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Auf dieser Seite geht es um sprachliches Wissen und Sachwissen, und am Rande geht es auch um Wörterbücher und Enzyklopädien.

Dazu gleich eine Vorbemerkung: Leute, die wenig geübt sind im Umgang mit Themen wie "sprachliches Wissen versus Sachwissen" werden immer nach "klaren Regeln" suchen, während die Geübteren klar vor Augen haben, dass es sowas wie "klare Regelungen" bei diesem Themengebiet niemals geben wird.

Man muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass man es mit Phänomen zu tun hat, die so vielfältig und vielgestaltig sind, dass es nicht möglich ist, für den Umgang mit ihnen Verhaltensrichtlinien zu geben. Das heißt, man wird den Themen, um die es hier geht, immer nur gerecht werden können, wenn man Formulierungen liefert wie "Die einen sehen es so ... / die anderen sehen es so ...." Oder: "In mancher Hinsicht gilt A / in anderer Hinsicht dagegen gilt das Gegenteil".

Und wenn jemand darauf antwortet: "Wenn es bei diesen Sachen keine klaren Richtlinien geben wird, dann beschäftigt man sich doch am besten gar nicht erst damit" - dann kann das auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Es handelt sich um Themen, mit denen man es im Wikipedia-Alltag jeden Tag aufs Neue zu tun bekommt. Es ist daher durchaus angebracht, immer mal wieder zu schauen, welche die Formulierungen sind, mit denen man sich am wenigsten auf den Füßen herumtrampelt.

Und gleich noch eine Vorbemerkung: Viele Leute sind der Meinung, dass mit dem Grundsatz "Wikipedia ist kein Wörterbuch" alles Wichtige gesagt ist. Antwort: Um Himmels Willen! Was zusammen mit dem Grundsatz "Wikipedia ist kein Wörterbuch" an Erklärungen abgegeben wird, das ist ein krauses Sammelsurium von Ideen. Es kann durchaus angebracht sein, in jenen Ideen herumzustöbern und zu schauen, was sich davon brauchen lässt. Allerdings handelt es sich um Ideen, die selten mal schriftlich fixiert werden. Man muss daher davon ausgehen, dass es zu dem "Wikipedia ist kein Wörterbuch"-Ideen-Sammelsurium so viele Varianten gibt wie es Beteiligte an den Diskussionen gibt.

 

Tradition versus Common Sense

Dass es auf dieser Seite um Sachen geht, die enorm wichtig sind, das möchte ich lieber nicht behaupten. Wichtig ist all das, was in der Form von Geschmacksurteilen weitergegeben wird. Man zeigt sich in den WP-Diskussionen, speziell den Löschdiskussionen, gegenseitig, was man als einen guten Artikelstart ansieht und was eher nicht. Neu Hinzukommende bekommen in erster Linie über Beispiele vermittelt, welche Grundhaltungen man bei der WP pflegt.

Hier und da werden die Grundhaltungen aber auch mit Äußerungen vermittelt, die einen theoretischen Anstrich haben, und natürlich ist es günstig, wenn man Übersichtlichkeit und gute Nachvollziehbarkeit in all dem hat, was an Ideen vermittelt wird. Gut sind Ideen, die sich anhand von Beispielen erläutern lassen; nicht gut sind Ideen, die nachgeplappert werden ohne verstanden zu werden.

Aus den Äußerungen, die mir begegnen, lassen sich zwei Haupttendenzen herauslesen: Es gibt auf der einen Seite Leute, die auf sehr strenge Weise zwischen Enzyklopädien und Wörterbüchern unterscheiden, und es gibt auf der anderen Seite Leute, die immer mal wieder andeuten, dass sich dieses strenge Unterscheiden schlecht mit dem vereinbaren lässt, was die eigene Intuition bei diesen Angelegenheiten meldet.

Für mich ist dabei keine Frage, auf welche Seite ich mich schlage: Mir ist das strenge Unterscheiden eine sehr suspekte Sache. Ich habe den Eindruck, dass sich da Leute bemüht haben, etwas zurechtzukonstruieren, was es in der Welt eigentlich gar nicht gibt.

In früheren Zeiten sind mir des Öfteren Sätze dieser Art begegnet: "Enzyklopädien erklären Begriffe und Wörterbücher erklären Wörter". Ich habe das immer überlesen, weil ich es als die Privattheorie einiger nicht besonders gut informierter Leute gesehen habe.

Inzwischen ist mir aber auf der Diskussionsseite zu "Was Wikipedia nicht ist" eine Stellungnahme von Benutzer:H.a.e.B begegnet, in der er eben jenes strenge Unterscheiden vor den Augen der Leser ausbreitet. H.a.e.B ist nun sicher einer, der seine Sachen nicht einfach schnell hinerzählt. Also werde ich ab jetzt versuchen, Sätze wie "Enzyklopädiem erklären Begriffe und Wörterbücher erklären Wörter" richtig ernst zu nehmen. Es gibt offenbar doch mehr Leute, die dergleichen Ideen vertreten als ich zunächst wahrhaben wollte.

In den Worten von H.a.e.B. sieht das alles so aus (er bezieht sich bei seinen Äußerungen auf Formulierungen, die er bei "Wikipedia:Was Wikipedia nicht ist" gefunden hat):

"Der oder die Verfasser des ersten Satzes scheinen der Ansicht zu sein, dass Wörterbücher und Enzyklopädien die gleichen Gegenstände behandeln, und der Unterschied nur darin besteht, dass die Erklärung in einer Enzyklopädie ausführlicher ist als die des Wörterbuchs zum selben Gegenstand. Wie unter Wikipedia:Wikipedia ist kein Wörterbuch ausführlich erläutert wird, ist der prinzipielle Unterschied jedoch, dass Wörterbücher und Enzyklopädien normalerweise verschiedene Gegenstände behandeln, nämlich Wörter und Begriffe."

Da haben wir es also, das strenge Unterscheiden zwischen Wörterbüchern und Enzyklopädien - Enzyklopädien erklären Begriffe und Wörterbücher erklären Wörter.

Ich nun wiederum bin der Meinung, dass das strenge Unterscheiden zu nichts nütze ist und dass man sich gegenseitig die Gehirne vernebelt, wenn man dauernd so tut, als wenn sich mit einem Verweisen auf die Unterschiede zwischen Wörterbüchern und Enzyklopädien wertvolle Hinweise für die WP-Praxis geben ließen.

Ich werde dabei immer auch im Auge behalten, dass aus komischen Ideen eine verdrehte Praxis folgen kann. Es hat einmal Leute geben, die sich nicht damit zufrieden geben wollten, dass das strenge Unterscheiden eine Sache der Theorien ist, sondern sich bemüht haben, die Praxis den komischen Theorien anzupassen. Mir ist das als ein schrecklich verrückter Kram in Erinnerung geblieben (siehe dazu den Abschnitt "Der Verschiebeverfahren-Flop").

 

Was bedeutet „Wikipedia ist kein Wörterbuch“?

Der Satz „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ bezieht sich nicht auf ein abgeschlossenes Werk, sondern auf ein Werk, das im Entstehen begriffen ist. Der Satz beschreibt daher nicht einfach etwas in der Welt Vorgefundenes; man wird vielmehr in dem Satz eine "Sollen"-Komponente entdecken.

Und damit dürfte die Einigkeit beim Interpretieren von „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ auch schon an ihre Grenzen kommen. Wenn es darum geht, was man sich unter der Sollen-Komponente, die da inbegriffen ist, vorstellen kann, dann dürfte es zwanzig verschiedene Auffassungen nebeneinander geben. Zu was für einem Verhalten wird mit dem Satz aufgefordert?

