Wilhelm Lautenbach

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Wilhelm Lautenbach (* 26. August 1891 in Zwinge; † 24. Mai 1948 in Davos) war Referent für Finanzfragen im Reichswirtschaftsministerium in den 1930er Jahren, wo er sich vornehmlich mit Währungsfragen, der deutschen Bankenkrise, den Auswirkungen der Reparationszahlungen und der damals vorherrschenden Massenarbeitslosigkeit beschäftigte.[1]

Datei:Unternehmergewinn (Wilhelm Lautenbach - Wirtschaftstheorie 1945-47).png
Schaubild durch Wilhelm Lautenbach zu Unternehmergewinn & Nachfragebedarf

Lautenbach zählte damals zu den führenden deutschen Konjunkturtheoretikern und gilt bis heute als der bedeutendste unter den Vorläufern des Keynesianismus.[2]

Nach ihm ist der Lautenbach-Plan benannt,[3][4] den Lautenbach am 16./17. September 1931 auf der Geheimkonferenz der Friedrich List-Gesellschaft den Teilnehmern näher erläuterte[5] und dem eine Doppelstrategie zugrunde liegt:[6] Lohnsenkungen, um die Beschäftigung (bei gleichbleibenden gesamtwirtschaftlichen Lohnkosten) auszuweiten und konjunkturpolitische Maßnahmen,[7] die die Unternehmen zu Investitionen motivieren könnten (spätestens ab Ausbruch der Deutschen Bankenkrise wurden Nettoinvestitionen sowie Ersatzinvestitionen von den Unternehmen großteils unterlassen).[8] Lautenbach war also völlig klar: „Nur wenn neuer Kredit zusätzlich geschaffen wird oder brachliegende Gelder in Bewegung gesetzt werden, könnte eine solche Aktion der Wirtschaft insgesamt einen belebenden Auftrieb geben.“[9]

Da jedoch die deutsche Geldpolitik, aufgrund des international gebundenen Zentralbankgesetzes[10] und aufgrund der Reparationsverpflichtungen nach dem Ersten Weltkrieg, Restriktionen unterworfen war, wurde nicht davon ausgegangen, dass dem Lautenbach-Plan international zugestimmt würde und wurde daher zunächst nicht umgesetzt.[11][12] Allerdings konnte Fritz Reinhardt bei der Umsetzung des sogenannten Reinhardt-Programms erfolgreich auf Lautenbachs finanztheoretische Erkenntnisse zurückgreifen.

Über eine Unterredung von Lautenbach mit Adolf Hitler im Frühsommer 1933 zur staatlichen Kreditexpansion berichtet Wilhelm Röpke: „Man hat erfahren, dass diese Unterredung zu den seltenen gehört hat, in denen nicht Hitler, sondern der andere das Wort führte. Als Hitler einwandte, daß eine solche Kreditexpansion doch Inflation sei, erwiderte ihm Lautenbach: ‚Herr Hitler, Sie sind jetzt der mächtigste Mann in Deutschland. Nur eines können Sie nicht: Sie können unter den gegenwärtigen Umständen keine Inflation machen, soviel Sie sich auch antrengen mögen.‘“[13]

1944 reflektierte Lautenbach: „So einfach sich theoretisch, und im geschlossenen System auch praktisch, die Aufgabe stellt, Vollbeschäftigung zu erreichen, so problematisch wird sie, wenn es sich nicht um eine geschlossene Volkswirtschaft handelt, sondern um eine solche, die unvermeidlich mit anderen Volkswirtschaften Verkehr und Güteraustausch pflegen muß. Je kleiner ein Land ist, je weniger ihm eigene Rohstoffe zur Verfügung stehen und je weniger mannigfaltig seine Verarbeitung ist, umso größer ist seine Abhängigkeit von anderen Ländern und deren Gedeihen, um so weniger kann es durch die eigene Investitionspolitik Beschäftigungsgang und Gedeihen im eigenen Lande sichern.“[14]

Als 1944 in Bretton-Woods IWF und Weltbank gegründet wurden, kritisierte Lautenbach die Hintergründe des Internationalen Währungsfonds vehement: „Daß man vom Keynes-Plan den Rückschritt zum Währungsfonds gemacht hat, scheint zu zeigen, daß die Vereinigten Staaten nicht gewillt sind, auf die Ausnutzung ihrer finanziellen Machtdisposition zu verzichten.“[15]

Als Keynesianer oder vorkeynesianischer Keynesianer wird Lautenbach zumeist bezeichnet,[16][17] wobei Borchardt diese Bezeichnungen nicht für angemessen hält, da sich Lautenbach mit Lösungen weit komplexerer Sachverhalte beschäftigte.[18]

Der deutsche Ökonom Wolfgang Stützel, der die Saldenmechanik entwickelte, würdigt Wilhelm Lautenbach hinsichtlich „seiner“ Kreditmechanik,[19] nennt sie „Lautenbachsche Kreditmechanik“.[20]

