Benutzer:Mschuma3/Problem der Entstehung der Masse nach 60 Jahren gelöst

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Problem der Entstehung der Masse nach 60 Jahren gelöst

Im Jahre 1953 veröffentlichte der Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik in Göttingen und Nobelpreisträger Werner Heisenberg eine wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel "Zur Quantisierung nichtlinearer Gleichungen" in den Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Was nach dem gewählten Titel zunächst als eine Übungsaufgabe zur theoretischen Physik erscheint, wurde in den folgenden Jahren von Heisenberg zu einer physikalischen Theorie weiterentwickelt, die unter der Bezeichnung "Weltformel" international bekannt wurde. Vereinfacht dargestellt liegt der Weltformel die Vorstellung zugrunde, dass die Massen der Teilchen in einem dynamischen Prozess aus dem Vakuum entstehen. Ohne diesen dynamischen Prozess sind die Teilchen masselos. Die "Welt" mit ihren massebehafteten Teilchen entsteht aus dem "Vakuum". Dies ist möglich, weil das Vakuum nicht leer ist, sondern den energetisch tiefsten Zustand der Materie darstellt. Heisenberg hatte die aus heutiger Sicht im Prinzip richtige Vorstellung, dass sich der dynamische Prozess der Massenerzeugung mit Hilfe einer Formel, nach seiner Überzeugung dieser Weltformel, beschreiben lassen müsse.

Den Durchbruch zu einer Theorie der Massenentstehung mit Hilfe einer Weltformel gelang 1961 dem US-amerikanischen Physiker japanischer Herkunft Yoichiro Nambu, der 2008 hierfür den Nobelpreis erhielt. Im Gegensatz zu Heisenberg legte Nambu seinen Berechnungen ein konkretes Modell des Vakuums zugrunde. Ein solches Modell war 1928 bereits von dem britischen Physiker Paul Dirac vorgestellt worden, der im Rahmen seiner Forschung zu dem Ergebnis gekommen war, dass das Vakuum Elektronen und Positronen als Paare enthalten müsse, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig kompensieren, da es sich um Teilchen-Antiteilchen-Paare handelt. Unter bestimmten Voraussetzungen können von diesen Paaren aber physikalische Wirkungen ausgehen. Als Modell für Nambus Vakuum waren die Elektron-Positron-Paare jedoch ungeeignet, da die Theorie Teilchen-Antiteilchen-Paare benötigt, die der starken Wechselwirkung unterliegen. Diese starke Wechselwirkung besteht auch im Innern der Atomkerne und bindet dort Protonen und Neutronen aneinander. Nambu ging zunächst von Proton-Antiproton-Paaren aus, bis 1964 von dem US-amerikanischen Physiker Murray Gell-Mann die Quarks entdeckt wurden. Heute steht fest, dass die von Nambu als Bestandteile des Vakuums benötigten Teilchen Quark-Antiquark-Paare sind. Die Nambusche Theorie der Massenerzeugung ist damit aber noch nicht vollständig, da noch ein weiteres Teilchen benötigt wird, das als Träger der Wechselwirkung die Verbindung zwischen den drei Quarks im Innern der Protonen und Neutronen des Atomkerns und den Quark-Antiquark-Paaren des Vakuums herstellt. Ein solches Teilchen hatte der US-amerikanische Physiker Julian Schwinger bereits 1957 vorgestellt, als er sich ebenfalls mit dem Problem der Massenentstehung befasste. Er nannte dieses Teilchen sigma-Meson. Dieses Teilchen war damals noch nicht beobachtet worden und blieb für weitere 40 Jahre unentdeckt.

Bis hierher war von der starken Wechselwirkung die Rede. Diese starke Wechselwirkung ist nicht ausreichend fur die Erklärung der Eigenschaften von Proton und Neutron. Zum Beispiel erklärt sie nicht, warum ein Neutron sich außerhalb des Atomkerns innerhalb von ca 900 Sekunden in ein Proton umwandelt. Die Instabilität mit einer für ein Teilchen dieser Art ungewöhnlich großen Lebensdauer deutet auf eine weitere Wechselwirkung hin, die den Namen schwache Wechselwirkung erhalten hat. Im Jahre 1964 gingen der schottische Physiker Peter Higgs und einige weitere Physiker aus den USA, England und Belgien der Frage nach, ob es auch für die schwache Wechselwirkung einen Prozess der Massenerzeugung gibt, der zum Beispiel den Elektronen durch Wechselwirkung mit dem Vakuum eine Masse verleiht. Die Frage wurde positiv beantwortet und es wurde auch schnell ein Name für das Teilchen gefunden, das dem sigma-Meson der starken Wechselwirkung entspricht. Dieses Teilchen heißt Higgs-Boson nach seinem Entdecker und wird wegen seiner fundamentalen Bedeutung manchmal scherzhaft auch Gottesteilchen genannt.

Den Arbeiten von Peter Higgs und der anderen an der Problemlösung beteiligten Physikern waren zwei Publikationen des britisch-amerikanischen Physikers Jeffrey Goldstone vorausgegangen, der eine modellunabhangige Darstellung der Nambuschen Theorie erarbeitet hatte. Anstelle von speziellen physikalischen Mechanismen betrachtete er ein mathematisches Modell, in dem sich ein Feld spontan zu einem Sombrero-Potential deformiert. Dem außerhalb der Mitte gelegenen tiefsten Punkt des Potentials entspricht dabei das Higgs-Boson oder sigma-Meson. Da es nun eine kontinuierliche Folge solcher Punkte längs eines Kreises gibt, folgerte Goldstone, dass mit dem Higgs-Boson oder sigma-Meson mindestens ein masseloses Teilchen einhergehen muss, das den Namen Goldstone-Boson erhalten hat. Im Falle des sigma-Mesons entsprechen die Goldstone-Bosonen den drei pi- Mesonen, sodass die postulierten Goldstone-Bosonen nicht zu Problemen führen. Im Falle des Higgs-Bosons sind die Goldstone-Bosonen aber unerwünscht, da entsprechende Teilchen nicht bekannt sind. Die Lösung des Problems nennt man Brout-Englert-Higgs-Mechanismus, der die Goldstone-Bosonen zu Bestandteilen der Träger der schwachen Wechselwirkung macht und ihnen eine Masse verleiht.