Wenn Leute einen Satz in die Welt bringen, der ganz offenbar eine Sollen-Komponente enthält, während aber unklar bleibt, zu was für einer Art von Verhalten aufgefordert wird, dann spiegelt das eine Unsicherheit der Verfasser. Die von mir bevorzugte Lesart ist daher diese: „Es gibt einige Phänomene bei der Arbeit an der Wikipedia, mit denen es immer wieder Probleme gibt. Für die Lexikographen scheinen das alles Sachen zu sein, mit denen sie gut klar kommen, wir jedoch sind da eindeutig überfordert. Wir sind keine Lexikographen! Und es sollte auch gar nicht erst einer anfangen so zu tun, als wenn wir welche wären!"

Die Unsicherheit geht so weit, dass man nicht einmal bereit ist, genauer anzugeben, was das für Phänomene sind, die man da im Auge hat. Man deutet einfach nur an, dass es um das Zeugs geht, mit denen sich Lexikographen immer mal wieder ganz gerne herumschlagen, man selber aber nicht.

Nun ist „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ ein Satz, der eine verführerische Einfacheit zeigt. Es wird immer wieder Leute geben, die sich durch den Satz an den Duktus von Sätzen erinnert fühlen, mit denen anderswo für Ordnung gesorgt wird. Man denke an Sätze wie: "Das ist hier kein Spielplatz!" / "Wir sind hier nicht einem Mädchen-Pensionat!" / "Das ist hier keine Spazierfahrt!"

„Wikipedia ist kein Wörterbuch“ ist ein Satz, mit dem ein Appell gegeben wird, und nicht wenige werden darin vor allem einen Appell sehen, "Ordnung zu schaffen" und für strikte Abgrenzungen zu sorgen.

Und genauso funktioniert der Satz ja auch tatsächlich. Wer eher ein Temperament mit Neigungen zum Theoretischen hat, der wird sich um Definitionen bemühen, mit denen gezeigt wird, dass Enzyklopädie-Schreiber und Wörterbuch-Schreiber in unterschiedlichen Galaxien leben. Leute, die in ihrem Gemüt eher eine Tendenz zum Robusten haben, werden aus dem Satz herauslesen, dass es angesagt ist, ein strenges Gesicht zu zeigen und sich gegen schädliche Umtriebe zu wenden. „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ ist ein Satz, mit dem sich im Zweifelsfall Polizeitruppen rekrutieren lassen. Leute zu finden, die bereit sind, so einem Satz ordentlich viel Gläubigkeit entgegenzubringen, wird dabei niemals ein Problem sein.

Das alles nun allerdings, während es sich eigentlich um einen Satz handelt, mit dem eine Verunsicherung zum Ausdruck gebracht wird. Und es hat auch noch niemand vollbracht, etwas genauer anzugeben, gegen was da abgegrenzt werden soll. Polizeitruppen, die losgeschickt werden, damit die Macht und Würde von „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ gewahrt bleibt, werden mit ihren Bemühungen ins Leere gehen, weil ihnen keiner vorgeben kann, gegen was sie sich wenden sollen.

 

Was also ist „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ wert?

Der Satz „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ und die zugehörigen Vorstellungen von streng getrennten Wörterbuch- und Enzyklopädie-Welten sind nichts wert. Man hat nur nach etwas gesucht, womit man sich ein bisschen die Nerven beruhigen kann, als man gesehen hat, dass man beim enzyklopädischen Arbeiten immer mit allerhand sprachlichem Kleinkram zu tun bekommt.

Man hat sich bemüht, die simple Tatsache zu leugnen, dass die Übergänge zwischen Enzyklopädie und Wörterbuch fließend sind. Man hat sich bemüht, eine absurde Welt herbeizukonstrieren, in der sich zu jedem Wort angeben lässt, ob es "Wörterbuch" oder "Enzyklopädie" ist.

„Wikipedia ist kein Wörterbuch“ ist ein Satz, mit dem eine sonderbar abgeschlossene Welt geschaffen wird. Man kann leicht zu der Vermutung finden, dass mit dem Satz etwas verboten werden soll, und wenn die Frage aufkommt, was denn damit verboten werden soll, dann lautet die Antwort: "Wörterbuchartikel". Und wenn als nächstes jemand fragt, was man sich denn unter "Wörterbuchartikeln" vorstellen soll, dann wird immer die naheliegendste Antwort lauten: "Das, was mit 'Wikipedia ist kein Wörterbuch' ausgeschlossen werden soll."

Das ist eine Art von abgeschlossenem Denken, das der Wikipedia nicht gut tut. Inbegriffen ist immer sowas wie "lexikographisch orientiertes Arbeiten ist bei der Wikipedia nicht willkommen" - während die alltägliche Arbeit das genaue Gegenteil zeigt: Es wird sehr viel mit Begriffen gearbeitet; Leute, die bereit und imstande sind, Begriffe gegeneinander abzugrenzen und Bedeutungsvarianten zu bestimmen, finden reichlich Betätigungsfelder.

 

Wenn alles nichts hilft - einfach „Wörterbuch“ sagen

Bei der Wikipedia ist immer viel von Wörterbüchern die Rede. Man muss es als eine Verlegenheitslösung betrachten, wenn viel von Wörterbüchern die Rede ist. Eigentlich will man sich darüber unterhalten, was in die WP hineingehört und was nicht. Da sich aber oft schlecht in Worte fassen lässt, warum man meint, dass ein bestimmter Text in die WP gehört und ein anderer nicht, befindet man sich in einer Verlegenheit und greift zu einer Notlösung.

Wer in den Diskussionen zu den einzelnen Artikeln auf Wörterbücher verweist, der sagt eigentlich nur sowas wie "Wörterbücher sind anders, und der Artikel da, der ist auch anders". Man erklärt, dass einem der betreffende Artikel das Gefühl vermittelt, dass es sich nicht um einen richtigen Enzyklopädie-Artikel handelt, wobei es aber nicht gelingen will, die Abweichungen gegenüber den Standards in Worte zu fassen, sodass man sich zuletzt darauf beschränkt, das Codewort "Wörterbuch" anzuführen. ("Der Artikel muss gelöscht werden - weil nämlich Codewort 'Wörterbuch' ")

Mal angenommen, man hätte sich darauf geeinigt, in den betreffenden Situationen statt "Wörterbuchartikel" immer "Problem 23" zu sagen - die Sachen würden gerade genauso laufen. Jemand, der "Problem 23" liest, würde sich sagen: "Ach, da geht es also um einen von diesen Artikeln, die sich immer so schlecht einschätzen lassen" (dasselbe nämlich, das er sich auch bei der jetzt üblichen Sprachregelung sagt.)

Vorteil bei einer "Problem 23"-Sprachregelung: Wörterbuchartikel könnten dann wieder einfach Artikel in Wörterbüchern sein. Man würde aufhören, das harmlose Wort "Wörterbuchartikel" als Kampfbegriff einzusetzen. Die grauslige, an allen Ecken der Wikipedia auftauchende Tendenz, das Wort "Wörterbuchartikel" auf schräge Weise mit Bedeutung zu überfrachten, würde zu einem Ende kommen.

 

Die Intuition meldet: „mehr enzyklopädisch“ / „weniger enzyklopädisch“

Hier folgt mein eigener Versuch, die Frage zu beantworten, um was es geht, wenn im Wikipedia-Kontext das Stichwort "Wörterbuch" ins Spiel gebracht wird: An sich geht es darum, dass in der WP Ausdrücke der deutschen Sprache als Lemmata angesetzt werden und dass man feststellen kann, dass man manche Lemmta als "mehr enzyklopädisch" erlebt und andere als "weniger enzyklopädisch". Manche Lemmata erlebt man als zum Kernbestand der Enzyklopädien gehörig, andere eher als zum Randbereich gehörig.