Werke (Auswahl)

Literatur

  • Hans Jaeger: Lautenbach, Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 13, Duncker & Humblot, Berlin 1982, ISBN 3-428-00194-X, S. 726 f. (Digitalisat).
  • W. Stützel: Lautenbach, Wilhelm In: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften. Vandenhoeck & Ruprecht u. a., Göttingen u. a. 1959, S. 537–538.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Paul Binder: Wilhelm Lautenbach und die moderne Nationalökonomie. (online)
  2. Oliver Landmann: Die theoretischen Grundlagen für eine aktive Krisenbekämpfung in Deutschland 1930-1933. (Hrsg. Gottfried Bombach) In: Der Keynesianismus III. Heidelberg 1981.
  3. Hans-Hermann Hartwich: Massenarbeitslosigkeit und Demokratiekrise - Arbeitsbeschaffung und soziale Reaktion. In: Gewerkschaftliche Monatshefte, 4–5/1983 (PDF; 107 KB)
  4. A. J. Nicholls: Freedom with responsibility: the social market economy in Germany, 1918–1963. Oxford University Press 2000, ISBN 0-19-820852-9, S. 53–55
  5. Knut Borchardt, Hans Otto Schötz (Hrsg.): Wirtschaftspolitik in der Krise. Die (Geheim-)Konferenz der Friedrich List-Gesellschaft im September 1931 über Möglichkeiten und Folgen einer Kreditausweitung. Baden-Baden 1991. Denkschrift von Lautenbach im Anhang: Möglichkeiten einer Konjunkturbelebung durch Investition und Kreditausweitung. („Lautenbach-Plan“)
  6. Knut Borchardt, Hans Otto Schötz (Hrsg.): Wirtschaftspolitik in der Krise. Die (Geheim-)Konferenz der Friedrich List-Gesellschaft im September 1931 über Möglichkeiten und Folgen einer Kreditausweitung. Baden-Baden 1991. – Vorwort der Herausgeber (PDF) S. 3:
    „Vor dem Hintergrund einer so beschriebenen Problemlage sind der LAUTENBACH-Plan, der ja auf eine Ankurbelung der Produktion zielte, und die Diskussion extrem interessant. Es geht um den Sinn und die Realisierungschancen einer Doppelstrategie, um die Kombination von nachfragetheoretischen und angebotstheoretischen Argumenten oder, anders ausgedrückt, um eine systematische Verbindung von Expansions- und Deflationspolitik.“
  7. Hak-Ie Kim: Industrie, Staat und Wirtschaftspolitik. Die konjunkturpolitische Diskussion in der Endphase der Weimarer Republik 1930-1932/33. Duncker & Humblot, Berlin 1997. (online) S. 126.
  8. Knut Borchardt, Hans Otto Schötz (Hrsg.): Wirtschaftspolitik in der Krise. Die (Geheim-)Konferenz der Friedrich List-Gesellschaft im September 1931 über Möglichkeiten und Folgen einer Kreditausweitung. Baden-Baden 1991. S. 231 f: Lautenbach wörtlich: „Heute haben Sie die Tatsache, daß alle deutschen Unternehmungen sämtlichen Ersatzbedarf beinahe gestoppt haben.“
  9. Zins, Kredit und Produktion. S. 162. (PDF)
  10. Willi Albers, Anton Zottmann: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft. Band 5. Stuttgart und Tübingen 1980. S. 333. (online)
  11. Zins, Kredit und Produktion. (PDF) S. 161:
    „Selbstverständlich können wir in einer Zeit, wo wir Devisenzwangswirtschaft und Stillhalteabkommen haben, gar nicht daran denken, unser gesamtes Kreditwesen und den Kapitalmarkt nach dem amerikanischen Muster aufzutauen.“
  12. Albrecht Ritschl: Deutschlands Krise und Konjunktur 1924-1934. Berlin 2002. S. 160 ff. (https://www.google.de/books/edition/Deutschlands_Krise_und_Konjunktur_1924_1/05WGAAAAIAAJ?hl=de&gbpv=1&bsq=Diese+%C3%9Cberlegungen+erfuhren+ihre+Best%C3%A4tigung+nur&dq=Diese+%C3%9Cberlegungen+erfuhren+ihre+Best%C3%A4tigung+nur&printsec=frontcover )
  13. Zins, Kredit und Produktion (Hrsg. Wolfgang Stützel), Tübingen 1952 (PDF; 1,2 MB), Seite X.
  14. Zins, Kredit und Produktion. S. 167. (PDF)
  15. Zins, Kredit und Produktion. (PDF) S. 168 f.:
