Benutzer:Bernd Schwabe in Hannover/Gallenhof (Hannover)
Der St. Gallenhof (auch schlicht: Herrenhof[1] oder Gallenhof) in Hannover war eine mittelalterlich Lehns-Siedlung im Gebiet der heutigen Altstadt.[2] Die Siedlung mit ihrem Herrenhof gilt als eine der ältesten dokumentierten Ansiedlungen im alten Stadtgebiet'[3] und als „Keimzelle“ der Stadt Hannover.[1] Der Hof lag auf dem Gebiet des heutigen Ballhofplatzes[2] zwischen der Burgstraße, der ehemaligen Judenstraße und der Knochenhauerstraße[3] sowie dem (heutigen) Großmannweg.[4][5]
Geschichte
Das Dorf und der Herrenhof - die Ursprünge
Die ersten nachgewiesenen urgeschichtlichen Nutzungen des Übergangs der Leine am Hohen Ufer wurden durch Ausgrabungen in den 1950er Jahren belegt; erste Siedlungsspuren fanden sich aus der Zeit vom 1. bis 3. Jahrhundert beiderseits der Leine.[2] In der von Claudius Ptolemäus gezeichneten Landkarte von Germania Magna aus der Zeit um 150 ist ein Ort Tulifurdum an der Stelle des heutigen Hannovers verzeichnet (siehe: Frühgeschichte der Stadt).[6] Doch erst aus den Jahren zwischen 1007 und 1013 ist die älteste bekannte Nennung des Dorfes Tigislege überliefert beziehungsweise Tigislehe (für das spätere „Hannover“), durch eine Grenzbeschreibung der Bistümer Minden und Hildesheim. Dieses Dorf lag im Verlauf der südlichen Leinstraße zwischen der (späteren) Aegidienkirche bis etwa zur Karmarschstraße südlich des Leineschlosses. Unbekannt ist bisher, wie lange diese Ansiedlungen genutzt wurden.[2]
Tigislehe, das alte Dorf, bildete jedoch einen der Ausgangspunkte für die Bildung der Stadt Hannover. „Etwa gleichzeitig“ mit dem Dorf im südlichen Teil der heutigen Altstadt entstanden in der nördlichen Verlängerung der Leinstraße (die dort dann erst ab der Mitte des 14. Jahrhunderts „platea urbis“, „Burgstraße“ benannt wurde) „ein landesherrlicher Haupthof“. Seine neun dazu gehörigen Lehnshöfe reihten sich westlich der Burgstraße aneinander von der Pferdestraße entlang der - später errichteten Stadtmauer - bis zum heutigen Marstallplatz.[2]
Der Archäologe Helmut Plath beurteilte nach Bodenfunden, daß „der Herrenhof an der späteren Burgstraße“ um 1100 bereits bestand hatte, gemeinsam mit einer - noch unbesiedelten - Befestigung auf dem gegenüberliegenden Werder. „Mit großer Wahrscheinlichkeit trägt dieser Hof bereits den Namen Hanovere“, urteilte Plath: Der Hof im Marstemgau bildete „den Südwestpfeiler der Siedlungszelle Engelbostel, deren St. Martinskirchspiel er zugerechnet werden muß.“[1]
Die Berechtigung zur Vergabe der Lehen hier im Marstemgau, „zu dessen Gebiet Hannover gehörte“, waren im 10. und 11. Jahrhundert die Grafen des Hauses Billung: „Wahrscheinlich waren die[se] Vorfahren der Grafen von Roden, die bis zum Auftreten Heinrichs des Löwen Machthaber Hannovers gewesen waren, an den Lehnshöfen [den neun an der späteren Burgstraße] beteiligt.“[2]
Schutz und Altstadtbildung
Die Funktion der Siedlung der Lehnshöfe, insbesondere des Haupthofes an der Stelle des heutigen Ballhofplatzes, bestand zum einen „in der Sicherung des Leineübergangs“ und in der Kontrolle der Fernverkehrsstraße zwischen Hildesheim und Bremen. Zum Anderen boten die Lehnshöfe Schutz für „die sich seit etwa 1100 weiter östlich entwickelnde Marktsiedlung“ rund um die ab 1124 von Graf Hildebold I. begründete Georgskirche (Marktkirche).[2]
