Benutzer:Fingalo/Kolonie

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Kolonie ist die Bezeichnung für eine spezielle Form der Expansion. Kolonie und Kolonisation hängen begrifflich zusammen. Bei der Kolonisation handelt es sich im Kern um eine Landnahme. Die Kolonie ist zuförderst und ganz allgemein also ein Personenverband in einem Gebiet außerhalb des angestammten Siedlungsgebietes. Im Bereich der Politik wird damit außerdem eine politische Abhängigkeit zum "Mutterland" verbunden. Gleichwohl ist der heutige Koloniebegriff nur mit Vorsicht auf antike Zustände anzuwenden. Der Althistoriker Moses Finley hat sich schon früh kritisch über die Anwendung des heutigen Koloniebegriffs auf antike Zustände geäußert (Lit.: Finley 1976 S. 167 ff.) und im Zusammenhang mit der griechischen Besiedlung Siziliens ausgeführt: "Das Wort >>Kolonisation<<, das die Historiker üblicherweise zur Beschreibung dieses Prozesses verwenden, führt eigentlich in die Irre, da es an die Etablierung abhängiger Gemeinden in Übersee denken läßt. Die nach Westen gerichtete Auswanderung von Griechenland aus war zweifellos eine organisierte Bewegung, die von verschiedenen >>Mutterstädten<< ausgerüstet, bewaffnet und geplant wurde, doch war von vornherein die Auswirkung, ja - nach allem was wir sagen können - auch die Absicht dieser Bewegung nicht die Kolonisierung des Landes; vielmehr sollten Männer der Mutterstädte dazu aufgefordert, ja mitunter gezwungen werden, in neue, eigenständige und unabhängige Gemeinden zu ziehen." (Lit.: Finley 1989 S. 14).

Formen der Expansion

Um den Begriff richtig einordnen zu können, ist es also erforderlich, zunächst die verschiedenen Formen der Expansion darzustellen, die dem Koloniebegriff benachbart sind und von denen er abzugrenzen ist:

  • Die Totalemigration, also der Exodus. Völker verlassen ihre Heimat und besetzen ein anderes Gebiet, ohne dass ein steuerndes Zentrum in der alten Heimat zurückbleibt. Solches geschah in der Völkerwanderungszeit und der Auswanderung der Kap-Buren in den Oranje-Freistaat und nach Transvaal in der ersten Hälfte des 19. Jh. Es blieben zwar Buren am Kap zurück, aber diese hatten keinen steuernden Einfluss auf die Auswanderer.
  • Die Individualemigration, die klassische Auswanderung. Sie geschieht in der Regel aus wirtschaftlichen oder weltanschaulichen Gründen. Im Gegnsatz zur Totalemigration bleiben die zurückgebliebenen Gesellschaften intakt. Die Emigranten schaffen keine neuen Kolonien mit Abhängigkeitsverhältnis, sondern werden in die aufnehmenden Gesellschaften eingegliedert. Dort bilden sie häufig Enklaven in der neuen Gesellschaft wie die Chinatowns in amerikanischen Städten. Die Freiwilligkeit ist dabei nicht notwendiges Merkmal. Es kann sich durchaus um erzwungene Auswanderungen handeln, wie die Hugenotten-Auswanderung oder die Umsiedlung von Afrikanern im Zuge des Sklavenhandels.
  • Die Grenzkolonisation. Darunter wird die Erschließung von Land für die menschliche Nutzung, das Verlagern der Kulturgrenze in die Wildnis, verstanden. In aller Regel ist damit keine Bildung selbständiger politischer Einheiten verbunden. Beispiel ist die Ausdehnung der Ackerbauzonen auf Kosten der Hirtenvölker Innerasiens durch die Han-Chinesen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ebenso fällt die Erschließung des amerikanischen Kontinents von der Ostküste und die Erschließung des asiatischen Russlands seit dem späten 19. Jahrhundert darunter.
  • Die Überseeische Siedlungskolonisation. Mit "Überseeisch" ist nur die Trennung vom Mutterland durch eine größere Entfernung über ein Meer gemeint. Typisches Beispiel dafür sind die phönizischen und griechischen "Pflanzstädte" der Antike jenseits eines Meeres ohne großen militärischen Aufwand. Hier kam es durch die Transportprobleme über weite Meeresstrecken zu eigenständigen Gemeinwesen. Auch die Anfänge der englischen Besiedlung Nordamerikas fallen in diese Kategorie (Plantations) (Lit.: Bacon). Sie strebten nach Autarkie. Das Land wurde für herrenlos gehalten. Die einheimische Bevölkerung wurde nicht unterworfen und zu Untertanen gemacht, wie in den spanischen Besitzungen in Amerika, sondern gewaltsam zurückgedrängt. Die Lebensräume blieben getrennt.
    • Man unterscheidet drei Typen:
    • Typ I.: Der neuenglische Typ. Eine agrarische Einwandererbevölkerung besiedelt mit eigenen Kräften ein Land und drängt die einheimische Bevölkerung zurück. So entstanden in Noramerika homogene europäische Siedlungen.
    • Typ II ist hauptsächlich in Afrika vertreten. Eine Siedlerminderheit unterwirft sich eine bereits intakte Ackerbaugesellschaft, übernimmt deren Landbesitz und beschäftigt die vorherigen Herren als Knechte weiter. Dabei bleibt man von der einheimischen Bevökerung abhängig. Autarkie wird nicht angestrebt, was zur prinzipiellen Instabilität führen muss. Beispiele sind Algerien, Kenia, Rhodeien (Lit.: Mosley S. S. 5 ff., 237).
    • Typ III.: Das ist die von wenigen Einwanderern durch Sklaven betriebene Plantagenwirtschaft, wie sie in der Karibik betrieben wurde, wo 1770 Schwarze 90 % der Gesamtbevölkerung stellten (Amerikanische Südstaaten 40 %, Nordstaaten 20 %) (Lit.: Fogel S. 30 ff.)
  • Die Reichsbildenden Eroberungskriege sind die römische Form der Expansion. Ein Volk unterwirft ein anderes. Machtzentrum bleibt die Hauptstadt des Mutterlandes. Das muss aber nicht in ein beständiges Einheitsreich münden. Die arabisch-muslimische Expansion im 8. Jahrhundert führte schnell zu selbständigen Machtzentren. Das gleiche gilt für das Reich Dschingis Khans. Das britische Empire entwickelte sich zu drei politisch unterschiedlichen Gebilden, den "white Dominions", den Kolonien ("Dependencies") und dem Kaiserreich Indien. Im allgemeinen wurde die bestehende gesellschaftliche und innenpolitische Organisation beibehalten und den Bedürfnissen angepasst. Die Ausrottung der Oberschicht mit der Zerschlagung des vorhandenen Herrschaftssystems, wie es durch die Spanier bei der Invasion in Mexiko geschah, ist die Ausnahme. Das Hauptaugenmerk war auf die wirtschaftliche Ausbeutung durch Tributerhebung gerichtet. Deshalb wurde so schnell wie möglich eine neue Steuergesetzgebung eingeleitet. Selten folgte der Eroberung eine Siedlungsaktivität (z.B. in Teilen des römischen Reiches, in Irland oder in Algerien). Indien ist hingegen das klassische Beispielt für eine moderne Kolonialherrschaft ohne Kolonisation.
  • Die Stützpunktvernetzung ist eine besondere Form der maritimen Expansion, bei der militärisch geschützte Handelszentren gebildet werden. Von diesen geht in aller Regel keine Kolonisation des Hinterlandes und auch keine weiträumige militärische Landnahme aus (die engliche Machtausdehnung von Bombay, Madras und Kalkutta aus ist eine Ausnahme). Der Zweck ist die Sicherung der Handelshegemonie. Beispiele sind die Handelsstützpunkte Genuas im Mittelalter, Portugals Handelsstützpunkte in Goa, Macau, Malakka und Mozambique und der Holländer in Batavia, Ceylon, Nagasaki. Im 18. Jahrhundert verschob sich die Bedeutung der Handelsstützpunkte hin zu geopolitischen und militärichen Funktionen. Die englischen überseeischen Stützpunkte wurden zu Flottenstützpunkten (nach 1839 Aden, nach 1801 Alexandria mit Suez, ab 1766 Bermuda, ab 1730 Gibraltar, nach 1814 Kapstadt, ab 1814 Malta. Hinzu kamen die "Hafenkolonien" (Lit.: Grünfeld) Singapur und Hongkong. Sie haben sich am längsten erhalten.