    „Schon der erste Blick zeigt jedem fachmännischen Beurteiler, daß der ursprüngliche Keynes-Plan den White-Plan und den neuen Kompromißplan weit in den Schatten stellt, ja, daß er verglichen mit diesen Plänen eine hoch elegante, höchst rationelle, technisch völlig durchdachte konstruktive Lösung darstellt. An dieser grundsätzlichen Beurteilung kann auch die Tatsache nichts ändern, dass Lord Keynes im Oberhaus den neuen Plan selbst lebhaft verteidigt und nachzuweisen versucht hat, dass er allen Erfordernissen genüge, besonders aber England die Aktionsfreiheit und Sicherheit gebe, die es brauche. Er legte dar, dass England im Rahmen des neuen Planes völlig die Autonomie seiner nationalen Zins-, Kredit- und Investitionspolitik habe, dass die im Plan vorbehaltene Manipulierbarkeit des Währungskurses ihm die Möglichkeit gebe, der heimischen Preispolitik den Primat gegenüber dem Prinzip der Währungsstabilität einzuräumen. Diese allgemeine Verteidigung ist nicht so aufschlußreich wie die erläuternden Bemerkungen der britischen Sachverständigen zu dem Kompromißplan, die im britischen Weißbuch mitveröffentlicht worden sind. Ich möchte die Aufmerksamkeit hier besonders auf Nr. I, 9 und II dieser Bemerkungen lenken. Es heißt da in Nr. I: Unter der ‚Clearing-Union‘ (Keynes-Plan) sollten die Mitgliedsländer Konten bei der ‚Clearing-Union‘ führen lassen, bei der sie Guthaben unterhalten oder Uberziehungen vornehmen wollten. Unter dem ‚Internationalen Währungsfonds‘ läßt der ‚Fonds‘ Konten bei den Mitgliedsländern führen, die sich verpflichten, dem ‚Fonds‘ die Möglichkeiten zu geben, lokale Guthaben zu unterhalten und über sie zu verfügen. Wenn unter der ‚Clearing Union‘ ein Mitgliedsland von der ‚Union‘ Mittel abzog, so bedeutete dies, daß sein eigenes Guthaben sinken und das Guthaben eines anderen Mitglieds steigen würde. Wenn dagegen ein Mitgliedsland vom ‚Fonds‘ Mittel abzieht, so bedeutet dies, daß die Guthaben des ‚Fonds‘ bei diesem Mitglied steigen und seine Guthaben bei einem anderen Mitglied abnehmen ...“
  16. Vorwort von Wilhelm Röpke in: Zins, Kredit und Produktion. (PDF)
  17. Charles P. Kindleberger: The Manichaean character of economics (Memento vom 11. Juli 2012 im Webarchiv archive.today). In: Challenge. September/Oktober 1999.
  18. Knut Borchardt, Hans Otto Schötz (Hrsg.): Wirtschaftspolitik in der Krise. Die (Geheim-)Konferenz der Friedrich List-Gesellschaft im September 1931 über Möglichkeiten und Folgen einer Kreditausweitung. Baden-Baden 1991. – Vorwort der Herausgeber (PDF) S. 2:
    „Sein Verfasser, WILHELM LAUTENBACH, ist später vielfach, so auch von EUCKEN, als „deutscher Keynes“ bezeichnet worden. Manches spricht dafür, diese Charakterisierung mit einem Fragezeichen zu versehen, freilich nicht in dem Sinne, dass ihr jegliche Berechtigung abzusprechen wäre. Aber LAUTENBACH ging damals ein viel komplexeres Problem an, als KEYNES in seinen theoretischen Beiträgen je im Auge hatte: Wie kann in einer offenen Wirtschaft, in einer höchst prekären Devisenlage und bei für die öffentlichen Haushalte absolut unergiebigen Kreditmärkten (die die öffentliche Hand zwangen, am Programm der Ausbalancierung von Einnahmen und Ausgaben festzuhalten!), eine Beschäftigungspolitik getrieben werden, die ihren Zweck erfüllt, nicht zuletzt weil sie die Gläubiger der Riesenbestände an kurzfristigen Krediten und das übrige Publikum nicht unnötig irritiert, gar in die Panik treibt?
  19. Hermann Feifel: Die Anwendbarkeit der Modernen Kreditschöpfungslehre auf Die besondere Art des Sparkassengeschäfts. Berlin 1959. (online) S. 38 f:
    „Ferner berücksichtigen die Vertreter der Theorie der ausschließlich giralen Kreditschöpfungstätigkeit der Banken die von Lautenbach entwickelten Regeln der Kreditmechanik nicht. Wird nämlich ein Kredit derart beansprucht, daß der Debitor an einen anderen Debitor zahlt, dann entsteht keine neue Sichteinlage. Eine neue Sichteinlage kann nur dann entstehen, wenn der Debitor bei der Kreditinanspruchnahme an einen Kreditor zahlt.“
  20. Hartmut Schmidt, Eberhart Ketzel, Stefan Prigge (Hrsg.): Wolfgang Stützel - Moderne Konzepte für Finanzmärkte, Beschäftigung und Wirtschaftsverfassung. Tübingen 2001. Vorwort XII. (online)