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Der Begriff Chemosensitivität bezeichnet in der Medizin die Empfindlichkeit von Krebszellen gegenüber wachstumshemmenden Medikamenten, den so genannten Zytostatika oder Chemotherapeutika, die im Rahmen der Chemotherapie eingesetzt werden. Meist wird dieser Ausdruck im Zusammenhang für die Testung von Zytostatika verwendet. Demnach wird solch ein Test als Chemosensitivitäts-Test bezeichnet.
Begrifflichkeiten
Neben der Chemosensitivität gibt es auch den Begriff der Chemoresistenz. Dieser Begriff beschreibt die Fähigkeit von Zellen gegenüber einem Chemotherapeutikum unempfindlich zu sein. Sowohl Chemosensitivität als auch Chemoresistenz werden mit dem Ausdruck Chemosensiblität zusammengefasst. Da jede Testung sowohl Informationen über die Wirksamkeit als auch die Nicht-Wirksamkeit von Medikamenten liefert, sind die Begrifflichkeiten nicht klar getrennt und ein Chemosensiblitäts-Test, Chemosensitivitäts-Test und Chemoresistenz-Test können je nach Aufbau ähnliche Ergebnisse liefern. Es gibt weltweit sehr viele Arbeitsgruppen, Institute und Firmen, die auf dem Thema der Chemosensitivitäts-Testung arbeiten. In 2007 wurde von dieser Interessensvertretung der Begriff der Individualisierten Tumor-Response Testung oder ITRT geprägt. In 2011 votierten dieselben Personen den Begriff durch Personalisierte Krebszytometrik („Personalized Cancer Cytometrics“) abzulösen, um die Idee der individualisierten Tumortherapie bzw. Personalisierten Medizin und das direkte Testen von lebenden Krebszellen hervorzuheben.
Testung der Chemosensitivität / Chemoresistenz / Chemosensiblität
Einleitung
Die zentralen Themen in der medizinischen Praxis sind Diagnose, Prognose und Anwendung einer geeigneten Therapie. Jede Prognose eines Patienten setzt sich aus dem einzigartigen genetischen Aufbau und dem Erkrankungszustand zusammen. Dies gilt insbesondere auch für die Onkologie, in der eine Fülle von vererbten und erworbenen genetischen Defekten zur Krebsentstehung beitragen können. Die Vielfalt der pathologischen Prozesse und Resistenzmechanismen macht es schwierig die am besten passende Therapie für den individuellen Patienten auf empirischer oder epidemiologischer Basis auszuwählen. Das heißt, obwohl klinische Studien aufzeigen, welche Therapieform die beste für eine Patientengruppe ist, kann das individuelle Ansprechen auf ein Medikament erst nach zwei Zyklen einer Chemotherapie ermittelt werden. Die Idee der Testung der Chemosensitivität ist demnach Kenntnis über die relative Effektivität von verschiedenen Medikamenten, die als Therapiealternativen zur Verfügung stehen, vor dem eigentlichen Therapiebeginn zu ermitteln, um so das Austesten im Patienten zu minimieren. Obwohl 30% der Patienten mit solidem Tumor auf eine Chemotherapie ansprechen, zeigt die Mehrheit eine Chemoresistenz gegen das gewählte Therapieform.[1] Das heißt, obwohl Chemotherapien zum Teil akute Fälle von Leukämie, Hodgkin-Lymphom, aggressiven Lymphomen und Hodenkrebs heilen können, werden die meisten soliden Tumore mit der Absicht therapiert, entweder das Leben zu verlängern oder die Krankheit zu lindern (siehe auch Palliation).[2] Palliative oder nicht-wirksame Therapien sind aus mehreren Gründen problematisch.
- Sie können zu einer Progression der Erkrankung während der anfänglichen Beurteilungsperiode der Therapie führen. Dabei hat der Patient die toxischen Nebenwirkungen, aber keinen Benefit.
- Eine nicht-wirksame Therapie kann weitere Resistenzen („cross-resistance“) gegenüber anderen Medikamenten, die anfangs wirksam waren, bewirken und die Wahrscheinlichkeit ein späteres klinisches Ansprechen zu erhalten reduzieren.[3][4][5]
- Das Gesundheitssystem wird durch das Ausprobieren von Therapien und ggf. ineffektiven Medikamenten belastet.
