Benutzer:Almeida/Anmerkungen zu Wikipedia
Umgang mit kontroversen Themen
Jörg Blech und Rafaela von Bredow: „"Eine grausame Welt." Der Digitalvisionär Jaron Lanier über seine Zweifel an Wikipedia, den gefährlichen Glauben an die Weisheit der Massen und die mächtige Religion der Computerfreaks.“ Der Spiegel Nr. 46, 13. November 2006, S. 182 f., Interview
Artikel zu unkontroversen Themen entwickeln sich hier selbstorganisiert meistens hervorragend. Anders ist es bei kontroversen Themen. Als Beispiele nenne ich die Artikel zu den Begriffen Psychologie, Psychoanalyse und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Diese Themen, bei denen es grundlegend unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze und Wertvorstellungen gibt, die meistens auf verschiedenen Wissenschaftsparadigmen beruhen, ziehen Intoleranz und eifernde Rechthaberei magisch an. Die Folge sind mühsamste Diskussionsprozesse mit dem Ergebnis schlechter Qualität der betreffenden Artikel. Fachleute ziehen sich unter diesen Bedingungen nach meiner Erfahrung meistens zurück und überlassen das Feld denjenigen, die Zeit und Lust haben, mit missionarischem Eifer derartige Kleinkriege zu führen. An anderer Stelle habe ich bereits vorgeschlagen, in diesen Fällen Redaktionsteams aus fachkundigen und besonnenen Wikipedianern zu bilden, die mit gewissen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sind und den Gestaltungsprozess von Artikeln moderieren, deren Qualität erkennbar unter chronischen Dauerkonflikten leidet.
Meinen Vorschlag machte ich im am 3. Juni 2006 (ausführlicher begründet am 4. Juni 2006) und scheine damit einen Nerv getroffen zu haben - jedenfalls wird eben dies jetzt verwirklicht. In großem Stil, allerdings nicht von Wikipedia:
- Sonja Zekri, Wikipedia erfindet sich neu, Süddeutsche Zeitung vom 18. Oktober 2006
Das Online-Lexikon ist zum Monstrum geworden und versinkt in der Menge der Beiträge. Nun will ein Mitbegründer von Wikipedia den Wissensbasar neu eröffnen - mit registrierten Autoren und ohne Werbung. - Zitat aus der Netzeitung vom 18. Oktober 2006 "Wikipedia-Gründer startet Konkurrenz-Website"
Sanger sagt, sein Anspruch sei ein wissenschaftlicherer. Er werde Autoren und Redakteure beschäftigen, schreibt er in seinem Essay, wobei «Redakteure meistens Schulter an Schulter mit den normalen Autoren arbeiten» sollen und Artikel nicht von oben herab ändern können sollen.
Treffende Beispiele für das beschriebene Problem finden sich hier und hier (beim zweiten Beispiel auch der weitere Fortgang der Diskussion, nachdem sich ein Administrator eingeschaltet hatte.) - Ein aktuelles, drittes Beispiel - diesmal geht es um die Zensur missliebiger Web-Artikel.
Das Problem scheint epidemische Ausmaße anzunehmen:
- Blacklist
- Energieverschwendung in sinnlosen Diskussionen
- Administratives Tagebuch von Benutzer:Gardini/sysop
Der Vorschlag wird auch bei Wikipedia von anderen Benutzern aufgegriffen:
Einen wesentlichen Teilaspekt des Problems habe ich jetzt zum Gegenstand eines Forschungsprojekts gemacht. --Almeida 14:19, 8. Nov. 2006 (CET)
Nichtbeachtung der "vier Seiten einer Nachricht"
Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun hat, auf dem Organon-Modell von Karl Bühler aufbauend, das Konzept - besser: die Erkenntnis - von den vier in jeder zwischenmenschlichen Kommunikation immer gleichzeitig wirksamen Seiten einer Botschaft ("Kommunikationsquadrat") ausgearbeitet und populär gemacht: die inhaltliche Seite, der Beziehungsaspekt, der in der Aussage enthaltene Appell an den anderen sowie die Selbstoffenbarungskomponente - also das, was der Sender durch seine Aussage über sich selbst aussagt.
Ich werde bei Gelegenheit im einzelnen darzulegen versuchen, inwiefern die Wikiquette-Richtlinien dieses kommunikationspsychologische "Basic" nicht beachten bzw. ausklammern, mit der Folge, dass ungünstige Kommunikationsprozesse durch diese Grundsätze oft geradezu gefördert werden und man sich in derartigen Fällen sogar noch auf sie berufen kann, um eskalierende Diskussionen fortzuführen.
Tool zur inhaltlichen Strukturierung von Diskussionen
Wikipedia und Wikiversity brauchen in ihrer softwaretechnischen Infrastruktur ein Dialogue-Mapping-Tool wie z.B. dies oder wenigstens dies.
Die Argumentationsstruktur längerer Diskussionsprozesse, in denen eine Vielzahl von Argumenten und Gegenargumenten entwickelt werden, ist in Form eines Fließtextes mit fester zeitlicher Reihenfolge der Diskussionsbeiträge nach kurzer Zeit nicht mehr zu überblicken. Ein treffendes Beispiel ist die Diskussion über den Löschantrag der Kategorie "Pseudowissenschaft". Es entwickelt sich kein systematischer argumentbezogener Diskurs. Vielmehr wird dieser wesentlich durch die zufällige zeitliche Reihenfolge der einzelnen Beiträge strukturiert. Nach persönlicher Neigung führen die Teilnehmer in ihren jeweiligen Einzelbeiträgen die verschiedensten Argumente an. Welche davon im Verlauf der weiteren Diskussion aufgegriffen und gewürdigt werden und welche unbeachtet bleiben, hängt vorwiegend von den persönlichen Präferenzen der zufällig zeitlich nachfolgenden Diskussionsteilnehmer ab. Gerade besonders stichhaltige Argumente gehen bei dieser Anordnung oft unter - weil sie unbequem sind, werden sie nicht aufgegriffen.
Diese Diskussionsstruktur hat eine unbefriedigende Argumentationsqualität zur Folge (s. auch Argumentationstheorie). Eine inhaltliche, argumentbezogene Anordnung eines derartigen Diskurses anstatt einer zeitlichen wäre erheblich effizienter. Liquid Threads wären bereits ein erheblicher Fortschritt.