Hier ergibt sich die Frage, mit welchen Bestandteilen des Vakuums die Wechselwirkung des Higgs-Bosons erfolgt. Elektron-Positron-Paare kommen dafür nicht in Frage, ebensowenig Quark-Antiquark-Paare. Deshalb hat man neue Teilchen vorgeschlagen, die den Namen Techni-Quarks tragen. Später hat man diese Teilchen wieder außer Betracht gelassen und sich an die Vorstellung gewöhnt, dass das Higgs-Boson auch im Vakuum vorhanden ist und dort die Rolle der Teilchen-Antiteilchen-Paare übernimmt. In der theoretischen Vorhersage ist dieses Modell sehr erfolgreich und erlaubt es sogar, die Masse des Higgs-Bosons abzuschätzen. Dabei ergibt sich ein Wert von 100 mal die Masse eines Wasserstoffatoms. Es ist damit von erheblich größerer Masse als das sigma-Meson, für dessen Masse die Absch?ätzung 2/3 der Masse des Wasserstoffatoms ergibt.

Die obigen Theorien können als bestätigt angesehen werden, wenn es gelingt das sigma-Meson und das Higgs-Boson experimentell nachzuweisen. Für das sigma-Meson, das wegen seiner Beteiligung an der Massenerzeugung auch "Higgs-Boson" der starken Wechselwirkung genannt wird, gelang dies in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Zum einen wurden schwache Signale in Reaktionen mit anderen Teilchen beobachtet. Das überzeugendste Experiment wurde von einer internationalen Kollaboration im Institut für Kernphysik der Universität Mainz vorgeschlagen. Die Ausgangsüberlegung war, das sigma-Meson sichtbar zu machen, während es sich auf den drei Quarks im Proton befindet. Dort muss es sich zwangsläufig aufhalten, wenn es die Verbindung zwischen den Quarks im Proton und den Quarks im Vakuum herstellt. Auf Vorschlag der Kollaboration wurde eine Apparatur gebaut, die im Prinzip einem Computer-Tomographen der Medizin ähnelt. Ein Unterschied ist allerdings, dass die "Röntgenstrahlen" eine 10000 mal so hohe Energie besitzen wie die in der Medizin eingesetzten Röntgenstrahlen. Als Strahlungsquelle diente der Elektronenbeschleuniger MAMI der Universität Mainz. Das Experiment ergab ein deutliches Signal, das sich eindeutig auf das auf den Quarks befindliche sigma-Meson zur?uckführen ließ. Auch die vorhergesagte Masse wurde mit einer Genauigkeit von 10% bestätigt. Das experimentelle Ergebnis wurde im Jahre 2001 publiziert. Danach waren mehrere Jahre theoretischer Forschung erforderlich, bis die endg?ültige Interpretation im Jahre 2010 ver?öentlicht werden konnte [1]. Als Nebenprodukt dieser theoretischen Forschung gelang es, insgesamt neun "Higgs-Bosonen" der starken Wechselwirkung zu identifizieren und damit die Massenerzeugung auch für die sogenannten seltsamen (strange) Partner von Proton und Neutron zu erklären [2]. Die Publikation dieses Ergebnisses wurde vom britischen Institute of Physics (IOP) mit dem Titel Highlight of the year 2011 ausgezeichnet [3].

Das Jahr 2012 hat ein weiteres Highlight gebracht. Es handelt sich hierbei um den Nachweis eines Teilchens am Large Hadron Collider (LHC) beim CERN in Genf, dessen Eigenschaften mit denen des Higgs-Bosons übereinstimmen. Auch die für das Higgs-Boson vorhergesagte Masse wurde bestätigt. Diese Entdeckung ist ohne Zweifel die wichtigste der neueren Teilchenphysik. Das Higgs-Boson erklärt neben der Masse des Elektrons und der Massen der Träger der schwachen Wechselwirkung auch einen kleinen elementaren Bruchteil der Masse der Quarks, die sonst überwiegend auf dem sigma-Meson beruht. Darüber hinaus macht das Higgs-Boson das Standardmodell der Teilchenphysik vollständig und eröffnet den Weg für eine noch unbekannte Physik jenseits des Standardmodells. Mit dem Nachweis sowohl des sigma-Mesons als auch des Higgs-Bosons kann festgestellt werden, dass das Problem der Entstehung der Masse 60 Jahre nach der ersten Publikation von Werner Heisenberg gelöst ist. Zur Masse der Atome trägt das Higgs- Boson ca. 2% bei und das sigma-Meson die übrigen 98%.


[1] Observation of the Higgs Boson of strong interaction via Compton scattering by the nucleon, Martin Schumacher, Eur. Phys. J. C. 67 (2010) 283; arXiv:1001.0500 [hep-ph].

[2] Structure of scalar mesons and the Higgs sector of strong interaction, Martin Schumacher, J. Phys. G: Nucl. Part. Phys. 38 (2011) 083001; arXiv:1106.1015 [hep-ph].

[3] Structure of scalar mesons and the Higgs sector of strong interaction, Martin Schumacher, Highlights 2011, http:// iopscience.iop.org/0954-3899/38/8/083001