In der Praxis wägt der behandelnde Arzt die Nebenwirkungen einer Therapie gegen die möglichen Vorteile ab und lässt diese in die Behandlungsstrategie einfließen. Dies ist besonders bei Erkrankungen schwierig, die chemosensitiv sind, aber eine Heilung nicht möglich ist. Obwohl fortgeschrittener Brustkrebs und Ovarialkarzinom nicht heilbar sind, stellen sie doch Beispiele dar, in denen medikamentöse Therapien zu einer wesentlichen Verbesserung des Therapieansprechens und zu einer Verlängerung des tumorfreien Intervalls und des Überlebens geführt haben.[1] Die Schwierigkeit liegt in der Identifikation der Patienten, die von einer aggressiven Chemotherapie profitieren bzw. nicht profitieren. Dabei ist festzuhalten, dass ein Patient selektiv chemoresistent gegen bestimmte Medikamente sein kann, aber auch chemosensitiv gegenüber anderen. Chemoresistenz tritt selten gleichzeitig für alle Medikamente bei einem Patienten auf.[2] Die Fortschritte in dem Verständnis der zellulären und molekularen Biologie des Krebses hat zu einer Identifikation von Onkogenen und Tumorsuppressorgenen geführt, die für die Krebsentstehung und die Progression der der Erkrankung verantwortlich sind. Die Anwendung von prognostischen Markern zur Einteilung von Patienten in Risikogruppen beginnt langsam in der Onkologie die Therapieauswahl zu verändern. Beispiele hierfür sind die Testung der uPA/PA-1 Proteine[6] und die Analyse von [[Genexpressionsanalyse|Geneexpressionsmustern] beim Brustkrebs. Dies Feld wird seit einigen Jahren wissenschaftlich sehr stark bearbeitet und ist ein wichtiger Baustein der Personalisierten Medizin. Zusätzlich zu diesen Möglichkeiten haben sich die Chemosensitivitäts-/Chemoresistenz-Tests über die letzten Jahrzehnte entwickelt und bieten die Möglichkeit einen Gesamteindruck von der Vielzahl von molekularen Faktoren innerhalb der Tumorzellen zu bekommen. Viele retrospetive und prospektive klinsche Studien haben gezeigt, dass die Chemosensitivitäts-/Chemoresistenz-Tests in der Lage sind insbesondere die Chemoresistenz mit einer hohen Trefferwahrscheinlichkeit vorherzusagen. Jedoch können die Testsysteme nicht besser in der Behandlung der Patienten sein, wie die Substanzen, die für die Behandlung eingesetzt werden. Das heißt, abhängig von den getesteten Medikamenten kann man zum Teil nur eine weitere Palliation erreichen. Nichtsdestotrotz kann das Wissen über den Status der Resistenz zu den einzelnen Medikamenten einen signifikanten Einfluss auf die Therapieentscheidung haben. Die Therapieentscheidung wird durch den Arzt bestimmt und dieser richtet sich in ersten Linie nach den Richtlinien von Loeb:[7]
- Wenn das, was gemacht wird gut ist, sollte es weiter gemacht werden.
- Wenn das, was gemacht wird nicht gut ist, sollte es beendet werden.
- Wenn man nicht weiß, was getan werden soll, sollte man nichts tun.
- Niemals sollte die Behandlung schlimmer sein als die Krankheit.
Bezogen auf die Testung von Chemoresistenz könnte es den Arzt ermöglichen, mindestens die Medikamente zu identifizieren, die mehr schaden als nützen.
Historie
Die Idee die Wirksamkeit einer Substanz auf Zellen zu untersuchen, existiert mindestens seit dem Ende des 19. Jahrhundert. In den 1870ern experimentierten Ehrlich und Pasteur mit synthetisch und aus Mikroben hergestellten Substanzen. Sie beobachteten anschließend das Wachstumsverhalten von kultivierten Mikroben in Gegenwart dieser hergestellten Substanzen. Ehrlich prägte auch den Begriff der Chemotherapie und betonte die Notwendigkeit von Substanzen, die selektiv toxisch sind.[8]
Durch Flemmings Entdeckung des Penizillins 1929 entstand die moderne Ära der Testung von Wirksamkeiten auf Zellkulturebene, die sich zu der heutigen Technik des Antibiogramms entwickelt hat.
