Benutzer:Gardini/Wasting the Foundation’s webspace again

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Über zehn Jahre später hat die WMF zuviel Geld, zuviele Bullshit Jobs und zuviel Webspace. Letzteres stimmt zwar – im Gegensatz zu den anderen beiden Punkten – nicht, allerdings kann ich hiergegen – anders als bei den anderen beiden Punkten – zumindest ein bisschen was tun, nämlich schreiben.

Da es eine ganze Reihe Kolleginnen und Kollegen gibt, die sich im Laufe der Jahre kluge Gedanken zu unserem geliebten Projekt gemacht haben, kann ich mir viele Kommentare einfach sparen und demütig auf sie verweisen. Das wird im ersten Abschnitt geschehen. Darüberhinaus anzubieten habe ich bisweilen eine eigenwillige Perspektive. Diese ist in erster Linie dem eher ungewöhnlichen Blickwinkel nach einer überdurchschnittlich großzügigen Wikipause von etwa zehn Jahren geschuldet, weil ich sowohl manche Kontraste spannend finde, die ich dadurch wahrnehme, als auch umgekehrt manche Kontinuitäten; ein bisschen wohl auch meiner persönlichen Eigenwilligkeit.

Weise Worte weiterer Wikipedianer

Eigenes Mitteilungsbedürfnis

Schematische Darstellung eines Teils des Problems aus dem gescheiterten MB von 2013. Ich betone demgegenüber stärker andere Aspekte und eine veränderte Lage seit damals.

Pünktlich zum um Mitternacht nach langen Vorabdiskussionen startenden MB zum „Verbot von Auftragsarbeiten durch PR-Dienstleister“ möchte ich hier aus ebenjenen langen und unübersichtlichen Diskussionen diejenigen Punkte herausheben, die mir im Hinblick auf das ganze Thema wichtig sind.

Vorab-Disclaimer:

  • Ich bin einer der formalen Unterstützer des MB.
  • Das MB in der vorliegenden Form ist nicht der Weisheit letzter Schluss und wird nicht auf magische Weise sämtliche Probleme zum Verschwinden bringen.
  • Das erwartet auch niemand. Die Diskussion unter den Unterstützerinnen und Unterstützern des MB im Vorfeld hat dazu geführt, dass wir alle die gegenwärtige Linie des MB als notwendigen Kompromiss mittragen.[1]
  • Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein erster, notwendiger Schritt auf einem längeren Weg, einem großen Problem zu begegnen, das ich für existentiell bedrohlich für unser Projekt halte.

Zur Notwendigkeit struktureller Abwehr einer strukturellen Gefahr, zur veränderten Lage seit 2013, sowie zur Unbrauchbarkeit moralisierender Kritik:

Anstoß gegeben zu diesem MB hat der „Fall Kosinsky“.[2] Es sei gleich festgehalten, dass sich dabei lediglich um den konkreten Anlass handelte, ein seit langer Zeit beständig anwachsendes Problem endlich in Angriff zu nehmen. Mehrmals wurde außerdem empört der Vorwurf erhoben, der langjährige, verdiente Benutzer AC[3] werde zur „Zielscheibe des MB“. Auch das trifft nicht zu. Aber wenn (a) ganz allgemein die gewerbliche Betätigung von PR-Agenturen in der WP unterbunden werden soll und (b) der Mensch hinter dem Account neben seinem Privataccount AC eben bisher auch noch für seine PR-Agentur den Agenturaccount EmH[4] hat, dann wird das logischerweise auch EmH betreffen – was auch sonst? Das ist auch einer der Gründe, warum ich immer wieder betone, dass das hier in erster Linie keine moralische Frage ist und der moralische Aspekt nicht überbetont werden sollte. Es kommt nicht darauf an, ob jemand ein guter Mensch und bspw. als AC ein guter Kollege ist, auch nicht darauf, ob wir von OK[5] menschlich enttäuscht sind oder sein Geschäftsmodell besonders schäbig war. Wesentlich wichtiger ist die Frage, ob PE und besonders die Tätigkeit von PR-Agenturen im Allgemeinen dem Projektziel dienlich ist oder ihm schadet, und da fällt m. E. die Antwort eindeutig aus: PE als solches ist eine existentielle Gefahr für unser Projekt.

