Benutzer:Kichottel/Artikelentwurf
Meine Verschwörungstheorie
Wenn man Zusammenhänge sieht, sie jedoch nicht insgesamt lückenlos belegen und beweisen kann, was fast zwangsläufig auftreten muss, wenn Akteure clandestin agieren,[1] wird man oft als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet. Ich möchte durch neue Verbindung allgemein bekannter Vorgänge - auch von Inhalten einiger WP-Artikel - miteinander solche Zusammenhänge herausarbeiten, was natürlich im WP-Jargon auch als „Theoriefindung“ bezeichnet zu werden pflegt. Deshalb möchte ich vor meinen hier dargelegten Gedanken ausdrücklich warnen: Es könnte Verschwörungstheoriefindung sein!
Man beachte dabei jedoch, den Unterschied zwischen Theorie und (Arbeits-)Hypothese: Eine Theorie ist bereits durch Belege untermauert bis gesichert, also mehr oder weniger verifiziert. Aber das gilt ja angeblich auch für paranoide Vorstellungen!
Keineswegs will ich damit die Verschwörungstheorie schlechthin liefern. Denn erstens weiß ich, dass es ein Konglomerat von teils abstrusen und abscheulichen Vorstellungen gibt (wie z. B. die Zionisten hätten alle Fäden in der Hand und eine geheime deutsche Reichsführung überdauere im Verborgenen, bis ihre Chance komme), dem diese Rolle zugeschrieben wird, und womit ich absolut nichts zu tun haben möchte. Auch bin ich zweitens der Meinung, dass das transnationale Oligarchat weder eine unverbrüchliche Einheit ist, noch allmächtiger Weise wirklich alles genau plane und exakt so realisieren könne. Hin und wieder mag ihnen schon etwas aus dem Ruder laufen. Doch die Oligarchen haben ein gewisses Übergewicht und sind so mächtig, dass sie fast jede - auch von ihnen unabhängige - Entwicklung zu ihrem eigenen Vorteil wenden und nutzen können, so dass es kaum ein Entrinnen gibt.
Ohne Macht und Einfluss der Oligarchen auf die Politik zu berücksichtigen, kann man diese im 21. Jahrhundert offensichtlich ganz einfach nicht verstehen, denn sie bestimmen nach ihren eigenen Interessen deren Ziel und Agenda, und nicht das Wohl des Volkes oder sonstige "Werte", die in der Öffentlichkeit oft lauthals als Absicht und Motive genannt werden.
Finanzoligarchie oder Plutonomie? - Reibacherei!
Der amerikanische Historiker Fritz Stern sagte in einem Interview in „ Die Zeit“ schon 2006: „Wir leben in Amerika in einer christlichen Plutokratie; einer Plutokratie, die sich christlich nennt und christlich einfärbt; einer Plutokratie, die von den Fundamentalisten unterstützt und bejubelt wird. ... Habgier und die Korruption sind ungeheuer. Und jetzt wird immer klarer, wie sehr die Demokratie dadurch gefährdet wird.“ Auch die kanadische Journalistin und Politikerin Chrystia Freeland veröffentlichte 2012 ein Buch „Plutocracy. The Rise of the New Global Super-Rich and the Fall of Everyone Else.“, das auf deutsch 2013 unter dem Titel “Die Superreichen. Aufstieg und Herrschaft einer neuen globalen Geldelite.“ erschien. Denn im deutschsprachigen Raum verbieten die Wächter der „political correctness“, die Superreichen als „Plutokraten“ und ihre Herrschaft als „Plutokratie“ zu bezeichnen, als Anklang an die Sprache des NS. Vielleicht könnte man die von Mitarbeitern der US-Bank Citigroup zur Bezeichnung eines Wirtschaftssystems, in dem die wenigen Superreichen die gesamte Entwicklung bestimmen, geprägte Wortschöpfung „Plutonomie“ in einem allgemeineren Sinne benutzen? Plutonomie hieße dann also die gesetzmäßige Finanzoligarchie, die Herrschaft der Superreichen mithilfe von ihnen abhängiger Intellektueller (den Think Tanks), Regierungen und Medien über die von ihnen so kontrollierten Völker. Oder wir bezeichnen sowohl die systematische übermäßige Bereicherung der Oberen Zehntausend zu lasten der übrigen Erdbevölkerung, als auch diese Clique selbst, unter Weiterentwicklung des altbekannten Slang-Wortes „Reibach“ (hoher Gewinn, unverschämter Profit) mit „Reibacherei“. Mancher Superreiche macht dabei vielleicht nicht mit und zählt nicht zu den „Reibacherern“; aber das sind gewiss seltene Ausnahmen, sozusagen „Weiße Raben“.
Die Übermacht der globalen Finanzwirtschaft gegenüber nicht nur den nationalen Regierungen, sondern auch der Realwirtschaft, hat sich seit den 80er Jahren herausgebildet. Horrende weltweite Umsätze im Sekundentakt sind durch die Informationstechnologie ermöglicht worden. Investmentfonds, Banken und Versicherungen schlagen die Renditen der Industrie bei weitem. In diesem Bereich liegt heute die wirtschaftliche Macht, die Macht überhaupt. So entstand eine neue kapitalistische Klassenstruktur, die im Hinblick auf die Verteilung des Volkseinkommens an die Strukturen des Feudalismus oder Imperialismus erinnert, also an die Begünstigung systemtreuer Repressions-Diener als Protektoren, Militärs und Hohepriester.
Mittel der Umsetzung
Think Tanks
Inspiriert von Hayeks „Mont Pelerin Society“ und Kristols „On Corporat Philanthropy“ wurde eine ganze Reihe neoliberaler und neokonservativer so genannter Think Tanks gegründet, verstärkt seit den 1980er Jahren. Diese waren ein wichtiges Instrument der Superreichen zur Erringung der intellektuellen Meinungsführerschaft in Politik und Wirtschaftswissenschaft und damit zum Ausbau und der Stabilisierung der Herrschaft über die Menschen. Mit Millionen-Beträgen werden akademische Söldnertruppen finanziert, die „junk science“ gezielt produzieren. Schlüsselstellungen auf diesem Gebiet nehmen in Deutschland die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (ISNM) und die Bertelsmann-Stiftung ein.
Hans-Jürgen Krysmanski von der Rosa-Luxemburg-Stiftung stellte 2004 fest, dass die weitgehend von privaten Zuwendungen abhängigen Universitäten, privaten Denkfabriken und großen Stiftungen eine zentrale Rolle bei der grundsätzlichen Problemanalyse spielten. Durch klugen Einsatz von Geld und Personal könne schon an diesem Punkt die gewollte Richtung der Analysen beeinflusst werden. Die so entstehende „Definition von Wirklichkeit“ sei dann die Grundlage für die „wirklichen“ Entscheidungen im Rahmen von „Planungsgruppen“. Diese „policy discussion groups“ stellten die machtpolitischen Kerne des Einflusssystems der Geld- und Machteliten dar. Diese Gruppen hält Prof. Krysmanski für noch immer erstaunlich wenig erforscht - und sie stehen ihrer ganzen Natur nach der zuverlässigen Erforschung auch gar nicht offen. Wer von ihnen spricht wird daher nur zu oft als „Verschwörungstheoretiker“ verdächtigt.
Der Hamburger Historiker und Amerikanist Bernd Greiner meinte 2009, dass privaten Treffen privat finanzierter Thinktanks weit mehr Bedeutung zukomme als den Bilderberg-Konferenzen. In den modernen „Demokratien“ hat solche Meinungsmache mit Hilfe des großen Privatkapitals ein derartiges Ausmaß angenommen, dass es durchaus wahlentscheidend sein dürfte. Mit Hilfe dieses „Informationskapitalismus“ werden laufend Kampagnen finanziert zur weiteren steuerlichen Umverteilung nach oben in die Taschen der Kapitalbesitzer. Zu diesen Umverteilungskampagnen kommen gezielte Diffamierungskampagnen gegen Politiker, die sich der Umverteilung nach oben widersetzen.
Die Medien
Am anderen Ende der Sozialskala soll dagegen eine Verblödung der Massen bewirkt werden, was Aufgabe der Medien ist. An erster Stelle zu nennen ist hier das so genannte Privatfernsehen, wie diese kommerziellen Unternehmen offiziell bezeichnet werden. Helmut Kohl hat dieses nicht nur seinem Freund Leo Kirch zu liebe in Deutschland eingeführt. Seitdem ist das Niveau auch der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten nach und nach deutlich gesunken. In den USA leistet Fox-TV im Auftrag des Medientycoons Rupert Murdoch ebenso ganze Arbeit wie in Italien die Sender Berlusconis.
Aber auch die Printmedien blieben von diesem Niedergang des Journalismus nicht verschont. Nicht nur, dass die Vielfalt der Presselandschaft deutlich reduziert ist, hat selbst die sogenannte Qualitätspresse sich mehr und mehr dem Niveau von BILD etc. angenähert, wozu natürlich auch beitrug, dass immer mehr Journalisten nicht mehr als Redakteure, sondern nur noch als „freie Mitarbeiter“ für Zeilenhonorar schreiben und somit in prekäre Einkommensverhältnisse abgesunken sind. Doch die wirklich einflussreichen zwischengeschalteten Meinungsmacher in den Redaktionen und Talkshows sind nicht nur Opfer der Manipulation, sondern haben als Bestverdiener auch ein Eigeninteresse an dieser Umverteilung von unten nach oben in ihre eigenen Taschen. Dass durch die drastische Konsumschwächung der weniger einkommensstarken Bevölkerungsgruppen mit der höchsten Konsumquote viele Arbeitsplätze vernichtet werden, betrifft die bestbezahlten Meinungsmacher nicht unmittelbar. Die Kapitalbesitzer und Best-"Verdiener" stärken durch ihre wahlentscheidende propagandistische Einwirkung zunehmend ihren Einfluss auf die Gesetzgebung zu ihrem Vorteil, so dass ein schleichender Übergang von der Demokratie zur Plutokratie und Oligarchie erfolgt.
Albrecht Müller stellt fest, dass die Aussage Paul Sethes von 1965: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten,“ nun - 50 Jahre später - weit überholt ist. Die Lage hat sich „verschärft, unter anderem durch die weitere Konzentration der Medien und die Kommerzialisierung der elektronischen Medien, also von Fernsehen und Hörfunk. Nicht 200 reiche Leute, viel weniger bestimmen heute die große Linie der Meinungsbildung. Sie gehören zusammen mit einigen Köpfen aus Finanzwirtschaft und Industrie und unseren sogenannten Verbündeten zu den politisch einflussreichen Personen und Gruppen.“ Zur Lage der Medien sowie der öffentlichen und parlamentarischen Meinungsbildung sagt er: „überall Oligarchen, die wir aus Gewohnheit so nicht nennen, und Entscheidungen zulasten der Mehrheit und zugunsten der Minderheit.“ Er erwähnt ferner, dass Politiker „ohne kritische Begleitung der Medien ... Dienstleistung[en] für die reichen Leute, für unsere Oligarchen,“ erbringen.
Postdemokratie
2004 beschrieb Colin Crouch in seinem Buch „Post-Democracy“ das politische System des beginnenden 21. Jahrhunderts: Die gewählten Repräsentanten haben ihre Kompetenzen (und damit die Verantwortung) auf Experten, Kommissionen und Wirtschaftsunternehmen verlagert. Der Bürger wird nicht mehr als der Souverän betrachtet, in dessen Auftrag entschieden werden muss, sondern als Humankapital, das befähigt werden muss, den vorgegebenen Anforderungen des Allgemeinwohls - meist verstanden als die Bedingungen des globalen Marktes - gerecht zu werden. Diese Entwicklung zur Postdemokratie werde durch den unterschiedlich hohen Vernetzungsgrad von einerseits global agierenden Unternehmen und andererseits Nationalstaaten vorangetrieben. Crouch sieht das zentrale Problem darin, dass die Angleichung von Lohnniveaus, Arbeitnehmerrechten oder auch Umweltstandards durch zwischenstaatliche Kooperation langsamer vorangeschritten ist als die Globalisierung unternehmerischer Aktivitäten. So können multinationale Konzerne mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen drohen, wenn sie beispielsweise mit Steuer- oder Arbeitsmarktsystemen nicht zufrieden sind. Diese Drohkulisse ist so wirkmächtig, dass der Einfluss von Unternehmen und Vermögenden auf Regierungsentscheidungen stärker ist als derjenige der Staatsbürger.
Ein weiteres Kennzeichen der Postdemokratie ist nach Crouch „der Verfall der politischen Kommunikation“, hervorgerufen unter anderem durch die Werbeindustrie und die Einführung des Privatfernsehens. Die Medienunternehmen sind „heute ein Teil des kommerziellen Sektors“ geworden und „die Kontrolle über diese Medien befindet sich konzentriert in den Händen von sehr wenigen Menschen“. Beispiele sind Silvio Berlusconi und Rupert Murdoch, sowie in Deutschland Springer und Burda.
Ein weiterer Aspekt ist die „Rückkehr der politischen Privilegien für bestimmte Unternehmer – unter dem Deckmantel der Rhetorik der Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs.“ Nach Crouch stellt dies „das gravierendste Problem für die Demokratie dar.“
Ferner wurden transnationale Institutionen geschaffen, die meist nur schwach demokratisch legitimiert sind, aber in nationales Recht eingreifen und demokratische Rechte von Parlamenten aushöhlen. Irgendein Ausschuss – beispielsweise “Regulierungsrat” genannt – von Beamten der EU und der USA gebildet - hat entscheidende Kompetenzen bei der Festlegung von Produkt-, Sozial- und anderen Standards. Man kann sich leicht ausrechnen, was passiert, wenn das in die Tat umgesetzt wird: Experten, Lobbyisten und ungewählte Beamte haben das Sagen, und Parlamente dürfen nur mehr abnicken – wenn überhaupt. So geschah es bei der EU-Anti-Krisenpolitik der vergangenen Jahre. Minister oder Regierungschefs handelten in nächtlichen Krisensitzungen etwas aus, und die nationalen Parlamente mussten es dann nur noch schnell abnicken. Immer öfter werden Regelungen in Paragraphen gegossen, die die Demokratie auch formal einschränken. Eine weitere Eskalation von Globalisierung und Postdemokratie wird gegenwärtig mit den Abkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership; deutsch: Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) und TiSA (Trade in Services Agreement; dt. Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) angestrebt, wobei sich schon abzeichnet, dass nicht nur ohne, sondern gegen den Willen und die Interessen der Bevölkerung eine Einigung zwischen EU und USA herbeigeführt wird.