Erst die Entdeckung und das Verständnis der Resistenzen von Bakterien gegenüber Antibiotika und Verbesserungen in Zellkultur-Technologien ebneten den Weg die Technologien für die Onkologie nutzbar zu machen. Es dauerte noch bis in die frühen 1950er bis die ersten Versuche unternommen wurden, operativ entnommenen Tumor auf ein Ansprechen auf Medikamente zu untersuchen. Black und Spear (1954)[9] veröffentlichten eine Untersuchung, in der sie das Ansprechen von Tumoren aus Patienten in vitro mit Hilfe eines Succinatdehydrogenase-abhängigen Farbreduktionstestsystems untersuchten. Dabei fanden sie heraus, dass ihr Testsystem gut in der Vorhersage von Resistenzen und schlechter in der Vorhersage von Sensitivitäten war. Dieses Testsystem wurde über die Zeit verbessert und es entstand eine verbesserte Testversion mit einem Tetrazoliumsalz (MTT).[10][11][12] Dieser MTT-Test wurde vom National Cancer Institute für deren Programm zur Entwicklung und Entdeckung von Krebsmedikamenten[13] benutzt, bis es durch das Sulforhodamine B-Testsystem abgelöst wurde.[14]
Der zweite wichtige Ansatz wurde von Puck und Marcus ebenfalls in den 1950er entwickelt.[15] Sie benutzten ein Agar-basiertes Zellkultur-System, welches preferentiell das Wachstum von transformierten Zellen unterstützt, während nicht-transformierte Zellen nicht proliferieren.[15] Ihre Erkenntnisse führten zum Agar-basierten humanen Tumorstammzellen-Chemosensitivitätstest in den frühen 1970ern.[16][17][18][19][20] Für den Test wurden verschiedene Bezeichnungen verwendet: „Clonogenic Assay“, „Human Tumor Stem Cell (HTSC) Assay“, „Human Tumor Clonogenic Assay“ oder auch auch „Colony Forming Assay“. Dieses Testsystem hatte jedoch technische Schwierigkeiten und so lag die erfolgreiche Durchführbarkeit des Tests bei unter 50% mit einer Testdauer von bis zu drei Wochen.
In den späten 70er und frühen 80er Jahren machten es Fortschritte bei der Technologie der Szintillationszähler möglich, relativ einfach und genau den Einbau von Tritium-markierten Thymidin in sich teilende Zellen im Zellkultursystemen zu messen. Radioaktiv-markiertes Thymidin wurde schon seit den 60iger Jahren verwendet, um bakterielle Proliferation zu verwenden.[21] Die Kombination von Agar-basierten Kulturen des “Clonogenic Assays” mit dem Thymidin-Einbau-Endpunkt resultierte in der dritten Technologiegeneration, die eine erfolgreiche Durchführungkeit des Tests bei über 85% der Messungen bei einer Testdauer von 5 Tagen ermöglichte. Entwickelt wurde der Test von Kern und Kollegen[22][23] an der Universität in Los Angeles (UCLA).
Der Test erhielt in der Firma Oncotech, Inc. den Namen EDR-Test ("Extreme Drug Resistance Assay"), um hervorzuheben, dass die Entwicklung auf der Erkenntnis basierte, dass Chemoresistenzen genauer als Chemosensitivitäten vorherzusagen sind.[24] Durch die Methode des Thymidin-Einbau wurde eine hohe Durchführbarkeit erreicht. Durch die Kombination der Methode des Thymidin-Einbaus und der Verwendung von Agarose sind die Resultate spezifisch für die Proliferation von Tumorzellen mit einer minimalen Beeinflussung durch Fibroblasten, Normalzellen, mesotheliale Zellen oder andere Stromazellen. Durch eine extrem lange Expositionszeit der Tumorzellen mit hohen Konzentrationen des Therapeutikums (im Vergleich zu den früheren Testsystemen) wurde der Test sehr bewußt in die Richtung einer Resistenzaussage verändert. Durch dieses Design des Tests wurde die Spezifität des Diagnostikums maximal verbessert. Das heißt, wenn ein Medikament als nicht wirksam getestet wird, ist dieses Medikament auch bis zu 99% in der Klinik unwirksam.[24] Durch die Eröffnung des Labors in Deutschland bei der Firma TherapySelect wurde für den deutschen Markt eine leichter zu verstehende Bezeichnung verwendet. Seit 2010 wird der EDR-Test in Deutschland als Chemotherapie-Resistenz-Test oder kurz als CTR-Test angeboten.[25]
Neben den oben genannten wurden weitere Technologien entwickelt, die durch Lumineszenz-, Fluoreszenz- oder andere Farbstoffe Informationen über den Metabolismus oder die Vitalität der Zellen auslesen. Hierzu gehören der ATP-Test[26][27] [Kangas et al. (1984)], der DiSC-Test[28][29] und Testsysteme, die die Farbstoffe Resazurin (Alamarblau)[30][31] oder Fluorescein[32][33] nutzen. Zusätzlich wurde an Methoden gearbeitet, die spezielle intrazelluläre Ereignisse beim Sterben einer Zelle (Apoptose) auslesen können.