  • Wir haben seit mittlerweile deutlich über zehn Jahren eine rückläufige Anzahl aktiver Kolleginnen und Kollegen bei weiterhin wachsendem Artikelbestand; gleiches gilt auch für die Adminschaft, die die Regeleinhaltung kontrollieren soll.
  • Gleichzeitig ist die WP heute völlig etabliert und wird praktisch als selbstverständlicher Bestandteil der öffentlichen Infrastruktur genommen. Was bei uns steht, ist zu einem großen Teil das, was über einen Sachverhalt „im Internet steht“ (denn „im Internet steht“ im Wesentlichen das, was bei einer Googlesuche unter den ersten ca. fünf Treffern landet).
    • Dementsprechend groß geworden ist die gesellschaftliche Relevanz der WP im Vergleich zu vor fünfzehn Jahren.
    • Dementsprechend groß geworden ist die Attraktivität als Betätigungsfeld für PR-Agenturen.
  • Unterm Strich bedeutet das: Die WP steht heute unter einem sehr viel größeren wirtschaftlichen Druck von außen als noch vor zehn Jahren. Zugleich haben wir heute nicht mehr, sondern sogar deutlich weniger Leute als vor zehn Jahren, um unter diesem stark angewachsenen Druck die Entwicklung der WP gemäß der GP (enzyklopädischer Anspruch, NPOV) aufrechtzuerhalten. Das ist auch ein wichtiger Unterschied zur Situation von 2013, als der große Boom noch in jüngerer Erinnerung lag, der wirtschaftliche Druck von außen noch nicht so groß war und die Hoffnung bestand, die rückläufigen Benutzerzahlen würden sich schon bald stabilisieren.
  • Dass heute mehr Spendengeld als jemals zuvor im System ist, hilft uns nicht gegen dieses Problem, da die WP von ehrenamtlicher inhaltlicher Arbeit und Selbstverwaltung getragen wird. Wenn uns der Fall Olaf Kosinsky eines lehrt, dann dass es Hand in Hand gehen kann, die WP für seine schmierige Geschäftspraxis als PR-Agentur sowie Commons als Plattform für Abmahnfallen zu nutzen, und zugleich WMF-Fördermittel einzustreichen. Nichts davon sollte überraschen, bemerkenswert ist allenfalls die profitmaximierende Verzahnung dieser drei Praktiken mit der eigenen Tätigkeit in der WP und der eigenen Position in der Community. Letztere hat auch dazu beigetragen, dass dieses System maximaler Kommerzialisierung der WP überhaupt in der Form und so lange funktionieren konnte. Und natürlich ist deswegen auch die Betroffenheit und Empörung jetzt umso größer, weil viele persönlich enttäuscht sind und dann liegt eine Beurteilung in moralischen Kategorien nahe.

Moralische Kategorien eignen sich aber weder zur Beschreibung des Problems noch helfen sie bei seiner Lösung. OK mal beiseite: Viele – wenn nicht die meisten – „Lohnschreiberlinge“ sind keine besonders niederträchtigen Menschen, sondern Lohnabhängige wie du und ich, die ihre Arbeitskraft zu Markte tragen müssen, um ihr Leben zu bestreiten, ob nun als Angestellte oder Selbständige mit Ich-AG, wahrscheinlich eher prekär arbeitende Akademikerinnen und Akademiker. Deswegen tue ich mich auch schwer mit dem Tonfall, den ich in den Diskussionen oftmals wahrnehme, der tendenziell in die Richtung geht, Unternehmen ganz ok zu finden, aber gierige „Lohnschreiberlinge“ für das Problem zu halten. Vor allem Letztere treten bei uns als Problemfälle in Erscheinung, deswegen ist das eine naheliegende Reaktion, aber letztlich tragen die nur den wirtschaftlichen Druck aus den Unternehmen zu uns weiter. Ich bin nicht deswegen für ein möglichst weitgehendes Verbot bezahlten Schreibens, weil ich „Lohnschreiberlinge“ nicht leiden kann oder mich als ehrenamtlichen Autor als ehrenwerteren Menschen ansehe, sondern weil ich den ganzen Komplex PE als existentiell bedrohlichen Mechanismus für die Wikipedia ansehe. Die vielen einzelnen Paid Editors, die dadurch die Tür gewiesen bzw. das PE verboten bekommen, sind einfach nur die ausführenden Zahnrädchen, an die wir am ehesten noch herankommen, um Schaden vom Projekt abzuwenden.

