Benutzer:Carlbrandner/Weltwirtschaftskrise (1929-1933)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Alternative bzw. ergänzende Minderheitenpositionen zur Analyse der Weltwirtschaftskrise (ab 1929)


1919 kehrte die USA als Hauptgläubigerland (aus der Verschuldung des Ersten Weltkriegs)[1] zum Goldstandard zurück. Später folgten nach der Wirtschaftskonferenz in Genua (1922)[2] weitere Staaten zu einem Golddevisenstandard (40% Deckung, mindestens 30% Gold) nach. 1925 führte England den Goldstandard ein und verknappte Geld- wie Kreditangebot.[3] Für die bereits 1922 zu Unabhängigkeit verspflichtete[4] und wiederholt im Dawes-Plan (1924) vorgeschriebene Unabhängigkeit[5] der deutschen Zentralbank wurden Devisen im Wert von 800 Mill. Reichsmark von internationalen Kapitalgebern (hauptsächlich USA) eingebracht, deren Anleihen mit 7 % zu verzinsen waren.[6] Da Frankreich und die USA dem Weltmarkt zusätzlich Gold entzogen, wurde das Liquiditätsproblem verschärft und bereits in den Zwanzigern der Grundstein zur Deflation gelegt.[7] Nach dem Börsencrash 1929 zogen zusätzlich Auslandsgläubiger ihr Kapital (mangelnde Liquidität führte dann zur deutschen Bankenkrise) aus Deutschland ab, womit die Weimarer Republik noch weniger Möglichkeit zu Kreditgewährungen fand.[8] (Eine starke Absenkung des Leitzinses [gegenüber den Leitzinsen anderer Zentralbanken] war der Reichsbank ab 1924 nach alliertem Reglement verwehrt.[9][10] Der Young-Plan ab 1930 untersagte die Abwertung der Goldparität.)[11] Die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Haushalte nahm 1929-1932 rapide ab.[12]

Lange Zeit wurde gegen die Weltwirtschaftskrise auch deshalb nichts unternommen, da die führenden ökonomischen Paradigmen zu dieser Zeit von einer notwendigen „Reinigungskrise“ und „Selbstheilungskräften“ ausgingen.[13][14][15]

Paradigmen (1931) „Reinigungskrise“ und „Selbstheilungskräfte der Krise“

Reichsbankpräsident Hans LUTHER aus seinem Schlussplädoyer vom 17. September 1931 auf der Geheimkonferenz der Friedrich List-Gesellschäft Über Möglichkeiten und Folgen einer Kreditausweitung („LAUTENBACH-Plan“): „Es ist mit großer Bestimmtheit auf eine Frage von mir an Herrn RÖPKE die Antwort ergangen, daß die Herren an die Selbstheilungskräfte der Krise glauben, und namentlich Herr HILFERDING hat das in deutlicher Form zum Ausdruck gebracht. Ich will nicht sagen, daß ich nicht daran glaube. Aber mir scheint, daß diese tiefe, die Wissenschaft sagt strukturelle, die ganze Welt erfassende Krise unter so besonderen Voraussetzungen steht, daß ich glaube, man muß auch diese Frage nachprüfen. Ich erinnere mich, daß ich aus einer Zusammenstellung, die ich mir in der statistischen Abteilung der Reichsbank einmal habe machen lassen, entnommen habe, daß eigentlich jedes Mal ein besonderer, nicht aus dem Wesen der Krise sich ergebender Impuls, also mit einem häufig wissenschaftlich gebrauchten Wort etwas Exogenes zu den Dingen hinzu gekommen ist. Diese Selbstheilungskraft hat sich so im kleinen Auf und Nieder des Wirtschaftslebens bewährt. In den großen Krisen scheint das Exogene immer dazugekommen zu sein. Als Herr Professor EUCKEN davon sprach, daß eine größere Anzahl von einzelnen Betrieben dann eben Kredite bekommen haben, da entschlüpfte ihm nebenbei die Bemerkung, das hing dann immer mit Eisenbahnbauten zusammen. Da sitzt eben bei mir der Zweifel, ob nicht vielleicht die Eisenbahnbauten viel mehr als die Kreditgewährung an die einzelnen Unternehmer das Kausale für die Überwindung der Krise waren.“[16]