Unterteilung der Testsysteme
Die unterschiedlichen Methoden lassen sich in vier verschiedene Gruppen einteilen. Dieser Unterteilung ist auch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) gefolgt. Entsprechend wurden in 2012 die Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS-Ziffern) präzisiert.
- Testsysteme, die die Zellteilung messen. Hierzu gehören der CTR-Test und der „Clonogenic Assay“. (OPS-Ziffer 1-990.0)
- Testsysteme, die die metabolische Aktivität der Zellen messen. Hierzu gehören der MTT-Test, ATP-Test und Resazurin-Test. (OPS-Ziffer 1-990.1)
- Testsysteme, die die Vitalität bzw. Apoptose oder Nekrose der Zellen messen. Hierzu gehören der DiSC-Test, Fluorescein-Test, „Chromium-51-Release Assay“[34][35] und Tests zur Messung der Freisetzung von Adenylatkinase[36]. (OPS-Ziffer 1-990.2)
- Alle anderen Testsysteme. Hierzu gehört die Möglichkeit der Testung von Wirksamkeiten in Mausmodellen („Hollow Fiber Assay“, „Human Tumor Xenograft“, „Orthotopic and Metastasis Tumor Models“, Autochthonous Models“).[13] (OPS-Ziffer 1-990.x)
Die genauen Definitionen vom DIMDI sind nachfolgend dargestellt.
„OPS Version 2012
Kapitel 1
DIAGNOSTISCHE MASSNAHMEN
(1-10...1-99)
Andere diagnostische Maßnahmen
(1-90...1-99)
[...]
1-99 Andere diagnostische Maßnahmen
1-990 Ex-vivo-Zellkultursystem zur prätherapeutischen Chemosensibilitätstestung
- Inkl.:
- Testung von bis zu 7 Medikamenten
- Hinw.:
- Bei Testung von mehr als 7 Medikamenten ist der jeweilige Kode erneut anzugeben
1-990.0 Durch Analyse der genomischen DNA-Synthese
1-990.1 Durch Analyse von Parametern des Metabolismus
- Inkl.:
- ATP-Gehalt oder Aktivität der Atmungskette mit Farbstoffen
1-990.2 Durch Analyse von Parametern der Apoptose
- Inkl.:
- Anfärben toter oder apoptotischer Zellen oder Messung der Caspasenaktivität
1-990.x Sonstige“
Allgemeiner Aufbau einer Testung
Generell lassen sich vier Schritte identifizieren, die für alle Systeme bei der Durchführung gleich sind:[2]
- Aufarbeitung der Zellen bzw. des Gewebes: Solide Tumoren müssen durch eine Operation entfernt und die darin enthaltenen Zellen anschließend vereinzelt werden. Die Vereinzelung geschieht mechanisch und enzymatisch. Je nach Testsystem ist das Ziel entweder eine Einzelzellsuspension oder die Mikrotumore (sogenannte Sphäroide) zu erhalten. Leukämiezellen werden aus Blut oder Knochenmark isoliert. Dies geschieht in der Regel mittels Dichtegradientenzentrifugation.
- Behandlung (Inkubation) der Tumorzellen mit den Medikamenten: Die Tumorzellen werden den Medikamenten ausgesetzt. Inkubationszeit variiert dabei zwischen Stunden bis Wochen. Die meisten Testsysteme liegen bei vier bis sechs Tagen.
- Auslesen der Medikamentenwirkung: Wie bereits oben ausgeführt, lesen die unterschiedlichen Testsysteme verschiedene zelluläre Eigenschaften mit individuellen Verfahren aus.
