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Der Totenwald ist ein autobiographischer Bericht des deutschen Schriftstellers Ernst Wiechert über seine Verhaftung durch die Gestapo und anschliesende Inhaftierung im Konzentrationslager Buchenwald während des Jahres 1938.

Inhalt

Der „Bericht“ ist in der Driten Person aus der Perspektive von Wiecherts alter ego Johannes verfasst. Johannes sieht durch die Verhaftung und Verschleppung eines bekannten Pfarrers in ein Lager Recht und Gesetz gebrochen und schreibt der leitenden Parteibehörde seiner Region, dass er nicht mehr an den staatlichen Wohlfahrtseinrichtungen teilnehmen, sondern nur noch die Familie des Pfarrers unterstützen werde. Er wird daraufhin verhaftet, im Münchner Gefängnis der Geheimen Staatspolizei inhaftiert und verhört. Im folgenden berichtet er von seiner siebenwöchigen Haftzeit, dem Tagesablauf im Gefängnis, schildert seine Begegnungen mit Aufsehern und Mitgefangenen und seine Beobachtungen.

Schließlich wird Johannes mitgeteilt, dass er in ein Konzentrationslager überstellt werde. Er wird in das KZ Buchenwald verbracht. Zu den ersten Eindrücken bei seiner Ankunft gehört der Vollzug einer Prügelstrafe. Nachdem Johannes als politischer Häftling Nummer 7188 aufgenommen worden ist, dauert es eine Zeit, bis er begriffen hat, wie das Lager funktioniert. Er wird zunächst als Steineträger eingeteilt und erkennt schnell, dass sein Körper den Anstregungen nicht gewachsen sein wird. In seiner Position kann Johannes selbst nicht sehen, was sich im Steinbruch selbst abspielt. Er beobachtet aber die schlechte Behandlung der Gefangenen, insbesondere von Juden und nimmt wiederholt die Ermordung verschiedener Gefangener zur Kenntnis, die bei angeblichen „Fluchtversuchen“ erschossen werden.

Johannes erfährt die Solidarität von politischen Mitgefangenen. Vor allem Kommunisten unterstützen ihn, indem sie ihn leichtere Arbeitskommandos verschaffen und Ratschläge geben. Hervor stechen dabei Josef Biesel und der Vorarbeiter Hans Becker, den Johannes auf einem neuen Arbeitskommando, dem „Kipplorenkommando“ trifft. Die Aufseher erweisen sich hingegen als brutal und quälen die Gefangenen. Der gemeinsam mit Johannes eingelieferte Vater Hermann, ein älterer Fabrikbesitzer, bekommt eine Lungenentzündung und wird, als er wegen Fiebers einen Appell versäumt, ausgepeitscht und stirbt in der nächsten Nacht. Biesel verschafft schließlich Johannes, der zunehmend gesundheitlich unter den Entbehrungen und Mühsalen der Lagerhaft leidet, Beschäftigung bei dem vergleichsweise leichten Kommando der „Strumpfstopfer“. Johannes führt darauf sein Überleben zurück. Zwar rechnet er nicht damit, den Winter im Lager zu überstehen, aber er erhält regelmäßig Geld von seinen Angehörigen, für das er Schmalz und Schokolade kauft.

In dem Bericht werden weitere Eindrücke des Lagerlebens geschildert, darunter die besonders fürchterlichen Frühappelle, die Reaktion der Wachmannschaften auf Fluchtversuche und wie Johannes mit seinem Tagesablauf zurechtkommt. Obwohl ihm bei seinem Abtransport die Zusage gegeben wurde, nach drei Monaten tadelloer Führung mit seiner Entlassung rechnen zu können, wird Johannes dann doch für ihn überrraschend zur Gestapo nach Berlin einbestellt. Hier wird nach vier Tagen seine Entlassung verfügt, nicht ohne dass ihm vom Propagandaminister persönlich erklärt wird, er werde beim nächsten geringsten Anlass wieder ins Lager gebracht werden, diesmal allerdings mit dem Ziel seines Todes.

Entstehungsgeschichte

Ernst Wiechert wurde am 6. Mai 1938 von der Gestapo verhaftet. Dabei war er zunächst ein vom NS-Kulturfeuilleton geschätzter Schriftsteller gewesen. Er hatte während der Weimarer Republik den völkischen Kriegsroman Der Totenwolf (1924) veröffentlicht, der bei seiner Veröffentlichung ein Hakenkreuz auf dem Schutzumschlag trug und auch sein zweiter, deutlich weniger reaktionär gehaltener Kriegsroman Jedermann (1930) hatte seinem Ansehen bei den Nationalsozialisten nicht geschadet. Erst nach 1935, insbesondere nach einer von Wiechert am 16. Juli 1935 in München gehaltenen Rede, geriet er zunehmend ins Visier der Gestapo. Als verdächtig wurden dabei vor allem seine Lesereisen ins Ausland angesehen. So wurde Wiechert schließlich eine Einladung, am 17. Februar 1938 in Basel zu lesen, untersagt. Seine Nichtteilnahme an der Volksabstimmung zum „Anschluss Österreichs“ am 10. April 1938 und seine Äußerungen zur Lagerhaft Martin Niemöllers – der im Bericht erwähnte bekannte Pfarrer – wurden zum Vorwand seiner Verhaftung.[1] Der Literaturhistoriker Klaus Briegleb hält diese Gründe allerdings für bis heute hochgespielt. Tatsächlich habe die Gestapo Wiechert 1938 wegen seiner christlichen Haltung als Gefahr für die Kriegsvorbereitung in der Fahndungs-Bereichskategorie „Politische Kirche“ überwacht. Wiechert sei als Musterfall für die Haltung der älteren Generation deutscher Schriftsteller während des Nationalsozialismus angesehen worden.[2] In den Worten des Reichssicherheitshauptamtes: „Der seit 1933 ständig opponierende Ernst Wiechert wurde gewaltsam zur Besinnng gebracht.“[3]