„Wirtschaftsregulierung im globalisierten Elitenmodus unter Ausschaltung bisher geltender demokratischer Mitentscheidungs- und Kontrollrechte. Der ganze Geist ist durchsetzt vom Gift der verallgemeinerten Austeritätspolitik. Aber all das ist nicht einfach ein unglücklicher Zufall, planlos und aus der Not geboren. Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen Austeritätspolitik, der neoliberalen Wirtschaftstheorie und diesem antidemokratischen Geist.“(so Robert Misik.)
Das Handeln der Politiker ist überhaupt nur noch zu verstehen, wenn man davon ausgeht, dass sie nicht die Absichten verfolgen, von denen sie sprechen, sondern ganz andere (Talleyrand:"Der Mensch hat die Sprache, um seine Absichten zu verbergen."), nämlich nicht das Allgemeinwohl, sondern das Wohl der Reichen und Mächtigen (einschließlich ihrer selbst), das sie darin sehen, die Macht über alle Übrigen zu festigen und zu erweitern. Diesen Aspekt muss man stets im Auge behalten, wenn man die Tätigkeit der Politiker und die Äußerungen (in) den Medien beurteilen will. Denn die Politik und die Medien sind immer bestrebt, sich den Oligarchen ("Märkte" bzw. "Finanzwirtschaft") anzubiedern und möglichst unentbehrlich zu machen. Daher verfolgen sie den Zweck, von unten nach oben umzuverteilen. Und deshalb darf man sich über entsprechende Maßnahmen nicht wundern, die scheinbar den Äußerungen nicht entsprechen.
Globalisierung
Der neoliberalen Agenda kam die Globalisierung zumindest sehr gelegen, wenn diese nicht sogar ihr Werk war. Transnationale Unternehmen können sich weitgehend jeder staatlichen Kontrolle entziehen. Die Arbeitnehmerschaften der einzelnen Nationen werden gegeneinander ausgespielt. Durch Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer kann man Druck auf die fortgeschrittenen Industriestaaten ausüben und die Löhne auch dort drücken. Es wurde so erleichtert, die Austeritätspolitik durchzusetzen.
Das Musterbeispiel EU
Die „Europäische Union“ kann auf eine jahrzehntelange Entwicklungsgeschichte von der „Montanunion“ über die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ von zunächst sechs, über zwölf und fünfzehn Staaten zurück blicken. Nah dem Wegfall des Eisernen Vorhangs wurde sie noch mehr erweitert, aber auch „vertieft“. Vieles wird für alle nun 28 Staaten der EU in Brüssel entschieden. Nationale Besonderheiten aber auch die nationale Souveränität der Mitgliedsstaaten wurden und werden weiterhin reduziert. Dieses Demokratiedefizit ist der Bevölkerung durchaus bewusst und die Abneigung gegen die Gemeinschaft wächst, auch weil die nationalen Regierungen unpopuläre Entscheidungen gerne nach Brüssel delegieren. Aber Europäischer Rat sowie die Kommission lassen sich davon nicht beeindrucken. Wir haben hier eine hochentwickelte Postdemokratie.
TTIP
„TTIP ist der unverhüllteste Ausdruck von Postdemokratie, mit dem wir es bisher zu tun haben. Es zielt darauf, die Großkonzerne dem Zugriff des Rechtsstaats zu entziehen und von der Wirtschaft beauftragte Anwaltsgremien an die Stelle der öffentlichen Justiz zu setzen.“ So Colin Crouch im Interview mit Jakob Augstein in „Der Freitag“ im Oktober 2015 (Nr. 43/2015).
Gegen den Willen der Bevölkerung soll nun ein „Vertrag über Handels- und Investitionspartnerschaft“ zwischen EU und USA geschlossen werden. (Als Blaupause dafür gilt CETA zwischen EU und Kanada.) U. a. sollen Investoren die Möglichkeit bekommen, gegen Staaten vor nichtöffentlichen übernationalen Schiedsgerichten klagen zu können, wenn sie sich z. B. durch Gesetze betreffend Sozial- und Umweltstandards benachteiligt fühlen. Eine Revisionsmöglichkeit soll es nicht geben. Damit würden nationale Souveränität und Demokratie endgültig ausgehebelt, denn dieses Abkommen soll unkündbar sein, also nur durch übereinstimmenden Beschluss aller Teilnehmer aufhebbar. Es entsteht der Eindruck, dass es sich hierbei um den Schlussstein der Gruft über dem Leichnam der Demokratie handeln soll.
Joseph E. Stiglitz sagte am 22. September 2015 der Zeitschrift „Der Freitag“[2], bei TTIP und auch bei der transpazifischen Partnerschaft TPP gehe es eigentlich nicht um Handel, sondern um geistige Eigentumsrechte. Die Pharmaindustrie versuche gezielt, günstige Generika vom Markt zu verdrängen. „Zum anderen geht es um den Investitionsschutz. Ich verstehe nicht, wie eine Regierung diese Regelungen unterstützen kann. Ich muss da immer an Asbest denken.“ Wir wussten ja früher nicht, „dass Asbest gefährlich ist. Dann entdeckten wir, dass es tötet. Heute müssen Asbesthersteller die Leute entschädigen, deren Leben sie zerstört haben. Der Logik des Investitionsschutzes in TTIP nach müssten wir nun Asbesthersteller dafür entschädigen, dass sie niemanden mehr töten. Wir sollten ihnen zu Profiten verhelfen, die sie erzielt hätten, wäre es weiter erlaubt gewesen, Menschen umzubringen.“
Nationale Differenzen
Die US-amerikanische Plutokratie fühlt sich offensichtlich stark genug, ihren Machtbereich auf Kosten der russischen auszudehnen, wobei die deutsche und teilweise auch andere europäische Plutokratie nur widerstrebend mitwirkt, da sie befürchten muss, dass hierdurch die USA der EU den Rang bei der Osterweiterung ablaufen könnten. Für Europa wäre ein „flotter Dreier“ mit USA und einer eurasischen Freihandelszone natürlich günstiger, als die untergeordnete Stellung als Juniorpartner der USA mit der Ukraine und einem in enge Schranken verwiesenen Russland, womöglich mit eurasischem Anhang, ebenfalls im Schlepptau der USA. Diese eurasische Machtposition möchten die amerikanischen Oligarchen auf keinen Fall den russischen überlassen, sondern ihre Ausgangsstellung für die im Laufe des 21. Jahrhunderts anstehende Machtprobe/Auseinandersetzung mit China hierdurch weiter stärken. Dabei nehmen die US-Plutokraten keine Rücksicht auf die Gefahren etwa eines nuklearen Schlagabtausches, der Europa und Russland schwächen bis vernichten könnte, da sie selbst ja weit entfernt sind und sich sicher fühlen können und für alle Fälle weiterhin ihre Schutzbunker aus den Zeiten des Kalten Krieges in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts behalten und modernisiert oder solche neu errichtet haben. Was mit den Völkern der Alten Welt geschieht - ist nicht wichtig (Kollateralschaden!). Inwieweit europäische Plutokraten in diesem Fall ihre Haut werden retten können ist mir allerdings nicht bekannt; vielleicht hält das westliche Bündnis aber auch für sie sichere Plätze bereit?
USA und neue Weltordnung
Überhaupt haben die USA international die führende Rolle, sowohl als Staat unter Staaten, als auch amerikanische Plutokraten innerhalb der transnationalen Plutokratenklasse. Dies ist natürlich kein Zufall und ihnen auch nicht nur selbstverständlicher Weise aufgrund der wirtschaftlichen und technologischen Stärke der USA automatisch oder organisch zugewachsen.
Vielmehr hat dies Irving Kristols Sohn William mit anderen Neokonservativen systematisch vorangetrieben. Er war Vorsitzender des 1997 gegründeten Project for the New American Century (PNAC), eines neokonservativen Thinktanks, der sich genau diese Aufgabe gestellt hatte. Mitglieder waren u. a. Dick Cheney, Robert Kagan, Richard Perle, Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz.
Programmpunkte des PNAC:
- US-amerikanische Führerschaft ist sowohl gut für die Vereinigten Staaten von Amerika als auch für die ganze Welt.
- Eine solche Führerschaft erfordert militärische Stärke, diplomatische Energie und Hingabe an moralische Prinzipien.
- Eine multipolare Welt hat den Frieden nicht gesichert, sondern stets zu Kriegen geführt.
- Die Regierung der Vereinigten Staaten soll Kapital schlagen aus ihrer technologischen und wirtschaftlichen Überlegenheit, um durch Einsatz aller Mittel - einschließlich militärischer - unangefochtene Überlegenheit zu erreichen.
Im Manifest von 1997 wird der Irak-Krieg bereits angekündigt. Geradezu herbeigefleht wird ein großes Ereignis wie Pearl Harbor, von dem sich der PNAC einen Aufbruch verspricht. Viele sehen darin eine Vorwegnahme von 9/11.
Wie Robert Kagan (Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung) 2003 schreibt, bleiben nach neokonservativer Auffassung „die Vereinigten Staaten der Geschichte verhaftet und üben Macht in einer anarchischen hobbes’schen Welt aus, in der auf internationale Regelungen und Völkerrecht kein Verlass ist und in der wahre Sicherheit sowie die Verteidigung und Förderung einer freiheitlichen Ordnung nach wie vor von Besitz und Einsatz militärischer Macht abhängen“. Die Amerikaner könnten sich auch keine Weltordnung vorstellen, „die nicht mit militärischer Macht verteidigt wird“ (S. 110). Für Kagan ist die NATO der eigentliche Inbegriff der Weltordnung und nicht etwa die UNO. 9/11 wird als neuer historischer Markstein gesehen: So wie Pearl Harbor „zu einem dauerhaften amerikanischen Engagement in Ostasien und Europa führte“, so würde 9/11 „wahrscheinliche eine dauerhafte amerikanische Militärpräsenz am Persischen Golf und in Zentralasien sowie eine langjährige Besetzung eines der größten Länder der arabischen Welt nach sich ziehen“ (S. 112).„Für jüngere Generationen von Amerikanern, die sich nicht an München oder Pearl Harbor erinnern, gibt es jetzt den 11. September“ (S. 107). Die neue Strategie galt als eine Reaktion auf den 11. September“ (S.109). Aber es habe sich nicht um eine „neue Strategie“ gehandelt. Vielmehr sei es nur „eine Neuformulierung alter Leitlinien der amerikanischen Politik, von denen viele 50 Jahre zurückreichten“ (S. 110).
PNAC wurde zwar 2006 aufgelöst, aber an seine Stelle trat die Foreign Policy Initiative FPI), 2009 durch Bill Kristol, Dan Senor und Robert Kagan gegründet.
Die FPI hat sich für Truppenverstärkungen in Afghanistan (2009) und direkte Militärschläge in Syrien (2013) stark gemacht. 2012 hatte Robert Kagan erklärt, dass FPI militärische Aktionen gegen Iran forderte, weil Diplomatie nicht angemessen sei. 2014 empfahl FPI für die Staaten des Arabischen Frühlings demokratische und wirtschaftliche Reformen für langfristigen Erfolg. Chris Griffin, seit 2013 FPI-Direktor, bezeichnete Russlands Annexion der Krim als Teil eines Trends, der aus dem Fehlen amerikanischer Führung resultiere und den Druck auf Amerikas internationale Führungsrolle verstärke. Am 10. April 2013 verkündete er über NBC, Nord-Korea habe die USA gelehrt, dass sie nicht wüssten, wie sie ihre Bürger und ihre Verbündeten vor einem mit Kernwaffen ausgerüsteten „Schurkenstaat“ schützen könnten. Die FPI-Direktorin für Demokratie und Menschenrechte Ellen Bork forderte am 3. Oktober 2014, die USA sollten Hong Kong unterstützen.
In dieser Weise geben neokonservative Thinktanks der US-Politik die Richtung vor. Anscheinend konnte sich Obama nicht von der durch George W. Bush eingeschlagenen Route lösen, obwohl er zunächst im Kongress keine republikanische Mehrheit gegen sich hatte.
Neofeudalismus
In der Sendung Re-Feudalisierung und Privatisierung der Macht? im Deutschlandfunk vom 2. Juni 2010 äußerte der Soziologe Rudolf Stumberger, dass Tendenzen der Re-Feudalisierung erkennbar seien. Dies bedeutet, dass neben den offiziellen demokratischen Strukturen, inoffizielle Strukturen zunehmend wieder an Gewicht gewinnen und sich diese selbst ernannten Eliten vermehrt abschotten. Außerdem hält er die Grenzen zwischen Politik- und Wirtschaftswelt für kaum mehr wahrnehmbar.