- Interpretation der Ergebnisse: Frei nach dem Grundsatz von Paracelsus: “Allein die Menge macht das Gift“, lässt sich mit jeder Substanz eine Wirksamkeit ermitteln. Das heißt, für den Arzt und Patienten müssen die ermittelten Daten so interpretiert und aufgearbeitet werden, dass einfach in die Therapieentscheidung mit einfließen können. Hierzu wird in den meisten Testsystemen eine Einteilung der Medikamente in potentiell wirksam oder unwirksam und ggf. noch eine Zwischenstufe durchgeführt.
Pharmakologische Betrachtung
In diesem Kapitel sollen die Faktoren beleuchtet werden, die bei einer Testung relevant sind.
Medikamente
Verschiedene Ansätze wurden entwickelt, um mittels in vitro Testung die in vivo Situtation im Körper zu simulieren. Der ideale Ansatz wäre die vergleichbare Medikamentenwirkungen sowohl im Test als auch im Körper zu haben. Leider sind die Informationen über die Medikamentenkonzentrationen und -halbwertszeiten innerhalb eines Tumors sehr begrenzt.[38] Für die Entwicklung von Medikamenten wird normalerweise aber die Konzentration und die Halbwertszeit im Blutplasma bestimmt. Alleine aus diesen Daten und der Tatsache, dass jeder Patient eine sehr individuelle pharmakogenetische Ausstattung hat, ergeben sich immense Unterschiede zwischen Patienten in
- der der Halbwertszeit und Konzentration,
- den Arten der Verstoffwechslung und
- der Art der Ausscheidung bzw. Entgiftung
für jedes einzelnen Medikaments.[39] Komplizierter wird das Thema durch den Umstand, dass Medikamente auch als Prodrug verabreicht werden. Diese Medikamente müssen dann im Körper erst in das aktive Medikament verstoffwechselt werden. Ein Beispiel ist das Cyclophosphamid, welches durch das Cytochrom P-450-System in der Leber in die aktive 4-Hydroxyform umgewandelt werden muss. Das heißt, für eine Testung muss entweder die aktive Form des Medikaments im Test eingesetzt werden oder man muss das Medikament zum Beispiel mit homogenisierten Leberextrakten im Test aktivieren. Das Thema wird durch die Blutversorgung (Vaskularisierung) innerhalb eines Tumors im Patienen, die sehr unterschiedlich ist, noch komplexer, da dadurch im Körper das Medikament sehr unterschiedlich lokale Konzentrationen erreicht.
Alle Testsysteme benutzen die Informationen, die zur Verfügung stehen. Diese sind die Blutplasmakonzentration und -halbwertszeiten der Medikamente. Diese werden entweder direkt als Konzentration (mit verschieden Verdünnungsstufen) im Test eingesetzt oder dienen als Anhaltspunkt das Testsystem zu kalibrieren.[2] Generell gibt es eine Variation in den Konzentrationen und Inkubationszeiten zwischen den Testsystemen. Dies mag auch ein Grund für die unterschiedlichen Vorhersagewahrscheinlichkeiten für die Chemosensititvität und -resistenz sein.
Kombinationstherapien
Neben der Testung der Wirkung von Einzelsubstanzen ist die Testung von Kombinations-Chemotherapien eine Herausforderung, insbesondere wegen der erhofften Synergie von Medikamenten im Patienten. Der Vorteil von Kombinations-Chemotherapien wurde durch theoretische Betrachtung (Goldie-Colman Hypothese[40]) erklärt, die aussagt, dass der Tumor sich über die Zeit verändert. Dabei reicht die Veränderung in einer Zelle, die dann Nachkommen (Klone) bildet. Diese Veränderungen führen zu Resistenzen gegenüber Medikamenten. Verschiedene Klone besitzen dann ggf. verschiedene Resistenzen. Damit ist eine Kombinations-Chemotherapie in der Lage verschiedene Klone, die unter Umständen unterschiedliche Resistenzmuster haben, anzugreifen. Prinzipiell ist es möglich Kombinations-Chemotherapien zu testen. Jedoch scheint die beste Chemotherapie aus den aktivsten Einzel-Medikamenten zu bestehen, was durch klinische Daten belegt werden kann.[41][42] Dies stützt die Annahme, dass ein nicht wirksames Medikament nicht aktiv wird durch die Verwendung in Kombination mit einem anderen Medikament.
