gas zu entmischen. Infolge dynamischer Prozesse versuchen die unterschiedlichen Konstituenten dauernd, in ihren Gleichgewichtszustand zu gelangen. Ihre barometrische Höhenformeln besitzen Skalenhöhen, die umgekehrt proportional zu ihren Molekulargewichten sind. Die leichteren Konstituenten wie atomarer Sauerstoff (O), Helium (He) und Wasserstoff (H) dominieren daher sukzessive im Höhenbereich oberhalb etwa 200 km. Die Luftzusammensetzung variiert hier mit der geographischen Lage, der Tages- und Jahreszeit, aber auch mit der Sonnenaktivität und den geomagnetischen Fluktuationen. Das Verhältnis N2/O ist ein Maß für die Elektronendichte der ionosphärischen F-Schicht. Dieses Verhältnis kann sich auf Grund dynamischer Prozesse sehr schnell ändern und kann ionosphärische Stürme verursachen [4].

Energie Budget

Die thermosphärische Temperatur kann aus Beobachtungen der Gasdichte, aber auch direkt mit Hilfe von Satellitenmessungen bestimmt werden. Das Temperaturprofil gehorcht ziemlich gut dem Gesetz (Bates Profil) [5]:

T = T - (T - To) exp{-s (z - zo)}
(1)

mit T der global gemittelten exosphärischen Temperatur oberhalb etwa 400 km Höhe, To = 355 K, und zo = 120 km Referenz-Temperatur und -Höhe und s einem empirischen Parameter, der mit T abnimmt. Aus Gl. 1 läßt sich diese Wärmezufuhr oberhalb zo = 120 km zu qo≃ 0.8 to 1.6 mW/m2 Höhe bestimmen. Diese Wärme wird an die unteren Atmosphärenschichten durch Wärmeleitung abgegeben.

Die Exosphärentemperatur T dient als Maß für die solare Ultraviolet- und Röntgenstrahlung (XUV). Nun ist die solare Radiostrahlung F bei 10.7 cm ein guter Indikator der solaren Aktivität. Daher läßt sich eine empirische Formel ableiten, die F mit T verknüpft [6] und für geomagnetisch ruhige Bedingungen gilt:

T ≃ 500 + 3.4 Fo
(2)

(mit T in K, Fo in 10- 2 W m-2 Hz-1 (dem Covington Index) ein Wert für F, über mehrere Monate gemittelt. Typischerweise variert der Covington Index zwischen etwa 70 and 250 im Verlaufe des solaren 11-Jahreszyklus und wird niemals kleiner als 50. Das bedeutet, daß T zwischen etwa 740 and 1350 K selbst bei geomagnetisch ruhigen Bedingungen schwankt. Die residuale Temperatur von 500 K in Gl. 2 stammt etwa zur Hälfte von Energiezufuhr aus der Magnetosphäre. Atmosphärischen Wellen aus der Troposphäre, die in der unteren Thermosphäre dissipiert werden, tragen zur anderen Hälfte von etwa 250 K bei.

Energiequellen

Solare XUV Strahlung

Die solare Röntgen- und extrem ulraviolette Strahlung (XUV) mit Wellenlängen kleiner als 170 nm wird in der Thermosphäre nahezu vollständig absorbiert und verursacht sowohl die hohen Temperaturen als auch die Entstehung der unterschiedlichen Ionosphärenschichten (Abb. 1). Die sichtbare Sonnenstrahlung im Bereich von 380 bis 780 nm bleibt nahezu konstant mit einer Variationsbreite von weniger als 0.1 % Solarkonstante [7]. Die solare XUV-Strahlung ist dagegen zeitlich extrem variabel. So können z. B. Ausbrüche von solaren Röntgenstrahlen, die mit Sonneneruptionen verbunden sind, drastisch in einem Zeitraum von wenigen Minuten ansteigen. Fluktationen mit Perioden von 27 Tagen bzw. 11Jahren gehören zu den prominenten Variationen der solaren XUV Strahlung. Irreguläre Fluktationen über alle Zeitspannen sind jedoch die Regel [8]. Bei magnetosphärisch ruhigen Bedingungen liefert die XUV-Strahlung etwa die Hälfte der Energiezufuhr in die Thermosphäre. Diese Wärmezufuhr geschieht während des Tages und besitzt ein Maximum in Äquatornähe.