Angesichts aktueller Entwicklungen im 20. und 21. Jahrhundert sprechen auch andere Sozialwissenschaftler wie Jürgen Habermas heute von einer Refeudalisierung der Gesellschaft, denn die Konkurrenz der organisierten Privatinteressen gegenüber dem Neomerkantilismus einer interventionistischen Verwaltung führe zu einer Refeudalisierung der Gesellschaft, weil mit der Verschränkung von öffentlichem und privatem Bereich nicht nur politische Instanzen gewisse Funktionen in der Sphäre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit, sondern auch umgekehrt gesellschaftliche Mächte politische Funktionen übernehmen. (Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main, 1990, S. 336f.) (Sighard Neckel, Refeudalisierung der Ökonomie, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln 2010.) Es „droht mit dieser Entwicklung das, was man eine 'Refeudalisierung' der Gesellschaft nennen könnte: eine Gesellschaft, in der Reichtum ebenso wie Armut innerhalb abgegrenzter sozialer Gruppen ‚vererbt‘ werden, und zwar nicht nur durch die Weitergabe bzw. das Fehlen von materiellen Gütern, sondern – sozialisatorisch weit früher und tiefgreifender – insbesondere durch die soziale Determination von Bildungs- und Aufstiegschancen. So sind heute die Chancen eines Kindes aus einem Elternhaus mit hohem sozialem Status mehr als siebenmal größer, ein Studium aufzunehmen, als die eines Arbeiterkindes. Einem ‚Adel der Chancen‘ am einen, stehen am anderen Ende die Gruppen der Besitz- und Ressourcenlosen ohne Perspektiven gegenüber.“ (Rainer Forst: Die erste Frage der Gerechtigkeit, 2005 S. 24.) Charakteristika seien unter anderem die zunehmende Ungleichheit der Vermögensverteilung, die bloße Inszenierung von Öffentlichkeit, das Darstellen von Partikularinteressen von Personen oder Verbänden als Allgemeininteressen, der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Entscheidungen von öffentlichem Interesse, soziale Herkunft als entscheidender Faktor für Wohlstand.
Diese kleine, engvernetzte Clique kann kaum noch als Klasse bezeichnet werden. Sie beherrscht mit ihren ergebenen Helfern die gesamte Menschheit. Das Ende des Klassenkampfes scheint gekommen. Speziell in Deutschland sieht Christoph Butterwegge ’’Neofeudalismus im Finanzmarktkapitalismus’’, besonders in Hinsicht auf die völlig unzureichende Erbschaftssteuer. Seit dem 1. Januar 2009 können selbst Mitglieder von Unternehmerdynastien, die man in Russland, der Ukraine oder Griechenland als Oligarchen bezeichnen würde, unter bestimmten Voraussetzungen ihr Vermögen steuerfrei übertragen; Erben von Betrieben mit bis zu 20 (statt vorher zehn) Beschäftigten wurden von der Pflicht zur Einhaltung der Lohnsummenregel befreit. Für über 95 Prozent aller Unternehmen galt diese Klausel nun nicht mehr. Am 8. Juli 2015 kamen CDU, CSU und SPD den Unternehmerfamilien in dem verabschiedeten Regierungsentwurf noch mehr entgegen. So wurde die Freigrenze, bis zu der keine Verschonungsbedarfsprüfung erfolgt, auf 26 Millionen Euro (für normale Familienunternehmen) bzw. 52 Millionen Euro (für Familienunternehmen mit Konzernstrukturen) angehoben. Für Betriebe mit mehr als zehn, aber nicht mehr als 15 Beschäftigten wurde die Lohnsummenpflicht, also die Regelung zur Erhaltung der Arbeitsplätze, erneut aufgeweicht. Es bleiben genug Schlupflöcher, um Riesenvermögen weiterzugeben, ohne dass die Begünstigten vom Finanzamt zur Kasse gebeten werden können. So bietet sich eine Unternehmensübergabe an die Kinder bereits zu einem Zeitpunkt an, an dem diese noch nicht über ein nennenswertes Vermögen verfügen und deshalb trotz der neu eingeführten Verschonungsbedarfsprüfung nach wie vor steuerfrei in den Besitz eines Konzerns gelangen können, unabhängig von dessen Wert. Selbst wenn das Unternehmen milliardenschwer und der Begünstigte sehr vermögend, aber nicht willens ist, seine Besitzverhältnisse offen zu legen, muss er nach siebenjähriger Fortführung der Firma und Einhaltung der Lohnsummenregel höchstens 19,5 Prozent Erbschafts- bzw. Schenkungssteuer entrichten. Die fortdauernde erbschaftssteuerrechtliche Privilegierung des Betriebsvermögens ist perfide, Kapitalismus pur und durch nichts zu rechtfertigen, weil sie dem Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes widerspricht. Die steuerliche Sonderbehandlung von Unternehmenserben treibt die staatliche Begünstigung von Kapitaleigentümern in der bürgerlichen Gesellschaft auf die Spitze. „Substantiell ändert die geplante Neuregelung der Erbschafts- und Schenkungssteuer wenig am geltenden Recht, denn die Privilegierung der Unternehmerfamilien wird bloß modifiziert festgeschrieben. Nach wie vor können diese ihr Betriebsvermögen übertragen, ohne dass die Begünstigten vom Finanzamt zur Kasse gebeten werden. Jedenfalls müssen sie nicht – wie die Flicks und die Fincks, die Piëchs und die Porsches – für sie günstigere Steuerregelungen im Ausland nutzen, um ihren Reichtum in vollen Zügen genießen zu können. Denn die Bundesrepublik Deutschland ist mittlerweile selbst ein wahres Erbschafts-, Kapital- und Gewinnsteuerparadies.“[3]
Immerhin hat sich bei einigen Finanzmagnaten (Offener Brief des US-Milliardärs Nick Hanauer an seine reichen Freunde im Juni 2014: „The Pitchforks Are Coming.“ – „Ich sehe Mistgabeln.“) schon die Befürchtung eingestellt, es könnten wieder die Massen sich erheben und wie schon einmal eine Feudalschicht mit Gewalt hinwegfegen. Darauf werden die Herren sich einstellen und das Sicherheitssystem perfektionieren. Eine nicht allzu umfangreiche, aber technisch hochgerüstete Söldnertruppe wird effektiv und möglichst frühzeitig (bis vorbeugend durch Ausforschung) alles unter Kontrolle halten und notfalls durch Gewalt Aufstände im Keim ersticken. Sie würde dann eine vierte Helfergruppe der Superreichen sein.
Bereits anlässlich der Wahl des bekennenden Sozialisten Jeremy Corbyn hat ein aktiver britischer General gegenüber der „Sunday Times“ geäußert[4], dass unter dem Szenario einer Regierung unter Jeremy Corbyn, die sich einer Erneuerung des U-Boot-gestützten Atomraketenprogramms verweigern oder einen Austritt aus der NATO anstreben würde, oder Entscheidungen träfe bezüglich „irgendwelcher Pläne“, die Streitkräfte „zu entmannen oder zu verkleinern“, Generäle in „direkter und öffentlicher Art und Weise“ den Regierungschef in diesen Fragen „in die Schranken weisen“ würden. Der General, der sich anonym äußerte, sprach davon, dass die Armee dies „nicht dulden“ würde und der Generalstab es einem Prime Minister „nicht erlauben würde“, die „Sicherheit des Landes zu gefährden“. Zudem glaube er, dass Personen sich „gleich welcher Methoden“, ob „ehrlicher oder unehrlicher“ bedienen würden, um dies zu verhindern. Hierbei sprach er von einer „Meuterei“. Wer die begleitenden Äußerungen zur Kenntnis nimmt, darf es wohl mit Putsch übersetzen. Ob es sich nun um Propaganda handelt oder um die Wiedergabe der tatsächlichen Einstellungsausprägungen in der Armeeführung (man darf vermuten beides), hier wird sehr schön deutlich, wie allein das Nachdenken über gesellschaftliche Fragen durch Angsterzeugung verhindert werden soll.
Wie im Mittelalter sind also die ganz großen Vermögen durch politische und militärische Macht abgesichert.
Rudolf Gössner, u.a. Anwalt, Publizist und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, befürchtet, dass angesichts einer stärker werdenden sozialen Spaltung in Europa auch in Deutschland derzeit sowohl auf geheimdienstlicher als auch auf militärischer Ebene vorgeplant wird, um gegebenenfalls gegen drohende Aufstände in den Bevölkerungen gewappnet zu sein. Er kritisiert eine Politik, die die möglicherweise bevorstehenden Konflikte als reine "Sicherheitsprobleme" betrachtet, aber die sozialen und ökonomischen Faktoren und Ursachen für Missstände, die zu Unruhen und Aufständen, auch zu Kriminalität, Gewalt und Terror führen könnten, nicht entschärft und bekämpft.
Katastrophenpolitik
Naomi Klein vertritt die Auffassung, dass die Oligarchen darauf setzen, durch Katastrophen Unruhen und Panik herbeizuführen, um dann Veränderungen, „Reformen“ und Deregulierungen durchzusetzen, in deren Folge sie höhere Gewinne machen können. In ihrem Buch Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus führte sie 2007 anhand von zeitgeschichtlichen Beispielen aus, wie Schocks wirtschaftlicher oder militärischer Art und Naturkatastrophen dazu genutzt werden können, über politischen Einfluss Privatisierungen nach dem Modell der Chicagoer Schule und insbesondere Milton Friedmans in nationalen Volkswirtschaften gegen den politisch artikulierten Willen der Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen. Friedmans neoliberale Theorien seien nach wirtschaftlichen Schocks, militärischen Niederlagen oder Naturkatastrophen grundsätzlich dazu genutzt worden, um breite Privatisierungsmaßnahmen und den Abbau sozialstaatlicher Mechanismen durchzusetzen. Nach dem exemplarischen sogenannten Wunder von Chile unter Pinochet sei die Schock-Strategie unter anderem auch in der Volksrepublik China unter Deng Xiaoping, in Großbritannien von Margaret Thatcher nach dem Falklandkrieg, in Russland unter Boris Jelzin, New Orleans in den USA nach dem Hurrikan Katrina sowie im Irak nach dem amerikanischen Einmarsch angewandt worden. Detailliert geht sie auf die Vorbereitungen ein und kommentiert die Umsetzung anhand historisch beobachtbaren Geschehens. Neben Milton Friedman wird in Kleins Buch auch Jeffrey Sachs kritisiert. Die Theorien dieser beiden Ökonomen und deren praktischen Umsetzung lägen der Politik des IWF und der Weltbank zugrunde, diese würden zu Verelendung und Ausbeutung in weiten Teilen der Welt beitragen. In ihrem im September 2014 veröffentlichten Buch This Changes Everything: Capitalism vs. The Climate befasst sich Klein mit dem Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Klimawandel. Notwendige Klimaschutzmaßnahmen seien bislang nicht umgesetzt worden, da sie in fundamentalem Konflikt mit dem Ideal freier, nicht-regulierter Marktwirtschaft stünden und die elitäre Minderheit bedrohen würden, die eine Vormachtstellung in Wirtschaft, Politik und Medien haben.
Ein deutsches Zwischenspiel?
Bundeskanzlerin Merkel zeigte Anfang September ein menschliches Gesicht gegenüber den an Deutschlands Südgrenze gestrandeten Flüchtlingen vor allem aus Syrien und verfügte deren Aufnahme. Seitdem ebbt die Bewegung der Schutzsuchenden nach Deutschland nicht ab. Weiterhin kommen jeden Tag Tausende an den Grenzen an. Angesichts des ungebrochenen Andrangs werden die Behörden und deren politische Leitungen immer unruhiger. Die Registrierung der Flüchtlinge wird immer unübersichtlicher, die Unterbringungs- und Versorgungsprobleme nehmen zu.
Die Politik reagiert mehr und mehr mit Abschreckungsmaßnahmen, die freilich ihre Wirkung verfehlen und die nationalistisch motivierten Abgrenzungen gewinnen in der politischen Klasse an Gewicht, was auch das Image der Bundeskanzlerin untergräbt. Die dem Innenressort unterstehenden Repressionsbehörden und Geheimdienste konstruieren ihrerseits seit geraumer Zeit einen Zusammenhang zwischen „illegaler Migration“, „organisierter Kriminalität“ und „Terrorismus“. Auch die Bundeswehr unterstellt eine Gefährdung der staatlichen „Souveränität“ und „Stabilität“ durch „ungesteuerte und irreguläre Zuwanderungen“.
Wie die in Berlin beheimatete Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) mitteilt, wird sich ihr diesjähriges „Deutsches Forum Sicherheitspolitik“ mit den „Auswirkungen“ von „Flucht und Migration“ auf „Sicherheit und gesellschaftliche Stabilität“ befassen. Erklärtes Ziel der für den 12. und 13. Oktober 2015 anberaumten Konferenz ist es, entsprechende „politisch-strategische Handlungsempfehlungen für den nationalen und europäischen Rahmen zu entwickeln“. Laut BAKS handelt es sich bei der Tagung um eine „Top-Level-Veranstaltung“ für „ausgewählte Entscheider aus Bundesregierung, Politik, Wirtschaft, Sicherheitsbehörden und Wissenschaft“. Die Teilnahme sei deshalb „nur auf Grundlage einer persönlichen Einladung möglich“.
Führende Medien publizieren Beiträge, in denen ein prominenter Historiker besorgt fragt, ob „wirklich keine Analphabeten“, sondern nur nützliche „Ärzte und Ingenieure“ in die Bundesrepublik kämen, oder in denen ein Schriftsteller vor einer „Flutung des Landes mit Fremden“ warnt. Derartige Äußerungen werden von Demonstranten, die gegen Flüchtlinge protestieren, mit Genugtuung rezipiert. Allein am ersten Wochenende des Oktober 2015 gingen fast zehntausend Personen im Bundesland Sachsen gegen Flüchtlinge auf die Straßen. Die rassistische Gewalt nimmt weiter zu; Asylbewerberunterkünfte brennen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) schätzt, dass bis 2018 gut 531.000 Menschen keine eigene Wohnung mehr haben – ein deutlicher Anstieg. Ursache des Wohnungsmangels ist der Arbeitsgemeinschaft zufolge nicht die Zuwanderung, sondern fehlendes Engagement im sozialen Wohnungsbau. Dabei ist die Wohnfläche in Deutschland trotz gleichbleibender Bevölkerungszahlen gestiegen. Gebaut werden jedoch mit Vorliebe großzügige Luxuswohnungen. Der wahre Verteilungskampf findet also nicht zwischen Flüchtlingen und Obdachlosen statt. Sondern zwischen Reich und Arm.