Bereits kurz nach der Verhaftung setzten sich namhafte Künstler für Wiechert ein. Bei Joseph Goebbels intervenierten der Pianist Wilhelm Kempff und der Theaterintendant Heinz Hilpert. Bei Heinrich Himmler setzte sich der NS-Politiker Wilhelm Hug für Wiechert ein und erreichte am 17. Mai eine Überprüfung der Haftgründe.[3] Am 2. Juli 1938 wurde Wiechert als politischer Schutzhäftling aus dem Münchner Gestapo-Gefängnis in das KZ Buchenwald überstellt, wo er am 7. Juli 1938 ankam. Mit ihm kamen Alfred Beckert, den Wiechert als Vater Hermann portraitiert, und Edmund Rothemund, der am 31. Januar 1941 in das KZ Auschwitz überführt werden sollte, ins Lager.[4] Unterstützung und Solidarität erfuhr Wiechert von den Kommunisten Albert Gorges, Josef Biesel und Johann Becker (Hans).

Am 24. Juli 1938 übermittelte Himmler der Familie Wiecherts die Bedingungen einer möglichen Begnadigung. Während die Familie am 25. Juli antwortete, Wiechert habe seine Bereitschaft dazu bereits während der Verhöre in der Haft erklärt, bestätigte Wiechert selbst am 7. August, er habe eine entsprechende Erklärung längst abgeben wollen. Am 24. August 1938 wurde Wiechert von der Gestapo zum Abschlussverhör in das Columbia-Haus nach Berlin gebracht, wo er die verlangte Erklärung unterzeichnet. Am 30. August ließ man ihn frei. Am 13. oder 14. September erwirkte er noch eine „Unterredung“ mit Goebbels, obwohl dieser an Wiecherts Begnadigung exekutiv nicht beteiligt war. Goebbels reaktivierte allerdings Wiecherts Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer und sorgte für milde Vorzensurbestimmungen.[5]

Wiechert begann nach einer Kur in Bad Eilsen zunächst am 16. November 1938 mit der Arbeit an seinem Roman Das einfache Leben, der 1939 erschien und 1942 in zweiter Aufl. das 270. Tausend erreichte.[6] Im Oktober 1939 verfasste er seinen „Bericht“ Der Totenwald, dessen Manuskript er in seinem Garten vergrub. Tagebuchaufzeichnungen, die er während der Gestapohaft gemacht hatte, waren ihm beim Transport in das KZ abgenommen worden und standen ihm deshalb bei der Abfassung nicht zur Verfügung. Am 29. Januar 1945 unterschrieb Wiechert den Vertrag zur Veröffentlichung bei dem Zürcher Rascher-Verlag. Das Buch erschien noch im Dezember 1945 unter dem Erscheinungsdatum 1946. Die Tagebuchaufzeichnungen wurden Wiecherts deutschem Nachkriegs-Verleger Kurt Desch 1964 von einem Gestapo-Beamten, der die Blätter aus Wiecherts Akte entnommen hatte, überlassen. Der Verlag Kurt Desch veröffentlichte die Aufzeichnungen 1966 zusammen mit Briefen Wiecherts an seine Frau und Auszügen aus dem Totenwald.

Einzelnachweise

  1. Klaus Briegleb: Shoah 1938. In: Ernst Wiechert: Der Totenwald. Ein Bericht. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, S. 156–162.
  2. Klaus Briegleb: Shoah 1938. In: Ernst Wiechert: Der Totenwald. Ein Bericht. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, S. 162.
  3. a b Klaus Briegleb: Shoah 1938. In: Ernst Wiechert: Der Totenwald. Ein Bericht. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, S. 163.
  4. Klaus Briegleb: Shoah 1938. In: Ernst Wiechert: Der Totenwald. Ein Bericht. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, S. 142.
  5. Klaus Briegleb: Shoah 1938. In: Ernst Wiechert: Der Totenwald. Ein Bericht. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, S. 163–165.
  6. Klaus Briegleb: Shoah 1938. In: Ernst Wiechert: Der Totenwald. Ein Bericht. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, S. 165f..