Solarer Wind

Eine zweite Energiequelle ist die Energiezufuhr aus der Magnetosphäre, die ihrerseits ihre Energie der Wechselwirkung mit dem solaren Wind verdankt. Der Mechanismus dieses Energietransports ist noch nicht in allen Einzelheiten bekannt. Eine Möglichkeit wäre ein hydromagnetischer Prozess. Solare Wind-Partikel dringen in die polaren Gebiete der Magnetsphäre ein, dort wo die geomagnetischen Kraftlinien im Wesentlichen vertikal gerichtet sind. Dabei wird ein elektrisches Feld erzeugt, das vom Morgen zum Abend gerichtet ist. Entlang der letzten geschlossenen Feldlinien des Erdmagnetfeldes mit ihren Fußpunkten in den Polarlichtzonen können elektrische Entladungsströme in die ionosphärische Dynamoschicht fließen, dort als elektrische Pedersen and Hall Ströme in zwei engen Strombändern (DP1) zur Abendseite und von dort wieder zurück zur Magnetosphäre gelangen (magnetosphärisches elektrisches Konvektionsfeld). Durch Ohmsche Verluste der Pedersenströme wird die Thermosphäre vor allen Dingen in den Polarlichtzonen aufgeheizt. Zusätzlich dringen bei gestörten magnetosphärischen Bedingungen hochenergetische elektrisch geladene Partikel aus der Magnetosphäre in die Polarlichtzonen ein, die die elektrische Leitfähigkeit drastisch ansteigen lassen und damit die elektrischen Ströme verstärken. Am Erdboden beobachtet man dieses Phänomen als Polarlichter.

Bei geringer magnetosphärischer Aktivität beträgt diese Energiezufuhr etwa ein Viertel des Gesamtenergiebudgets in Gl. 2, also etwa 250 K [9]. Während starker magnetosphärischen Aktivität wächst dieser Anteil beträchlich und kann bei extremen Verhältnissen den Einfluß der XUV-Strahlung weit überschreiten

Atmosphärische Wellen

Es existieren zwei Arten von großskaligen atmosphärischen Wellen in der unteren Atmosphäre: interne Wellen mit endlich großen vertikalen Wellenlängen, die Wellenenegie nach oben transportieren können und deren Amplituden exponentiell mit der Höhe wachsen, und externe Wellen mit unendlich großen vertikalen Wellenlängen, deren Wellenergie außerhalb ihres Quellengebietes exponentiell abnimmt, und die keine Wellenenergie transportieren können. [10]. Atmosphärische Schwerewellen und die meisten der atmosphärischen Gezeiten, die in der unteren Atmosphäre angeregt werden, gehören zu den internen Wellen. Da ihre Amplituden exponentiell wachsen, werden diese Wellen spätestens im Höhenbereich um 100 km durch Turbulenz zerstört. Ihre Wellenenergie wird in Wärme umgewandelt. Es ist dies der noch fehlende Anteil von etwa 250 K in Gl. 2. Die von ihrer Meridionalstruktur her am besten an die Wärmequelle in der Troposphäre angepaßte ganztägige Gezeitenwelle (1,-2) ist eine externe Welle und spielt in der unteren Atmosphäre nur eine marginale Rolle. In der Thermosphäre entwickelt sich diese Welle jedoch zur dominanten Gezeitenwelle. Sie treibt den elektrische Sq-Strom im Höhenbereich zwischen etwa 100 and 200  km (ionosphärische Dynamoschicht).

Thermosphärische Erwärmung ,im Wesentlichen durch Gezeitenwellen, erfolgt vorzugsweise auf der Tageshemisphäre in niedrigen und mittleren Breiten. Ihre Variabilität hängt von den meteologischen Bedingungen ab und überschreitet selten 50 %.

.

Dynamik

Oberhalb etwa 150 km Höhe degenerieren alle atmosphärischen Wellen zu externen Wellen, und es keine vertikale Wellenstruktur mehr sichtbar. Ihre Meridionalstruktur ist die der Kugelfunktionen Pnm mit n einer meridionalen Wellenzahl und m der zonalen Wellenzahl (m = 0: zonal gemittelte Wellen; m = 1: ganztägige Wellen; m = 2: halbtägige Wellen etc.). Die Thermosphäre verhält sich in erster Näherung wie ein gedämpftes Oszillatorsystem mit Tiefpaßfilterwirkung. Das heißt, daß kleinskalige Wellen (mit großen Wellenzahlen n und m) gegenüber den großskaligen Wellen unterdrückt werden. Im Falle geringer magnetosphärischer Aktivität kann man die beobachtete zeitliche und örtliche Exosphärentemperatur durch eine Summe von Kugelfunktionen beschreiben: [11]

T(φ,λ,t) = T{1 + ΔT20 P20(φ) + ΔT10 P10(φ) cos[ωa(t - ta)] + ΔT11 P11(φ) cos(τ - τd) + . . .}
(3)
Datei:Thermwavemode1.jpg
Abbildung 3. Schematischer Meridional-Höhen- Querschnitt der Zirkulationssysteme von (a) symmetrischer Windkomponente des zonalen Mittels (P20), von (b) antisymmetrischer Windkomponente (P10), und (d) symmetrischer ganztägigen Windkomponente (P11) um 3 h und 15 h Lokalzeit. (c) zeigt die horizontalen Windvektoren der ganztägigen Welle auf der Nordhemisphäre

Es ist φ die geographische Breite, λ die geographische Länge, t die Zeit, ωa die Kreisfrequenz der Jahrsperiode, τ = ωdt + λ die Lokalzeit und ωd die Kreisfrequenz eines solaren Tages. ta = 21. Juni ist die Zeit des Sommeranfangs auf der Nordhemisphäre und τd = 15:00 die Lokalzeit des maximalen Windes.