Normalzelleinfluss und Sphäroide
Tumorgewebe sind heterogene Verbände, die aus Fibroblasten, Mesothelzellen, Endothelzellen, nicht-transformierte normale Stromazellen und Krebszellen (siehe auch Sphäroide). Ein zuverlässiger Test sollte lediglich die Wirkung der Medikamente auf die Krebszellen bestimmen. Dabei spielen jedoch auch die benachbarten Zellen eine wichtige Rolle für die Krebszellen. Es ist bekannt, dass diese Zellen das Wachstum der Krebszellen durch die Produktion von Wachstumsfaktoren und Zytokinen beeinflussen und auch dass die Wirksamkeit der Medikamente durch diese dreidimensionalen Strukturen verändert wird.[43] Ein ideales Testsystem sollte versuchen, die Interaktionen zwischen den Tumorzellen untereinander und den benachbarten Zellen aufrecht zu erhalten, aber nur die Wirkung der Medikamente auf die Tumorzellen auszulesen. Der Clonogenic Assay, der CTR-Test, der DiSC-Test und der ATP-Test nutzen alle eine Testumgebung, in der die Zellen nicht adhärieren können, so dass selektiv das Wachstum von Tumorzellen gefördert wird. In dieser Umgebung teilen sich die benachbarten Zellen nicht, behalten aber ihre Fähigkeiten Zytokine und Wachstumsfaktoren zu bilden und so die Tumorzellen zu unterstützen.[15][44][45] Der CTR-Test und DiSC-Test sind dabei im Verhältnis zum Clonogenic Assay und ATP-Test so entwickelt worden, die normalen Zellverbände (Sphäroide) beizubehalten.[2]
Tumorheterogenität
Eine weitere Herausforderung für die Bestimmung der besten Therapieoption ist die Tatsache der Tumorheterogenität. Darunter versteht man, die Tatsache, dass sich der Tumor aufgrund der Differenzierung in unterschiedliche Klone in einem Patienten unterschiedlich in bezug auf Erkennbarkeit des Immunsystems (Antigenität), Proliferation, Differenzierungsgrad, Metastsierungsfreudigkeit, Karyotyp und Sensitivität gegenüber Bestrahlung und Chemotherapie verhalten kann. Klinisch kann es daher so sein, dass Tumorgewebe an einer Stelle des Körpers auf ein Medikament reagiert, während an einer anderen Stelle der Tumor wenig oder gar nicht auf das Medikament anspricht. Diese Frage wurde untersucht, in dem von Patienten Tumorgewebe von verschiedenen Stellen auf deren Chemosensitivät bzw. -resistenz untersucht wurde. Es wurde ein Unterschied bei 20-30% der untersuchten Medikamente und Patienten gefunden.[46][47] Das bedeutet, dass die Testergebnisse bei soliden Tumoren nicht immer repräsentative Ergebnisse für alle Tumorzellen im Körper eines Erkrankten darstellen. Dies kann auch der Grund sein, warum es einfacher ist, Chemoresistenzen als Chemosensitivitäten vorherzusagen. Die Hypothese ist, dass immer Zellen von Tumorklonen bei einer Operation im Körper verbleiben und diese bei einer gefunden Chemoresistenz entspechend sich weiterteilen können und für eine Progression des Tumors verantwortlich sind. Anders als bei soliden Tumoren scheint bei Leukämien die Chemosensitivität gleich zu sein, egal von welchem Ort im Körper die Proben stammen.[48]
Beeinflussung der Messbarkeit
Neben den oben genannten Faktoren können noch weitere Faktoren die Messungen der Chemosensitivität und -resistenz beeinflussen. Diese Faktoren sind:
- Vitalität der Tumorprobe bei der Operation
- Verspätete Lagerung der Tumorprobe im geeigneten Transportmedium
- Anteil an Tumorzellen in der Gewebeprobe
- Teilungsfähigkeit der Tumorzellen abhängig vom Ursprung des Tumors
- Kontaminationen der Tumorprobe durch Mikroorganismen