Wie allerdings kann man sich selber klar machen, warum man manche Lemmata als zum Kernbestand gehörig betrachtet und andere eher als zum Randbereich gehörig? Vielleicht so:

Was tut man, wenn man bestimmen will, was unter Ribonukleinsäure verstanden wird? Man fragt die Genetiker. Und wenn man bestimmen will, was ein Aufhebungsvertrag ist? Man fragt die Arbeitsrechtler. Wenn man jedoch bestimmen will, was Wohlwollen ist, dann befragt man ... ... irgendwie lässt sich bei "Wohlwollen" nicht richtig angeben, was es denn für Autoritäten hinter dem Begriff geben könnte. Am besten sagt man wohl: Die Autorität, die hinter dem Ausdruck "Wohlwollen" steht, das ist die Sprachgemeinschaft (= die Gemeinschaft aller Leute, die Deutsch sprechen).

Für den Hausgebrauch scheint das ein taugliches Kriterium zu sein: Wenn "hinter einem Ausdruck" keine Personengruppe zu erkennen ist, die für den Ausdruck eine besondere Zuständigkeit hat, wenn also hinter dem Ausdruck nur die Sprachgemeinschaft oder das Sprachsystem als bedeutungskonstituierende Instanz zu erkennen ist, dann ist das ein Indiz dafür, dass es bei dem Lemma in Richtung "Randbereich" geht.

Man kann die Sache ja mal anhand von Beispielen durchprobieren, und man wird sehen, wohin das führt:

"Sicherheit" - taucht als Begriff an den verschiedensten Ecken der Welt auf --> zuständig ist die Sprachgemeinschaft --> Randbereich
"Äußere Sicherheit" - zuständig sind die Politiker und die Militärs --> Kernbereich
"Verständnis" - hinter dem Ausdruck findet man einfach nur die Sprachgemeinschaft --> Randbereich
"Gerrymandering" - zuständig sind die Politikwissenschaftler --> Kernbereich
"Katze" - eine Angelegenheit für die Biologen --> Kernbereich
"Harmonie" - muss man als ein Misch-Dingens ansehen; sofern es sich um den Begriff aus der Musik handelt --> Kernbereich; sofern es sich um einen Begriff handelt, mit dem zwischenmenschliche Situationen beschrieben werden --> Randbereich.
"Schmutz" - es lässt sich keine Personengruppe angeben, die mit ihrem Reden in besonderer Weise bedeutungskonstitutierend wirken würde --> Randbereich.

 

Man würde gerne in Worte fassen, warum die Intuition mal das eine und mal das andere meldet

Es lassen sich sicher jede Menge Kriterien angeben, mit denen man bestimmen kann, was einem als "mehr enzyklopädisch" oder als "weniger enzyklopädisch" vorkommt. Was man dabei niemals tun sollte: Man sollte niemals so tun, als wenn man Kriterien gefunden hätte, mit denen sich letzte Entscheidungen über die Enzyklopädiewürdigkeit von Ausdrücken treffen ließen. Solche Kriterien gibt es nicht.

Was man tun kann, ist einfach nur, sich und anderen ansatzweise ein bisschen zu erläutern, wie das kommt, dass man manche Ausdrücke als besser geeignet für eine Enzyklopädie ansieht und andere weniger.

Sinn und Zweck der Übung im letzten Absatz ist vor allem gewesen zu zeigen, dass man sich den hier anstehenden Themen nähern kann ohne das Wort "Wörterbuch" auch nur ein einziges Mal zu verwenden. Wichtig ist mir auch dieser Punkt: Die Vertreter der dusseligen "Wikipedia ist kein Wörterbuch"-Philosophie lassen den Leser in ihren Stellungnahmen ständig im Unklaren darüber, wann sie über Lemmata sprechen und wann sie über Artikel-Texte reden. Bei meinen Ausführungen im obigen Absatz dagegen ist klar, dass es um Lemmata geht.

 

Löschdiskussionen

Es kann die verschiedensten Gründe dafür geben, dass jemand einen WP-Artikel als "Wörterbuchartikel" klassifiziert:

  1. Jemand kann eine Unterscheidung zwischen Kernbereich und Randbereich im Sinn haben, wie ich sie oben vorgeführt habe. Wer so vorgeht, der fragt sich bei jedem Lemma, das ihm begegnet, ob es sich da im weitesten Sinn um einen fachsprachlichen Begriff handelt oder ob man von einem allgemeinsprachlichen Begriff sprechen sollte. Die Artikel mit allgemeinsprachlichem Lemma sind dann die "Wörterbuchartikel".
  2. Viel häufiger gerät man aber in den Löschdiskussionen an die Sichtweise, derzufolge alle Artikel als "Wörterbuchartikel" klassifiziert werden sollen, die sehr kurz sind und eigentlich nur aus einer Definition bestehen.
  3. Es kann aber auch passieren, dass jemand einen langen Artikel als "Wörterbuchartikel" klassifiziert, weil er darin Elemente entdeckt hat, die er als missliebig betrachtet, etwa längere Ausführungen zum Sprachgebrauch.
  4. Daneben gibt es eine Vielzahl von anderen Gründen, die einen Menschen dazu bringen können, von "Wörterbuchartikel" zu sprechen. Letztlich kann fast alles, was sich nicht richtig einordnen lässt und einen unliebsamen Eindruck macht, das Etikett "Wörterbuchartikel" bekommen.

Kurios daran ist, dass eigentlich nur die Artikel, die mit Punkt 2 angesprochen werden, sinnvoll als Wörterbuchartikel bezeichnet werden können. Dort geht es um Artikel, mit denen knappe Angaben geliefert werden, und in Wörterbüchern findet man tatsächlich knappe Angaben - während man es bei der Wikipedia vorzieht, in ganzen Sätzen zu formulieren.

Für mich hat es schon zirka fünfzig Mal bei der Beschäftigung mit Beiträgen auf der Löschkandidatenseite diese gedanklichen Abläufe gegeben:

- Moment mal. Was waren jetzt noch gleich Wörterbuchartikel?
- Ach ja. Ich erinnere mich. Mit "Wörterbuchartikel" sind immer die knappen Angaben gemeint, die man bei Duden und Wahrig findet.
- Nanu. Der Text, um den es da jetzt geht, das ist aber doch eigentlich ein ziemlich ausführlicher Text ...
- Na ja. Is eben Wikipedia. Die Leute denken sich nichts dabei, wenn sie so reden.

Und es bleibt jedes Mal ein Grummeln zurück. Beim Argumentieren für oder gegen einen bestimmten Artikel könnte es an sich differenziert zugehen. Die Differenzierungsmöglichkeiten werden jedoch plattgewalzt, wenn sich Leute einfach zu dem Wort "Wörterbuchartikel" flüchten.

Es kann der Verdacht aufkommen, dass die Wörterbuchmacher das böse Gegenbild abgeben sollen: Die Wörterbuchmacher sind Leute, die jeden Mist in ihre Nachschlagewerke aufnehmen. Und so struppige Leute wie die wollen wir ja nicht sein, und deswegen muss der Artikel gelöscht werden.