Was mag sich unsere kluge und sonst so kühle Kanzlerin gedacht haben? Spekuliert sie etwa darauf, entstehende Unruhen zum Anlass zu nehmen um etwa die Notstandsgesetze in Kraft zu setzen und besser „durchregieren“ zu können? Vielleicht ja auch nur, um einige andere umstrittene Maßnahmen, wie z. B. die Vorratsdatenspeicherung, leichter durchsetzen zu können? Aber auch wenn es nur darum gehen sollte, eine neue industrielle Reservearmee aufzustellen um die Ansprüche der mittleren und unteren Schichten, die von ihrer eigenen Arbeit leben müssen, leichter weiter zurückstutzen zu können, so könnte auch dies schon ein ausreichendes Motiv sein - und eine infame Politik dazu! Doch wäre das im Prinzip nicht neu und würde mich nicht wundern.
Wozu?
Zu bedenken ist, dass die wachsende soziale Ungleichheit nicht etwa – wie der Neoliberalismus glauben machen möchte – das wirtschaftliche Wachstum befördert, sondern es vielmehr sogar bremst, wie z. B. der Sozialbericht der OECD vom 21. Mai 2015 „In It Together: Why Less Inequality Benefits All” (Zusammengefasst: Warum weniger Ungleichheit allen nützt) feststellt. Nicht nur dass die einkommensschwachen Schichten gerade diejenigen sind, die gezwungenermaßen den größten Anteil ihres Einkommens für Konsum ausgeben, also am stärksten die Nachfrage akut treiben. Auch auf lange Sicht gehen dadurch, dass ein wachsender Anteil der Bevölkerung sich lange Schul- und Studienzeiten nicht mehr leisten kann und minderqualifizierte Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt und die berufliche Tätigkeit entlässt, Begabungen, die nicht angemessen entwickelt wurden, weniger beitragen können zu innovativem Fortschritt und damit qualitativem und schließlich auch quantitativem Wirtschaftswachstum. Dies ist ein Verlust für die Gesellschaft als Ganzes, auch wirtschaftlich.
Doch das scheint die Superreichen überhaupt nicht zu stören, denn es geht ihnen offensichtlich nicht so sehr darum, ihr Stück von einem größeren Kuchen zu bekommen (ohnehin größer als dass sie es essen, also konsumieren könnten), als darum, ein möglichst großes Stück des Kuchens, egal wie groß dieser ist; also nicht nur darum, ihren Reichtum zu maximieren, sondern vor allem auch ihre Macht über die große Masse der Menschen.
Ja, sie wollen sogar das politische System verändern, zurück zu vordemokratischen Zeiten, zu den Zuständen vor der Französischen Revolution, zur absoluten Herrschaft ohne Opposition - also letztlich darum, die absolute Macht über den Rest der Menschheit zu erringen und bleibend zu sichern und jeglichen Widerstand schon im Voraus und im Keim zu ersticken.
Oder worauf wollen die Superreichen denn sonst hinaus?
Vielleicht ist es genau das: Sie wollen hinaus aus der menschlichen Gemeinschaft auf eine selbst gebaute und selbstregierte Insel oder gar Raumstation, schließlich sogar auf einen andern Planeten, wo sie nichts mehr gemein haben mit und nichts mehr fürchten müssen von den von ihnen Ausgebeuteten und Unterdrückten, die zurück gelassen auf der nach und nacht unbewohnbar gemachten Erde mehr schlecht als recht vegetieren, bis sie schließlich aussterben und durch eine Armee von Robotern ersetzt würden? Wozu sonst – wenn überhaupt - könnte diese ungeheure Zusammenballung von Reichtum und Macht in wenigen Händen denn sinnvoller Weise dienen?
Und womöglich ist es bereits zu spät, die Oligarchie daran zu hindern, dieses Projekt zu realisieren! Wenn man so alt ist, dass man davon nicht mehr allzu viel abbekommen wird, kann man froh sein; aber die jungen Menschen ....
Jüngste Geschichte des internationalen Klassenkampfs
Die Entwicklung des Kapitalismus in extremis um die Jahrtausendwende führte zur Herausbildung einer Ultraklasse der Superreichen, die einen Klassenkampf gegen die übrige menschliche Gesellschaft in neuer - einseitiger - Form führen, womöglich bis zu seinem ultimativen Ende, nämlich ihrem eigenen endgültigen Sieg: den Ultraklassenkampf. Mag sein dass die Bezeichnung Klasse auf diese kleine Clique eigentlich nicht recht zutrifft. Auch will ich Klassenkampf nicht im strengen marxistischen Sinn verstanden wissen. Aber jedenfalls handelt es sich um eine Auseinandersetzung zwischen sozialen Gruppen, oder Klassen (im allgemeinsten Sinn) von Exemplaren der Species Homo Sapiens.
Wie konnte es zu der starken Stellung der Oligarchen kommen? War es eine zufällige oder eine gesetzmäßig notwendige Entwicklung? Oder wurde sie ganz bewusst und gezielt - durch eine konzertierte Strategie - herbeigeführt, sei es nun heimlich, konspirativ oder unheimlich dreist?
Die Rolle der Ökonomik
Adieu Keynesianismus!
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat das maßgeblich von John Maynard Keynes (1883-1946), dem Autor des grundlegenden Werks „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ (1936), entwickelte „System von Bretton Woods“(1944) im Verein mit der „Sozialen Marktwirtschaft“ des „Rheinischen Industrie-Kapitalismus“ und staatlicher Globalsteuerung nach keynesianischen Ideen in den Staaten der OECD ein jahrzehntelanges Wirtschaftswachstum ermöglicht. Besonders in Deutschland, dem kontinentalen Westeuropa und Skandinavien entwickelte sich ein Sozialstaatsmodell, das - vereinbar mit langfristig planendem Kapitalismus - eine Wohlstandsgesellschaft auf breiter Grundlage in der Bevölkerung schuf, indem stets eine wachsende Massenkaufkraft für fast ununterbrochene Konjunktur sorgte. Fast alle fuhren damit gut. Im Gefolge von Roosevelts „New Deal“ hatte sich auch in den USA ein korporatistisches Wirtschaftssystem entwickelt, für das vor allem Ford („Autos kaufen keine Autos.“) stand. Zum Bruch mit diesem internationalen System von Bretton Woods kam es jedoch, als die USA, um die immensen Kosten des Vietnamkrieges zu finanzieren, den Goldstandard des Dollar aufgaben. Der freigegebene Kurs des Dollar sackte ab. Darauf reagierten die OPEC-Staaten mit Verknappung und Preissteigerung des Erdöls. Die daraus folgenden wirtschaftlichen Turbulenzen, insbesondere die steigende Arbeitslosigkeit führten zu rapid steigender Staatsverschuldung in den modernen Industriestaaten. Schließlich war der Massenarbeitslosigkeit wie auch der „Stagflation“ mit den Methoden der Keynesianer anscheinend nicht mehr beizukommen.
Das Ende des Fordismus
Nun sahen die „neoliberalen“ Wirtschaftstheoretiker ihre Chance gekommen, die schon bald nach Kriegsende begonnen hatten, sich zu formieren.
Der amerikanische Publizist und Medienkritiker Walter Lippmann (1889-1974) hatte 1937 in seinem Buch „The Good Society“ scharfe Kritik an den zeitgenössischen „kollektivistischen“ Ideologien geübt. 1938 sollte das „Colloque Walter Lippmann“ (neben Lippmann selbst weitere 35 Teilnehmer) in Paris seine Thesen diskutieren, um die Weiterentwicklung des Liberalismus zu fördern, der angesichts des Versagens der neoklassischen Wirtschaftstheorie während der Weltwirtschaftskrise und des Aufstiegs totalitärer Systeme ins Hintertreffen geraten war, wobei für dieses Konzept der Begriff „Neoliberalismus“ geprägt wurde.
1947 bildete der Keynes-Gegner Friedrich August von Hayek(1899-1992), nachdem er 1944 jegliche Einmischung des Staates in wirtschaftliche Angelegenheiten als „Weg zur Knechtschaft“ gezeichnet hatte, zusammen mit 36 weiteren liberalen Wirtschaftswissenschaftlern - darunter Milton Friedman(1912-2006), Frank Knight(1885-1972), Antony Fisher(1915-1988) und Ludwig von Mises(1881-1973) - die „Mont Pelerin Society“, der er bis 1960 präsidierte. Erklärtes Ziel dieser Gesellschaft war, Generationen von Studenten der Wirtschaftwissenschaften von der liberalistischen Theorie zu überzeugen. Eine wichtige Innovation des Mont-Pélerin-Zirkels waren zu diesem Zweck gegründete überparteiliche, aber ideologisch klare und in diesem Sinne „parteiische" Think Tanks (Denkfabriken). Mitglieder der Mont Pelerin Society waren an der Entwicklung und Durchsetzung einer Vielfalt neoliberaler Denkmuster, Strömungen in Wissenschaft und Forschung, aber auch Strategien zur politischen Einflussnahme und institutionellen Entwicklung beteiligt. Ebenfalls 1947 hatte Hayek bei einem Treffen mit Anthony Fisher an der „London School of Economics and Political Science“ die Gründung des „Institute of Economic Affairs“ angeregt um seine (Hayeks) Ideen zu verbreiten, was ab 1955 erfolgte. 1950 wurde Hayek an die 1890 durch den Öl-Milliardär und „Philanthrop“ John D. Rockefeller(1839-1937) gegründete „University of Chicago“ berufen, wo bereits seit 1928 Frank Knight, der Begründer der Chicagoer Schule der Ökonomie, und seit 1946 deren bekanntester Vertreter, der Begründer des Monetarismus Friedman, lehrten. Von 1962 bis 1969 lehrte Hayek dann an der Universität Freiburg.
»Ich persönlich würde einen liberalen Diktator gegenüber einer demokratischen Regierung, der es an Liberalismus mangelt, bevorzugen«, sagte Hayek in aller Offenheit. Sein Buch »Der Weg zur Knechtschaft« von 1944 stellt bis heute neben Friedmans sechzehn Jahre später erschienenem Pamphlet »Freiheit und Kapitalismus« die programmatische Grundlage des ökonomisch ausgerichteten Neoliberalismus dar. Die Paranoia vor jeglichem staatlichen Eingriff in das Wirtschaftsgeschehen sollte letztlich die Funktion des Staates auf die Durchsetzung der Eigentumsgarantie, die Organisation funktionierender Märkte und die Herstellung von Rechtsgleichheit reduzieren. Zweieinhalb Jahrzehnte lang hatte Hayek gleichgesinnte Ökonomen und finanzkräftige Finanziers um seine Mont Pelerin Society gesammelt und auf ihre Funktion als »second hand dealers«, d. h. als Berater an den zentralen Hebeln von Staaten und supranationalen Institutionen vorbereitet.
Der Sieg des Neoliberalismus
Als sich zu Beginn der 1970er Jahre erwies, dass auch mit Hilfe des Keynesianismus kein krisenfester Kapitalismus zu errichten war, schlug die Stunde des Neoliberalismus. Mit dem Krisenjahr 1974 wurde er auch in Deutschland zur strategischen Grundlage der Unternehmerverbände. Pünktlich zur einsetzenden Konjunkturkrise veröffentlichte der BDA im Sommer 1974 den Entwurf einer „Erklärung zu gesellschaftspolitischen Grundsatzfragen”, in der er neben einer Bestandsaufnahme des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses in der Bundesrepublik die Zielperspektiven der Unternehmer für die Zukunft abgesteckt hatte. In der Grundsatzerklärung wurde auch das neue Selbstverständnis und der damit entstandene gesellschaftliche Führungsanspruch der Unternehmer zum Ausdruck gebracht. Ziel war es nicht mehr, bloße Interessenpolitik zu betreiben, sondern die Interessen des Kapitals auch weltanschaulich und theoretisch zu fundieren und als essenziell für das Allgemeinwohl zu verkaufen. Ebenfalls 1974 erhielt der bislang kaum wissenschaftlich hervorgetretene Ökonom Hayek den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, was vor allem als Zeichen für das Ende der keynesianischen Nachkriegsordnung gewertet wurde.
Nach und nach eroberten die Anhänger dieser neoliberalen Internationale die Stellungen und die öffentliche Hegemonie über die Wirtschaftspolitik in fast allen Staaten und internationalen Organisationen. Der Siegeszug der ultraliberalen Chicagoer Schule um Hayek, der sich nicht nur in der Wissenschaft international manifestierte - 1976 erhielt der ungleich offensivere Milton Friedman, der den Österreicher stets als seinen »persönlichen Guru« (Naomi Klein) betrachtet hatte den Nobelpreis -, sondern vor allem durch die Wahlsiege Ronald Reagans in den USA und Margaret Thatchers in Großbritannien auch in der Politik.
In der Wirtschaftswissenschaft wird mit „Chicagoer Schule“ ein im 20. Jahrhundert an der Universität Chicago entstandenes ökonomisches Programm bezeichnet, das als einflussreichste Wirtschaftsdoktrin der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt. Allgemein bekannt wurde sie erst durch Milton Friedmans polarisierende politische Aktivität – er rief die „Gegenrevolution in der Geldtheorie“ aus - als „2. Chicagoer Schule“ (1960 –1970). Ein Praxistest wurde in Chile nach dem Sturz Allendes durch General Pinochet 1973 gestartet. Als 1979 Margaret Thatcher britischer Premierminister wurde, führte sie eine neoliberale Wirtschaftspolitik ein. 1981 brachte auch Präsident Ronald Reagan die USA auf entschieden neoliberalen Kurs, der damit zum Vorbild für andere Staaten wurde.
Wirtschaftlicher Neoliberalismus und politischer Neokonservatismus gehen meist Hand in Hand und bauen den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft und damit auch die staatliche Sozialpolitik ab. Diese antisoziale Austeritätspolitik gefährdet den Zusammenhalt der Gesellschaft (deren Existenz Thatcher ja bestritt: „there is no such thing as society“!) und die Demokratie, weil viele Menschen enttäuscht und frustriert resignieren, kein Vertrauen mehr zu gesellschaftlichen Institutionen wie dem Staat haben können und oft gar nicht mehr zur Wahl gehen.
