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Die Reitkunst ist ein Ausbildungsystem für Reitpferde, welches überlieferte Methoden individuell anwendet und in seiner Sublimierung einen künstlerischen Anspruch hat. Die Reitkunst baut sich auf aus der Arbeit in der Grundschule bis zur Förderung in der Hohen Schule. Die Hohe Schule wird in „Schulen auf (oder bei) der Erde" und "Schulen über der Erde" gegliedert.

Reitkunst heute

Am häufigsten findet der Begriff klassische Reitkunst Anwendung. Er bezieht sich nicht auf die kulturgeschichtliche Epoche der Klassik, sondern auf deren Status als Klassiker (=allgemeingültig / modeunabhängig)[1]. Die klassische Reitkunst fügt in ihrem Ausbildungssystem die Lehren der Meister der Reitkultur Europas zusammen. Auch die FN beruft sich in den Anforderungen an den Reitsport (siehe auch Dressurreiten) auf die klassische Reitkunst, doch beklagen namhafte Reitlehrer/-meister den Niedergang der "Kunst" im Reitsport ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts:

„Idealerweise und theoretisch sollte es keinen Unterschied zwischen der klassischen Schule und dem Dressursport geben: In der Praxis ist er jedoch vorhanden. ...Das Ziel der klassischen Schule ist es, das Pferd durch eine logische und psychologische Ausbildung zu gymnastizieren. Der Dressursport möchte den Pferden Lektionen für den Wettbewerb beibringen.“

Kurt Albrecht: Dogmen der Reitkunst , 1994

Die bekanntesten öffentlichen Stätten der klassischen Reitkunst sind:

In jüngerer Zeit geht man dazu über, der Reitkunst andere Beinamen zu geben, um regionale, zeitliche, inhaltliche oder markenrechtliche Abgrenzungen zu dem globaleren System der klassischen Reitkunst vorzunehmen. Diese Bezeichnungen sind von zeitgenössischen Reitlehrer/-meistern initiiert und werden mehr oder weniger erfolgreich verbreitet.

  • barocke Reitkunst[2]
  • Klassisch-barocke Reiterei[3]
  • Schule der Légèreté [4]
  • Renaissance-Reitkunst und Akademische Reitkunst [5]
  • Reitkunst nach Alexander-Technik [6]
  • Für die Reitkunst der iberischen Halbinsel ist die spanische Übersetzung Doma Clasíca gebräuchlich. Sie vereint Elemente der klassischen Reitkunst und folkloristische Elemente.

Derzeit demonstrieren die barocke Reitkunst öffentlich:

Die Doma Clasíca wird an folgenden Einrichtungen öffentlich praktiziert:

Geschichte und Entwicklung

Die ältesten Zeugnisse von Reitkunst lassen sich bis ins antike Griechenland zu Reitmeister Xenophon (um 400 v. Chr.) zurückverfolgen. Die Reitkunst diente zur Ertüchtigung von Kriegspferden und zu Paradezwecken.[7]

Allgemein steht die Reitkunst im Spannungsfeld zwischen dem künstlerischen Anspruch (das Pferd als Kunstobjekt „l'art pour l'art“) einerseits und dem praktischen Einsatz des Pferdes für bestimmte Dienstzwecke. Solinski geht soweit, die Reiterei in eine zweckfreie Freizeitreiterei (zu der auch der Reitsport gehört) und eine praxisbezogene Nutzreiterei (in der Bückeburger Hofreitschule angewandte Reitkunst genannt [8] ) zu unterteilen.[9]

Die Begründung der neuzeitlichen Reitkunst ist in Italien, speziell in Neapel (das damals zu Spanien gehörte) zu suchen, wo Federigo Griso (um 1552) eine Reitakademie errichtete, die vom Adel fast ganz Europas besucht wurde. Sein Schüler Pignatelli erfand die Kandare und zwei von dessen Schülern, Antoine de Pluvinel (Erfinder der Pilaren und des ersten geordneten Dressursystems), und Salomon de la Broue, begründeten die Reitkunst in Frankreich, während ein dritter, der Chevalier Saint-Antoine, unter Jakob I. der erste Stallmeister in England wurde.

Zu einer besonderen Blüte gelangte die Reitkunst um die Mitte des 18. Jahrhunderts durch die Reitschule in Versailles. De la Guériniere, Stallmeister Ludwigs XV., gab der Reitkunst in seiner „École de cavalerie“ (1733) eine wissenschaftliche Grundlage, auf welcher sie sich auch in Deutschland weiter entwickelte. In den Folgen der Revolution von 1789 wurden europaweit die meisten der Reitakademien geschlossen.