 

Stubs

Wenn man Klarheit in diese Sachen bringen wollte, dann müsste man vorgeben, dass "Wörterbuchartikel" nur noch gesagt werden sollte, wenn es um einen sehr kurzen Artikel geht. Dann allerdings würde gleich das nächste Problem auftauchen: "Wörterbuchartikel" wäre dann gleichbedeutend mit "Stub", und das wäre dann ebenfalls etwas seltsam. So bleibt es also dabei, dass ein "Wörterbuchartikel" ein Stub + x ist - wobei es jedem einzelnen selbst überlassen bleibt, was er für "x" ansetzen will - eigentlich ein ziemlich sinnloser Kram. "Wörterbuchartikel" ist ein Wort mit semantischen Leerstellen. Lässt man die Leerstellen weg, hat man ein Wort, das synonym mit "Stub" ist.

Gelegentlich gibt es für mich die Frage, wie sich die Sachen auf der Löschkandidatenseite entwickeln würden, wenn dort viele Linguisten und Sprachphilosophen versammelt wären. Ich glaube, dass bei einem großen Anteil an Linguisten und Sprachphilosophen das Wort "Wörterbuchartikel" sehr bald von der Bildfläche verschwinden würde. Leute, die es von Haus aus gewohnt sind, immer für möglichst viel sprachliche Klarheit zu sorgen, würden sicher auch darauf achten, dass stets deutlich wird, ob man über ein Lemma redet, über einen Artikel-Text oder über eine Kombination aus Lemma + Artikel-Text.

 

Checkliste

  • Geht es dir um das Lemma? Glaubst du, dass das Lemma für die WP nicht geeignet ist?
  • Oder ist es so, dass dir das Lemma interessant vorkommt, während der Text jedoch einen misslungenen Eindruck macht?
  • Oder ist es eher so, dass dir Lemma und Text gleichermaßen unangenehm aufgefallen sind (sodass es sich also um eine Kombination aus zweifelhaftem Lemma und miesem Text handelt) ?

 

Wenn es gut läuft

Im Prinzip sollte es möglich sein, gänzlich darauf zu verzichten, auf Wörterbücher zu verweisen. Es geht schließlich um die Frage, welche Voraussetzungen ein Artikel erfüllen muss, damit er sich sinnvoll in das Artikelgefüge der WP integrieren lässt. Die entsprechenden Diskussionen lassen sich vollkommen mit Argumenten bestreiten, mit denen man ausschließlich auf die Erfordernisse der WP verweist.

 

Relevanzkriterien für allgemeinsprachliche Begrifffe

Man scheut sich bei der Wikipedia davor, von "Relevanzkriterien für allgemeinsprachliche Begriffe" zu sprechen. Der Grund dafür dürfte dieser sein: Mit "Relevanz" verbinden sich Vorstellungen von Wichtigkeit und allgemeiner Bekanntheit. Wie sollte man nun aber im Bereich der allgemeinsprachlichen Begriffe Gewichtungen nach Wichtigkeit und Bekanntheit vornehmen? Man wird dazu tendieren, Begriffe wie "Wohlwollen", "Häufigkeit", "Gruppe" alle als gleich wichtig und gleich bekannt zu betrachten.

Man kann jedoch feststellen, dass sich im Laufe der Zeit dennoch etwas herausbildet, was man als "inoffizielle Relevanzkriterien" bezeichnen kann. Man geht im Allgemeinen davon aus, dass ein Begriff die Relevanzschwelle überschritten hat, wenn jemand zeigen konnte, dass der Begriff in irgendeiner Weise mit den Wissenschaften in Verbindung gebracht werden kann. Dasselbe gilt für alle anderen beruflichen Tätigkeiten. Als relevant betrachtet man die Begriffe, die sich einem bestimmten Berufsfeld zuteilen lassen.

Hat also der Ausdruck "Geräuschkulisse" die Chance zu einem Lemma für einen Wikipedia-Artikel zu werden? Ja. Dann nämlich, wenn jemand zeigen kann, dass es Leute gibt, die beruflich damit beschäftigt sind, Geräuschkulissen zu erstellen.

Relevanz-Diskussionen dieser Art laufen daher immer auf die Frage hinaus, ob man einen Begriff als allgemeinsprachlich betrachten muss oder ob man ihn als (im weitesten Sinn) fachsprachlich betrachten kann. Wenn es allerdings bei der Einschätzung "allgemeinsprachlich" bleibt, dann heißt das nicht, dass der Artikel dadurch keine Chance mehr hat; man wird den Artikel-Text einfach mit mehr Skepsis betrachten. Für einen Artikel mit einem Lemma, das sich einem bestimmten klar definierbaren Tätigkeitsfeld zuordnen lässt, sind die Aussichten, dass er alle Qualitätskontrollen passiert, besser.

 

Die Unterscheidung zwischen "Begriffserklärung" und "Worterklärung"

Wenn man im Internet nach Erläuterungen zu einem bestimmten Begriff sucht, dann kann man feststellen, dass bei bestimmten Begriffen die Suche ziemlich aussichtslos ist. Niemand auf der Welt scheint sich für den Begriff zuständig zu fühlen, sodass als letzte Retter nur noch die Wörterbücher in Frage kommen.

Wer das so mag, der kann erklären, dass die Begriffe, für die sich immer nur die Verfasser von Wörterbüchern zuständig fühlen, Begriffe sind, für die nur "Worterklärungen" möglich sind. So sieht es jedenfalls eine Sprachregelung vor, die sich bei der Wikipedia eingestellt hat und die auf mich einen akzeptablen Eindruck macht. Artikel mit "Worterklärungen" sind demnach jene, die sich mit Allerweltsbegriffen beschäftigen, also Begriffen, die sich nicht in besonderer Weise mit einer Wissenschaft, einem Berufsfeld, einem Hobby in Verbindung bringen lassen.

So weit so gut. Komisch wird die Sache mit den "Worterklärungen" allerdings, wenn erklärt wird, dass man in Wörterbüchern nur lauter "Worterklärungen" findet, in der Wikipedia aber lauter Begriffserklärungen.

Merkwürdige Vorstellungen kommen da ins Spiel. Da stellen sich Leute vor, dass eine Definition, die man aus einer Enzyklopädie nimmt und in ein Wörterbuch überträgt, dadurch dann sogleich in eine total andere Kategorie fällt.

Welche Besonderheiten gibt es für jene Begriffe, die nicht in Fachlexika auftauchen, für die man aber eigentlich trotzdem ganz gerne eine Definition in der WP findet?

  • Es lassen sich meistens keine Weblinks zu den Begriffen angeben.
  • Bei der Kategorisierung der betreffenden Artikel gibt es häufig das Problem, dass man sie nicht so recht einem Fachgebiet oder einem Themengebiet zuordnen kann.
  • Einerseits gibt es für die betreffenden Begriffe viele Verlinkungsmöglichkeiten (es handelt sich meistens um Begriffe, die häufig in WP-Texten auftauchen), andererseits wirkt aber eine Verlinkung zumeist nicht sinnvoll. (Man setzt voraus, dass es für das Verständnis der WP-Artikel hinreichend ist, wenn der Leser des Artikels zu dem betreffenden Begriff einfach sein Alltagsverständnis aktiviert.)

 

Der Verschiebeverfahren-Flop

Was man besser nicht tun sollte: Man sollte nicht so tun, als wenn man damit beschäftigt wäre, das tiefere Wesen von Enzyklopädien und Wörterbüchern zu ergründen. Sowas läuft nämlich immer darauf hinaus, dass man Hirngespinste schafft. Wer den Wesensunterschied zwischen Wörterbuch und Enzyklopädie bestimmen will, der hat zuletzt nicht mehr die realen Wörterbücher und Enzyklopädien im Blick, sondern beschäftigt sich mit Wörterbüchern und Enzyklopädien als gedanklichen Konstrukten.