Eine deutsche Besonderheit
Die „Deutschland-AG“ der Bundesrepublik war eine besondere Ausprägung des Rheinischen Kapitalismus, indem die großen Konzerne untereinander sowie mit den großen Banken und Versicherungen verflochten waren. Sie hatten in konzertierter Aktion zusammengearbeitet. Dadurch und durch das „Wirtschaftswunder“ der 1950er und 60er Jahre hatte sich der Sozialstaat gut entwickelt und stabilisiert. Auch die Gewerkschaften waren sich ihrer „Verantwortung für das Ganze“ der Volkswirtschaft bewusst.
Den Wahlkampf im Anschluss an den Beitritt der DDR 1990 gewann Helmut Kohl mit dem Versprechen, die Einheit Deutschland ohne Steuererhöhungen zu schaffen. Er hielt dieses Wahlversprechen, indem er nicht Steuern, sondern Abgaben erhöhte. Durch hohe Sozialbeiträge wurden die Folgen des Zusammenbruchs der Industrie in den neuen Bundesländern finanziell abgefangen. Umso überzeugender wurden schließlich die Argumente für eine Auflösung des „Reformstaus“ zur Rettung der Wettbewerbsfähigkeit des „Standortes Deutschland“ durch Senkung der Arbeitskosten, insbesondere der Lohnnebenkosten. Dies realisierte die rot-grüne Regierung Schröder mit der „Agenda 2010“ einschließlich „Harz IV“-Gesetzen und Schaffung eines großen Niedriglohnsektors unter gleichzeitiger Schwächung der Gewerkschaften.
Nach Christoph Butterwegge (Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine andere Republik. Beltz Juventa, Weinheim und Basel 2015) wurde diese soziale Kahlschlagpolitik mit großer Vehemenz betrieben. Er schreibt auch, welchen Interessen diese Konzepte der Sozialstaatsdemontage verpflichtet sind: Das grundlegende sozialpolitische Umgestaltungsprogramm wurde als Klassenkrieg von oben organisiert. Die Vorbereitungen zur sozialpolitischen Konterrevolution wurden in geheimen Gremien getroffen, die mit Lobbyisten von Kapitalinteressen und den Vertretern neoliberaler Denkfabriken besetzt waren. „Hartz IV entstand nicht über Nacht, sondern war ein großangelegtes Elitenprojekt,“ sagt Butterwegge. Die Standards wurden so verändert, dass sich die Leiharbeit ausbreiten und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu einem prägenden Arbeitsmarktfaktor werden konnten. Auf diese Weise wurde ein System existentieller Verunsicherung etabliert, das sich disziplinierend auf die Lohnabhängigen auswirkt. Das Hartz-IV-Reglement ist mit einer sozialen Abstiegsautomatik verbunden. Die durch die „Arbeitsmarktreformen“ bewirkten Verunsicherungen waren beabsichtigt und dienten zur Formung eines neuen Typus von Lohnabhängigen: Durch den institutionalisierten Existenzdruck wurde die Bereitschaft „gefördert“, auch ruinöse Stellen in den sich ausweitenden Zonen „einfacher Arbeit“ zu akzeptieren. Allein darin besteht der „große Erfolg“ der Hartz-IV-Initiative, von dem staatliche Apparate und die angepassten Medien sprechen. Und Butterwegge belegt auch, dass es sich bei der Verfestigung von Armutszonen und der Ausdehnung prekärer Beschäftigungsverhältnisse sowie den sich verbreitenden Ängsten vor dem Absturz, nicht um „Betriebsunfälle“ handelt. Sie sind Teil eines Systems der Herrschaft durch Verunsicherung.
So wurde die deutsche Volkswirtschaft innerhalb der Europäischen Währungsunion mehr als wettbewerbsfähig und fuhr Jahr um Jahr Außenhandelsbilanzüberschüsse in Rekordhöhe ein, was natürlich bedeutete, dass sich die schwächeren EURO-Partnerländer bei ihr verschuldeten. Es war wie eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln: Man brauchte keine Truppen zu entsenden um die anderen Länder zu besetzen, sondern kaufte sie, indem man sie in wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeit drängte. Es ist jedoch gar nicht sicher, dass diese Gewinne, welche die deutsche Exportwirtschaft zu Lasten der deutschen Arbeitnehmer gemacht zu haben glaubt, auch realisiert werden können, weil man nicht unbedingt davon ausgehen kann, dass die Kunden in aller Welt die Kredite, die sie bei der deutschen Wirtschaft aufnahmen, auch wirklich zurückzahlen werden bzw. können.
In USA: Neokonservatismus
Das Jahr 1968 steht exemplarisch für eine Zeit des versuchten Aufbruchs der jungen Generation („1968er“ und „Studentenrevolte“) zu neuen Freiheiten für die Menschen - nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich und weltweit, besonders auch in den USA. In den Jahrzehnten zuvor hatte es den wirtschaftlichen Aufschwung des Keynesianismus bei gesellschaftlicher und kultureller Restauration der Nachkriegsjahre gegeben. Große gesellschaftliche Probleme wie die Verdrängung der Mitschuld der Eltern- und Großelterngeneration an NS-Terror und -Krieg in Deutschland, sowie die Gräuel des Vietnamkriegs der USA schrien nach Lösung und wurden thematisiert. Große Demonstratione fanden statt, wobei oft gewaltsame Auseinandersetzungen eskalierten.
Dass die Armen und Marginalisierten sich in Aufruhr befanden und Forderungen nach besseren Lebensumständen und gesellschaftlicher Teilhabe erhoben – und das liberale Establishment dem nachzugeben schien, verstand Irving Kristol als ein Symptom des Zusammenbruchs des “bürgerlichen Ethos”. Ja, er sah eine der größten Sünden des liberalen Establishments der Zeit darin, dass es die Armen angeblich sogar noch dazu animierte, eine Umverteilung des Reichtums zu fordern. Denn für Kristol verkörperte die moderate Stärkung demokratischer Rechte den fundamentalen Leichtsinn liberaler Sozialpolitik. Hinter all dem steckte seiner Meinung nach nämlich eine gefährliche „Idee, ersonnen von den Jakobinern in der Französischen Revolution“, derzufolge „die Abhilfe für Armut in militanter politischer Aktivität, gar revolutionärer politischer Aktivität liegt, die eine Umverteilung von Einkommen und Wohlstand zur Folge haben würde“ – und damit die Grundfesten der liberalen Gesellschaft ins Wanken bringe.
So wurde Kristol zum „Spiritus Rector“ und Paten („godfather“) des Neokonservatismus. Das Besondere am Neo- gegenüber dem herkömmlichen Konservatismus war sein Versuch, konservative gesellschaftspolitische Ziele auf einem Grundgerüst des Liberalismus zu gründen. Ausgehend von der Ansicht, dass gesellschaftliche Autorität und Hierarchien im Kontext des Liberalismus tendenziell gefährdet seien, wurde nach einer Möglichkeit gesucht, sie zu legitimieren ohne die Grundannahme der Autonomie der Individuen infrage zu stellen. Zum einem resultierte das in dem Bemühen, eine moralisch-kulturelle Grundlage der Gesellschaftsordnung in der Religion und traditionellen Werten zu suchen. Das aber war selten mehr als oberflächliche Rhetorik. Die wirklich originelle und zutiefst einflussreiche Lösung des Neokonservatismus lag viel mehr in einem „autoritären Liberalismus,“ der, ausgehend von der defizitären Natur weiter Bevölkerungsschichten, disziplinierende Autorität auf der Mikroebene und einen alternativlosen Abbau des Sozialstaates auf der Makroebene forderte, gerade um die gefährdeten Voraussetzungen einer freien Gesellschaft zu bewahren. Eine durch den Kampf ums Überleben voll beanspruchte Unterschicht sollte gar nicht mehr auf den Gedanken kommen können, Besserung ihrer Situation zu fordern, geschweige denn dafür kämpfen!
Dass gerade von liberalen Positionen ausgehend, eine paternalistische, wohlmeinende Verfügungsgewalt des Staates über gewisse Menschen gefordert wird, ist geradezu paradox. Aufgabe von Sozialhilfe sei von nun an nicht mehr die Bekämpfung von Armut oder soziale Absicherung, sondern die Empfänger in attraktivere Arbeitnehmer zu verwandeln. Da makroökonomische Maßnahmen á la Keynes als nicht mehr zeitgemäß gelten, steht allein dieses erzieherische Projekt als Lösung für das Problem der Arbeitslosigkeit zur Verfügung: Das ist der enge Horizont neoliberaler Sozialpolitik.
Der Diskurs, der sich um die sogenannte Unterschicht dreht, lässt sich nicht auf den kleinen Horizont wirtschaftlicher und sozialer Belange reduzieren, sondern ist vielmehr Teil eines politischen Projektes, das vor allem gewisse Formen demokratischer Willensäußerungen defensiv einzuhegen versucht. Hinter dem konservativen Diskurs, der auf der Dämonisierung der Unterschicht fußte, stand also ein weitreichenderes Projekt. Die Ursünde der 60er, in der die Regierung vor militanten Ansprüchen an das System in die Knie ging und damit gesellschaftliche Hierarchien, ja die Stabilität der liberalen Gesellschaftsordnung, ins Wanken brachte, dürfe sich niemals wiederholen!
„Corporate Philanthropy“
Am 21. März 1977 veröffentlichte der „spiritus rector“ des amerikanischen Neokonservatismus Irving Kristol im Wall Street Journal den Aufruf „On Corporate Philanthropy’’, der sich an gleichgesinnte Intellektuelle und Wirtschaftsführer richtete. Die Absicht war, Universitäten und sonstige Lehranstalten und Institutionen zu durchsetzen und Think Tanks zu gründen, um das intellektuelle Klima der USA zu bestimmen. Diese „riesige rechtsgerichtete Verschwörung“(!), wie Hilary Clinton sie einmal nannte, hatte offensichtlich Erfolg: Marktfundamentalismus und Neokonservatismus beherrschen nunmehr die Öffentliche Meinung nicht nur in den USA, sondern weltweit. Durch diese ihre symbiotische Verbindung scheint der Siegeszug der konservativen Revolution unaufhaltsam.
Ein Rest von Schamhaftigkeit?
Dass sich die Neoliberalen heutzutage schließlich anscheinend schämen, sich zum Neoliberalismus zu bekennen, zeigt z. B. die schlichte Tatsache, dass im WP-Artikel zu diesem Begriff unter dem Punkt „4. Rezeption und Kritik“, nur Kritiker genannt und zitiert werden. Kein Befürworter hat sich seit den 1960er Jahren anscheinend offen zum Neoliberalismus bekannt.
Diese Tatsache scheint mir auch bestens zu der unten unter "Straussismus" genannten Ideologie zu passen: Man formt sich eine interne, esoterische Doktrin, vertritt sie jedoch nicht extern, exoterisch, also nach außen; die andern sollen „dumm bleiben"!
Weltanschauliche Grundlagen
Der neokonservativen Ideologie können verschiedene Weltanschauungen dienstbar gemacht werden:
Der Straussismus
Laut Walter Lippmanns Demokratieverständnis besteht eine intakte Demokratie aus zwei Klassen: Die sehr kleine Klasse der „Spezialisten” werde aktiv mit den Angelegenheiten des Allgemeinwohls betraut. Diese Männer analysieren die Lage der Nation und treffen Entscheidungen auf politischer, wirtschaftlicher und ideologischer Ebene. Ihnen gegenüber stehe die Klasse der den Spezialisten überlassenen „Handlungsobjekte”, nach Lippmann die „verwirrte Herde”, vor deren Getrampel und Gelärm die Spezialisten geschützt werden müssen. In einer funktionierenden Demokratie habe die Masse der Menschen („die Herde”) laut Lippmann lediglich die Befugnis, die Spezialisten zu wählen und den Rest der Zeit mit „Grasen” zu verbringen. In seinen Essays zur Demokratie forderte Lippmann, dass nur die spezialisierte Klasse für die „Herausbildung einer gesunden öffentlichen Meinung” Sorge tragen dürfe, weil die Öffentlichkeit lediglich aus „unwissenden und zudringlichen Außenseitern” bestehe.
Wie die Faust aufs Auge passt zu diesen Auffassungen des Paten des Neoliberalismus die „Philosophie“ von Leo Strauss (1899-1973), 1949-1968 Professor für Politische Philosophie an der Universität von Chicago. Dieser entwickelte eine sehr brauchbare Lehre und er war auch stets bedacht, sie personell und institutionell zu festigen und zu verbreiten.
Seine Kernpunkte:
- Aufklärung und Liberalismus hätten zum Niedergang des Philosophierens geführt.
- Die göttliche Offenbarung sei unwiderlegbar und die Gesetze der „Heiligen Schrift“ hätten absolute Gültigkeit.
- Historismus, Positivismus und Relativismus seien als Ursachen der Krise abzulehnen.
- „Naturrecht“ bedeutet für Strauss die naturgegebene Ungleichheit der Menschen. (Elitistische Anthropologie)
- Ein philosophisches Leben sei nur wenigen vorbehalten, die große Menge brauche hingegen Religion und Vorurteile, sonst bestünde Gefahr für Ruhe und Ordnung.
- Konsequenterweise behält Strauss wenigen Auserwählten die esoterische Codierung vor, die sich von der exoterischen Präsentation unterscheidet, mit der die Allgemeinheit abgespeist wird.
- Auf die Bildung von Netzwerk und Schule der „Straussianer“ legte er großen Wert.
Für die Elite seiner Anhänger lässt Strauss also keine Autorität, keine Vorschriften gelten. Die Masse soll den „göttlichen“, d. h. nicht zu hinterfragenden Gesetzen in unbedingtem Gehorsam unterworfen sein und darf selbstverständlich von der Elite belogen werden, wann immer diese es für erforderlich hält (doppelte, d. h. Herren- und Sklavenmoral). Die Politik hat laut Strauss das absolute Primat vor Gesellschaft und Kultur und als Kern das Freund-Feind-Denken (wie bei Carl Schmidt).
