Benutzer:Ethiker24/Präsidentschaftskrise 1959

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Als Präsidentschaftskrise bezeichnet man die Geschehnisse im Vorfeld der Wahl des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1959. Hauptsächlich ging es um einen Machtkampf innerhalb der CDU, insbesondere zwischen dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard. Im Laufe der Zeit wurden beide als Präsidentschaftskandidaten und Erhard auch als Nachfolger Adenauers als Bundeskanzler gehandelt, was am Ende jedoch beides nicht eintraf. Die Krise endete endgültig mit der Wahl des damaligen Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Heinrich Lübke zum Bundespräsidenten durch die 3. Bundesversammlung am 1.7.1959.

Ausgangssituation

Der 75-Jährige amtierende Bundespräsident Theodor Heuss konnte gemäß Artikel 54 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht mehr für eine Wiederwahl 1959 antreten.[1] Zwar gab es Bestrebungen das Grundgesetz dahingehend zu ändern, dass Heuss eine dritte Amtszeit antreten konnte, auch weil er in der Bevölkerung hohes Ansehen hatte und sehr beliebt war. Allerdings wurden diese Pläne letztendlich nicht umgesetzt, auch weil Heuss selbst sie letztendlich ablehnte.[2][3] Somit war klar, dass jemand anderes ab 1959 Bundespräsident werden musste. Anfang 1959 zeichnete sich ab, dass die CDU/CSU in der Bundesversammlung, wenn auch nicht ganz die Absolute Mehrheit, eine Mehrheit hatte, die einen von ihr vorgeschlagenen Kandidaten mit hoher Sicherheit zum Bundespräsidenten machen würde.[4] Die zweitgrößte Partei in der Bundesversammlung, die SPD, hatte bereits am 12. Februar den Bundestagsabgeordneten Carlo Schmid als Kandidaten aufgestellt, andere Kandidaten galten wegen verschwindend geringer Wahlchancen als irrelevant.[5][6]

Verlauf

Mögliche Kandidatur Erhards

Somit lag es nun bei der CDU/CSU (Union) einen Kandidaten zu finden. Mitte Februar schlug Bundesinnenminister Gerhard Schröder Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard, der sich gerade in Kur im Schwarzwälder Glotterbad, in der Nähe der Stadt Freiburg im Breisgau, befand, vor, ohne dies mit ihm vorher abgesprochen zu haben. Binnen weniger Tage fand die Idee Anklang innerhalb der CDU, auch der Parteivorsitzende, Bundeskanzler Konrad Adenauer, ließ sich überzeugen.[7] Womöglich wollte Adenauer Erhard damit auch als seinen Nachfolger verhindern, denn dieser wurde bei vielen Unionspolitikern und bei der Bevölkerung als designierter zweiter Bundeskanzler gehandelt.[8][9]

Am 24. Februar entschied ein Ausschuss von CDU-Funktionären unter der Leitung Adenauers, Erhard als offiziellen Kandidaten vorzuschlagen. Am Abend rief Adenauer Erhard an und teilte ihm die Entscheidung mit.[10] Dieser gab allerdings nicht direkt eine Zusage, sondern bat noch um Bedenkzeit. Auch die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag reagierte empört, denn viele wollten ihn als Wirtschaftsminister behalten oder sahen ihn schon als zukünftigen Bundeskanzler.[11] Auch in der Bevölkerung wollten viele Erhard als Wirtschaftsminister behalten, sodass beim Parteivorstand und beim Wirtschaftsministerium zahlreiche Telegramme eingingen, die Kandidatur abzulehnen.[12] Erhard kehrte indes nach Bonn zurück, wo er nach Gesprächen mit hohen Parteimitgliedern am Abend des 27. Februars mit Theodor Heuss zusammentraf. Nach einem Gespräch gab es keine klare Zusage von Ludwig Erhard, aber auch keine klare Absage. Heuss schrieb später, er hatte den Eindruck, dass Erhard sein Nachfolger werden würde.[13] Am 28. Februar traf Erhard Adenauer in dessen Haus in Rhöndorf. Auch hier gab Erhard weder eine klare Zusage oder eine Absage äußerte jedoch Bedenken. Am Ende einigten sie sich darauf, dass Erhard während einer Messeeröffnung in Frankfurt am Main das Votum der Fraktion abwarten sollte.[14]