Bereits in der Mitte des 12. Jahrhunderts hatte sich im Schutz des St. Gallenhofes und seiner Lehnshöfe der noch heute erkennbare mandelförmige Grundriss der Altstadt ausgebildet als „Abwandlung des Leiter- beziehungsweise Parallelstraßensystems stauferzeitlicher Städte“: Dem Verlauf der alten Lein- und Burgstraße entlang der Leine folgten die annähernd parallel verlaufenden Hauptstraßenzüge Köbelingerstraße/Knochenhauerstraße, Marktstraße/Schmiedestraße und schließlich die Osterstraße, die in weitem Bogen um die geschützte Marktsiedlung herumführte.[2]
Aus der Besiegelung der „alten Rechte der Stadt“ 1241 durch Herzog Otto von Braunschweig wurden erstmals der Rat der Stadt, die „consules“, in der „civitas in honovere, also von der »Stadt in Hannover«“ überliefert. Demnach bezeichnete honovere
- ein Gebiet größer als die ebenfalls bereits bestehende Bürgerstadt der „consules“, und
- auch die Lehnshofsiedlung mit dem ehemaligen Herrenhof (an der Burgstraße), die „Keimzelle der Stadt und wohl auch die erste Trägerin ihres späteren Namens“.[1]
Die Namensgebung St. Gallenhof soll etwa zeitgleich mit der Burgstraße, insbesondere mit der Burgkapelle St. Galli entstanden sein,[3] die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bei der Burg Lauenrode errichtet wurde, auf der gegenüberliegenden Seite der Leine:[7] „Zur Bequemlichkeit des Capellans, welcher auf dem Schlosse [der gegenüberliegenden Burg] wohnte, führte eine Brücke hinter der Rossmühlenstraße [heute: Rossmühle] über die Leine“.[3]
St. Gallenkapelle und Ballhof
Als die Bürger der Stadt Hannover 1371 die verhasste Burg Lauenrode schliffen – nach Einholung der Erlaubnis bei den sächsischen Herzögen Albrecht und Wenzel – ließen sie nur die „Schlosskapelle“ St. Gallus stehen, bis ihnen der Bischof von Minden im Folgejahr 1372 auch diesen Abriss und Wiederaufbau an anderer Stelle erlaubte.[8]
Doch erst um 1446 wurde dieser Neubau errichtet, nun aber innerhalb der Stadtbefestigung Hannovers: Für die neue St. Gallenkapelle[9] auf dem Gelände des St. Gallenhofes wurde die Ausstattung der Burgkapelle über die Leine herübergeholt. Zugleich mit den Dotationen des Hauptaltars gingen der St. Gallenhof und alle dazu gehörigen Güter auf die neue Kapelle über.[10]
Stifter des Neubaus war, nach bischöflicher Bestätigung, der gebürtige Hannoveraner und Patrizier Ludolf Quirre,[10] der es später durch hannoversche Seilschaften bis zum Dompropst von Halberstadt brachte.[11] 1447 weihte Bischof Heinrich von Minden das neue Gotteshaus, im selben Jahr holte sich Gerd von Dassel die Erlaubnis des Herzogs zum Bau einer Küsterei, jedoch nach den Vorstellungen und Anweisungen von Quirre.[10]
Nachdem in der Folge der Reformation 1533[8] die Kapelle mit allen Gütern, also auch den Lehnshöfen an der Burgstraße, 1555 auf den Magistrat übergegangen war,[10] brachte 1630 ein Orkan den Turm der benachbarten Kreuzkirche zum Einsturz und gaben der bereits im Verfallen begriffenen St. Gallenkapelle den Rest: Ihre Steine wurden später für den Bau der Neustädter Hof- und Stadtkirche wiederverwendet.
Nur wenige Jahre später suchte Herzog Georg von Braunschweig und Lüneburg-Calenberg Schutz vor den ganz weltlichen Gewalten dieser Zeit: Mitten im Dreißigjährigen Krieg bestimmte er 1636 Hannover zu seiner Residenz, erlebte den Umbau des ehemaligen Minoritenklosters zu seinem Leineschloss aber nur bis zu seinem Tod 1641. Sein Sohn Georg Wilhelm ordnete - nach dem Westfälischen Friedens und dem Beginn des Absolutismus - den Bau seines herzoglichen „Ballhauses“ an. So entstand auf dem Gelände des ehemaligen „St.-Gallen-Hofes“ der Ballhof.