Kein Wunder, dass diese Doktrin den Neokonservativen sehr willkommen war!
So gilt Leo Strauss als wichtiger Theoretiker für die Neokonservativen . Vielfach wird sein Einfluss dafür verantwortlich gemacht, dass der Neokonservatismus sehr ausgeprägte Züge des Machiavellismus aufweist. Insbesondere geht auf Strauss die Idee des „Mythos“ zurück (insbes. Religion und Nation). Dieses Konzept ist eng verbunden mit Strauss' Ansatz, dass das Volk von der Elite belogen werden müsse. Dies ergibt sich aus Strauss' tiefem Misstrauen gegen bzw. seinem Entsetzen über die liberale Gesellschaft. Der politische Mythos sei zwar nicht wahr, aber eine „notwendige Illusion“. Notwendig sei dies, weil die individuelle Freiheit die (einfachen) Menschen dazu verleite, „alles“ in Frage zu stellen, was dann die Gesellschaft insgesamt zerstören würde. Die Elite müsse diese Lügen öffentlich vertreten und leben, privat müssten sie diese natürlich nicht glauben.
Zu den bedeutendsten Schülern des Leo Strauss zählt Alan Bloom, bekannt durch seine politisch-philosophische Kulturkritik The Closing of the American Mind (1987, dt. 1988: Der Niedergang des amerikanischen Geistes). Die moderne liberale Philosophie, dass eine gerechte Gesellschaft allein auf Eigennutz aufgebaut sein könne, gepaart mit dem Auftreten des Relativismus im US-amerikanischen Denken, habe zu einer Krise geführt. Aus Sicht Blooms entstand dadurch eine seelische Leere bei den US-Amerikanern, die durch „demagogische Radikale“, wie zum Beispiel die Studentenführer der 1960er Jahre, besetzt werden konnte.
Irving Kritol prägte entscheidend die konservative Kritik am Sozialstaat, indem er viel von der demoralisierenden Wirkung schrieb, die ein großzügiger Sozialstaat auf die Unterschicht habe. Forderungen nach besseren Lebensumständen und gesellschaftlicher Teilhabe verstand er als ein Symptom des Zusammenbruchs des “bürgerlichen Ethos”. Für Kristol verkörperte die moderate Stärkung demokratischer Rechte den fundamentalen Leichtsinn liberaler Sozialpolitik. Hinter all dem stecke nämlich eine gefährliche „Idee, ersonnen von den Jakobinern in der Französischen Revolution“, derzufolge „die Abhilfe für Armut in militanter politischer Aktivität, gar revolutionärer politischer Aktivität liegt, die eine Umverteilung von Einkommen und Wohlstand zur Folge haben würde“ – und damit die Grundfesten der liberalen Gesellschaft ins Wanken bringe.
Irving Kristol und Robert Kagan beriefen sich indirekt auf Lehren von Strauss, als sie nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 eine Politik forderten, die „moralisch“ begründet und insbesondere auch bereit sein sollte zur politischen Täuschung, ebenso wie zur Kriegsführung, zur unbedingten Verteidigung des amerikanischen Lebensstils und zur gewaltsamen Durchsetzung von Regimeveränderungen. Eine „Clique“ oder „Gang“ von Straussianern in der Bush-Regierung entsprach diesen Forderungen als Planer und Vordenker des Kriegs gegen den Irak.
Ayn Rands „Objektivismus“
Die Autorin Ayn Rand zeigt sich u. a. in ihrem Bestseller „Atlas Shrugged“ (1957 – deutsch: Atlas wirft die Welt ab bzw. Wer ist John Galt? oder Der Streik ) als radikale Befürworterin individualistischer Ideologien und Vordenkerin des Neoliberalismus. In ihren Schriften lehrt sie unter anderem die moralische Richtigkeit eines radikalen Egoismus - Altruismus und Solidarität lehnt sie ab -, sowie eines uneingeschränkten Kapitalismus. Ihre atheistische, egoistische und platt rationalistische Weltanschauung nennt Rand „Objektivismus“. Der Verstand des Menschen wird als sein grundlegendes Lebenswerkzeug gesehen, mit dessen Hilfe er sich an der Realität orientiert und so entscheidet, was für ihn „gut“ ist, d. h. ihm ein möglichst glückliches und langes Leben ermöglicht. Der Staat hat nur zu gewährleisten, dass sich der Tüchtige - ohne Behinderung durch soziale Pflichten - durchsetzen kann. Mit ihrer Lehre hat Rand großen Einfluss in der englischsprachigen Welt, vor allem in den USA, zwar nicht in der Fachwissenschaft, jedoch in der Lebenspraxis vieler Menschen und auch in der Politik. Ayn Rands Bücher erreichten bisher eine Gesamtauflage von 25 Millionen! Der langjährige Chef der US-Notenbank Fed, Alan Greenspan, zählt Rand zu seinen wichtigsten intellektuellen Impulsgebern. Bis heute beeinflusst ihr Denken die US-amerikanischen Neoliberalen und Konservativen, also insbesondere die Republikanische Partei. Bei einer Umfrage der US-Kongressbibliothek, welches Buch den größten Einfluss auf das Leben der Befragten hatte, lag Ayn Rands “Atlas Shrugged” auf Platz 2 – nach der Bibel.
Wie Rand für Rassismus und Kolonialismus argumentierte, zeigen folgende Passagen einer Rede, die sie 1974 vor Studenten der Militär-Akademie der USA in Westpoint hielt:
„Da die Indianer keinen Begriff von Eigentum oder Eigentumsrechten hatten (sie hatten keine sesshaften Gesellschaften, sondern vorwiegend nomadische Stammes-„Kulturen“), hatten sie auch kein Recht auf das Land; und es gab keinen Grund für irgendjemanden, ihnen Rechte zu geben, die sie nicht erdacht hatten und die sie nicht gebrauchten.“ „Jeder Europäer, der ein Element der Zivilisation mit sich brachte, hatte das Recht, diesen Kontinent einzunehmen; und es ist großartig, dass es manche von ihnen taten. Die rassistischen Indianer von heute – jene, die Amerika verdammen – respektieren keine individuellen Rechte.“
Nicht der Markt und nicht neoliberale Politik, sondern die “kulturelle Andersartigkeit” oder schlicht die “Faulheit” bestimmter ethnischer Gruppen gelten also als Ursache für Armut, Verelendung und Ausgrenzung. Gesellschaft und Wirtschaft werden so von ihrer Verantwortung entlastet; Kritik an Kapitalismus und Neoliberalismus findet nicht mehr statt. Ayn Rands Objektivismus wendet sich mit ihren populären Schriften an ein breiteres Publikum als Leo Strauss.
Religiöser Fundamentalismus
Nach Leo Straussens Auffassung soll das Gros der Menschen (die „Masse“) durch Religion gebändigt werden. In den USA ist in der Tat ein großer und bislang noch wachsender Anteil der Bevölkerung einer unmittelbar am Buchstaben der Bibel orientierten Lebens- und Denkweise verfallen. Strenge Moralvorstellungen werden - notfalls mit Gewalt gegen Abweichler – durchgesetzt („Null Toleranz“ z. B. gegen Abtreibung, Homosexualität, Liberalismus, Sozialismus usw.). „Wir sind die Guten“ ist die schlichte Weltsicht - und die Gegner sind also die Bösen! Das gilt auch für die Außenpolitik. Diese Christen sind zum Beispiel auch gegen jede Verschärfung der Waffengesetze in den USA, gegen Medi-Care und überhaupt gegen jede Bundesregierung unter einem demokratischen Präsidenten. Extremistische Fanatiker erwarten gar den baldigen „Jüngsten Tag“ („Dooms Day“), ja sie sehnen ihn geradezu herbei! Womöglich sind sie bereit eine Katastrophenpolitik zu unterstützen, um ihn dadurch herbeizuführen?
In der „Tea-Party“-Bewegung finden sich evangelikale Christen und Theokonservative mit Rand-Anhängern, vor allem in der Ablehnung eines starken, auch sozial engagierten Staates, der Gesundheitsreform und aller Steuererhöhungen. Und dazu passt, dass sie von Milliardären wie den Brüdern Koch initiiert wurde und finanziell unterstützt wird!
Zur Rolle der Religion in sozialen Auseinandersetzungen siehe auch den Anhang.
Historisch-politischer Exkurs über eine Seite der Religion: Theosophistik und Prädestination gegen Common Sense und Selbstbestimmung.
Die philosophisch tiefgehendeste Begründung der ideologischen Doppelmoral von Neoliberalismus und Neokonservatismus ist von Leo Strauss nicht gänzlich neu erfunden; er hat sie nur auf die unverschämteste Art, wenn auch esoterisch-clandestin, verdeutlicht. Ebenso ist die schlichte Gläubigkeit, auf deren Missbrauch sie beruht, wie auch diese selbst, seit je als Verdummungsstrategie in Gebrauch, seit es Klassengesellschaften gibt. Das hat bereits der große Denker des 17. Jahrhunderts Bento de Spinoza auf herrliche Weise entlarvt.
Spinozas Theologisch-Politischer Traktat
Schon in der Vorrede des Werkes weist Spinoza darauf hin, dass Monarchen sich gerne der Religion bedienen um das Volk zu beeinflussen, einzuschüchtern und zu manipulieren, denn am größten ist ihre Macht, wenn das Volk denkt und fühlt, wie sie es wünschen. Deswegen neigten sie dazu, nicht nur die Äußerung abweichender Meinungen zu verbieten, sondern auch die Freiheit des Denkens zu unterdrücken.
Spinoza nennt als Absicht seines Traktats, nachzuweisen, dass das freie Urteil des Einzelnen nicht nur unbeschadet der Frömmigkeit und des Friedens im Staate gewährt, sondern diese Freiheit noch obendrein nur mit dem Frieden im Staate und der Frömmigkeit genommen werden könne. Spinoza erklärt als seine Überzeugung, dass das offenbarte Wort Gottes nicht in einer gewissen Anzahl von Büchern bestehe, sondern in dem einfachen Begriff von dem göttlichen, den Propheten offenbarten Geiste, nämlich Gott mit ganzer Seele zu gehorchen durch Übung der Gerechtigkeit und Liebe.[5] Gegenstand der offenbarten Erkenntnis sei nichts Anderes als Gehorsam diesem göttlichen Gebot gegenüber. (Ähnlich ist Schopenhauers Auffassung, wenn er die Religionen als „Wahrheit im Gewand der Lüge“ bezeichnet; der allen Religionen gemeinsame Kern sei das ethische Grundgebot, seine Mitmenschen zu lieben und ihnen zu nützen so gut man könne und nicht zu schaden.)
Was sonst noch in der Bibel stehe habe keine Autorität. Daran, dass viele Aussagen falsch, auch untereinander widersprüchlich seien, könne man sehen, dass sie nicht göttlich, sondern Menschenwerk sei. Vielmehr solle man sich bei der Beurteilung weltlicher Angelegenheiten einzig nach dem Maßstäben der Vernunft und der Wissenschaft richten. Wenn also die „Heilige Schrift“ für weitere Erkenntnisse herangezogen und gedeutet werde, um sich von anderen abzugrenzen und diesen falschen Glauben vorzuwerfen, tun dies die Theologen, um sich selbst Macht über andere Menschen zu verschaffen.[6] Und da sie hierbei miteinander konkurrieren komme es zwangsläufig zu Meinungsunterschieden und Abspaltungen und schließlich zur Bildung von Sekten,[7] zwischen denen Streit um den richtigen Glauben herrsche, der der unvernünftigste und leidenschaftliche, daher der heftigste überhaupt sei.[8] Die Sekten könnten jedoch nur für sich sprechen und keine allgemein - für alle Menschen - gültigen Vorschriften erlassen. Hierfür sei in der Demokratie nur die Gesamtheit - und zwar mehrheitlich - zuständig. Dabei müsse einem jeden Einzelnen die Freiheit seines Urteils und seiner Ansicht, wie die Grundsätze des Glaubens auszulegen seien, gelassen werden.
Jeder müsse das Recht haben, seine Auffassung zu äußern, ohne Strafe befürchten zu müssen. Diese Freiheit sei erforderlich, damit im Interesse der Gesellschaft und des Staates niemandes Kreativität der Gesamtheit verloren gehe.[9] Nicht nach seinen Ansichten, sondern nur nach seinen Werken sei zu beurteilen, ob der Glaube des Einzelnen „gottselig“ oder „gottlos“, das heißt: „gut“ oder „schlecht“ für alle sei.[10]
„Der Endzweck des Staates ist also im Grunde Freiheit.“ (S. 522) Denn: „Wer Alles durch Gesetze bestimmen will, wird die Laster mehr aufregen als bessern. Was nicht verhindert werden kann, muss man notwendig gestatten, wenn auch oft Schaden daraus entsteht, denn wie viele Übel entspringen aus Luxus, Neid, Geiz, Völlerei und dergleichen, und doch erträgt man sie, <527> weil sie durch den Befehl des Gesetzes nicht verhindert werden können, ungeachtet sie wahrhafte Laster sind; deshalb muss man um so viel mehr die Freiheit des Urteils gestatten, die entschieden eine Tugend ist, und nicht unterdrückt werden kann.“ (S. 526 f.)
Anhand der Thora wollte Spinoza „historisch“ nachweisen, dass die Hebräer, solange sie - nur der Lehre der Bibel folgend - dem Willen Gottes gehorchten, „ihren Nächsten zu lieben wie sich selbst“, in einem guten Staat gut lebten. Als aber herrschsüchtige Könige oder Hohepriester Spekulationen aus der Schrift ableiteten, um ihre Herrschaft zu begründen und das Volk zu manipulieren, Uneinigkeit und Hass untereinander entstanden und dem die Strafe folgte, indem sie von fremden Herrschern unterworfen wurden.