Doch bereits am Abend des 28. Februar verfasste Erhard, der wieder im Schwarzwald war, einen Brief an Adenauer und Fraktionschef Heinrich Krone, in dem er schilderte, dass seine Kandidatur von vielen Menschen in der Bevölkerung nicht erwünscht wäre. Ein jetziger Wechsel ins Amt des Bundespräsidenten wäre aufgrund der angespannten außenpolitischen Lage (siehe Berlin-Krise) und wirtschaftspolitischer Risiken zurzeit schlecht für Deutschland. Außerdem, so schrieb Erhard, sei aufgrund Adenauers hohen Alters (dieser war zu dem damaligen Zeitpunkt 83 Jahre alt), müsse ein Nachfolger sichergestellt sein, auch im Hinblick auf die Bundestagswahl 1961.[15] Am 3. März rief Erhard schließlich den Staatssekretär Hans Globke im Bundeskanzleramt an, um ihn darüber zu unterrichten, dass er für eine Kandidatur definitiv nicht zu Verfügung stehe. Bereits an Morgen dieses Tages verbreitete die Presse Informationen darüber. Damit war Erhard als Bundespräsident endgültig vom Tisch.[16]

Findungskommission der CDU

In der Folge reagierten Heuss und Adenauer verärgert, große Teile und der Bevölkerung der Faktion reagierten aber erleichtert. Doch 4 Monate vor der Bundesversammlung hatte die Union immer noch keinen Präsidentschaftskandidaten. In der Folge wurde eine Findungskommission eingerichtet, die einen geeigneten Kandidaten finden sollte. In den nächsten vier Wochen wurden verschiedene Kandidaten genannt und wieder verworfen. Adenauer redete auch weiterhin auf Theodor Heuss ein, um ihn nicht doch noch von einer dritten Amtszeit überzeugen zu können, doch Heuss war gewillt, sich in den Ruhestand zu verabschieden.[17]

Kandidatur Adenauers

Bekanntgabe und Reaktionen

Dann, am 7. April 1959 schlug die Findungskommission zum Überraschen vieler Adenauer als Kandidat zum Bundespräsidenten vor, dieser hatte sich am Tag zuvor darüber bereits mit der Fraktions- und dem Parteivorstand unterhalten und am Abend seine Entscheidung gefällt. In einer Rede, die im Rundfunk und im Fernsehen verkündet wurde, gab er am 8. April der Bevölkerung bekannt, dass er Bundespräsident werden wolle.[18] Oft wird auch dieses Ereignis als Beginn der Präsidentschaftskrise gesehen. Für viele in der Bevölkerung kam die Entscheidung sehr überraschend, denn Adenauer hatte bei der Bundestagswahl 1957 mit der Union die absolute Mehrheit im Bundestag geholt und war als Kanzler unangefochten.

Theodor Heuss war nicht zufrieden mit Adenauers Kandidatur. Er vermutete, wie viele damals, dass Adenauer das Amt des Bundespräsidenten nutzen würde, um weiterhin aktiv Einfluss auf die Politik auszuüben. Denn Adenauer sagte parteiintern, dass er als Präsident an Kabinettssitzungen teilnehmen wolle und dass er die Pesonal- und Außenpolitik des Bundes mitbestimmen wollte. Heuss fürchtete, wie andere damals, um den Übergang zu einer präsidentiellen Republik, ähnlich wie es in Frankreich passiert war (siehe Verfassung der Fünften Französischen Republik).[19] Er teilte dies Adenauer auch mit und kritisierte dessen Entscheidung.[20] Adenauer selbst reiste am am Abend der Bekanntgabe der Kandidatur in seiner öffentlichen Rede nach Cadenabbia in Italien.[21]

Machtkampf um die Nachfolge als Bundeskanzler

Da der amtierende Bundeskanzler Bundespräsident werden sollte, stellte sich die Frage nach der Nachfolge des Bundeskanzlers. Dabei gab es zwei Kandidaten, die in Frage kamen. Zum einen Ludwig Erhard, der bereits seit Jahren als Nachfolger Adenauers gehandelt wurde, zum anderen Bundesfinanzminister Franz Etzel. Bereits in einer internen Sitzung der Fraktions- und stellvertretenden Parteivorsitzenden vom 6. April wurde die Idee besprochen, dass bei einem Übergang von Adenauer in das Bundespräsidentenamt Etzel Bundeskanzler werden sollte.[22] Allerdings war Erhard der bei der Bevölkerung und bei großen Teilen der Partei beliebtere Kandidat. Erhard kündigte an, dass er nicht weiter Minister bleiben wolle, falls Etzel und nicht er zum Bundeskanzler gewählt werden sollte, Etzel seinerseits sagte, er würde auch unter einem Bundeskanzler Erhard Minister bleiben.[23]