Zur Unvereinbarkeit bezahlten Schreibens mit den Grundprinzipien:

Wir sind ein Projekt zur Erarbeitung einer Enzyklopädie aus freien Inhalten – wie die zustandekommt, wer sie schreibt, ist in dieser Definition nicht explizit ausbuchstabiert.[6] Es ergibt sich erst indirekt aus der Operationalisierung der ersten drei Grundprinzipien und der Anerkenntnis der materiellen Rahmenbedingungen, dass sich dieses Ziel nicht über PE verwirklichen lässt. Das Projekt lebt durch die freiwillige, selbstbestimmte Zusammenarbeit von Wissensproduzentinnen und -produzenten, und stirbt, wenn letztere vergeht. Die Wikipedia ist ein Leuchtfeuer dafür, was Menschen erschaffen können, wenn sie weitgehend selbst über ihre Produktionsmittel bestimmen können. Deswegen ist es so, dass sowohl die ständigen, planvollen Angriffe der WMF auf die Souveränität der Projektgemeinschaften als auch der äußere Druck von Unternehmen, die vom Konkurrenzkampf auf dem Markt dazu getrieben werden, sich der Wikipedia zu bemächtigen, die Bedingungen untergraben, unter denen dieses Projekt überhaupt funktioniert.

Zur Frage der „Strafe“ sowie zur erhofften Wirkung und Symbolik:

Mehrfach wurden Fragen aufgeworfen à la »Warum will man Leute bestrafen, die sich an Regeln halten, wenn man Ärger mit Leuten hat, die das nicht tun?« – Hierzu zweierlei:

  1. Das angestrebte PR-Agentur-PE-Verbot[7] ist keine Strafe. Wenn wir erklären, dass zum Nichtraucherschutz ab sofort Rauchverbot in unserem Gebäude besteht, dann ist das eine Regeländerung und keine Strafe. Wenn jemand künftig gegen diese Regel verstößt und erwischt wird, dann droht eine Konsequenz, nämlich ein Hausverbot. Das könnte man eine Strafe nennen, wenn man wollte, es wäre aber eine sehr maßvolle, denn es gibt hier keinen Partizipationsanspruch. Dass es Leute gibt, die heimlich auf dem Klo rauchen und damit eine Zeitlang durchkommen, ändert nichts daran.
  2. Soweit von Leuten die Rede ist, „die sich an Regeln halten“, sind mit den Regeln wahrscheinlich die PE-Regeln auf Stand der ToU[8] gemeint. Diese Regeln sind aber kein Selbstzweck, sie dienen lediglich der Schadensbegrenzung. Mehr noch: In ihrer gegenwärtigen Fassung erfüllen sie diesen Zweck mehr schlecht als recht. Wer sich an diese Regeln hält, ist damit noch lange keine Hilfe beim Aufbau unserer Enzyklopädie, sondern kann dennoch eine ziemliche Belastung sein – und ist es in der Regel auch. Auf einer rein normativen Ebene könnte man dagegen einwenden, das sei doch alles kein Problem, denn wir haben ja unsere ganzen schönen Richtlinien (den NPOV, die RK, WEB, WWNI …), und hätte damit immerhin halb Recht: Wir haben diese Richtlinien, die unerwünschte Inhalte im ANR eigentlich verbieten. Die Folgerung, deswegen sei doch alles kein Problem, die ist aber falsch, denn umsetzen müssen unser hübsches Regelwerk wir, und wir haben erheblich mit einem objektiv vorhandenen „tendenziellen Fall der Nonprofitrate“ zu kämpfen. Wir müssen die ganzen PEs auf NPOV, RK, WEB, WWNI usw. abklopfen, wir dürfen die LDs darüber führen, wir dürfen im Austausch mit dreisten PR-Accounts ohne Willen zur enzyklopädischen Mitarbeit (aber mit immerhin leidlich erfüllter Deklaration gemäß den ToU, zumindest auf Nachfrage) ihnen noch dabei assistieren, ihren Job richtig zu machen, und wenn man „Glück“ hat, dann hat man es mit einem Vorzeige-PR-Agenten zu tun, der die Grenzen des NPOV tüchtig dehnt und in Situationen, bei denen jede IP und jeder normale Einzweckaccount ohne viel Aufhebens gesperrt würde, auch noch Rückhalt erfährt, weil er ja so vorbildlich deklariert hat.

Aktuell verlieren wir im Wettstreit zwischen der Resilienz des Projekts auf Grundlage unseres bisherigen, auf behutsame Einzelfallprüfung ausgelegten Regelwerks, so hübsch es sich auch liest, und der normativen Kraft des Faktischen, welcher eine gesellschaftskonstituierende Maschinerie zugrundeliegt, nämlich der Konkurrenzdruck der Unternehmen auf dem Markt. Wenn manche Kolleginnen[9] vor diesem Hintergrund die Wichtigkeit betonen, die Deutungshoheit über unser Projekt zurückzuerlangen, dann ist das naturgemäß auch symbolisch, aber (a) wird es auch Auswirkungen auf Prozesse bei uns haben, die uns entlasten und damit eine bessere Position in diesem – selbstverständlich weiterhin existierenden – Konflikt verschaffen werden, (b) wird es bei entsprechender Kommunikationspolitik einen Teil der auf Schönfärberei der PR-Agenturtätigkeit selbst basierenden Masche erschweren, und (c) wird das hoffentlich auch die Wikipedia wieder attraktiver machen für alte und neue Freiwillige, die sich den ursprünglichen und unverändert wichtigen Zielen des Projekts verpflichtet fühlen und keinem zahlungskräftigen Auftraggeber.