Keynes (1930) zu Ursachen

„Aber rückblickend bin ich geneigt zu glauben, daß die Saat des jüngsten Zusammenbruchs bereits um 1925 gesät wurde. Zu diesem Zeitpunkt war wahrscheinlich außerhalb der Vereinigten Staaten ein Rückgang des natürlichen Zinsfußes fällig. Aber etwa zu diesem Zeitpunkt – zum Teil etwas früher, zum Teil etwas später – traten zwei Gruppen von Ereignissen, die nicht ganz ohne Zusammenhang waren, ein, um den Markzins ohne volle Berücksichtigung der zugrunde liegenden Realität des natürlichen Zinses zu halten: Die allgemeine Rückkehr zum Goldstandard und die Regelung von Reparation und Kriegsschulden.

Denn von diesen Ereignissen, obwohl sie für die reale Rendite der Neuinvestitionen ohne jede Bedeutung waren, ging ein mächtiger Einfluß auf den Marktzins aus. Diejenigen Zentralbanken, welche die Verantwortung für die Erhaltung der Goldparität neu übernommen hatten, waren natürlich nervös und nicht geneigt, ein Risiko einzugehen – einige von ihnen, weil sie sich gerade aus Währungskatastrophen gerettet hatten, die von einem totalen Kreditverlust begleitet waren, andere (besonders Großbritannien), weil sie auf der Grundlage einer gefährlich hohen Parität zur Goldwährung zurückgekehrt waren, die wahrscheinlich mit dem bestehenden heimischen Gleichgewicht unvereinbar war. Diese Nervosität tendierte zwangsläufig in der Richtung einer Krediteinschränkung in Europa und dementsprechend in vielen anderen Gebieten, die den realen wirtschaftlichen Tatsachen nicht im geringsten entsprach. Großbritannien spielte bei der Knebelung des Kredits und der Empfehlung einer übereilten allseitigen Rückkehr zum Golde eine führende Rolle. Die Geringfügigkeit der freien Goldzufuhren (das heißt der Goldmengen, die zum sofortigen Verkauf bereitstanden) verschärfte die Lage weiter. In dieser Zeit waren nur die Vereinigten Staaten völlig frei von einer Krediteinschränkung.“[17]

Stützel (1952) zu Übersättigung und Absatzkrise

„Manche Übersättigungstheorien halten unproduktive Rüstungsausgaben für den einzigen Ausweg aus den Krisen des Kapitalismus und versuchen glaubhaft zu machen, daß etwa die deutsche Konjunkturpolitik ab 1932 ohne die 1935 oder 1936 beginnende Wiederaufrüstung mißlungen wäre. Dort wird offenbar übersehen, daß gegenüber Absatzkrisen wegen übermäßigem Abfluß von Einkommen in «tote» (nicht nachfragende) Sparfonds produktive Investitionen einen kurzfristig gleich wirksamen und im ganzen wirklich besseren Ausweg bieten als Rüstung, Krieg und Zerstörung.“[18]

Interpretation (2002) der Kreditströme

„[...] die Implikationen für eine stärker an den internationalen Kreditströmen ausgerichtete Interpretation der Weltwirtschaftskrise scheinen jedoch offenkundig.“[19]

Zu Depressionsbehebung

„Wäre man 1931 zur Behebung der weltweiten Depression diesen Weg gegangen, also den Weg einer wechselseitigen Kredithilfe der Notenbanken und Regierungen – der Leidensweg der „autonomen“ Konjunkturpolitik mit allen tragischen handelspolitischen, innen- und außenpolitischen Konsequenzen hätte sich dann wohl nach menschlichem Ermessen vermeiden lassen.“

Wolfgang Stützel: Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Ein Beitrag zur Geldtheorie. Nachdruck der 2. Auflage, Tübingen 2011. S. 167.