Ein Test kann nur erfolgreich durchgeführt werden, wenn die Tumorzellen vital sind. Unter Umständen kann nekrotische Tumorgewebe entnommen und verschickt werden oder der die Tumorprobe wird zu lange ohne entsprechendes Nährmedium vor der Verschickung aufbewahrt. Die kann die Messung erschweren oder unmöglich machen. Auch kann sich die Anzahl der Tumorzellen in einer Probe durch den Entnahmeort oder der Tumorentität stark unterscheiden, so dass es schwierig ist eine genaue Vorgabe für die benötigte Tumormenge zu machen. Zusätzlich unterscheiden sich die verschiedenen Tumorerkrankungen in Ihrer Teilungsfähigkeit. So sind Tumore mit einer geringen Wachstumsrate (wie Brustkrebs) schwieriger zu vermessen als Tumore mit einer höheren Wachstumsrate (wie Ovarialkarzinom). Der letzte Faktor sind Kontaminationen mit Mikroorganismen, die während der Gewinnung der Tumorprobe passieren können. Diese konkurrieren während des Tests mit den Nährstoffen im Medium und gegebenfalls mit den Ausleseverfahren, so dass die Messungen nicht auswertbar sind.[2]
Verfügbare Testsysteme für die klinische Routine in Deutschland
Alle erwähnten Testsysteme werden mehr oder weniger weltweit eingesetzt. Sie unterscheiden sich in der Anwendbarkeit, Vorhersagefähigkeit (für Chemosensititvitäten und Chemoresistenzen) und der klinischen Datenlage. Die Anwendbarkeit bedeutet, in wie weit der Test für Patienten erfolgreich durchgeführt werden kann und die Vorhersagefähigkeit sagt aus, wie stark das Testergebnis mit dem klinischen Ansprechen eines Medikamentes übereinstimmt. In Deutschland haben sich zwei Testsysteme etabliert. Diese sind der CTR-Test und der ATP-Test.[49] Während der CTR-Test – aufgrund von Know-How-Schutz – exklusiv von einer Firma angeboten wird, existiert der nicht patentgeschützte ATP-Test in verschiedenen Varianten und wird sowohl von Firmen als auch Instituten durchgeführt. Trotz der nicht belegten Vergleichbarkeit (keine Ringversuche zur Qualitätssicherung) berufen sich die Anbieter des ATP-Tests auf die gleichen klinischen Daten.[49]
Fehlende Akzeptanz der Testsysteme für die Regelversorgung
Die Testung der Chemosensitivität / Chemoresistenz hat noch nicht in die Regelversorgung von Krebspatienten Einzug gehalten. Das heißt, die Testungen sind noch nicht in den Medizinische Leitlinien für die Behandlung von Krebspatienten aufgenommen und die gesetzlichen Krankenkassen erstatten die Testungen lediglich auf Einzelfallbasis, während die privaten Krankenkassen in der Regel die Kosten übernehmen. Der Grund liegt in der Tatsache, dass trotz der Fülle von klinischen Daten, diese Verfahren noch angezweifelt werden. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass die meisten klinischen Daten retrospektive Analysen sind. Da sich die Medizin immer mehr in die Richtung der evidenzbasierten Medizin (EbM) entwickelt, werden diese Daten als nicht ausreichend betrachtet und damit nicht beachtet. Laut dem Medizinproduktegesetz und den Regelungen der Produktsicherheit für In-vitro-Diagnostika (IVD) innerhalb der EU (Richtlinie 98/79/EG) sind diese retrospektiven Datenanalysen jedoch die Regel und in der Vergangenheit wurden alle Diagnostika fast ausschließlich retrospektiv klinisch bewertet. So sind alle heute verwendeten Tumormarker-Diagnostika retrospektiv klinisch bewertet.
Da diese Testungen jedoch direkten Einfluss auf die Therapieentscheidung und damit auch Einfluss auf die Medizinischen Leitlinien haben, werden klinische Daten gefordert, die normalerweise nur für Arzneimittel gefordert werden.
Diese Daten zu erheben sind jedoch für Diagnostik-Anbieter, die nicht über die Umsätze wie Arzneimittelhersteller verfügen, kaum zu finanzieren. Damit sind diese Testsysteme die ersten Diagnostika, die auf diese Probleme stoßen. Im Zeitalter der personalisierten Medizin wird dieses Problem alle neuen IVD treffen. Hier sind die Medizin, Krankenkassen und die Politik gefordert, sowohl die begründete Forderung nach einer ausreichenden Evidenzklasse im Rahmen der EbM, die Nutzenanalyse für IVD und Entwicklungskosten in Einklang zu bringen.
Siehe auch
Weitere Begriffe, die mit dem Thema überlappen:
Einzelnachweise
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