Offenbar hat es im WP-Kontext schon häufiger solche Abläufe gegeben: Man baut sich "Wörterbuch" und "Enzyklopädie" als gedankliche Konstrukte zusammen und stellt dann ganz erschüttert fest, dass das reale Arbeiten an den Wikipedia-Texten sich immer nur sehr wenig an jenen Konstrukten orientieren will.

Wenn sowas ganz fatal läuft, dann kommen die betreffenden Leute zu dem Ergebnis, dass nun aber wirklich alles ganz anders werden muss und lassen sich ein "Verschiebeverfahren" einfallen. (Ende 2004 hat man ein Verschieverfahren entwickelt, bei dem alles Wörterbuchartige, das man in der WP findet, in das Wiktionary verschoben werden sollte. Das konnte wie eine Exorzismus-Veranstaltung wirken, bei der der WP das Sprachliche ausgetrieben werden sollte.)

Man kann den Leuten, die sich Ende 2004 darangemacht haben, das Verschiebeverfahren zu entwickeln, eigentlich dankbar dafür sein, dass sie einmal in voller Krassheit vorgeführt haben, wie absonderlich das läuft, wenn sich Leute daranmachen, die Wikipedia zu einer purifizierten Enzyklopädie (also zu einer von allem Wörterbuchhaften befreiten Enzyklopädie) zu machen. Seither ist es möglich, allen Leuten, die sich mit ähnlichen Ambitionen zu Wort melden, zu antworten: "Ha, ha. Ist alles schon mal durchprobiert worden. Hat sich als absurder Kram rausgestellt!"

Im Zusammenhang mit dem Verschiebeverfahren ist eine hässliche "Wörterbücher sind Mülleimer"-Philosophie an die Oberfläche gekommen, die bei der WP stets latent vorhanden ist. Nach einer weitverbreiteten Auffassung sind Wörterbücher Einrichtungen, für die es keine Relevanzkriterien gibt. Wörterbücher nehmen von "Ohjottojott" bis "Zum Henker nochmal" alles auf, was einem beim täglichen Wikipedia-Geschäft in die Quere kommt und als nicht brauchbar aussortiert wird. (Ein Lexikograph, der an die WP-Diskussionen gerät, hätte daher viel Grund, sich zu gruseln.)

Im Zusammenhang mit dem Verschiebeverfahren sind allerhand sonderbare Formulierungen aufgetaucht. Beispielsweise sowas:

  • "Artikel, die Wörterbuchartikel sind, bitte mit dem Wörterbuch-Baustein versehen."

Wer sich den Blödsinn, der in solchen Formulierungen steckt, vor Augen führen will, der kann sich diese Sätze anschauen:

  • "Dieses Auto sieht aus wie ein Bulle." (Eine Formulierung, gegen die sich kaum was einwenden lässt. Wer Ähnlichkeiten sehen will, der soll das so sehen.)
  • "Dieses Auto ist ein Bulle." (Diese Formulierung führt in den Bereich des metaphorischen Redens. Wenn ein Schreiber zum Ende eines Auto-Testberichts seine Bewunderung gegenüber dem getesteten Auto mit solchen Worten zum Ausdruck bringen will, dann wird man das möglicherweise als zulässig betrachten.)
  • "Autos, die Bullen sind, gehören nicht auf die Autobahn!" (Hilfe! Nein! So nicht! Da ist jemand dazu übergegangen, das eigene metaphorische Reden viel zu ernst zu nehmen. Beim Satz "Dieses Auto ist ein Bulle" hatte der Schreiber einfach mal probeweise die Assoziationsbereiche von "Auto und "Bulle" zusammengebracht. Man sollte aber nun wirklich nicht anfangen, von Autos zu sprechen, zu deren wesentlichen Eigenschaften ab jetzt auch einige Haupteigenschaften von Bullen gehören.

Es hat seinerzeit auch Hinweise wie diese gegeben: "Aus 'Wikipedia ist kein Wörterbuch' folgt aber, dass Adjektive kein Lemma sein können." Es ist überhaupt sehr viel die Rede von Sätzen gewesen, die angeblich aus jener blöden Phrase folgen. Niemals allerdings hat jemand erklärt: "Aus 'Wikipedia ist kein Wörterbuch' folgt, dass die alphabetische Sortierung der Lemmata aufgegeben werden muss." Als logische Ableitungen aus "Wikipedia ist kein Wörterbuch" wurden immer nur jene Ideen präsentiert, die den betreffenden Leuten gerade als aktuelle Lieblingsideen im Kopf herumgespukt sind. Bis zum heutigen Tag denken viele Leute, dass man das Sammelsurium an in der Gegend herumflatternden Ideen, das es bei der WP gibt, als ein geschlossenes Gedankengebäude betrachten kann, und natürlich folgen bei jenem Gedankengebäude immer schön alle wichtigen Sätze aus "Wikipedia ist kein Wörterbuch". Es ist unklar, ob man jenen Blödsinn jemals wieder loswerden wird. Bei Leuten, die ausdrücklich den Wunsch nach so einem Gedankengebäude haben, wird der Schritt hin zu der Behauptung, es gäbe so ein Gedankengebäude, immer sehr klein sein.

 

Sich einüben in den Umgang mit einer zweigeteilten Welt

Der Glaube, man würde bei der WP über eine Formel verfügen, mit der sich bestimmen ließe, was in eine Enzyklopädie gehört und mit der sich weiterhin auch noch gleich bestimmen ließe, was in ein Wörterbuch gehört, ist einfach nicht totzukriegen.

Wenn ich mich frage, woher solche sonderbaren Fehleinschätzungen kommen, dann gerate ich an die Sprachgewohnheiten, die sich auf der Löschkandidatenseite eingestellt haben. Viele Leute haben sich dort die Gewohnheit zugelegt, Artikeln das Etikett "Wörterbuchartikel" anzuheften. Das dürfen sie ja meinetwegen auch tun, aber man muss immer darauf gefasst sein, dass Leute auftauchen, die dazu tendieren, das Reden von "Wörterbuchartikeln" (was eigentlich einfach nur ein schnodderiger Insider-Slang ist) gar zu ernst zu nehmen.

Was sagen Leute, die "Wörterbuchartikel" sagen? In erster Linie sagen sie, dass ihnen der Artikel, um den es da gerade geht, nicht gefällt. Unter Umständen sind sie der Meinung, dass der Artikel zu kurz ist; kann sein, dass der Artikel lediglich eine Begriffsdefinition liefert; möglich ist weiterhin, dass sie sich einfach nicht vorstellen können, dass es zu dem Lemma viel zu sagen geben könnte.

Es scheint nun immer wieder Leute zu geben, die feststellen, dass auf der Löschkandidatenseite von "Wörterbuchartikeln" gesprochen wird und die sich dazu dann sagen: "Kann ja eigentlich nicht sein, dass jene Leute einfach nur sagen wollen, dass ihnen die betreffenden Artikel zu kurz vorkommen. Es ist sicher eher so, dass die ein stilles Wissen darüber haben, was in eine Enzyklopädie gehört und was in Wörterbücher gehört. Ganz offensichtlich ist es so, dass man bei jedem Lemma bestimmen kann, ob es nach Enzyklopädie oder Wörterbuch gehört."

So entstehen durch bloßes Nachäffen und durch Sich-einen-falschen-Reim-auf-einen-komischen-Sprachgebrauch-Machen Überzeugungstäter. Schon bald wird der betreffende Mensch erklären, dass all diese Artikel, die von irgendwelchen Leuten aus irgendwelchen Launen heraus als "Wörterbucheinträge" markiert werden, in das Wiktionary gehören, und wenn man nachforschen würde, wie er zu solchen sonderbaren Behauptungen kommt, dann würde man feststellen, dass er eigentlich einfach nur darauf setzt, dass die Leute, die immer "Wörterbuchartikel" sagen, sich schon irgendwie was dabei denken.