Kolonien und ihre Formen

Die Vielfalt der Typen von Expansion macht eine Definition der Kolonie schwierig, denn sie muss eng genug sein, um bestimmte historische Situationen wie vorübergehende militärische Besetzung oder die gewaltsame Angliederung von Grenzgebieten an moderne Territorialstaaten (z.B. Elsass-Lothringen 1817 - 1918) auszuschließen und auch eine unterscheidende Aussagekraft zu erhalten, die bei einer unterschiedslosen Anwendung des Begriffs auf alle Expansionsformen verloren geht. Ganz grob kann man als Minimalgehalt Siedlung oder Herrschaft, als Maximalgehalt Siedlung und Herrschaft ansehen (Lit.: Reinhard S. 2). Ostrhammel hat aus all diesen Typen folgende Definition entwickelt, die in der Fachwelt auch akzeptiert wird: Danach ist eine Kolonie

"ein durch Invasion (Eroberung und/oder Siedlungskolonisation) in Anknüpfung an vorkoloniale Zustände neugeschaffenes politisches Gebilde, dessen landfremde Herrschaftsträger in dauerhaften Abhängigkeitsbeziehungen zu einem räumlich entfernten 'Mutterland' oder imperialen Zentrum stehen, welches exklusive 'Besitz'-Ansprüche auf die Kolonie erhebt" (Lit.: Osterhammel S.16; zustimmend Reinhard S. 348)

Danach gibt es drei Hauptformen von echten Kolonien:

  • Herrschaftskolonie: Ihre typischen Eigenschaften sind
    in der Regel Ergebnis militärischer Eroberung
    mit dem Zweck wirtschaftlicher Ausbeutung, strategischer Absicherung imperialer Politik und/oder nationaler Prestigegewinn
    zahlenmäßig geringe koloniale Präsenz von Zivilbeamten, Soldaten und Kaufleuten, die dort nicht siedeln und nach gewisser Zeit ins Mutterland zurückkehren und von anderen Beamten abgelöst werden
    ausschließliche Regierung durch das Mutterland.
  • Stützpunktkolonie: Ihre typischen Eigenschaften sind
    Ergebnis von Flottenaktionen
    mit dem Zweck der indirekten kommerziellen Ausbeutung des Hinterlandes und/oder Beitrag zur Logistik seegestützter Machtentfaltung und informelle Kontrolle über formal selbständige Staaten (Kanonenbootpolitik).
  • Siedlungskolonien: Ihre typischen Eigenschaften sind
    Ergebnis militärisch gestützter Siedlungspolitik
    mit dem Zweck der Nutzung billigen Landes und billiger einheimischer Arbeitskraft
    wobei soziale und kulturelle Lebensweisen entwickelt werden, die im Mutterland durchaus in Frage gestellt werden
    permanente Präsenz durch ansässige Farmer oder Pflanzer
    Ansätze zur Selbstregierung der Kolonisten unter Missachtung der Rechte der einheimischen Bevölkerung

mit den obenen beschriebenen Unterarten des neuenglischen, afrikanischen und karibischen Typs.

Literatur

  • Francis Bacon: Of Plantations [1625]. In: The Assays (John Pitcher Hrg.) Harmondsworth 1985, S. 162 ff.
  • Moses Finley: Colonie: An Attempt at a Typology. In: Transactions of the Royal Historical Society. 5th series, 26 (1976)
  • Moses Finley und andere: Geschichte Siziliens und der Sizilianer, München 1989.
  • Rober William Fogel: Without Consent or Contract.: The Rise and Fall of American Slavery. New York 1989.
  • Ernst Grünfeld: Hafenkolonien und kolonieähnliche Verhältnisse in China, Japan und Kores. Jena 1913.
  • Paul Mosley: The Settler Economies. Studies in the Economic History of Kenya and Southern Rhodesia, 1900 - 1963. Cambridge 1983.
  • Jürgen Osterhammel: Kolonialismus. Geschte Formen Folgen. München 2003 3. Auflage. Kap. I.
  • Wolfgang Reinhard: Kleine Geschichte des Kolonialismus. Stuttgart 1996.