Nationalsozialismus und Erinnerungskultur
Nachdem das Gelände vor dem heutigen Ballhof im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zugebaut worden war, wurde es 1936/37, zur Zeit des Nationalsozialismus, als Platzanlage in mit ihren heutigen Umrissen freigelegt. Als die Nationalsozialisten den Ballhof 1939 zum Heim der Hitlerjugend umfunktionierten, hatten sie zuvor mit ihrer sogenannten „Reichskristallnacht“ 1938 längst ihre Brand- und Mordzeichen in ganz Deutschland gesetzt. Den Vorwand dazu lieferte ihnen das Attentat des Herschel Grynszpan: Seine Familie - wie viele abgeschoben ins Niemandsland zwischen Polen und dem Deutschen Reich, wohnte zuletzt an der Burgstraße Ecke Rossmühle, die heute vom Ballhof aus zu sehende nördliche Ecke des Historischen Museums. Hier liegen seit 2010 die Stolpersteine für die Geschwister Herschel und Esther Grynszpan.
Literatur
- Gerd Weiß, Marianne Zehnpfennig: Anfänge der Besiedlung und die Entwicklung des Altstadtgrundrisses in: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen, Stadt Hannover, Teil 1, [Bd.] 10.1, hrsg. von Hans-Herbert Möller, ISBN 3-528-06203-7, S. 49ff., hier: S. 49
- Rudolph Ludwig Hoppe: Geschichte der Stadt Hannover, mit 2 Ansichten und 1 Grundriß, Hannover: Helwing, 1845, S. 22, 74, 144; online über Google-Bücher
- Nachdruck unter dem Titel Geschichte der Stadt Hannover, in der Reihe Beiträge zur Geschichte, Landes- und Volkskunde von Niedersachsen und Bremen, Bd. 44, Hannover-Döhren: von Hirschheydt, 1975 ISBN 3-7777-0889-5 (in Frakturschrift)
Einzelnachweise und Anmerkungen
- ↑ a b c d Helmut Plath: Um 1000, in: Hannover Chronik, S. 11, sowie 1241, 26. Juni, S. 18 online über Google-Bücher
- ↑ a b c d e f g h Gerd Weiß, Marianne Zehnpfennig: Anfänge der Besiedlung und die Entwicklung des Altstadtgrundrisses (siehe Literatur)
- ↑ a b c d Rudolph Ludwig Hoppe: Geschichte der Stadt Hannover ... (siehe Literatur)
- ↑ Carl-Hans Hauptmeyer: 1649, in: Hannover Chronik, S. 51
- ↑ Anmerkung: Der Großmannweg erschließt sich hier erst über den Stadtplan von Hannover unter der Berücksichtigung, daß Carl-Hans-Hauptmeyer den Bau des Ballhofes „auf dem Gelände des alten St. Gallenhofes“ verortet.
- ↑ Michael Krische: Historiker / Hannover viel älter als gedacht, in: Hannoversche Presse online vom 30. September 2012, zuletzt abgerufen am 5. Juli 2012
- ↑ Wilhelm Görges, Ferdinand Spehr (Hrsg): Vaterländische Geschichten und Denkwürdigkeiten der Vorzeit der Lande Braunschweig und Hannover, F. Wagner, Braunschweig 1881, S. 3 u.ö.; Vorschau als Snippet über Google-Bücher
- ↑ a b Friedrich Wilhelm Andreae: Chronik der Residenzstadt Hannover von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Hildesheim, Finck, 1859, hier: S. 5f.; online über Google-Bücher;
- oder Nachdruck der Ausgabe (in Fraktur) in der Reihe Beiträge zur Geschichte, Landes- und Volkskunde von Niedersachsen und Bremen, Bd. 42, Hannover-Döhren: von Hirschheydt, 1977, ISBN 3-7777-0836-4
- ↑ Arnold Nöldeke: Burgkapelle St. Galli auf der Burg Lauenrode, in: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover Bd. 1, H. 2, Teil 1, Hannover, Selbstverlag der Provinzialverwaltung, Theodor Schulzes Buchhandlung, 1932 (Neudruck Verlag Wenner, Osnabrück 1979, ISBN 3-87898-151-1), S. 209
- ↑ a b c d Arnold Nöldeke: Burgkapelle St. Galli auf der Burg Lauenrode, in: Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover Bd. 1 ..., S. 209
- ↑ Brigide Schwarz: Eine „Seilschaft“ von Klerikern aus Hannover im Spätmittelalter, gedruckter Vortrag in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken, Bd. 81 (2001)