In letzter Konsequenz läuft der Kram, den sich die Leute da zusammenreimen darauf hinaus, dass es an der Zeit ist, zur Duden-Redaktion zu gehen und die Sachen ein für alle Mal festzulegen, so nach dem Motto: Kriegt ihr "Wohlwollen", kriegen wir "Schnupfen", kriegt ihr "Redundanz" kriegen wir "Betriebsausflug".

 

„Wörterbuchartikel“

Es sind historische Gründe, die dazu geführt haben, dass von "Wörterbuchartikeln" gesprochen wird. Das Reden von "Wörterbuchartikeln" ist zusammen mit dem Grundsatz „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ aufgekommen.

Nun lässt sich gegen den Grundsatz „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ nicht sonderlich was einwenden. Es kann eigentlich nicht verkehrt sein, wenn man sich gegenseitig immer mal wieder darauf hinweist, dass die Ersteller von Wörterbüchern anderen Konventionen folgen als die Ersteller von Enzyklopädien. Die einen gehen das Wissen der Welt "mehr von der sprachlichen Seite her" an, die anderen "mehr von den Sachen her". Alles kein Problem.

Zu den traditionellen Sichtweisen gehört allerdings auch zu glauben, dass von dem Grundsatz „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ ein Verbot ausgeht. Und wenn man fragt, was denn da verboten wird, dann lautet die Antwort: "Wörterbuchartikel". Und was also sind Wörterbuchartikel? Tja, ... Man hat da eine Situation, in der jeder, der eine Definition für "Wörterbuchartikel" liefert, damit zugleich auch bestimmt, was verboten sein soll.

Allerdings ist es zu hochgestochen, wenn man in diesem Zusammenhang von "Definitionen" spricht. Jemand, der auf einen WP-Artikel zeigt und erklärt, "Das ist ein Wörterbuchartikel", der bleibt damit im Reich des metaphorischen Redens stecken. (Wenn es heißen würde: "Der Artikel erinnert mich an Wörterbuchartikel", dann wäre das eine Art von Vergleich, bei der verkürzten Form "Das ist ein Wörterbuchartikel" jedoch wird "Wörterbuchartikel" zu einer Metapher.)

Wer "Das ist ein Wörterbuchartikel" sagt, lässt erkennen, das ihm die Phänomene, um die es geht, sehr wenig geheuer sind. Man möchte nach Möglichkeit nicht gefragt werden, welche Phänomene man da ins Auge gefasst hat. Man fühlt sich am wohlsten, wenn man bei der Metapher bleiben kann und wenn niemand nachfragt, was man denn eigentlich konkret im Sinn hat.

Wer will, kann bei "Wörterbuchartikel" von einer "mystifizierenden Metapher" sprechen. Der "Wörterbuchartikel"-Sager will verschleiern, dass er sich unsicher fühlt und dass er im Grunde denkt, dass ihm die Kenntnisse fehlen, die man braucht, um die betreffenden Angelegenheiten angemessen handhaben zu können.

Es passiert daher auch äußerst selten, dass jemand auf die Äußerung "Das ist ein Wörterbuchartikel" antwortet: "Nein, du irrst dich. Das ist kein Wörterbuchartikel." Es ist ja doch immer spürbar, dass die Gegenseite sich eingemauert hat. Wer "Wörterbuchartikel" sagt, ist nicht einer, der mit sich diskutieren lässt.

 

Ein letzter Versuch, dem Reden über „Wörterbuchartikel“ etwas mehr Sinn abzugewinnen

Man kann sich natürlich ausmalen, aus welchem Dilemma heraus das Reden von "Wörterbuchartikeln" entstanden ist. Man hat seinerzeit gesehen, dass in den Artikelbeständen der WP immer mal wieder ausgemistet werden muss. Und was gibt man als Grund an, wenn man einen Artikel zu XYZ nicht haben will? Man erklärt, dass kein Mensch Interesse an XYZ hat und dass auch keiner was über XYZ weiß.

Das hat bei vielen Artikeln auch ganz gut funktioniert. Man hatte jedoch das Dilemma, dass es immer wieder Artikel gibt, die einem nicht in den Kram passen, von denen man aber nicht so recht behaupten kann, dass es da um Sachen geht, die keiner kennt.

Also ist man darauf verfallen, von "Wörterbuchartikeln" zu reden. "Wörterbuchartikel" bedeutet da so viel wie "Artikel, den ich nicht in der WP haben will, obwohl man dem Lemma eine allgemeine Bekanntheit nicht absprechen kann."

Wer immer Artikel zu Begriffen wie diesen anlegt, wird daher erzählt bekommen, er habe einen "Wörterbuchartikel" angelegt: Des Glückes Unterpfand, Person des öffentlichen Lebens, Kommste heute nicht, kommste morgen, Gott zum Gruß, Mañana, Fick dich ins Knie, Housekeeper, Rambazamba

Wer mit Blick auf solche Lemmata "Wörterbuchartikel" sagt, der sagt einfach nur: "Du hast einen Artikel zu einer Sache angelegt, die man irgendwie kennt, zu der man aber trotzdem keinen Artikel haben möchte." Und mehr heißt es wirklich nicht. Die Versuche, die es gegeben hat, an das Reden von "Wörterbuchartikeln" ideologischen Kram dranzuheften, waren immer irgendwo zwischen hilflos und wirre angesiedelt.

 

Es gibt Veränderungen in den Grundhaltungen

Man kann feststellen, dass sich die Situation in den Jahren 2004 bis 2006 verändert hat. Im Jahr 2004 war es noch üblich, immer mal wieder ein dümmliches „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ in die Diskussionen hineinzuschnauzen. Allmählich scheint sich aber rumgesprochen zu haben, wie wenig damit gewonnen ist, wenn man irgendwo in den Statuten so einen Grundsatz hat. (Mit etwas Mühe lässt sich aus „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ herauslesen, dass eine Grenze gezogen werden soll zwischen Lemmata, die für WP ebenso wie für Wörterbücher geeignet sind und Lemmata, die für Wörterbücher geeignet sind, für die WP aber nicht. Wo allerdings liegt diese Grenze? Und was sollen Leute, die gerade damit beschäftigt sind zu bestimmen, wo man die Grenze ziehen sollte, damit anfangen, wenn irgendein *§&%#!ß „Wikipedia ist kein Wörterbuch“ schnauzt?)

Wünschenswert ist ein allgemeines Eingeständnis, dass mit "Wörterbuchartikel" nichts anderes gesagt wird als mit "Problem-Artikel". (Man äußert ein Unbehagen. Man glaubt nicht, dass der betreffende Artikel sich sinnvoll in die Artikel-Struktur der WP integrieren lässt.)

Und eines Tages vielleicht wird man zu dem Ergebnis kommen, dass das ständige Verweisen auf Wörterbuchmacher und deren hässliche Gewohnheit, hässliche Nachschlagewerke mit hässlichen kleinen Definitionen zu schaffen, ein krampfiger Kram ist, auf den man vollkommen verzichten kann.

 

Was die praktische Seite betrifft ...

Für mich ist dies eine wichtige Erfahrung: Ich habe immer wieder gesehen, wie wenig sich vorhersagen lässt, ob sich zu einem Begriff enzyklopädischer Gehalt einstellen wird oder nicht.