Nach einer Tiefphase in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist in den letzten Jahren wieder ein gesteigertes Interesse an den überlieferten Lehren zu erkennen, wie auch Vereinsgründungen wie Xenophon e.V. oder dem Bundesverband für klassisch-barocke Reiterei oder Neugründungen von Hofreitschulen (Hofreitschule Bückeburg) und der Académie du spectacle équestre in Versailles belegen. Mit dazu beigetragen haben kann auch das steigende Interesse an Barockpferden, speziell Andalusiern.

Als Scheidepunkte der Reitkunst sind folgende (chronologisch geordneten) Entwicklungen anzusehen:

  • das Aufeinandertreffen der leichten Reiterei (Hannibal) und der schweren Reiterei (iberische Stämme) in der Schlacht am Tajo 220 v. Chr.
  • die fortschreitende Veränderung des Militärwesens durch die Verbreitung der Feuerwaffen 15. bis 16. Jahrhundert
  • das Mäzenatentum der absolutistischen Herrscher für Künste aller Art im 17. und 18. Jahrhundert
  • dessen abrupter Untergang mit der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts
  • die „Anglomanie“[10] genannte Zuchtauswahl und Bevorzugung englischer Vollblüter im 19. Jahrhundert
  • die Einführung großer Kavallerieeinheiten und die Notwendigkeit einer Schnellausbildung für Reiter und Pferd im 19. und Anfang 20. Jahrhundert
  • die Entscheidung, den Reitsport auf den Prinzipien der Militärreiterei aufzubauen im 20. Jahrhundert
  • die Trivialisierung der Reiterei als Breitensport 20. Jahrhundert

Grundsätze

Das Prinzip der Freiwilligkeit zieht sich durch die Interpretationen der Reitkunst aller Epochen.[7][11][12] Die angestrebte Langlebigkeit des Reitpferdes wird durch individuelles, biomechanisch angemessenes Training des Bewegungsapparates und pädagogischen Umgang erreicht.[12]

Das Pferd wird in der Reitkunst als künstlerisches Medium verstanden, das es optimal in Szene zu setzen gilt. Dabei soll der Reiter eine untergeordnete, unauffällige und gute Figur machen und das Pferd mit unsichtbaren Hilfen steuern.[8][13] Den Reitkünstler zeichnet eine besonnene, beherrschte und konzentrierte Geisteshaltung aus.[14]

Im Unterschied zur Gebrauchs-Militärreiterei (jedoch wieder in Übereinstimmung mit der aus dieser abgeleiteten Turnierreiterei nach den Richtlinien der FN) wird großer Wert auf feine Einwirkung, eine weichstmögliche, stets zum Nachgeben bereite Hand („Pfötchen, nicht Pfote“ nach Egon von Neindorff) und unsichtbare Hilfengebung aus dem korrekten Sitz heraus gelegt.

Ausbildung

Übung „Aufsitzen“ aus Johann Elias Ridingers Vorstellung und Beschreibung derer Schul und Campagne Pferden nach ihren Lectionen von 1760

Es sind sehr unterschiedliche Herangehensweisen der heutigen Reitlehrer/-meister auf hohem Niveau an die Reitkunst zu beobachten, denn die umfassenden Überlieferungen aus mehr als 2300 Jahren eröffnen ein breites Spektrum der Auslegung und Spezialisierung. Hinzu kommen zwei neuzeitliche Entwicklungen, die in allen Reitweisen der Welt eine mehr oder weniger große Rolle spielen:

  • der Tierschutzgedanke um die artgerechte Haltung und den tiergerechten Umgang,
  • der Wettbewerbsdruck bei Rennen, Turnieren und anderen Wettkämpfen.

Die Ausbildung eines Pferdes nach den Prinzipien der klassischen Reitkunst kann grob in drei Phasen eingeteilt werden:

Die von der FN in den 1950er-Jahren entwickelte Ausbildungsskala fasst eine Reihe von Prinzipien bei der Pferdeausbildung in sechs Teilbereiche zusammen, über deren chronologische Einhaltung jedoch Uneinigkeit besteht. Dennoch findet sie vor allem im deutschsprachigen Bereich als Richtschnur allgemeine Verwendung.