Einzelnachweise

  1. Paul J. J. Welfens: Grundlagen der Wirtschaftspolitik. Berlin-Heidelberg 2005 (2. Auflage). online) S. 627.
  2. Paul Krugman, Maurice Obstfeld: Internationale Wirtschaft. Theorie und Politik der Außenwirtschaft. (8. Auflage) München 2009. (online) S. 668.
  3. Paul Krugman, Maurice Obstfeld: Internationale Wirtschaft. Theorie und Politik der Außenwirtschaft. (8. Auflage) München 2009. (online) S. 668.
  4. Holger-René Bruckhoff: Zur Entwicklung der Zentralbanken und der Bankaufsicht in Deutschland und in den Niederlanden. Frankfurt 2010. (online) S. 20.
  5. Jens Moll: Krisen der Weltwirtschaft 1929 und 2008. Hamburg 2013. (online) S. 19.
  6. Ulrich Kluge: Die Weimarer Republik. Paderborn 2006. S. 100.
  7. Jens Moll: Krisen der Weltwirtschaft 1929 und 2008. Hamburg 2013. online) S. 22.
  8. Jens Moll: Krisen der Weltwirtschaft 1929 und 2008. Hamburg 2013. (online) S. 47:
    „Die Geldmenge hatte sich aufgrund des Goldabflusses schon um 17% verringert ...“
  9. Ulrich Kluge: Die Weimarer Republik. Paderborn 2006. S. 98.
  10. Knut Borchardt: Wachstum, Krisen, Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik. Göttingen 1982. (online) S. 170.
  11. Karl Erich Born: Geldgeschichte. In: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft. Band 3. 1981. (online) S. 373.
  12. Werner Ehrlicher: Die Finanzwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. In: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft. Band 3. 1981. (online) S. 170.
  13. Detlev Humann: Arbeitsschlacht. Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933 - 1939. Göttingen 2011. (online) S. 34.
  14. Eduard Werlé: Öffentliche Investitionen und Wirtschaftswachstum. Berlin 1960. (online) S. 8.
  15. Hans Gestrich: Geldpolitik und Weltwirtschaft. Berlin 1934. S. 13:
    „Wenn in den Jahren 1931/1932 durch die Gegner aktiver Konjunkturpolitik immer ins Feld geführt worden ist, durch ein Laufenlassen der Krise müßte die Wirtschaft von schwachen und leistungsunfähigen Unternehmungen „gereinigt“ werden, so hat die Erfahrung gezeigt, daß die Krisis selbst immer mehr Unternehmungen schwach gemacht hat. Die „Leistungsunfähigkeit“ bestand mehr und mehr lediglich in dem Vorhandensein von Schulden, die bei fallenden Umsätzen und Preisen gleich hoch blieben. Die Finanzierung mit Fremdkapital ist aber gerade in der modernen Wirtschaft noch kein Kriterium der Untüchtigkeit. Es hat einen guten Sinn, von einer Reinigungsfunktion der Wirtschaftskrisen zu sprechen, da tatsächlich die Schlechten und Untüchtigen zuerst fallen. Je länger aber eine Krisis dauert, je tiefer sie wird, desto mehr wird aus der Reinigung einfache sinnlose Zerstörung. Die Theorien vom „Vonselbstausbrennen“ der Wirtschaftskrisis und ihrer „Reinigungsfunktion“ haben auf die deutsche Wirtschaftspolitik der Jahre 1931/32 einen verhängnisvollen Einfluß gehabt.“
  16. Knut Borchardt, Hans Otto Schötz (Hrsg.): Wirtschaftspolitik in der Krise. Die (Geheim-)konferenz der Friedrich List-Gesellschäft im September 1931 über Über Möglichkeiten und Folgen einer Kreditausweitung. Baden-Baden 1991. S. 302 ff.
  17. John Maynard Keynes: Vom Gelde. (A Treatise on Money. London 1930.) 3. Auflage. Berlin 1983. S. 603.
  18. Wilhelm Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion. (Hrsg. Wolfgang Stützel) Tübingen 1952. Vorwort des Herausgebers, S. 2.
  19. Albrecht Ritschl: Deutschlands Krise und Konjunktur 1924-1934. Berlin 2002. S. 124. (online)