Beispielsweise hätte ich eigentlich gemeint, dass "Jugendgruppe" ein schrecklich schnöder Begriff ist. Eine Jugendgruppe ist einfach eine Gruppe von Jugendlichen. Mehr lässt sich dazu nicht sagen. Es zeigt sich jedoch, dass es Leute gibt, die klar umrissene Vorstellungen davon haben, was eine Jugendgruppe ist, sodass der entsprechende Artikel doch seine Berechtigung hat.

Oder wie ist es mit "Machbarkeit"? Von "Machbarkeit" spricht man, wenn etwas machbar ist. Wie sollte es zu sowas enzyklopädisch relevante Anmerkungen geben! In der Wikipedia-Praxis stellt sich jedoch heraus, dass für die Leute, die sich mit Projektmangement beschäftigen, "Machbarkeit" ein klar definierter Begriff ist - sodass die Machbarkeit zuletzt doch zu einer interessanten Angelegenheit wird.

Ich habe viel Respekt vor den Leuten, die bei der WP mit dem Durchsortieren von Begriffen beschäftigt sind (Haupttätigkeiten: aufgeblähte Worterklärungen durch BKLs ersetzen, aufgeblähte BKLs aufs Wesentliche zusammenkürzen, Artikel zusammenfassen, Redirects anlegen, ...) Da niemand so kenntnisreich und überblickend ist, dass er zuverlässig vorhersagen könnte, zu welchen Begriffen sich enzyklopädischer Gehalt einstellen wird, hat die Arbeit an den BKLs, häufig einen vorläufigen Charakter. Man sondiert das Gebiet. Man gibt Vorhersagen, zu welchen Begriffen man enzyklopädischen Gehalt erwarten kann. Daraus ergibt sich die Forderung: Seid großzügig gegenüber den Leuten, die damit beschäftigt sind, Begriffe durchzusortieren. Wenn die Wikipedia fertig ist, dann kann man sich daranmachen, sehr übersichtliche BKLs anzulegen. Solange es noch nicht so weit ist, sollte man bereit sein, sich öfters mal mit leicht seltsam anmutenden Zwischenlösungen zu arrangieren.

 

Allgemein verbreitete Ideen

(1) Man geht bei der WP davon aus, dass es eine große Zahl von Ausdrücken der deutschen Sprache gibt, für die es besser keinen Artikel geben sollte.

... und das dürfte ja wohl auch sinnvoll sein.

(2) Man geht davon aus, dass es viele Ausdrücke gibt, um die sich Verfasser von Wörterbüchern kümmern, während sie beim Verfassen einer Enzyklopädie außen vor bleiben sollten.

Keine Einwände meinerseits. Die Verfasser von Wörterbüchern und die Verfasser von Enzyklopädien folgen bei der Lemmaselektion unterschiedlichen Traditionen. Das ist korrekt. Blöd nur, dass diesem Punkt in WP-Diskussionen notorisch übertrieben viel Bedeutung zugemessen wird.

(3) Ausdrücke werden häufig als "allgemein gebräuchlich" oder "allgemein bekannt" oder "geläufig" gekennzeichnet. Man geht davon aus, dass Ausdrücke, die "geläufig" sind, eine zweifelhafte Relevanz haben.

Das ist eine schwierige Sache. Der bloße Hinweis, dass ein Wort den meisten Sprechern der deutschen Sprache geläufig ist, bringt nicht viel. "Mond" und "Sonne" und "Hund" sind Ausdrücke, die jeder kennt, und zugleich würde niemand bestreiten, dass die Astronomen und die Biologen zu jenen Ausdrücken allerhand interessante Sachen zu berichten haben.

(4) Man geht davon aus, dass es richtig ist, alle Artikel zusammenzufassen, die sich zusammenfassen lassen.

Das wird niemand bestreiten wollen. Man kann das Zusammenfassen wirklich als einen zentralen Punkt bei diesen Angelegenheiten betrachten.

(5) Skepsis gibt es gegenüber allen Artikeln, in denen zu dem betreffenden Lemma nur eine einfache Definition geliefert wird.

Der Grundsatz "keine Artikel, in denen es zu dem betreffenden Lemma nur eine kurze Definition gibt" sieht sehr einfach aus, kann sich jedoch als eine komplizierte Sache heraustellen:

  1. Es gibt immer wieder Versuche, Ausdrücke zu ermitteln, zu denen sich nicht mehr als eine kurze Definition angeben lässt. Diese Versuche, zwischen Ausdrücken zu unterscheiden, zu denen sich nicht mehr als eine Definition geben lässt und solchen, zu denen sich mehr sagen lässt, werden plattgewalzt, wenn Leute sich auf ein simples "keine Kurzdefinitionen" verlegen. Die Möglichkeit, einen Artikel auf Kurzdefinitionen zu beschränken, gibt es für alle Ausdrücke in gleicher Weise (für "Wasser" ebenso wie für "Wohlwollen" oder "Blassheit").
  2. Der Grundsatz ist durchaus nicht unumstritten. In einer Umgebung, in der Artikel mit kurzen Definitionen verpönt sind, werden Leute dazu tendieren, ihre Formulierungen auf sinnlose Weise zu "strecken". Wer solchen Tendenzen entgegenwirken will, wird unter Umständen bei der Forderung landen, dass man Kurzdefinitionen zulassen sollte.

Es wird häufig versucht, die Punkte (3) und (5) miteinander zu kombinieren. Als "im roten Bereich" angesiedelt werden dann alle Artikel betrachtet, die (1.) ein Lemma haben, das als "geläufig" betrachtet werden kann und die (2.) lediglich eine Definition liefern.

(6) Viele gehen davon aus, dass es Ausdrücke der deutschen Sprache gibt, zu denen sich (auch wenn sich die Artikel-Schreiber noch so sehr bemühen) nicht mehr angeben lässt als eine einfache Definition (plus einige wortbezogene Angaben).

Man kann den Eindruck gewinnen, dass es solche Ausdrücke tatsächlich gibt. Allerdings bekommt man bei der WP immer wieder vorgeführt, dass es die Möglichkeit gibt, die Angaben zu einem Ausdruck auf sinnlose Weise zu strecken. Man sollte also besser so formulieren: Zu jedem Substantiv lassen sich eine Menge Angaben liefern; für viele Substantive gilt allerdings, dass unter den Angaben, die sich liefern lassen, nur die Definition als wirklich interessant betrachtet werden kann. (Und es gibt außerdem Ausdrücke, die einem so geläufig sind, dass auch die Definition niemanden vom Hocker reißt, sodass es sinnlos wirkt, wenn jemand zu dem Ausdruck einen Artikel anlegt.)

(7) „Wenn möglich, sollte man einen Artikel zu einem allgemeinsprachlichen Begriff auf eine BKL beschränken.“

Das ist sicherlich ein sinnvoller Ansatz. Man kann feststellen, dass etliche Leute sich dazu verleiten lassen, in Artikeln zu allgemeinsprachlichen Lemmata zu labern und zu schwadronieren. Wenn man sich darauf einigt, dass es nach Möglichkeit eine Beschränkung auf Begriffsklärungen geben sollte, dann kann man das als eine effektive Maßnahme gegen Labereien sehen.

(8) Man geht davon aus, dass es Ausdrücke gibt, die als selbsterklärend betrachtet werden können.

Die betreffenden Phänomene begegnen einem häufig. Es ist zum Beispiel seltsam, wenn jemand einen Artikel zu "Entwicklungsphase" anlegt. Wer schon mal mit Phasen (im Sinn von „Zeitphasen“) und mit Entwicklungen zu tun hatte, dem wird man nicht weismachen können, dass "Entwicklungsphase" ein Ausdruck ist, den man als erklärungsbedürftig betrachten sollte.