Den Fortschritt in der Lehre Jesu der des Alten Testaments gegenüber, sah Spinoza darin, dass nicht mehr nur der Nächste zu lieben, der Feind aber zu hassen sei, sondern dass Jesus vielmehr lehrte, alle Menschen, auch die „Feinde zu lieben“. Damit war es dem „Wort Gottes“ möglich über die Grenzen des ursprünglichen „auserwählten Volkes“ hinaus der ganzen Menschheit zugänglich und zuträglich zu werden. In der Anfangszeit, als das Christentum nicht von Herrschern, sondern von einfachen Menschen (Privatmännern“) verbreitet wurde, wuchs das „Reich Gottes“ und dehnte sich aus. Doch später, als das Christentum Staatsreligion wurde, trat ein, „dass sie die Dogmen der Religion zu einer so großen Anzahl vermehrten, und so mit der Philosophie vermengten, dass der höchste Ausleger derselben der größte Philosoph und Theologe sein, und sich mit vielen unnützen Spekulationen abgeben musste“.(S. 514)
Wie sich das Christentum dann weiterentwickelte, wollen wir nun anhand seiner Geschichte betrachten.
Die ökumenischen Konzilien der Alten Kirche
Das erste Konzil von Nicäa wurde von Kaiser Konstantin dem Großen im Jahr 325 einberufen, der nach der konstantinischen Wende (wie auch später seine Nachfolger) persönlich Einfluss auf die innerkirchliche Lehrentwicklung des Christentums nahm. Ein Thema des Konzils war die Trinität. Es beschloss das Nicäische Glaubensbekenntnis und die Wesensgleichheit von Gott Vater und Sohn. Unter der Herrschaft Theodius I., der das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Reiches machte und bereits Gesetze gegen Häretiker und Heiden erließ, fand 381 das Erste Konzil von Konstantinopel statt und beschloss auf Vorschlag des Kaisers, dass Jesus Christus dem Vater wesensgleich sei sowie das Nicäno-Konstantinonopolitanum und die Gottheit auch des Heiligen Geistes. Die trinitarische Lehre war damit durchgesetzt, der Arianismus, der Jesus nur für Gott wesensähnlich hielt, verurteilt. Selbst Augustinus soll eingestanden haben, dass er die Trinität Gottes nicht verstand, doch über den Streit darum wurden viele Menschen der Häresie beschuldigt und verurteilt. So befasste sich auch das von Theodosius II. einberufene Konzil von Ephesus noch 431 mit der Christologie. Der Nestorianismus wurde verurteilt, weil er einen Maria nicht als Gottesgebärerin verehrte und die Assyrische Kirche des Ostens spaltete sich ab. Auch 451 auf dem Konzil von Chalcedon, einberufen von Kaiser Markian, war die Christologie Thema. Es wurde beschlossen, dass Jesus „wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch” sei und zwar „unvermischt und unverändert, ungeteilt und ungetrennt“. Daraufhin spalteten sich die altorientalischen Kirchen ab.
Welchen Sinn hatten diese unbegreiflichen Haarspaltereien, wenn nicht den, den Menschen klar zu machen, dass sie nichts können und nichts verstehen, sondern völlig abhängig sind von der Kirche, die im Bund mit der Obrigkeit ist. Schließlich hatten die römischen Kaiser die uneingeschränkte Göttlichkeit Jesu durchgesetzt. Man bedenke, dass sich ihre Vorgänger wie auch andere altorientalische Herrscher gerne als Götter und als Söhne des höchsten Gottes feiern ließen! das konnte man zwar nun nicht mehr praktizieren, doch sollten die Könige ihren Völkern von Geburt vorgesetzt und daher Rebellion Sünde sein.
Mehr oder weniger erfüllt vom Glauben an ein Leben nach dem Tod sowie der Menschenliebe und Gerechtigkeit Gottes hielt man es nicht für so wichtig, in diesem Leben auf Erden glücklich zu sein. Erst im Jenseits sollte alles ausgeglichen - geduldiges Leiden belohnt und sündige Raffgier und Anmaßung bestraft - werden.
Flavius Honorius mit Augustinus gegen Pelagius, Caelestius und Julianus von Eclanum
Pelagius (* ca. 350; † 420) war ein britischer Mönch, nach dem die Lehre des Pelagianismus benannt wurde. Von einer asketischen Lebensführung geprägt, war er als Prediger in Rom empört über die moralische Nachlässigkeit in der Gesellschaft, wie er sie dort erlebte. Seine auch von Caelestius verkündete und weiter entwickelte Lehre war geprägt von der Ablehnung der Erbsündenlehre. Adams Sünde sei zwar ein schlechtes Beispiel für seine Nachkommen gewesen, habe aber nicht die Konsequenzen gezeitigt, die der Erbsünde zugerechnet werden. Der Mensch trage demzufolge die volle Verantwortung für sein Seelenheil und seine Sünden. Weil diese Lehre die Freiheit des menschlichen Willens und darin eingeschlossen die Möglichkeit eines sittlich-vollkommenen Lebens mit der Erbsündenlehre des Augustinus von Hippo kollidierte und damit auch die Notwendigkeit der Säuglingstaufe bestritt, ließ Augustinus Pelagius und Caelestius bereits 411 von einer Synode in Karthago als Häretiker verurteilen. Als er erfuhr, dass Pelagius im Osten versuchte, wieder in die Kirche aufgenommen zu werden, wandte er sich 415 an Hieronymus, um durch dessen Unterstützung eine Verurteilung der pelagianischen Lehre auch im Osten zu erreichen.
417 wurde Caelestius durch den römischen Bischof Innozenz I. (401–417) verurteilt. Caelestius wandte sich an dessen Nachfolger Zosimus (417–418) mit der Bitte um Prüfung und Einspruch. Dazu legte er ein Zeugnis seines Glaubens vor, das 417 in Rom positiv beurteilt wurde. Das lässt darauf schließen, dass eine einheitliche Lehrmeinung zur Erbsünde in Rom noch nicht vorlag. Zosimus prüfte die Verurteilung und ging an die Revision des Urteils, doch der daraufhin erfolgende Protest aus Nordafrika, bei dem Augustinus von Hippo eine wichtige Rolle spielte, hielt ihn davon ab. Zosimus stand den Vorwürfen und Anklagen aus Nordafrika allerdings skeptisch gegenüber, er bestellte hingegen den maßgeblichen Ankläger aus Nordafrika, Paulinus von Milano, nach Rom, um seine Position zu erläutern. Schlussendlich führte eine Parteinahme des Kaisers Flavius Honorius (* 9. September 384; † 15. August 423 in Ravenna; weströmischer Kaiser 395 - 423) durch ein Reskript vom Spätherbst 417 im Jahr 418 zu einer endgültigen Verurteilung des Caelestius zusammen mit Pelagius durch Zosimus, wogegen Julian von Aeclanum (* um 386 in Apulien; † um 455 in Sizilien) Protest einlegte.
Nach der Verurteilung des Pelagianismus durch Papst Zosimus widmete sich Augustinus im Jahre 418 erneut der Bekämpfung der pelagianischen Lehre von Sünde und Gnade und verfasste die Schrift „De gratia Christi et de peccato originali“. Sein bedeutendster, ihm rhetorisch wie intellektuell mindestens ebenbürtiger und oft sogar überlegen wirkender Gegenspieler in dieser Auseinandersetzung war der Bischof Julianus von Eclanum, der sich geweigert hatte, die von Papst Zosimus gegen Pelagius verfasste Epistola Tractatoria zu unterzeichnen, und deswegen abgesetzt wurde.
Julianus von Eclanum (* um 386 in Apulien; † um 455 in Sizilien) war Bischof von Aeclanum und führender Theologe des Pelagianismus, einer christlichen Lehre, die besagte, dass die menschliche Natur nicht durch die Erbsünde verdorben worden sei, sondern schließlich, als von Gott geschaffen, gut sein müsse, wenn man nicht unterstellen wolle, ein Teil der Schöpfung Gottes sei böse. Mit der Zuspitzung der Diskussion auf die Frage der Erbsünde wurde der apulische Bischof Julianus von Eclanum der bedeutendste theologische und philosophische Vertreter des Pelagianismus. Julianus war als erster bemüht, die Lehren des Pelagius und Caelestius, die bis dahin eher unsystematisch in Einzelschriften und Predigten vorgetragen worden waren, zusammenzufassen, zu systematisieren und zu durchdenken, dürfte jedoch inhaltlich in allen wesentlichen Punkten mit den vorgenannten Begründern des Pelagianismus übereinstimmen. Auf dem Gebiet der Gnaden- und Erbsündenlehre wurde er durch seine zahlreichen Schriften zum wichtigsten theologischen Gegenspieler des Augustinus, dem er „Manichäismus“ vorwarf, der für Julianus darin bestand, dass Augustinus das Böse in der menschlichen Concupiscentia, also in der menschlichen Natur, sah. Für Julianus ist hingegen die Sünde eine Sache des menschlichen Willens, der die Freiheit hat, die Sünde zuzulassen oder sich ihrer zu enthalten. Augustins Erbsündenlehre ist für Julianus ein Widerspruch in sich, da mit dieser Lehre Gott zum Urheber des Bösen werde. Die Gnade Gottes wirke also nicht in Erwählung und Vorherbestimmung, sondern in körperlichen und geistigen Begabungen des Menschen, der jedoch für sein Heil selbst verantwortlich ist. Mit der Hilfe des göttlichen Heilswillens könne der Mensch – auch der Heide! – alle Gebote erfüllen und so durch den Gebrauch seines freien Willens die ewige Seligkeit erringen. Julians Denken versucht das positive Menschenbild der antiken Philosophie gegen Augustins „neue Lehre“ zu verteidigen.
Die Autorität des Augustinus bewirkte allerdings, dass weitere lokale Synoden die pelagianischen Lehren verurteilten, bis schließlich mit dem Konzil von Ephesos (431) der Pelagianische Streit mit einer endgültigen Verurteilung dieser Lehre beendet wurde. Somit waren Sündhaftigkeit und Unfähigkeit des Menschen zum Guten außerhalb der Kirche zum verbindlichen Glaubensinhalt gemacht worden. Er durfte nicht mehr frei und unabhängig von der Kirche sein. Gegen diese Anmaßung der Kirche und gegen die damit einhergehende - so gar nicht apostolische - Lebensweise des Klerus erhob sich jedoch anhaltender Widerstand.
Inquisition
In der Antike: der Präzedentfall Priscillian
Von Hydatius von Emeritia, Rufus von Metz und Britto von Trier wurde gegen Priscillian Anklage wegen Manichäismus und Ketzerei erhoben. Dieser hatte eine religiöse Bewegung gegründet, die strenge Askese für Priester und Laien befürwortete und die Kirche durch Unterordnung unter die Leitung des Heiligen Geistes erneuern wollte. Priscillian und einige seiner Anhänger wurden in Trier, wo Kaiser Magnus Maximus residierte, verurteilt. Martin von Tours setzte sich zunächst erfolgreich für die Angeklagten ein, dann aber kam es in Abwesenheit von Martin zu den folgenschweren Todesurteilen, die 385 vollstreckt wurden – dies war das erste Mal, dass christliche Kleriker auf Drängen anderer Christen hingerichtet wurden.
Im Mittelalter: "Ketzerei
Danach hat die mittelalterliche Amtskirche geradezu ein Verfahren entwickelt, um unliebsame Abweichler („Ketzer“ oder „Häretiker“ genannt) systematisch aufzuspüren und auszuschalten, lieber ein paar Unschuldige zuviel, als einen Schuldigen zuwenig. Es hat die Bezeichnung Inquisition.
Als Ursache für die Entstehung einer kirchlich organisierten Ketzerbekämpfung ist das Auftreten mehrerer christlicher Laienbewegungen am Ende des 12. Jahrhunderts zu sehen, die von der Kirche als Häresien betrachtet wurden, allen voran die Katharer, aber auch die Waldenser oder die Humiliaten. Eine derart große Menge an Ketzern hatte es bis dahin im Abendland nicht gegeben. Anlass für Schuldspruch und Verfolgung war oft, dass diese Orden oder Sekten die apostolische Armut im Sinne von Jesus und den Urchristen pflegten und Prunk und Reichtum der kirchlichen Würdenträger bis hinauf zum Papst, wenn nicht anprangerten, so doch bloßstellten. Auch der später als Heiliger verehrte Franz von Assisi und sein Bettelorden mussten lange um die Anerkennung bangen und ringen.
Die Kirche konnte über das Inquisitionsverfahren zwar Urteile über Ketzer aussprechen, hatte jedoch keine Blutgerichtsbarkeit, sondern war hierfür auf die Unterstützung des „weltlichen Arms“ angewiesen. Mit dem Edikt Kaiser Friedrichs II. „Cum ad conservandum“ statuierte 1224 die höchste weltliche Gewalt es als ihre von Gott verliehene Pflicht, zum Schutz des Glaubens gegen Häretiker vorzugehen und überführte Häretiker auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen oder auf andere Weise (z. B. Herausschneiden der Zunge) zu bestrafen.
Wyclif
Der englische Theologe John Wyclif bestritt im 14. Jahrhundert den politischen Machtanspruch des Papstes, warf der Kurie den Verkauf von Kirchenämtern vor und forderte für Kirchenmitarbeiter ein Leben in urchristlicher Bescheidenheit. Seine Lehren fanden in großen Teilen der Bevölkerung Zustimmung und beeinflussten maßgeblich den Aufstand der englischen Bauern von 1381. Doch seine Schriften wurden von einer Synode in Oxford als ketzerisch verurteilt und schließlich bestimmte das Konzil von Konstanz, alle Schriften Wyclifs zu verbrennen, und erklärte ihn 30 Jahre nach seinem Tod am 4. Mai 1415 zum Ketzer.