Der erste Term rechts in Gl. 3 ist die globale mittlere Temperatur der Exosphäre (von der Größenordnung von 1000 K). Der zweite Term [(mit P20 = 0.5(3 sin2(φ)- 1)] wird durch die unterschiedliche solare Erwärmung in niedrigen und hohen Breiten erzeugt. Ein thermisches Windsystem entsteht mit Winden hin zu den Polen im oberen Zirkulationsast und entgegengesezten Winden im unteren Ast (Abb. 2a). Es sorgt für einen Wärmeausgleich zwischen niedrigen und hohen Breiten. Der Koeffizient ΔT20 ≈ 0.004 ist klein, da die Joulesche Erwärmung in den Polarlichtzonen den solaren XUV bedingten Wärmeüberschuß in niedrigen Breiten teilweise kompensiert. Der dritte Term (mit P10 = sin φ) ist für den Transport des Wärmeüberschußes auf der Sommerhemisphäre in die Winterhemisphäre verantwortlich. Seine relative Amplitude ist etwa ΔT10 ≃ 0.13. Der vierte Term schließlich (mit P11(φ) = cos φ der dominierenden Gezeitenwelle (1, -2)) beschreibt den Transport des Wärmeüberschusses von der Tagseite auf die Nachtseite (Abb. 2d). Seine relative Amplitude ist etwa ΔT11≃ 0.15. Weitere Terme (z. B. halbjährige, halbtägige Wellen etc.) müssen zur Gl. 3 hinzuaddiert werden. Sie sind jedoch von geringerer Bedeutung. Entsprechende Summen lassen für Luftdruck, Luftdichte, Gaskonstituenten, etc. herleiten [6] [12].

Thermosphärenstüme

Weit stärker als die solare XUV Stahlung variieren die magnetosphärischen Störungen, die am Erdboden als geomagnetische Störungen beobachtet werden können. Sie sind schwer vorhersagbar und besitzen Fluktuationen mit Dauern von Minuten bis zu mehreren Tagen. Die Reaktion der Thermosphäre auf einen starken Magnetosphärensturm nennt man einen Thermosphärensturm. Da die Energiezufuhr in höheren Breiten erfolgt (im Wesentlichen in die Polarlichtzonen), ändert der zweite Term P20 in Gl. 3 sein Vorzeichen. Wärme wird jetzt von den Polargebieten in die niedrigen Breiten tranportiert. Zusätzlich zu diesem Term sind weitere Terme höherer Ordnung beteiligt, die jedoch schnell abklingen. Die Summe dieser Terme bestimmt die "Laufzeit" der Störungen von hohen zu niedrigen Breiten, also die Reaktionszeit der Thermosphäre. Gleichzeitig kann sich ein Ionosphärensturm entwickeln. Wichtig für die Entstehung einer ionosphärischen Störung ist die Änderung des Verhältnisses N2/O. Eine Vergrößerung von N2 erhöht die Verlustprozesse des ionosphärischen Plasmas und ist daher für eine Abnahme der Elektronendichte in der F-Schicht verantwortlich (negativer Ionosphärensturm)[3].

Literatur

  1. Rawer, K., "Wave Propagation in the Ionosphere", Kluwer, Dordrecht, 1993
  2. Chapman, S. and J. Bartels, "Geomagnetism", Clarendon Press, New York,1951
  3. a b Prölss, G.W., Density perturbations in the upper atmosphere caused by dissipation of solar wind energy, Surv. Geophys., 32, 101, 2011
  4. Prölss, G.W. and M. K. Bird, "Physics of the Earth's Space Environment", Springer Verlag, Heidelberg, 2010
  5. Rawer, K., Modelling of neutral and ionized atmospheres, in Flügge, S. (ed): Encycl. Phys., 49/7, Springer Verlag, Heidelberg, 223
  6. a b Hedin,A.E., A revised thermospheric model based on mass spectrometer and incoherent scatter data: MSIS-83 J. Geophys. Res., 88, 10170, 1983
  7. Willson, R.C., Measurements of the solar total irradiance and its variability, Space Sci. Rev., 38, 203, 1984
  8. Schmidtke, G., Modelling of the solar radiation for aeronomical applications, in Flügge, S. (ed), Encycl. Phys. 49/7, Springer Verlag, Heidelberg, 1
  9. Knipp, D.J., W.K. Tobiska, and B.A. Emery, Direct and indirect thermospheric heating source for solar cycles, Solar Phys., 224, 2506, 2004
  10. Volland, H., "Atmospheric Tidal and Planetary Waves", Kluwer, Dordrecht, 1988
  11. Köhnlein, W., A model of thermospheric temperature and composition, Planet. Space Sci. 28, 225, 1980
  12. von Zahn, U., et al., ESRO-4 model of global thermospheric composition and temperatures during low solar activity, Geophy. Res. Lett., 4, 33, 1977

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