 

Motivation für diese Seite

Ich habe angefangen, auf diese Seite zu schreiben, als ich gesehen habe, dass es im üblichen Wikipedia-Sprachgebrauch Sachen gibt, die meinen eigenen Intuitionen widersprechen. Ich wollte mit dem Schreiben auf dieser Seite erreichen, dass ich zuletzt besser als zuvor angeben kann, was die störenden Punkte sind.

Ausgangspunkt ist gewesen, dass mir Sätze begegnet sind, die eine verführerische Einfachheit gezeigt haben (siehe etwa "Wörterbuchartikel gehören in Wörterbücher und Enzyklopädieartikel gehören in Enzyklopädien.") Ich wollte in Worte fassen, warum und inwiefern solche Sätze dumm sind. Lieber den betreffenden Themenbereich als eine ständige Herausforderung sehen und endlos an den Themen weiterschreiben als mich zu billigen Sätze flüchten.

 

Begriffe, zu denen es keinen enzyklopädischen Gehalt gibt

Wie soll man die beide Gruppen nennen, die sich auf den Löschkandidatenseiten beim Thema "Umgang mit allgemeinsprachlichen Begriffen" gegenüberstehen? Mir fällt nichts Besseres ein als von "WikW-Leuten" und von "Inklusionisten" zu sprechen.

Die wichtigste Idee, die es auf der Seite der WikW-Leute gibt, ist die Vorstellung, dass es Begriffe gibt, zu denen es keinen enzyklopädischen Gehalt geben kann. Das gesamte Reden über "Wörterbücher" lässt sich letztlich auf die simple Idee zurückführen, dass es Begriffe gibt, zu denen sich nicht mehr als eine knappe Definition angeben lässt.

Das ist aus meiner Sicht eine Idee, die was Ansprechendes hat. Schwierig wird es allerdings, wenn Leute zu bestimmen versuchen, welche Begriffe es denn sind, die in die Kategorie " dazu ist kein enzyklopädischer Gehalt vorstellbar" fallen.

Man geht davon aus, dass es zu den Begriffen, die man da im Auge hat, immer nur kurze Artikel geben kann. Also geht man daran, alle Artikel, die nur eine kurze Definition bieten, mit dem Etikett "Wörterbuchartikel" zu versehen.

Mir kommt es seltsam vor, wenn alle kurzen Artikel als verdächtig angesehen werden, denn wenn es in einem Artikel um eine neue Art von Baumaschinen geht oder um Zubehör für den Segelsport oder eine Methode, die bei der Herstellung von Konfitüren angewendet wird, dann gerät man an Themen besonderer Art. Es geht da um Tätigkeiten, denen Leute nachgehen, die sich eine Spezialisierung zugelegt haben, und wo immer Leute Tätigkeiten nachgehen, die eine Spezialisierung voraussetzen, kann man davon ausgehen, dass sich zu jenen Tätigkeiten auch interessante Fakten vermitteln lassen.

Wer bestimmen will, welche die Begriffe sind, zu denen sich kein enzyklopädischer Gehalt finden lässt, der muss die Begriffe außen vor lassen, die mit spezialisierten Tätigkeiten in Verbindung stehen. Man muss sich an die abstrakteren Begriffe halten. (Über solche sehr allgemein gehaltenen Hinweise wird man da aber wahrscheinlich niemals hinauskommen.)

Ich freue mich geradezu für die WikW-Leute, wenn sie denn mal einen Begriff ausgegraben haben, der in die Vorstellungen von nicht-enzyklopädiefähigen Begriffen tatsächlich hineinpasst. "Lektüre" scheint so ein Begriff zu sein. Als "Lektüre" bezeichnet man zum einen Lesestoffe, zum andern auch das Lesen selbst. Und das wars dann auch schon.

Bald darauf bekommt man es aber auf den Löschkandidatenseiten mit einem Begriff wie "Elend" zu tun, und da passen dann die Vorstellungen von den "Begriffen, zu denen es keinen enzyklopädischen Gehalt gibt" nicht mehr so richtig. Kann sein, dass man einen Artikel vorfindet, für den die Feststellung "bisher kein enzyklopädischer Gehalt vorhanden" angemessen ist, aber wer weiß, was Leuten noch alles einfallen wird. Vielleicht lässt sich etwas zu der Unterscheidung zwischen "gesellschaftlichem Elend" und "individuellem Elend" schreiben. Wer will ausschließen, dass sich irgendein Philosoph schon einmal mit der Frage beschäftigt hat, ob es Elend nur unter Menschen oder auch im Tierreich geben kann usw. usw.

Insgesamt gesehen: Es ist mir nicht möglich, die WikW-Leute als schlimme Gegner zu sehen. Ihre zentrale Idee ist die Vorstellung von "Begriffen, zu denen es keinen enzyklopädischen Gehalt gibt", und es ist allem Anschein nach nicht möglich, Kriterien anzugeben, mit denen sich die entsprechenden Artikel ermitteln lassen. Und wenn sich jemand mal ganz sicher ist, an so einen Begriff geraten zu sein, dann verfügen die Inklusionisten über erhebliche Möglichkeiten, dem Begriff doch noch zu interessantem Gehalt zu verhelfen.

 

Ideologisches und Nicht-Ideologisches

Wenn es um das Thema "Wörterbüch versus Enzyklopädien" geht, kann es die verschiedensten Auffassungen geben. Es kann Leut geben, die der Meinung sind, dass man den Unterschied zwischen Wörterbüchern und Enzyklopädien mit dem gleichen Grad an Sicherheit bestimmen kann, mit dem die Chemiker den Unterschied zwischen Säuren und Basen bestimmen. Auf der anderen Seite kann es Leute geben, die der Meinung sind, dass das unterschiedliche Vorgehen der Wörterbuch-Verfasser und der Enzyklopädie-Verfasser aus den Produktionsbedingungen heraus zu erklären ist, an die die Verfasser von Nachschlagewerken geraten sind. ("Die Definitionen in den Wörterbüchern sind so kurz, weil die Verleger den Verfassern von Nachschlagwerken immer so wenig Platz zur Verfügung gestellt haben.")

Mich stört es seit Jahr und Tag, dass mich im WP-Kontext ständig Leute zu der Säuren/Basen-Auffassung hinschieben wollen. Man kann die Forderung "Wikipedia ist kein Wörterbuch" nicht als ideologisch neutral betrachten. Es wird da immer dumm vorausgesetzt, dass man die Wörterbücher und die Enzyklopädien gerade so in der Welt vorfindet, wie man die Nashörner und Elefanten vorfindet. Eine ideologisch neutrale Formulierung würde eher so aussehen:

Die Wikipedia strebt nicht danach, Erläuterungen zu sämtlichen Ausdrücken der deutschen Sprache zu bieten. Sie beschränkt sich auf die Ausdrücke, zu denen es interessante Fakten gibt oder die einen besonders erklärungsbedürftigen Eindruck machen. Es gelten diese Regeln:
  1. Man wählt Substantive als Lemmata.
  2. Man geht davon aus, dass es Substantive gibt, zu denen es keinen enzyklopädischen Gehalt gibt und dass diese Substantive in der Liste der Lemmata nicht vertreten sein sollten.
  3. Wenn ein Thema oder ein Begriff bereits durch einen anderen Artikel abgedeckt ist, legt man keinen neuen Artikel dazu an (ein Redirect oder eine BKL jedoch sind in Ordnung).

Neben der weitgehenden Ideologiefreiheit haben diese Formulierungen den Vorteil, dass sie sich im enzyklopädischen Altag bewähren können. Man kann nach Erweiterungen und Verfeinerungen für die Regeln suchen. "Wikipedia ist kein Wörterbuch" dagegen hat immer nur in gedankliche Sackgassen geführt.