Weitere Schritte:

Wie vorab angemerkt, kann das MB nicht mehr sein als ein Element einer ganzen Reihe von Maßnahmen, deren Zusammenwirkung erst wesentliche Verbesserungen der Lage bewirken wird. Das letzte Woche erfolgreich beendete MB zur „Ausführung von Checkuser-Abfragen“ sehe ich als ein anderes solches Element. Als weitere notwendige Maßnahme sollten aufgrund der bisher gemachten Erfahrungen inhaltliche Standards zu Politikerartikeln entwickelt werden, die parteiübergreifend Orientierung geben, wie sie strukturiert gehören, welchen Raum Kritik und Skandälchen bekommen sollen usw. Hierdurch würde nicht nur Schönfärberei durch PR-Agenturen (wie im Falle OK) auf einer weiteren Ebene begegnet, sondern auch politisch geprägte Dauerkonflikte zwischen Kolleginnen und Kollegen[10] ließen sich in wesentlich konstruktivere Bahnen lenken. Das ganze heikle Feld von Artikeln zu lebenden Personen würde von stärker verbindlichen inhaltlichen Standards profitieren.[11] Nicht zuletzt wäre es auch eine Maßnahme zum besseren Schutz unserer Kolleginnen und Kollegen vor juristischen Angriffen aufgrund ihrer Artikelarbeit – aber das wäre schon ein anderes, wichtiges Thema …

Biographien lebender Personen

L’enfer, c’est les articles sur les autres.

„Sein Gewissen ist oft der einzige Wegweiser, den der Journalist hat. Er hat keine Ethikfibel zur Hand. Er agiert jeden Tag im Spannungsfeld von Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten – dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Information auf der einen und dem Leid, das mit der Befriedigung dieses Anspruchs ausgelöst werden kann, auf der anderen Seite. Für Journalisten gibt es keine Zugangsbeschränkung und keine Qualitätskontrolle. Journalist kann jeder sein. Er braucht kein Examen, ja er braucht nicht mal einen Berufsabschluss. Und es gibt auch keine Rechtsmittel. Was er geschrieben hat, hat er geschrieben. Dass die Presse, als Kontrollinstanz der staatlichen Organe, ihrerseits kaum kontrolliert wird, hat einen guten Grund: Staatliche Kontrolle der Presse ist ein Kennzeichen von Diktaturen. Wer sich bei uns gegen die Presse wehren will, muss das mit Hilfe des Presserechts tun und kommt fast immer zu spät.“

Fußnoten

  1. Persönlich hätte ich ein anderes Modell vorgeschlagen, aber das hat sich im Unterstützerkreis des MB als nicht mehrheitsfähig erwiesen.
  2. siehe (a) ZDF Magazin Royale: Wie Politik, PR und Nazis die Wikipedia beeinflussen, ab ca. 15:00; (b) netzpolitik.org: Wikipedia: Mit freundlichen Edits aus dem Bundestag; (c) Wikipedia:WikiProjekt Umgang mit bezahltem Schreiben/Verdachtsfälle/Olaf Kosinsky m. w. N.
  3. Atomiccocktail
  4. Einfach machen Hamburg
  5. Olaf Kosinsky
  6. So steht es geschrieben auf unserer ehrwürdigen Hauptseite. Ein wenig stolz bin ich schon, dass diese Definition heute wie gestern dort so steht, habe ich doch einst an ihr mitgefeilt.
  7. PRAPEV, ist das ein sexy Akronym, verkauft sich das? Ach, ich versteh so wenig von PR …
  8. wmf:Terms of Use#4. Refraining from Certain Activities
  9. etwa Itti und Fiona
  10. Eine dichotome Unterscheidung zwischen dem finsteren POV-Warrior „von außen“ und dem guten, weil stets neutralen WP-Kollegen ist unrealistisch und daher nicht zielführend.
  11. Ich habe aufgrund meines naturwissenschaftlichen Schwerpunkts inhaltlich nur sehr selten mit biographischen Artikeln zu schaffen, aber nach allem, was ich aus dem Bereich mitbekomme, mittlerweile einen Heidenrespekt vor denjenigen Kolleginnen und Kollegen entwickelt, die sich in diesem verminten Gelände um redliche, enzyklopädische Arbeit bemühen. Danke euch allen.