Hus
Jan Hus predigte eine strenge, tugendhafte Lebensweise und eiferte gegen Zeitgeist und Mode, so dass er gelegentlich die Zünfte der Schuster, Hutmacher, Goldschmiede, Weinhändler und Wirte gegen sich aufbrachte. Beeinflusst durch die Lehren Wyclifs, kritisierte er den weltlichen Besitz der Kirche, die Habsucht des Klerus und dessen Lasterleben. Er kämpfte leidenschaftlich für eine Reform der verweltlichten Kirche, trat für die Gewissensfreiheit ein und sah in der Bibel die einzige Autorität in Glaubensfragen, im Gegensatz zu der Doktrin der Amtskirche, dass der Papst die letzte Instanz bei Glaubensentscheidungen sei. Hus verlangt von einem Geistlichen ein wahrhaftiges und heiliges Leben mit dem Ziel, den Gläubigen zu dienen. Er beklagt, dass die Geistlichen seiner Zeit Gott verachteten und durch Gewinnsucht und Heuchelei die Kirche in Verruf brächten. Statt dem Volke zu helfen – so Hus –, berauben sie es, statt es zu verteidigen, unterdrücken sie es noch grausamer als die weltlichen Herren. Die Geistlichkeit habe die Aufgabe, das Evangelium zu verkünden und dem Volk mit den Sakramenten zu dienen. Auch hier sieht Hus den Gegensatz zur damaligen Priesterschaft, welche nach seinen Worten nicht aus „göttlichem Trieb“ predige, sondern um des Gewinnes willen. Viele forderten Geschenke oder Geld für Salbung, Taufe, Kommunion, Ordination, Konsekration der Altäre und Begräbnisse. Hus kritisiert den Ablasshandel, erfundene Reliquien, Bilderverehrung und erfundene Wunder. Die Gnade Gottes dürfe nicht käuflich sein. Nicht das Amt, sondern das Verhalten befähige einen Papst. Hus wandte sich gegen Lehren, dass dem Papst unbegrenzte Autorität zukomme, dass er weder Gott noch Mensch sei, dass der Papst einen Bischof ohne Grund absetzen dürfe und dass er von apostolischen Vorschriften in der Bibel Abstand nehmen dürfe. Mit „der heiligste Vater auf Erden“ könne nur jemand gemeint sein, der auf heilige Weise lebe, Christus in Armut, Demut, Friedfertigkeit und Keuschheit nachfolge, nicht aber jemand, der in offenkundiger Habgier, in offenem Hochmut und in anderen Sünden lebe. Auch hier zeigt sich Jan Hus' Grundhaltung, dass sich Inhaber von kirchlichen Ämtern, inklusive des Papstamtes, an den Aussagen und Werten der Bibel messen lassen müssen, eine Auffassung, die er von Wyclifs Lehre bestätigt sah.
Hus wurde 1414 zum Konzil nach Konstanz zitiert; der deutsche König sicherte ihm freies Geleit zu und Papst Johannes XXIII. hob die bereits bestehenden Kirchenstrafen auf. Dennoch wurde er eingekerkert und, da er nicht widerrief, am 6 Juli 1415 wegen Häresie zum Tod verurteilt und zusammen mit seinen Schriften verbrannt. Die bestehenden Ordnungen galten mit dem Ende des Konzils 1418 nach der Absetzung des Papstes Johannes XXIII. und der Hinrichtung von Jan Hus mit der Wahl des neuen Papstes Martin V. im Konzilsgebäude am Hafen von Konstanz im Jahr 1417 als bestätigt. Die Hinrichtung löste den ersten Prager Fenstersturz und die Hussitenkriege (1419–1434) aus. Fünf Hussitenkriege wurden gegen die Anhänger der hussitischen Lehre, die Taboriten geführt.
Reformation
Doch konnte die Inquisition die Unzufriedenheit mit der Amtskirche nicht beseitigen. Immer wieder gab es Reformbestrebungen.
Luther versus Thomas Müntzer
Schließlich war Luther erfolgreich, weil er mehrere deutsche Reichsfürsten für sich und seine Lehre gewinnen konnte. Ursprünglich wollte er keine neue Kirche gründen, sondern die bestehende reformieren. Schließlich gab es lutherische Landeskirchen unter der Ägide der jeweiligen Landesfürsten. Luther war Realpolitiker: Obwohl Bürger und Bauern sich seiner Lehre anschlossen und sich durch sie im Aufstand gegen die Fürsten bestärkt sahen, verurteilte Luther die Aufständischen, distanzierte sich von dem Reformator Thomas Müntzer und stellte sich auf die Seite von Fürsten und Adel.
Ganz anders der sozialrevolutionäre Thomas Müntzer: Er ging mit den Bauern in den Bauernkrieg und wurde nach der verlorenen Schlacht von Frankenhausen gefoltert und öffentlich hingerichtet.
Calvin und die Hugenotten
Die Differenzen Luthers und Calvins mit der katholischen Kirche bezogen sich auf mehr wirklichkeitsferne Themen wie die „Transubstantiation“ und die Rechtfertigung, waren damit weniger gefährlich als Müntzers gesellschaftlich radikale Anschauungen. So wie Luther bei den Fürsten Unterstützung fand, so Calvin beim Bürgertum vor allem in den damals wirtschaftlich fortgeschrittensten Ländern: Großbritannien und Niederlande. Die calvinistische Prädestinationslehre gilt als Grundlage der protestantischen Arbeitsethik, die mit dem Kapitalismus bestens harmoniert: Wer Außerwählt sie, zeige sich schon zu Lebzeiten auf Erden am wirtschaftlichen Erfolg!
In der absoluten Monarchie Frankreichs geriet die reformierte Lehre jedoch in Opposition nicht nur zum Katholizismus, sondern auch zum Königtum. Deshalb wurden die Hugenotten dort verfolgt und vertrieben. Sie fanden in der Schweiz und den Niederlanden, Großbritannien und einigen deutschen Ländern wie Preußen Zuflucht.
Der Konservatismus
Im 19. Jahrhundert bildeten sich die politischen Ideologien des Konservatismus, Liberalismus und Sozialismus heraus. Zu den Grundgedanken des Konservatismus gehört die Annahme, Gott habe die Welt erschaffen und alles sei gut. Der Heilsplan Gottes habe den Völkern ihre Monarchen und Kirchen gegeben, auch die Traditionen und die natürliche Ungleichheit der Menschen. Deshalb solle man sie erhalten und möglichst nicht verändern. Der unzureichende Verstand des Menschen solle sich zurückhalten, weil er nichts verbessern, sondern nur verschlechtern könne.
Das Bündnis von Altar und Thron, von Kirche und König blieb also bestehen. Nach der Französischen Revolution führte dies zur Restauration, zur Wiederherstellung der „gottgewollten“ Ordnung.
Friedrich Julius Stahl
Vordenker des Konservatismus im Königreich Preußen war Friedrich Julius Stahl, ein strenggläubiger Lutheraner, Mitglied des altpreußischen evangelischen Oberkirchenrats und in der Reaktionszeit (1849–1861) Kirchentagspräsident. Während der Revolution von 1848/49 bildete er nach seinem Programm-Entwurf für eine conservative Partei mit anderen Herausgebern der Neuen Preußischen Partei aus konservativen Vereinen die „Kreuzzeitungspartei“, die in beiden Häusern des preußischen Parlaments vertreten war.
Stahl lehnte Hegelsche Philosophie und Pantheismus ab, weil er sich einen persönlichen Gott vorstellte. Dementsprechend sollte auch die Gesellschaft eine Person als Oberhaupt haben. Die Geschichte hatte diese im Sinne Gottes bestellt. Stahl entwickelte in seiner christlich-konservativen Staatslehre auf Basis des „monarchischen Princips“ die konstitutionelle Monarchie als ein Mittelding zwischen der Autokratie des Zars und des parlamentarischen System der modernen Monarchien Westeuropas. Zwar sollte es ein Parlament mit bestimmten Befugnissen geben, doch im Zweifelsfall der König bestimmen können. Auch sollte der König die Oberaufsicht über die Landeskirche führen. Zwar hatte Stahl in seinem Werk über die Kirchenverfassung auch für die Kirchenspitze auf Lebensdauer ernannte Bischöfe als Person - anstelle der Kollegien und Superintendenten - vorgesehen, was erst im 20. Jahrhundert realisiert wurde.
Konservative Parteien in Deutschland
Schon hier zu Beginn des Konservatismus ist das Bündnis zwischen Kirche und Staat als Grundbestandteil der politischen Ideologie deutlich. Immerhin hat Bismarck, der bedeutendste konservative Politiker Deutschlands, um die Sozialdemokratie abzuwehren, eine staatliche Sozialversicherung eingeführt. Die 1870 gegründete katholische Zentrumspartei kümmerte sich lediglich um katholische kirchliche Angelegenheiten. Nach dem 2. Weltkrieg gründeten sich beide große Konfessionen übergreifend christliche Unionsparteien als konservative Volksparteien in Deutschland. Doch weiter als bis zur Bejahung einer „Sozialen Marktwirtschaft“ brachten es CDU und CSU nicht.
Vatikanische Konzilien und Dogmen versus Christliche Soziallehre
Für die protestantischen Kirchen ergab sich keine Notwendigkeit des Nachdenkens über soziale Gerechtigkeit; das war allein Sache des Staates. Nur im Umfeld von Diakonie und Innerer Mission (also der Almosen-Industrie) gab es im 20. Jahrhundert Ansätze einer evangelischen Sozialethik. In der katholischen Kirche hingegen entwickelte sich angesichts der Pauperisierung des Proletariats eine spezifische Soziallehre, die die Gegensätze ausgleichen wollte. Allerdings nicht durch Klassenkampf oder gar Revolution, sondern - vermittelt durch die Kirche - durch beiderseitige Einsicht und Kommunikation. Das war zwar durchaus im Sinne der Evangelien, doch blieb der Einfluss auf Randgruppen der katholischen Kirche beschränkt. Zwar erließen auch Päpste Sozialenzyklien, doch hatten sie auf die Politik kaum Einfluss. Die weitergehende, in Lateinamerika entwickelte „Befreiungstheologie“ wurde vom Vatikan verworfen.
Das 1. Vatikanische Konzil (1869/70) beschloss, dass der Papst unfehlbar sei, wenn er einen Glaubenssatz kraft seines Lehramtes (ex Cathedra)verkünde. Nachdem schon 1854 Pius IX: die „Unbefleckte Empfängnis Marias“ zum katholischen Dogma erklärte hatte, folgte dem Pius XII. 1950 mit der bislang einzigen Anwendung des Dogmas der päpstlichen Unfehlbarkeit: Er befand, Maria sei leiblich in den Himmel aufgenommen worden. Johannes XXIII. berief das 2. Vatikanische Konzil mit dem Auftrag zu pastoraler und ökumenischer Erneuerung. Es tagte 1962 – 1965 und entschied zugunsten der Religionsfreiheit in der bürgerlichen Staatsordnung und für verstärkten Dialog mit Anders- oder Nichtgläubigen. Doch Paul VI. zauderte mit der Verwirklichung und Johannes Paul II. und Benedikt XVI. drehten das Rad teilweise wieder zurück. Noch bis ins 21. Jahrhundert hinein war es in der katholischen Kirche üblich, abweichende Meinungen von Theologen mit dem Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis zu ahnden, der oftmals Existenz bedrohend sein konnte. Betroffen davon waren südamerikanische Befreiungstheologen wie Leonardo Boff sowie im deutschsprachigen Raum u. a. Hans Küng, Eugen Drewerman und Uta Ranke-Heinemann.
Anmerkungen und Einzelnachweise:
- ↑ siehe z. B. Talleyrand: „La parole a été donnée à l’homme pour déguiser sa pensée.“ - ,,Der Mensch hat die Sprache um seine Absichten zu verbergen.’’
- ↑ [1]
- ↑ [ http://www.jungewelt.de/2015/09-25/001.php]
- ↑ [ http://www.independent.co.uk/news/uk/politics/british-army-could-stage-mutiny-under-corbyn-says-senior-serving-general-10509742.html]
- ↑ “Denn aus der Schrift erkennen wir ohne die geringste Schwierigkeit und Zweideutigkeit, dass ihr Hauptinhalt ist, Gott über Alles und den Nächsten wie sich selbst zu lieben.“ (S. 353)
- ↑ “Aber der Ehrgeiz und die Schandtat vermochten endlich so viel, dass man die Religion nicht mehr in die Beobachtung der Lehren des heil. Geistes, sondern in die Verteidigung der Menschendichtungen setzte; ja, dass die Religion nicht mehr in Liebe, sondern in Ausstreuung der Zwietracht unter den Menschen, in der Fortpflanzung des feindseligsten Hasses bestand.“ (S. 204)
- ↑ “ Denn fangen die Menschen in der Hitze des Aberglaubens, wenn die Obrigkeit die eine Partei unterstützt, zu streiten an, so können sie auf keine Weise zur Ruhe gebracht werden, sondern müssen sich notwendig in Sekten zerteilen.“ (S. 482)
- ↑ “Denn so sind die Menschen, dass sie, was sie mit reiner Einsicht erfassen, auch nur mit Erkenntnis und Vernunft, hingegen das, was sie aus Leidenschaft annehmen, auch mit der Gewalt und Macht der Leidenschaften zu verteidigen suchen.“(S. 205)
- ↑ „.., dass Gesetze, welche über Meinungen gegeben werden, nicht die Lasterhaften, sondern die Braven treffen, dass sie nicht zur <529> Einschränkung der Schlechten, sondern vielmehr zur Aufregung der Ehrenhaften gegeben werden, und dass sie nicht ohne große Gefahr für die Regierung aufrecht erhalten werden können.“ (S. 528)
- ↑ „Das Reich Gottes ist, worin Gerechtigkeit und Liebe die Kraft eines Rechts und Befehls haben. Und hieran erkenne ich keinen Unterschied, ob Gott die wahre Übung der Gerechtigkeit und Liebe durch die natürliche Vernunft, oder durch Offenbarung lehre und befehle; denn es kömmt nicht darauf an, wie diese Übung offenbart worden ist, wenn sie nur das höchste Recht besitzt, und den Menschen als höchstes Gesetz gilt.“ (S. 495)