Schulen

Die Reitkunst entwickelt aus den natürlichen Gangarten des Pferdes (Schritt, Trab, Galopp, Karriere (Renngalopp) und Sprung, zu welchen die Lanceade gehört) die sog. Schulen und Touren, bestehend aus den Schulen auf der Erde: Seitengänge (Schulterherein, Travers und Renvers), Passagieren, Piaffieren oder stolzer Tritt und Pirouette sowie aus den Schulen über der Erde: Levade, Pesade,Terre à Terre, Mezair, Courbette, Croupade, Ballotade, Kapriole und Falkade. Kombinationen dieser Schulen und Touren haben wieder eigene Bezeichnungen (z.B. Traversale = Kombination aus Seitengängen, Passade = Kombination von Pirouette, Karriere und Galoppwechseln) Die meisten dieser Lektionen sind militärischen Ursprungs, da diese Manöver es dem Reiter ermöglichten, Waffen vom Pferd aus und vor allem sein Pferd selber als Waffe im Nahkampf wirksam einsetzen zu können. Dies verdeutlicht sich in dem Ziel der Reitkunst, Pferde mit einhändig geführtem Zügel reiten zu können.

Einzelnachweise

  1. "Reitkunst im Spiegel ihrer Meister", Band 1, Berthold Schirg, 1987
  2. http://www.hofreitschule.de, abgerufen am 14.1.2012
  3. http://www.bfkbr.de/, abgerufen am 14.1.2012
  4. http://www.tmdb.de/de/marke/Schule_der_Legerete,DE30608086.html, abgerufen am 14.1.2012
  5. http://www.ritterschaft.org/, abgerufen am 14.1.2012
  6. http://alexandertechnikundreiten.com/index.html, abgerufen am 15.2.2012
  7. a b Reitkunst, Xenophon,, Übersetzung von du Paty de Clam, enthalten in Die Wagen und Fahrwerke der Griechen und Römer, Johann Chr. Grinzrot, 1817
  8. a b Schulen und Touren der barocken Reitkunst ,Fürstliche Hofreitschule Bückeburg, 2011
  9. "Reiter, Reiten, Reiterei" - Grundlagen pferdegemäßen Reitens', Sadko Solinski, 1983
  10. Über die Reitkunst, Otto Digeon v. Monteton, 1995
  11. Le maneige royal, Antoine de Pluvinel, 1605.
  12. a b Das Gymnasium des Pferdes, Gustav Steinbrecht, 1886
  13. "Vollständiger Unterricht in den Wissenschaften eines Stallmeisters", Johann B. von Sind, 1770
  14. : Méthode d'équitation basée sur de nouveaux principes, Francois Baucher, 1842.

Siehe auch

Weiterführende Literatur

  • Gustav Steinbrecht: Das Gymnasium des Pferdes, 1884, ISBN 3-87248-038-3
  • Peter Spohr: "Die Logik in der Reitkunst, 1903, ISBN 3-487-08187-3
  • Max Lochner: Ausbildung von Reitpferden und Reitern, E. S. Mittler & Sohn, Mainz, Berlin, 1915
  • Ludwig Koch: Die Reitkunst im Bilde, 1923, ISBN 3-487-08125-3
  • Wilhelm Müseler Reitlehre, 1933, ISBN 3-275-01513-3
  • Waldemar Seunig: Von der Koppel bis zur Kapriole, 1943, ISBN 3-487-08348-5
  • Richard Wätjen: Dressurreiten, 1955, ISBN 3-275-01150-2
  • Alois Podhajsky: Die klassische Reitkunst, 1965, ISBN 3-440-07527-3
  • Sadko Solinski: Reiter, Reiten, Reiterei - Grundlagen pferdegemässen Reitens, 1983, ISBN 3-487-08248-9
  • Michaela Otte, Selm-Bork: Geschichte des Reitens, 1994, ISBN 3-88542-255-7
  • Johann Baptista Galiberti: Neugebahnter Tummelplatz und eröffnete Reitschul, übersetzt von Matthaeum Drummern von Pabenbach, Wien 1660
  • François Robichon de la Guérinière: Reitkunst, 1733, übersetzt von J.D.Knoell 1817, ISBN 3-487-08288-8
  • Nuno Oliveira: Gedanken über die Reitkunst, 1999, ISBN 3-487-08383-3
  • Philippe Karl: ReitKunst, Klassische Dressur bis zur Hohen Schule, 1999, ISBN 3-405-15826-5
  • Anja Beran: Aus Respekt, 2008, ISBN 3-930953-14-5

Weblinks

Commons: Klassische Reitkunst – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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