Trotzdem schaffte es Etzel in den nächsten Tagen, mehr und mehr Unterstützung innerhalb der CDU/CSU-Fraktion für sich zu gewinnen, sodass die Kanzlerfrage wieder offener war. Konrad Adenauer ließ Ende April aus Cadenabbia mitteilen, dass er, sollte Erhard von der Fraktion gewählt werden, Bundeskanzler bleiben würde.[24]

Einzelnachweise

  1. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Deutscher Bundestag, abgerufen am 20. April 2021.
  2. Elisabeth Noelle, Erich Peter Neumann: Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1958-1964. Verlag für Demoskopie, Bonn 1965, S. 279.
  3. Joachim Radkau: Theodor Heuss. Hanser, München 2013, ISBN 978-3-446-24355-2, S. 456–463.
  4. Zusammensetzung der 3. Bundesversammlung. Deutscher Bundestag, abgerufen am 20. April 2021.
  5. Stiftung Deutsches Historisches Museum, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Gerade auf LeMO gesehen: LeMO Biografie: Carlo Schmid. Abgerufen am 20. April 2021.
  6. Volker Hentschel: Ludwig Erhard - Ein Politikerleben. Propyläen Taschenbuch, Berlin 1998, ISBN 3-548-26536-7, S. 444.
  7. Volker Hentschel: Ludwig Erhard - Ein Politikerleben. Propyläen Taschenbuch, ISBN 3-548-26536-7, S. 444–445.
  8. Ludwig Erhard - Der Optimist Doku |alle Teile| deutsch. Abgerufen am 20. April 2021 (deutsch).
  9. - Die Präsidentschaftskrise. Abgerufen am 20. April 2021 (deutsch).
  10. Volker Hentschel: Ludwig Erhard - Ein Politikerleben. Propyläen Taschenbuch, Berlin 1998, S. 443–446.
  11. Heinrich Krone: Tagebuch. S. 24.2–28.2 1959.
  12. Volker Hentschel: Ludwig Erhard - Ein Politikerleben. Propyläen Taschenbuch, Berlin 1998, ISBN 3-548-26536-7, S. 446.
  13. Theodor Heuss Tagebuch Briefe 1955-1963. Tübingen Wunderlich Verlag, 1970, S. 400–402.
  14. Volker Hentschel: Ludwig Erhard - Ein Politikerleben. Propyläen Taschenbuch, Berlin 1998, ISBN 3-548-26536-7, S. 447.
  15. Erhard an Adenauer. 28. Februar 1959.
  16. Volker Hentschel: Ludwig Erhard - Ein Politikerleben. Propyläen Taschenbuch, Berlin 1998, ISBN 3-548-26536-7, S. 448–449.
  17. Volker Hentschel: Ludwig Erhard - Ein Politikerleben. Propyläen Taschenbuch, Berlin 1998, ISBN 3-548-26536-7, S. 450.
  18. Stiftung Deutsches Historisches Museum, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Gerade auf LeMO gesehen: LeMO Kapitel: Präsidentschaftskrise. Abgerufen am 23. April 2021.
  19. - Die Präsidentschaftskrise. Abgerufen am 23. April 2021 (deutsch).
  20. Theodor Heuss Tagebuch Briefe 1955-1963. Tübingen Wunderlich Verlag, 1970, S. 422.
  21. Daniel Koerfer: Kampf ums Kanzleramt - Erhard und Adenauer. Stuttgart 1987, ISBN 3-421-06372-9, S. 277.
  22. Volker Hentschel: Ludwig Erhard - Ein Politikerleben. Propyläen Taschenbuch, Berlin 1998, ISBN 3-548-26536-7, S. 451–452.
  23. Volker Hentschel: Ludwig Erhard - Ein Politikerleben. Propyläen Taschenbuch, Berlin 1998, ISBN 3-548-26536-7, S. 452–453.
  24. Volker Hentschel: Ludwig Erhard - Ein Politikerleben. Propyläen Taschenbuch, Berlin 1998, ISBN 3-548-26536-7, S. 453.